Der römische Gutshof „Auf dem Hellersberg“ bei Niederlützingen
Geophysikalische Prospektionen decken bislang unerforschte Siedlungsspuren auf
Gabriel Heeren
Die römische Besiedlung beginnt im Rheinland mit dem von Caesar beschriebenen Gallischen Krieg, in dessen Folge die Expansion der Römer bis an den Rhein heranreichte. An Mittelrhein, Mosel sowie Eifel und Ahrgebiet sind erstmals seit der Zeit des Augustus (ca. 30 v. – 14 n. Chr.) römische Siedlungsspuren nachweisbar.
Bereits in dieser Zeit wurde in Remagen ein römisches Hilfstruppenkastell eingerichtet. Die Römervilla Ahrweiler entstand nur wenige Jahrzehnte später, vermutlich in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. In dieser Zeit wirtschaftlicher Blüte expandierte die römische Besiedlung im heutigen Gebiet des Kreises Ahrweiler. Es wurden zahlreiche römische Gutshöfe (lat. villae rusticae) bzw. ländliche Siedlungen in der fruchtbaren Grafschaft aber auch den gebirgigen Landschaftsabschnitten südlich der Ahr und des Brohltals errichtet. Der römische Gutshof mit Eisenverhüttung im Ahrweiler Wald „An den Maaren“ existierte nachweislich bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. Hinzu kommen der gallorömische Umgangstempel bei Barweiler, die Terra-Sigillata-Manufaktur bei Sinzig und die vom römischen Militär genutzten Tuffsteinbrüche im Brohltal.
Luftaufnahme aus dem Jahr 2020. Der römische Gutshof „Auf dem Hellersberg“ oberhalb von Brohl-Lützing (Rekonstruktion im Vordergrund) war weithin in der Region sichtbar.
Hauptgebäude des römischen Gutshofs „Auf dem Hellersberg“, Geoelektrik-Graustufenbild und Rekonstruktion der Gebäudestrukturen bzw. des Mauerwerks (rot)
Das Ahrgebiet – vielseitige Antike Kulturlandschaft
Zu den wirtschaftlichen Grundlagen der römischen Besiedlung gehören neben Ackerbau und Viehzucht auch spezialisierte Handwerksformen wie Keramikproduktion oder Eisenerzverarbeitung. Ein besonderes Phänomen, welches deutlich zum Erreichen des wirtschaftlichen Aufschwungs beitrug, war die sogenannte Romanisierung. Hierunter versteht man einen Prozess gesellschaftlicher Neuentwicklung aus fortschreitender Zusammenwirkung traditioneller römischer Kultur und einheimischer Lebensweise.
Als Beispiel hierfür seien die zahlreichen im Ahrgebiet nachweisbaren villae rusticae genannt, deren Wurzeln oftmals auf einheimische bzw. eisenzeitliche Siedlungen zurückgehen. Bereits während des ersten Jahrhunderts n. Chr. nahmen die dort lebenden Bevölkerungsgruppen (Treverer, Ubier) die römische Bauweise und den damit verbundenen gehobenen und repräsentativen Lebensstil (Thermen- und Badeanlagen, Gärten, befestigte Straßen) an. Es kam in der Folge zur Errichtung zahlreicher, in Stein gebauter, römischer Gutshöfe mit Badeanlagen und aufwendig durch Wandmalereien ausgestalteten Innenräumen. Aus unserer Region kennen wir heute eine zweistellige Anzahl solcher Gutshöfe bzw. ländlicher Siedlungen unterschiedlicher Größe.
Römischer Gutshof bei Niederlützingen
Bereits 1965 erkannte der Luftbildarchäologe Irwin Scollar, dass es sich bei dem ca. 2 km nordöstlich von Niederlützingen gelegenen Fundplatz wohl um eine römische Siedlung handelt. Auf der unweit östlich vom Leylerkopf, in der Flur „Auf dem Hellersberg“ liegenden Fundstelle wurden seit den 1980er-Jahren zahlreiche römische Keramikfragmente des dritten und vierten Jahrhunderts n. Chr. gefunden.
Diese Hinweise veranlassten die Generaldirektion Kulturelles Erbe, Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz zur Durchführung geophysikalischer Prospektionen, welche von ehrenamtlichen Helfern unterstützt wurden. Zur Anwendung kam die Methode der elektrischen Widerstandskartierung bzw. Geoelektrik, da selbiges Verfahren bestmögliche Ergebnisse auf römischen Siedlungen mit Baustrukturen (Mauern, Eßtrichböden, etc.) garantiert.
Auswertung der Baustrukturen
Die Auswertung der geophysikalischen Prospektion und Luftbildergebnisse zeigt, dass das Hauptgebäude der römischen Siedlung über mehrere Raumeinheiten verfügt. Nördlich schließen sich zwei Nebengebäude an. Bei dem Hauptgebäude fallen zunächst langrechteckige und quadratische Baustrukturen auf. Die im südwestlichen Abschnitt liegende kreisrunde Anomalie könnte zudem ein Brunnen oder eine Zisterne gewesen sein. Das Hauptgebäude besitzt einen rechteckigen Grundriss und ist etwa 20 m breit sowie 30 m lang.
Besonders auffällig ist die nordöstliche Gebäudefront. Diese zeichnet sich durch zwei bzw. drei vorstehende quadratische Anbauten aus, welche als Eckrisaliten bezeichnet werden. Diese besitzen jeweils eine Innenfläche von ca. 25 m².
Die weiteren Baustrukturen in Innern des Hauptgebäudes lassen sich als repräsentative Wohn- oder Schlafräume für die Bewohner der Anlage deuten. Diese Gebäudeteile sind jedoch teilweise stark zerstört, was eine endgültige Funktionsansprache nicht möglich macht. Fest steht jedoch, dass ein im Zentrum hallenförmiger Gebäudetyp vorliegt, welcher an mindestens drei Seiten kleine quadratische Nebenräume aufweist. Eine solche hybride Bauweise mit mehreren Gebäudevorsprüngen zeigt, dass die Anlage mehrfach umgebaut wurde. Die chronologische Reihenfolge der Aus- oder Umbauten kann jedoch erst durch eine Ausgrabung festgelegt werden.
Lage (rot) des römischen Gutshofs „Auf dem Hellersberg“ bei Brohl-Lützing/Niederlützingen
Aufgrund der losen Verteilung von Haupt- und Nebengebäuden lässt sich der römische Gutshof als sogenannte Streuhofanlage bezeichnen. Das mittels Geoelektrik und Luftbildauswertung erforschte Hauptgebäude bildet das Zentrum des römischen Gutshofs. Eine Funktion der beiden nördlich anschließenden Nebengebäude bleibt unklar. Solche Nebengebäude dienten meist der wirtschaftlichen Verwendung als Ställe oder Remisen.
Datierung der Anlage
Die bereits in den 1980er-Jahren geborgene Keramik umfasst ein reiches Spektrum an rauhwandigen Gefäßfragmenten, welche von alltäglich verwendeten Schalen und Kochtöpfen stammen. Das Fundmaterial beinhaltet zudem einzelne feine Terra-Sigillata-Bruchstücke. Sofern möglich, lassen sich die meisten Funde in das zweite bis vierte Jahrhundert n. Chr. datieren. Wobei der Schwerpunkt eindeutig auf dem zweiten bis dritten Jahrhundert n. Chr. zu liegen scheint. Metallfunde (Münzen, Beschläge, etc.) kennen wir von der Fundstelle noch nicht. Die vorliegende Keramik zeigt, dass der römische Gutshof „Auf dem Hellersberg“ mehrere Jahrhunderte bewohnt wurde. Mit Beginn der Besiedlung existierte dort vermutlich ein einfacher Steinbau mit Holzkonstruktionen, welcher im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. zu einer mehrräumigen und teilweise repräsentativ ausgestatteten villa rustica ausgebaut wurde. Der Gutshof wurde wahrscheinlich im vierten Jahrhundert n. Chr. verlassen oder zerstört, womit ein Ende der Nutzung in dieser Zeit anzunehmen ist.
Besondere Lage
Der römische Gutshof und die zugehörigen Nebengebäude liegen am östlichen Abschnitt eines nach Nordosten abfallenden Plateaus, welches vom „Leylerkopf“ bis kurz vor Brohl-Lützing reicht. Nur wenige Meter östlich der antiken Baustrukturen, die etwa auf einer Höhe von 220 m ü. NN liegen, beginnt ein steiler Hangabschnitt, welcher in die Rheinebene hineinreicht. Sollte der Gutshof vom Rhein aus erreicht werden, musste ein Höhenunterschied von ca. 170 m überwältigt werden. Kleinere villae rusticae liegen jedoch meist gut erreichbar im Mittelhangbereich in der Nähe zu einer Wasserquelle. Letztere scheint „Auf dem Hellers-berg“ auch vorhanden zu sein, jedoch ist die Lage des römischen Gutshofs auf dem Plateau eher ungewöhnlich. Die Siedlung war damit weithin in der Region sichtbar. Aus diesem Grund sollte in Zukunft auch die Funktion der beiden Nebengebäude überprüft werden. Würde sich die Vermutung, es handele sich bei diesen um ein Heiligtum, bestätigen, so ließe sich auch die ungewöhnliche Lage des römischen Gutshofs erklären. Denn Heiligtümer oder Umgangstempel hatten während der römischen Kaiserzeit eine zentralörtliche Funktion und waren daher weit sichtbare Anlaufstellen.
Neue Forschungsergebnisse zur römischen Besiedlung
Die jüngsten Forschungen zum römischen Gutshof bei Niederlützingen haben gezeigt, dass auch ohne Ausgrabungen die Erforschung eines römischen Siedlungsplatzes umfassend gelingt.
So handelt es sich bei der beschriebenen Fundstelle um den ersten Fundplatz im heutigen Kreisgebiet, welcher mit einem modernen Methodenspektrum aus Luftbildauswertung, geophysikalischer Prospektion und Geländebegehung umfassend untersucht werden konnte. Die wissenschaftliche Auswertung der Funde und Befunde zeigt, dass wir eine mehrphasige villa rustica, also eine ländliche Siedlung, mit verschiedenen Um- und Ausbauphasen erfassen können. Der römische Gutshof kann in das zweite bis vierte Jahrhundert n. Chr. datiert werden.
Künftige Forschungen werden sicherlich zusätzliche Erkenntnisse über den römischen Gutshof in Niederlützingen sowie weiteren Anlagen dieser Art liefern und das Ziel der Archäologie, die umfassende Rekonstruktion der römischen Besiedlung im heutigen Kreisgebiet, maßgeblich voranbringen.
Literatur:
- I. Scollar, Archäologie aus der Luft. Schriften des Rheinischen Landesmuseum Bonn 1 (Düsseldorf 1965) Taf. 35a/b.
- O. Kleemann, Vor- und Frühgeschichte des Kreises Ahrweiler (Köln/Bonn 1971).
- H.-H. Wegner, M. Mohr, Archäologische Ausgrabungen, Funde und Befunde in der Region Mittelrhein. In: H.-H. Wegner (Hrsg.), Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel 12 (Koblenz 2007) 412f, Abb. 36, 1-14.
- B. Pferdehirt (Hrsg.), Die römische Villa als neuer Siedlungstyp. In: Die Entstehung einer gemeinsamen Kultur in den Nordprovinzen des Römischen Reiches von Britannien bis zum Schwarzen Meer. Forschungen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum 3 (Mainz 2007) 20f.