Der Rittersprung
Wo sie am höchsten ragen, die Felsen an der Ahr,
Da stand in alten Tagen das Schloß von Altenahr,
Und seine Türme schauten mit ihrer Kronen Rand
Gleich alten und ergrauten Königen weit ins Land.
Gleich wie von Neid geschwollen, rauscht unten tief der Fluß,
Und seine Wasser rollen am jähen Felsenfuß,
Ah wollt‘ er unternagen das Schloß und brechen ein;
Doch trotzt mit festen Lagen das mächtige Gestein.
Einst hub ein ander Streiten sich dort von wilder Art,
Da kam von allen Seiten viel Kriegsvolk wohlgeschart.
Die Bischof und die Fürsten stehn haßerfüllt voran,
Den Mann voll Freiheitsdürsten, den Burgherrn einzufahn.
Doch ragt der Fels, der wilde, und bietet guten Schutz,
Die Mauern sind wie Schilde, sie stehn im stolzen Trutz.
Der Feind liegt Tage, Wochen, viel Monde, manches Jahr,
Der Mut ist schier gebrochen, zerronnen fast die Schar.
Einst sprengt beim Morgenstrahle der Graf auf hohem Roß,
Gewappnet ganz in Stahle zum höchsten Wall vom Schloß.
Sein Blick, der lang getrübet, erglüht wie Sonnenschein,
Der Ruf, lang ungeübet, dröhnt laut ins Tal hinein.
„Sieh, auf dem letzten Rosse, o Feind, den letzten Mann,
Von allen, die im Schlosse euch Böses angetan.
Dem Weib, den Söhnen allen gab Krankheit herben Tod,
Es fielen die Vasallen in jäher Hungersnot.
„Und sind sie nicht gestorben in ehrenvollem Streit,
Sie haben doch erworben der Freiheit Herrlichkeit.
Frei will auch ich dann sterben, wie ich im Leben war,
Denn Knechtschaft ist Verderben und schändet immerdar,“
So hat der Greis gerufen und blickt zum Himmel auf,
Treibt auf den Felsenstufen das Roß zum wilden Lauf,
Stürzt von der Höhe rasselnd, rollt über das Gestein
Bis in die Flut, die prasselnd schlingt Roß und Reiter ein.
Wie das die Feinde schauen, erfaßt sie Schreck und Graus,
Sie fliehn des Toten Gaue und ziehen stumm nach Haus.
Das Schloß sank auf den Höhen, schon längst ein Raub der Zeit,
Nur noch zwei Türme stehen zum jähen Sturz bereit.
Doch lebt die alte Kunde noch stets im Volke fort,
Sie geht von Mund zu Munde, sie geht von Ort zu Ort
Und lehrt das Volk, daß Sterben wie Männer frank und frei
Viel besser als Verderben in schlimmer Knechtschaft sei.
WOLFGANG MÜLLER