Der letzte Steinbrucharbeiter von Glees erinnert sich – Peter Retterath (1906 – 1998)

Die alten Steinbrüche der Mauerley

Vom Schlackenkegelvulkan Veitskopf bei Wassenach gehen drei Lavaströme aus. Der größte Strom riss den Kegel nach Westen auf und ergoss sich in den Vorläufer des Gleeser Tales. Bei der Abkühlung des Lavastroms entstandene Schrumpfungsrisse gliedern ihn in prismatische Säulen. Zusätzliche waagerechte Klüfte geben dem Strom bisweilen das Aussehen einer riesenhaften Bruchsteinmauer. Daher auch die Bezeichnung „Mauer-Ley“.

Entlang des Lavastroms war der Gleeser Bach gezwungen, sich ein neues Bett zu graben. Bedingt durch den Angriff des Wassers, die entstehende Hanglage und den Wechsel von Frost und höheren Temperaturen während der Eiszeiten, lösten sich größere Partien aus der Kante der Mauerley. Diese rutschten abwärts und bilden heute im Tal weite Blockfelder.

Die gute Erreichbarkeit des Materials, seine horizontale und vertikale Gliederung sowie die von teilweise auffällig hoher Porosität herrührende Bearbeitbarkeit, veranlasste den Menschen immer wieder, hier Steine abzubauen. Die intensivste Nutzung erfuhr die Mauerley während der Römerzeit. Älterer Abbau ist nicht bekannt, jüngere Arbeitsspuren aus Mittelalter und Neuzeit sind neben den römischen verschwindend gering.

So war es naheliegend, die in die Vulkanparkroute Unteres Brohltal aufgenommenen römische Steinbrüche 1997 bis 1999 zu vermessen und genauer zu erforschen.1) Ein Teil der Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeiten konnte genutzt werden, um dem Besucher Aspekte römischen Arbeitslebens mit Lebensbildern vor Ort zu erläutern.

Steinalter Zeitzeuge?

Bereits vor den archäologischen Arbeiten an der Mauerley waren die Reste neuzeitlichen Abbaus bekannt.2) Heute sind noch nahe des alten Gleeser Hochbehälters in einer Fichtenschonung Abbauwände mit Spuren von Sprengungen, Halden und Zufahrten zu erkennen. Bisher gab es jedoch nur einen Hinweis darauf, dass diese Brüche 1914 bereits stillgelegt waren.3) Während meiner Feldarbeiten zum römischen Abbau wurde ich von Kurt Degen, Burg-brohl, stets engagiert unterstützt. Als dieser im April 1998 davon sprach, dass einer der Brucharbeiter von der Mauerley, Peter Retterath aus Glees, noch lebe, konnte ich dies kaum glauben: Wenn nach 1914 kein Abbau mehr stattgefunden hatte, musste dieser Mann ja über 100 Jahre alt sein! So war ich natürlich auf das Gespräch, welches am 23.4.1998 im Hof von Peter Retterath stattfinden sollte, sehr gespannt.

Uns – Kurt Degen und mich – erwartete an diesem Tag ein sehr alter Herr, etwas langsam schon in seinen Bewegungen, aber kreuzfidel, freundlich und mitteilsam. Für unser Gespräch hatte er sich im Sonntagsstaat zurechtgemacht. Dass er auf ein langes Arbeitsleben an der frischen Luft zurückblickte, ließ sich schon daran erkennen, dass wir uns im Freien niederließen: Zum Gespräch wurden in seinem Hof drei Stühle zusammengestellt. Die Befragung von Peter Retterath durch Herrn Degen und mich fand bei schönstem Sonnenschein statt.

Peter Retterath wurde 1906 in Glees geboren. In seiner langjährigen Tätigkeit als Maurergeselle hatte er etliche Hausbauten und andere Baumaßnahmen durchgeführt. Die Steine für diese Arbeiten brach er teilweise selber in den „Krotzen“-(Schaumlava)brüchen am nahe gelegenen Dachsbusch. Dafür musste er an den Besitzer der Bruchparzelle einen Pachtbetrag abführen. Auch sein schönes Haus in Glees hat er in Eigenleistung aus Steinen vom Dachsbusch errichtet. Das Gespräch mit Peter Retterath wird nachfolgend zusammengefasst.

Peter Retterath (Mitte sitzend) als Arbeiter beim Bau der Straße Wehr/Weibern, um 1925

Lehrzeit als Steinbrucharbeiter im Krisenjahr 1920

Sein erstes „Lehrgeld“ aber zahlte Peter Retterath tatsächlich als Hilfsarbeiter an der Mauerley! Wie sich nämlich herausstellte, war der neuzeitliche Bruch bei Glees um 1920 noch einmal genutzt worden. Der Zeitzeuge „musste“ also nicht mehr 100 Jahre alt sein! Während der wirtschaftlichen Krisenzeit nach dem Ersten Weltkrieg war der Vater Peter Retteraths bei der Straßenbauverwaltung für den Ausbau der drei Straßen von Glees nach Wehr, Burgbrohl und Maria Laach zuständig. Ausschließlich für diese Maßnahmen wurde der vor 1914 von einer holländischen Firma betriebene Basanitbruch an der Mauerley direkt bei Glees wieder eröffnet. Neben Bordsteinen hatte die Vorgängerfirma auch Pflastersteine, u.a. für Glees, produziert. An diesen zeigte sich laut Peter Retterath auch nach jahrzehntelanger Nutzung keinerlei Verschleiß. Dies verwundert nicht, denn das Material der Mauerley ist ja ausgesprochen hart.

Im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeiteten in der Mauerley außer Retteraths Vater drei „junge Kerle“ aus Glees, darunter ein arbeitsloser Steinmetz aus Weibern, welcher nach Glees geheiratet hatte. Für Sprengarbeiten wurde im Bedarfsfall ein Schießmeister aus den Phonolithbrüchen am Schellkopf bei Brenk hinzugerufen. Peter Retterath wurde als etwa 15-Jähriger von seinem Vater zur Arbeit in den Steinbruch mitgenommen. Der Lohn des Jungen wurde vom Vater, wie damals üblich, einbehalten. Seine Aufgaben waren u.a. das Halten und Drehen des „Bohrs“ (mundartlich für Handbohrmeißel: Eisenstange mit Bohrkrone zum Einbringen von Löchern, die mit Sprengstoff bestückt wurden). Andere Arbeiter trieben währenddessen den „Bohr“ mit Hammerschlägen in das Gestein ein, wobei Peter Retterath darauf achten musste, dass er sich nicht verklemmte. Waren die Handbohrmeißel stumpf geworden, wurden sie von Peter Retterath zum Schärfen in die Gleeser Schmiede gebracht.

Da die Bohrlöcher nicht angezeichnet, und auch keine Steinmetzarbeiten angefertigt wurden, benötigte man keine „Schreif“ (Kreide). Nach dem Bohren von maximal 20 bis 24 Löchern hat man diese mit Papierhülsen bestückt, welche mit Sprengstoff (Donarit?) geladen und mit Zündschnüren versehen waren. Vor der Zündung durfte Peter Retterath die Signale blasen. Um festzustellen, ob einzelne Schüsse etwa nicht gezündet hatten, zählte man die Detonationen zur Sicherheit mit. Versagte nämlich ein Schuss, so durfte der Bruch erst nach drei Stunden wieder betreten werden. Besonders gefährlich waren auch die herumfliegenden Splitter, welche teilweise bis über die Straße Glees-Burgbrohl auf die andere Talseite flogen. An Unfälle im Bruch konnte sich Herr Retterath jedoch nicht erinnem.

Die Arbeiter zerschlugen die gesprengten Basanitsäulen mit Hämmern („Kisshämmer“ mit langem, federndem Stiel, speziell zur manuellen Herstellung von Kleinschlag angefertigt) zu Schotter mittlerer Korngröße für den Straßenunterbau. Die noch zusätzlich benötigte feinere Körnung wurde, ebenso wie das „Teermakadam“, aus dem Niedermendiger Brechwerk Michels bezogen.

Harte Arbeit – Gefährliche Arbeit

Der fertige Splitt wurde mit Schottergabeln („Kissgräf“, ähnlich einer Kartoffelgabel) auf zweispännige Pferdewagen geladen. Den Transport zu den Baustellen besorgte der Fuhrunternehmer Durben aus Wehr, wobei Retterath hinten auf dem Wagen die „Meck“ (mechanische Bremse) bedienen musste. Da eine „Wehrer Meck“ anders konstruiert war als eine „Gleeser Meck“ (an letztere war Peter Retterath ja gewöhnt, sie konnte über eine Spindel zugedreht werden, war also einfacher zu bedienen), wäre es bei einem Abtransport des Splitts fast zu einem folgenschweren Unfall gekommen: Auf mehrmaliges Anrufen von Durben schaffte es Peter Retterath nicht, die Bremse zu schließen. Der berg­ab rasende Wagen wurde erst aufgehalten, als es dem Fuhrmann gelang, die Deichsel zwischen den Pferden auf einen Baum zu lenken.

Arbeitsbeginn und -ende waren Retterath nicht mehr erinnerlich. Vermutlich wurde jedoch bereits um 5 oder 6 Uhr mit der Arbeit begonnen, sie endete am Abend gegen 18 Uhr. In der Frühstückspause um 9.00 Uhr und in der Mittagspause gingen alle Arbeiter nach Hause, es waren ja nur wenige Minuten zu laufen. Ob der Lohn im Akkord oder Tagelohn berechnet wurde, konnte Peter Retterath ebenfalls nicht mehr sagen. Für die Brucharbeit war damals der Akkordlohn üblich. Die Arbeiten an der Mauerley dauerten nur eine Saison im Jahre 1920. Mit Beendigung des Straßenbaus wurden sie eingestellt.

Wenige Wochen nach unserem Gespräch verstarb Peter Retterath im Alter von fast 92 Jahren. Er war der letzte Steinbrucharbeiter, der in einem Steinbruch der Mauerley gearbeitet hatte und über die Arbeitsabläufe berichten konnte. Gerne hätte ich ihn noch etliche Dinge über die damalige Arbeitswelt gefragt. Mit unserem Gespräch konnten wir jedoch Wissen bewahren, das sonst unwiederbringlich verloren gegangen wäre.

Anmerkungen:

1) Eine Zusammenfassung der Ergebnisse siehe bei: F. Mangartz, Die Mauerley bei Wassenach – Römische Steinbrüche als aktuelles Vulkanparkprojekt der Verbandsgemeinde Brohltal, Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 57, 2000, S. 177-180.

2) F. Hörter, Antike Steingewinnung aus den Lavaströmen des Veitskopfes, Die Eifel 70, 1975, S. 22-24.

3) J. Jacobs, Die Verwertung der vulkanischen Bodenschätze in der Laacher Gegend. Mordziol, C. (Hrsg.), Die Rheinlande in naturwissenschaftlichen und geographischen Einzeldarstellungen 6, 1914, Braunschweig und Berlin 1914, S. 8-9.