Der Sport braucht einen langen Atem
Wolfgang Höfer
Die Flutnacht vom 14. auf den 15 Juli im nördlichen Rheinland-Pfalz wird auch in die fast 75-jährige Geschichte des Sportbundes Rheinland (SBR) eingehen – als ein Ereignis, das nach den ersten Schockwellen ein sofortiges Handeln erforderte und danach Prozesse in Gang setzte, deren Ausgang bis heute nicht absehbar sind. Denn die Schäden an der Sportstätteninfrastruktur überstiegen auch die Vorstellungskraft der Mitarbeiter*innen auf der Geschäftsstelle im Haus des Sportes auf dem Koblenzer Oberwerth – ganz zu schweigen von der Betroffenheit und dem großen Mitgefühl gegenüber dem Leid der Bewohner des Ahrtals und in der nördlichen Eifel.
Die erste Schadensbilanz des SBR in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportstättenentwicklung (ISE) in Trier war erschreckend: 90 Sportvereine sind direkt von den Auswirkungen der Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel betroffen. Die Schäden an Sportanlagen beliefen sich nach dieser ersten Erhebung auf mindestens 25 Millionen Euro. Mit Stand Mai 2022 geht man von weit mehr aus und schätzt den tatsächlichen Schaden auf rund 40 Millionen Euro.
„Sportanlagen sind Teil der sozialen Infrastruktur“
Erfasst wurden bei der Erhebung des organisierten Sportes neben den vereinseigenen Sportanlagen auch Schäden an kommunalen Sporthallen und -plätzen. Allein bei den Anlagen in Vereinsbesitz sind Schäden in Höhe von 7,8 Millionen Euro entstanden. Hinzu kommen Schäden an Sportgeräten, Mobiliar und technischer Ausstattung in Höhe von 1,3 Millionen Euro. Mit Blick auf den anstehenden Wiederaufbau mahnte SBR-Präsidentin Monika Sauer schon frühzeitig, den Sport von Beginn an mitzudenken: „Sportanlagen sind ein Teil der sozialen Infrastruktur. Sie sind Treffpunkte für Jung und Alt. Die Sportanlagen müssen daher ähnlich wie Bildungseinrichtungen oder Straßen zügig in den Blick genommen werden“, forderte Sauer. Das Vorhandensein von Sportstätten und Freizeitangeboten werde die Lebensqualität im Ahrtal maßgeblich beeinflussen.
Baustelle statt Ballspiel: der Sportplatz in Dernau nach der Flut
Parallel zu allen behördlichen Bemühungen und Planungen hatte der SBR bereits im September 2021 mit dem ISE und der Hochschule Koblenz einen Sportstättenbedarfsplan für das Ahrtal angeregt. Dies war schließlich auch das Ergebnis vieler Gespräche, die der SBR zuvor mit betroffenen Vereinen vor Ort geführt hatte. „Mit der Schaffung einer zielgerichteten, bedarfsorientierten und nachhaltigen Sportstättenentwicklungsplanung wollen wir Vereins-, Schul- und Individualsport gleichermaßen ermöglichen. Wir schauen uns alles an, was mit Bewegung zu tun hat“, sagte Stefen Henn (ISE) zur Zielsetzung dieses Projektes.
Doch in der Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Land, kommunalen Behörden und Fachbehörden musste man zunehmend erkennen, dass ein geordneter Wiederaufbau zerstörter Sportstätten teilweise noch Jahre dauern kann. Der Sport braucht sprichwörtlich einen langen Atem. Denn viele Sportanlagen im Ahrtal liegen im neu ausgewiesenen Überschwemmungsgebiet. Für den Wiederaufbau sind somit wasserrechtliche Vorschriften zu beachten. Dies führt teilweise zu Einschränkungen, da beispielsweise nicht alle Sportplatzbeläge in diesen Bereichen erlaubt sind. Bei Verlegung der Anlagen müssen die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen neu geschaffen werden. Das braucht Zeit, sodass sich der Aufbau teilweise über Jahre hinziehen wird.
Eine Erkenntnis, die bei den Sportvereinen zunehmend Frust, Unsicherheit und teilweise auch Unverständnis auslöste. Aus diesem Grund veranstaltete der SBR Ende Januar 2022 eine digitale Informationsveranstaltung, an der Vertreter aller am Wiederaufbau beteiligten Behörden und der Sportvereine teilnahmen. Hier konnten Informationsdefizite beseitigt, Missverständnisse ausgeräumt und Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden. Eine zentrale Aussage der Veranstaltung war: Auch Schäden an vereinseigenen Sportanlagen und an funktionsbezogenen Einrichtungsgegenständen können zu 100 Prozent aus dem Wiederaufbaufond des Landes gefördert werden. Diese frohe Botschaft für die Vereine wurde auch später von Innenminister Roger Lewentz bestätigt.
Gemeinsames Anpacken: Aufräumarbeiten beim SC Bad Bodendorf
Hilfsbereitschaft und Solidarität
Ungeachtet der staatlichen Förderung waren die Hilfsbereitschaft und die Solidarität des organisierten Sportes mit den von der Flut heimgesuchten Sportvereinen von Beginn an überwältigend. Betroffenen Vereinen wurden Trainingsflächen in angrenzenden Gemeinden und Materialen zur Verfügung gestellt. So konnten das Training und der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden. Unter dem Motto „Vereine helfen Vereinen“ hatte der Landessportbund Rheinland-Pfalz Sportvereine im ganzen Land um Unterstützung gebeten und viele folgten dem Aufruf. Von Fußbällen über Judomatten bis zu Turngeräten reichten die Spenden, die so an Ahr und in der Eifel verteilt werden konnten. Auch die Gelder aus dem SBR-Spendentopf wurden immer mehr und belaufen sich mittlerweile auf 600.000 Euro (Stand Mitte August 2022). Darin eingeschlossen sind: 55.000 Euro der AOK Rheinland-Pfalz und 380.000 Euro über die Stiftung Deutscher Sport. Diese sollen ebenso wie der Erlös aus dem Benefizspiel zwischen Mainz 05 und dem 1.FC Kaiserslautern über 130.000 Euro direkt den Vereinen zugutekommen.
„Ohne das Engagement der Vereine und vieler privater Initiativen gäbe es noch keine Sportangebote vor Ort. Allen, die dies möglich gemacht haben, danken wir von ganzem Herzen“, resümiert SBR-Präsidentin Monika Sauer und appelliert wiederholt, dem Wiederaufbau von Sportanlagen die gleiche Priorität wie bei anderen kommunalen Projekten einzuräumen. Denn die Angst vor einem Mitgliederschwund treibt viele Vereinsvertreter auch ein Jahr nach der Flut um. Daher hoffen Sie auch weiterhin auf einen schnellen Wiederaufbau der Sportanlagen. Peter Diewald, Erster Beigeordneter der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, geht hingegen von einem Zeitraum von mehreren Jahren aus, bis der Wiederaufbau abgeschlossen ist: „Das wird uns Jahre begleiten. Wir müssen daher Prioritäten setzen und das bestenfalls gemeinsam tun“, sagte Diewald bei einem Infoabend der Stadt Bad Neuenahr im Dezember 2021.
Unbrauchbar: 90 Sportvereine sind direkt von den Auswirkungen der Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel betroffen.
Zuhören, alle Betroffenen mitnehmen und Prozesse transparent machen, darum geht es dem SBR auch in den nächsten Monaten. So wird der kurzfristige Aufbau von provisorischen Sportanlagen, die Nutzung von sonstigen Räumlichkeiten und auch die gemeinsame Nutzung von Sportanlagen diskutiert. Dort, wo Plätze nicht wieder aufgebaut werden, braucht es wohnortnahe Alternativen wie beispielsweise Kleinspielfelder, sind sich Kommunen und Vereine einig.
In dem weiteren Verlauf des Wiederaufbaus der Sportanlagen wird der SBR weiter die Interessen seiner Vereine vertreten und ein verlässlicher und kompetenter Ansprechpartner sein. Gemeinsam mit dem ISE und der Hochschule Koblenz unterstützt man die Planungen vor Ort konkret. So werden Workshops moderiert, Bedarfsanalysen erstellt und Alternativen mit Blick auf die Realisierbarkeit bewertet. Im Dialog mit den Vereinen, Schulen und sonstigen Nutzergruppen vor Ort soll der Wiederaufbau vorangetrieben werden.
Inwieweit jedoch die Entscheidungsträger vor Ort im Sinne der Sportvereine entscheiden und handeln können, bleibt abzuwarten. Mit dem Platz in Bad Bodendorf konnte eine erste Sportanlage im Mai 2022 wieder in Betrieb genommen werden. Der Wiederaufbau aller Anlagen wird sicher nicht vor 2025 abgeschlossen sein.