DER ROLANDSBOGEN
Von Hermann Comes
Der unvergleichlich schöne Fernblick von der Bergeshöhe des Rolandsbogens, der bis zum Kölner Dom reicht und rheinaufwärts ‚das Rheintal in seiner ganzen landschaftlichen Schönheiten und seitwärts die Berge des Westerwaldes und der Eifel erfaßt, hat Gäste aus allen Ländern der Welt zum Aufstieg angezogen. Einzig aber ist der Blick in das Siebengebirge, das dicht vor unseren Augen liegt.
Selbst Alexander von Humboldt, ‚der Weitgereiste, nannte Rolandseck und den Rolandsbogen einen der sechs schönsten Punkte der Erde. Von ihm erzählt der Volksmund, daß er von einer seiner vielen Reisen Akazien mitgebracht habe aus Spanien und eine davon auf dem Plateau der Rolandsbogen-Berghöhe anpflanzte. Diese besagte Akazie steht noch auf der kleinen Terrasse. Man sieht ihr das hohe Alter an und die Stürme, die hier oben durch ihr Geäst wie wilde Geister gefegt sind. Im großen Saale sieht der Besucher in einem alten Stich das Porträt Alexanders von Humboldt.
Wo jetzt lustige Wanderer sich an dem schönen Blick in die Rheinebene — und auch an einem Humpen guten Weines — gerne laben, stand ehemals die Burg Rolandseck. Der Rolandsbogen ist der letzte Rest jener Burg, die bereits seit dem 17. Jahrhundert in Trümmern liegt. Bei einem schweren Erdbeben am 16. Februar 1673 stürzten auch die letzten hohen starken Mauern ein, und nur das Bogenfenster blieb stehen. In einer Urkunde aus dem Jahre 1040 wird diese Burg erstmals erwähnt. In einer stürmischen Winternacht des Jahres 1839 — vom 28. zum 29. Dezember — stürzte auch der Rolandsbogen ein.
Wir wissen, wie Ferdinand Freiligrath, der damals in Unkel weilte, sich spontan für die Wiederherstellung des Bogens einsetzte. Von allen Seiten trafen auf seine Aufrufe Spenden ein. Plötzlich erfuhr er, daß die Ruine Besitztum der Prinzessin Wilhelmine von Preußen war. Er stellte die Sammlungen sofort ein, da er nicht in die Rechte der Prinzessin eingreifen wollte. Doch bald hatte er deren Genehmigung in Händen, das begonnene Werk weiterführen zu dürfen. Der Dombaumeister des Kölner Domes, Zwirner, leitete die baulichen Arbeiten. Am Pfingstsonntag des Jahres 1840 konnte Ferdinand Freiligrath, dem das Wiedererstehen des Bogens hoch über dem Rheintal mit der Insel Nonnenwerth zu danken ist, die Festrede zur Einweihung des Rolandsbogens halten.
Die Jahre gingen dahin. Im Jahre 1893 wurde hier oben am Rolandsbogen ein kleines Holzgebäude von der aus Rolandswerth stammenden Familie Lenz errichtet. Bis dahin hatte eine Frau aus Rolandswerth den Besuchern der Burgruine Ansichtskarten angeboten, die sie in einem kleinen Koffer bei sich trug. Froh waren die vielen Wanderer, daß sie nun die herrliche Aussicht bei einem kühlen Trunke in Ruhe genießen konnten. Der erste Wirt vom Rolandsbogen war Peter Josef Lenz; ihm folgte sein Sohn Josef Lenz, der am 20. Januar 1955 verstarb. Nun setzt die Enkelin des ersten Rolandsbogen-Wirtes mit ihrem Manne die Tradition der Rolandsbogen-Wirte fort, die, wie schon erwähnt, im Jahre 1893 begonnen wurde.
Bis 1929 war es für den Wirt ‚hier oben nicht immer leicht. So mußte das Wasser aus dem Tal heraufgeholt werden, und das elektrische Eicht fehlte noch. Jedoch wurde der Zustrom der Besucher derart stark, daß man sich entschloß, 1928/29 einen festen Gaststättenbau zu errichten. Bei den Ausschachtungsarbeiten in dem harten Winter 1929 wurde auch der Schlüssel der ehemaligen Feste Rolandseck gefunden, den die Besucher heute noch sehen können.
Wenn wir aber vom Rolandsbogen sprechen, ist der Name eines Mannes zu nennen, der auf ewige Zehen mit ihm verbunden ist: Jörg Ritzel, der Dichter des Rolandsbogenliedes. Im Saale sehen wir dieses Lied, vom Verfasser handgeschrieben mit Bild und der Widmung: „Gedichtet 1915 und der Rolandsbogen-Klause in liebevollem Gedenken gewidmet.“
Wie heißt es noch in dem Lied, das von dem mit Ritzel befreundeten Komponisten Paul Mania vertont wurde und das nach seiner Drucklegung von Mund zu Mund ging und überall begeistert aufgenommen wurde? „. . . ich trank mit seiner Base auf Du und Du . . .!“ Wer von den vielen Besuchern von heute weiß, daß diese Base hier auf der Berghohe am Rolandsbogen gelebt und geliebt hat? Sie wurde von den Bonner Studenten besungen wie die Lindenwirtin, ihr Name war Sofie Eenz. Sie war die Tochter des ersten Rolandsbogen-Wirtes. In blühender Jugend, 25 Jahre alt, starb sie, und heute noch steht auf dem Mehlemer Friedhof die Grabstätte mit einer großen Marmortafel, auf der ein Gedicht der Bonner Studenten ihr einen letzten Gruß widmete, in der die ganze Hochachtung von „der Base“ zum Ausdruck kommt:
„Es rauscht der Strom sein altes Wellenlied vom Fels zum Meer,
und drüben eine weiße Möve zieht, den Flug so schwer.
Vom Rolandsbogen fiel ein Efeublatt hinab zum Rhein,
sah sich an all‘ dem Schönen satt, doch soll’s nicht sein.
So bist auch du in einer Märchennacht, so lau und lind,
hinweggeführt von all der Märchenpracht, verweht im Wind.
So nahmst auch du der zarten Möve gleich, so weiß und rein,
den letzten stillen Flug zum Himmelreich, zum höheren Sein.“
Die Tochter des Dichters weiß viele entzückende Episoden um das Rolandsbogenlied zu erzählen. So hätte man auch vermutet, ihr Vater hätte, wie es in der dritten Strophe heißt „Die Welt, die ridewanzte . . .“, nur als Zwangsreim oder scherzhaft gebraucht. In Wirklichkeit wissen nur wenige, daß er den launigen Einfall hatte, beim „Ridewanz“ einem mittelalterlichen Reigentanz eine Anleihe zu machen. Zu seinen Lebzeiten sei er oft gefragt worden, ob er das im Lied erwähnte Erlebnis mit der Base wirklich selbst erlebt habe. Aber er hätte nie ausgeplaudert — nur ein bißchen vielsagend gelächelt. Das Lied vom Rolandsbogen, zuerst in dem Rheinroman „Die Herrgottsschenke“ veröffentlicht, wurde populär. Tenöre und Bassisten sangen es um die Wette, Richard Tauber, Franz Völker und andere sangen es; auf Schallplatte erzählt die Tochter Ritzels zu der Entstehung und dem Siegeszug des Liedes, das dem herrlichen Fleck am Rhein gewidmet ist.
Am 6. Mai 1929 wurde die neue Gaststätte auf dem Rolandsbogen eingeweiht. Jörg Ritzel schrieb zur Eröffnung dieser „neuen Rolandsbogenklause“ ein Gedicht, das er bei den Feierlichkeiten selbst vortrug. In ihm spiegelt sich die ganze Liebe zu dieser Burgruine wider. Auch ‚dieses ist wie das Rolandsbogenlied handschriftlich im Original an der Stirnwand des Saales als wertvolles Kleinod angebracht. Einige Zeilen, aus diesem Gedicht gelesen, lassen jeden Wanderer hier oben erkennen, was der Rolandsbogen dem Dichter bedeutete:
„Nun reicht mir den Humpen mit funkelndem Wein und füllt ihn mir bis zum Rande
Ich grüß‘ die bacchantische Klause am Rhein in ihrem neuen Gewände!“
An anderer Stelle:
„O Rolandsbogen, du Sonnentor der Romantik, von Liedern umsponnen, du ragst aus der Zeiten Wirrsal empor als ewiger Jugendbronnen!“
Der Rolandsbogen hat auch heute noch seine Romantik, die i’hm Technik, Verkehr und die Hetze ‚der Zeit nicht nehmen konnten; denn wer in vorgerückter Abendstunde bei einem Humpen edlen Weines an der Mauer neben dem Bogenfenster’lehnt, dem erscheinen die Lichter von Honnef und Röndorf wie eine leuchtende Perlenkette. Im Rauschen der Blätter glaubt er die vielen Wanderer, ‚die den Weg hierher fanden, singen zu hören:
„Ich kam von fern gezogen, zum Rhein, zum Rhein,
beim Wirt zum Rolandsbogen, da kehrt‘ ich ein!“