Der Schwanenritter zu Kleve
von Peter Graf
Einst geriet die Gräfin von Kleve nach dem Tode ihres Vaters In große Not. Sie war die einzige Erbin des Landes, konnte sich aber als alleinstehende Jungfrau gegen die Vasallen Ihres Vaters nicht behaupten. Einer der Empörer hatte sich sogar des Schlosses und der Erbin bemächtigt, die er nun zwingen wollte, ihn zu ehelichen. Die Prinzessin wußte nicht mehr aus noch ein. Tag und Nacht lag sie auf den Knien und flehte zu Gott, ihr doch einen Retter zu senden.
In ihrer höchsten Not erinnerte sie sich des silbernen Glöckleins an ihrem Rosenkranz, von dem ihr gesagt wurde, es habe die Kraft, durch seinen leisen Ton, der jedoch nach bestimmter Richtung mit der Ferne an Stärke zunehme, Hilfe herbeizurufen. Und es fügte sich, daß ein König weit im Norden am Rheinstrom den hellen Hilferuf des Glöckleins vernahm. Er forderte seinen Sohn auf, dem Klange nachzuziehen und der Bedrängten Hilfe zu bringen.
Kaum hatte der Sohn seine Vorbereitungen getroffen, so erschien auf den Wellen des Stromes ein Schwan, der an einer goldenen Kette einen Kahn nach sich zog. Er legte am Ufer an, wo der Königssohn stand und sehnsüchtig in die Ferne schaute. Die Ankunft des Kahnes hielt der junge Ritter für einen Wink des Himmels; er stieg ein und der Schwan fuhr mit ihm rheinaufwärts.
In Kleve war mittlerweile die Not aufs höchste gestiegen. Von dem Empörer gedrängt, wollte die Prinzessin sich schon in ihr Schicksal ergeben und unter Jammern und Weinen sich auf die erzwungene Vermählung vorbereiten. Da sah sie durch das Fenster ihres Schloßgemaches den Schwan einen Kahn durch das Gewässer ziehen, in dem ein junger Ritter schlief. Nun erinnerte sich die Prinzessin der Prophezeiung einer Nonne, daß ihr durch einen schlafenden Ritter in großer Not Hilfe gebracht werde. Freudig eilte sie dem Jüngling entgegen, der mittlerweile dem Kahn entstiegen und ins Schloß getreten war. Von ihm hörte sie nun, daß er aus weiter Ferne gekommen sei, um gegen den Räuber ihres Landes um ihre Hand zu kämpfen.
Dankbar und froh nahm die Prinzessin das Anerbieten des Jünglings an und ließ sogleich den Schloßhof zum Kampfplatz herrichten. Wild und ungestüm drang der böse Vasall auf den Königssohn ein. Doch gegen die Kraft und jugendliche Gewandtheit seines Gegners kam er nicht an und sank bald, von des jungen Ritters Schwert tödlich getroffen, zu Boden. Die Prinzessin hielt ihr Versprechen und reichte ihrem Befreier die Hand zum Ehebunde. Vor der Heirat ließ er sich von der jungen Gräfin das feierliche Versprechen geben, nie nach seinem Herkommen und Namen zu fragen, welches Versprechen sie auch unverbrüchlich hielt.
Der glücklichen Ehe entsprossen drei Söhne. Als diese schon erwachsen waren, trugen sie immer noch nicht den Namen ihres Vaters. Da doch dem geringsten ihrer Untertanen zustand, den Namen des Vaters zu tragen, so konnte sie sich nicht mehr länger enthalten ihren Gemahl zu bitten, seinen Söhnen den ihnen zukommenden väterlichen Namen zu geben.
Aufs tiefste erschrocken hörte er die Bitte seiner Gemahlin. „Wehe“, rief er aus, „was hast du getan? Unser Glück hast du durch deine Worte zerstört. In dieser Stunde noch muß ich dich verlassen, um nie wieder zurückzukehren!“ Und sofort ließ er sein Silberhorn ertönen. Weit schallte es über das Wasser in die Nacht hinein. Und siehe, am Morgen kam der Kahn mit dem Schwan, der den Ritter nach hier gebracht hatte. Trotz aller Bitten und Tränen der Seinen bestieg er den Kahn und fuhr denselben Weg hinab, auf dem er gekommen war, und ward nie wieder gesehen. Die verlassene Gräfin starb bald darauf aus Gram. Ihre Söhne aber wurden Stammherren edler Geschlechter, die alle bis auf den heutigen Tag den Schwan im Wappen führen.