Der lange Weg zum ersten Abitur auf dem Calvarienberg 1928 – Unterstützung von unerwarteter Seite
Der lange Weg zum ersten Abitur auf dem Calvarienberg 1928 –
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Dr. Michael Riemenschneider
Die Entstehung des Ursulinenordens
Will man die Geschichte des Calvarienbergs zurückverfolgen, so muß man weiterzurückgehen, als die Ursulinenschule alt ist. Der Blickfällt dabei auf das Italien der Renaissance, einer Zeit, in der die Kunst in ungeahntem Maße aufblühte, aber auch extreme Diesseitsbezo-genheitanderTagesordnungwar. Die Bischöfe kümmerten sich kaum um ihre Diözesen und widmeten sich mehr der Kunst und der Macht, die Geistlichen waren in ihren Pfarreien oftmals gar nicht anwesend und führten ein unmoralisches Leben, die Klösterwaren eher Stätten der Zügellosigkeit und der Unwissenheit als des Gebets und der Tugend.
Zu Brescia lebte zu dieser Zeit Angela Merici, die Gründerin des Ursulinenordens. Ab etwa 1530 begann sie, zwölf junge Frauen um sich zu sammeln, um mit ihnen nach einer gemeinsamen Lebensorientierung zu suchen. Eine Ordensgründung hatte ihr dabei nicht vorgeschwebt, eher empfand sie sogar aufgrund der auch ihr bekannten Zustände im Klerus, bei Mönchen und Nonnen geradezu eine Abneigung gegen das klösterliche Leben. Man traf sich zu gemeinsamem Gebet in einer Kirche, gelobte Armut und Ehelosigkeit, lebte aber weiter in der häuslichen Familie. Die Mitglieder der Gemeinschaft wollten eine christliche Grundhaltung im Einklang mit den jeweiligen Lebensverhältnissen verwirklichen. Die Gemeinschart der Hl. Ursula, die von Angela Merici im übrigen nach der damals in ganz Europa als Patronin der Jugend verehrten Kölner Märtyrerin benannt wurde, wuchs nach dem Tod der Gründerin sehr schnell an. Sie widmete sich Menschen in Not, besonders Kindern und hier wiederum Mädchen, die bis dahin keinerlei Ausbildung oder Erziehung erhielten. Zu einem eigentlichen Schulorden entwickelten sich die Ursulinen erst durch die Einbeziehung in den vom Konzil von Trient (1545-1563) ausgehenden Reformprozeß, das zur Abgrenzung von den reformatorischen Lehren Luthers zentrale Inhalte des katholischen Glaubens verbindlich festschrieb. Die Bekräftigung des Zölibats, die Beseitigung des Ablaßmißbrauchs, die Festlegung der Zahl der Sakramente sind wichtige Ergebnisse des Konzils. Ein führender Reformer, der Erzbischof von Mailand, Karl Borromä-us, rief Ursulinen von Brescia nach Mailand, wo diese nun erstmals in einer Gemeinschaft zusammenlebten. 1566 gründete Borromäus formell den Ursulinenorden.
Die ersten Ursulinen in Deutschland
Die von Trienter Konzil als Reaktion auf die zum Teil unhaltbaren Zustände in den Klöstern ausgehende straffere Organisation des Ordenslebens bezog sich selbstverständlich auch auf den noch jungen Orden der Ursulinen in ihrer offenen Erziehungs- und Sozialarbeit ein und führte zur Beschränkung des Aufgabenbereiches innerhalb der Klostermauern. Bis zum Tode von Karl Borromäus 1584 gab es im Bistum Mailand bereits 18 Gemeinschaften mit ca. 600 Ursulinen. Binnen 100 Jahren verbreiteten sich der Orden auf ganz Italien, Frankreich, Holland, die Schweiz und Deutschland. Zu den ersten Gründungen in Deutschland zählten Köln 1639, Erfurt 1667, Düren 1681, Freiburg 1695. Vielfach war es die Bürgerschaft einer Stadt, die bei einem bestehenden Ursulinenkloster um die Entsendung einiger Schwestern bat, weil sie von erzieherischen Wirken der Ursulinen gehört hatten. Die Neugründungen waren jeweils unabhängige Klöster, die allerdings die Regel und die Gebräuche des Mutterklosters als Grundlage einer eigenen Satzung ansahen und sich dann nach und nach vom Gründungskloster lösten. In der Anfangsphase ihres Wirkens in Deutschland unterhielten die Ursulinen meistens eine Töchterschule, eine Art Volksschule, die Mädchen vom 7. bis zum 13. oder 14. Lebensjahr besuchten. Die Schule war in vier Klassen eingeteilt, und jedes Kind blieb solange in einer Klasse, bis das Klassenziel erreicht war. Daneben existierte meist ein Internat, auch Pensionat oder Kost genannt, wo Töchter begüterter Eltern gegen Kostgeld wohnten und eine eigene angeschlossene Schule besuchten. Der Lehrplan für die jüngeren Schülerinnen entsprach dem der öffentlichen Töchterschulen, vermittelt wurden Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion. Die älteren Schülerinnen wurden zusätzlich in Französisch, Musik und Hausarbeitslehre unterrichtet. Hieran konnten auch externe Schülerinnen aus der Stadt teilnehmen, die die Volksschule bereits absolviert hatten und nun die „höheren Schule“ besuchten.
Von Lüttich über Monschau nach Ahrweiler
Das Kloster und die Schulen vom Calvarienberg führen sich zurück auf die seit 1614 in Lüttich tätigen Ursulinen. Von Lüttich gingen mehr als 50 Gründungen aus, u. a. die bereits erwähnten von Köln und Düren. An das Kloster von Düren wandte sich der Magistrat von Monschau in der Eifel mit der Bitte, auch dort ein Kloster und eine Mädchenschule zu errichten. 1710 folgten die Ursulinen der Bitte und errichteten ein kleines Kloster, eine Elementarschule für Mädchen, eine Art weiterführende Schule und ein kleines Internat. Man überstand die Französische Revolution und die Napoleonische Ära mit ihren ausgeprägt kirchenfeindlichen Zielsetzungen, jedoch machte die geographische Lage des Klosters in einem sonnenarmen, engen Tal den Schwestern immer mehr zu schaffen. Überschwemmungen häuften sich, wiederholt starben Internatskinder an einer typhusartigen Krankheit, was in der Oberin den Wunsch reifen ließ, Schule und Kloster in eine gesundere Gegend zu verlegen. In Ahrweiler erfuhr eine ehemalige Monschauer Internatsschülerin – damals im übrigen Pensionärinnen genannt – von der bedrängten Lage der Ursulinen in der Eifel. Sie vermittelte im Sommer 1837 einen Besuch der Oberin von Monschau in dem leerstehenden und verfallenden Franziskanerkloster Calvarienberg. Die privaten Eigentümer des Berges und der Stadtrat erwiesen sich als sehr großzügig in ihren Angeboten, und die Ursulinenoberin war überaus angetan von der reizvollen Lage des Calvarienberges. Sehr schnell war man sich einig, und schon im August 1838 zogen elf Schwestern und sieben Kinder vom dann aufgelösten Kloster Monschau auf den Calvarienberg um.
Der Calvarienberg bis zur Weimarer Republik
Es begann mit einer kleinen Internatsschule von 20 Schülerinnen. Der Lehrplan verzeichnet Religions- und Sittenlehre, allgemeine und vaterländische Geschichte, Wissenswertes aus der Erd- und Völkerkunde sowie der Naturwissenschaft, Deutsche Sprache mit Denk-, Rede-und Stilübungen, Französisch, Gesang und Vorkenntnisse der Instrumentalmusik, Zeichnen, Schönschreiben, Denk- und Tafelrechnen, jede Art weiblicher Handarbeiten.
„Bei allem Unterrichte“, so heißt es dann wörtlich, „wird auf Befestigung wahrer Religiosität und Weckung des Sinns für Häuslichkeit besonders hingewirkt… Zöglinge, die kein Zeugnis der Moralität von ihrem Pfarrer vorzeigen können, werden nicht aufgenommen.“ Mit einer Qualifikation war dieser Abschluß allerdings nicht verbunden. Bereits 1840 wurden ca. 100 Schülerinnen unterrichtet, die Zahl pendelte im Laufe der Jahre zwischen 120 und 150, was mehrmalige bauliche Erweiterungen zur Folge hatte. Die stete Aufwärtsentwicklung des Calvarienbergs wurde jäh unterbrochen durch den Kulturkampf unter Bismarck, als die Schwestern des Ursuli-nenordens wie die auch anderer Orden und insbesondere die Jesuiten das Deutsche Reich verlassen mußten. Nurwenige Schwestern durften als Lehrerinnen in Zivil bleiben, die Schulleitung wurde in weltliche Hände gelegt, die übrigen Schwestern emigrierten in eigens gegründete Niederlassungen in Belgien und den Niederlanden. Nachdem sich die Aussichtslosigkeit des Kampfes gegen den Katholizismus erwiesen hatte, wurden die entsprechenden Gesetze zurückgezogen, und die Ursulinen konnten 1877 zurückkehren und ihre Schule wieder übernehmen. 1894 erließ der Preußische Staat erstmals „Bestimmungen über das Mädchenschulwesen“. Der Calvarienberg versuchte, möglichst schnell diesen Anforderungen zu genügen und seine Lehrpläne darauf auszurichten. 1909 erhielt die Internatsschule die Anerkennung als „Höhere Mädchenschule“, später Lyzeum genannt, was bezüglich des Abschlusses etwa der Mittleren Reife vergleichbar wäre. Noch im selben Jahr wurde außerdem eine sich daran anschließende einjährige Frauenschule eingerichtet, die die Fertigkeiten der Haushaltsführung lehrte. Ferner gab es Lehrgänge zur Ausbildung von Hauswirtschafts-und Nadelarbeitslehrerinnen. 1910 öffnete sich die Internatsschule auch für Externe.
Das erste Abitur 1928
1925 schließlich erhielt der Calvarienberg die Genehmigung zum Ausbau des Lyzeums zum Oberlyzeum, was heute dem Gymnasium entspricht. Ein vehementer Befürworter des Ausbaus war der Elternbeirat, jedoch nicht etwa der Ursulinenschule – es ist nicht bekannt, ob es überhaupt einen gab -, sondern des staatlichen Realgymnasiums, des heutigen Peter-Joerres-Gymnasiums. Der Elternbeirat wandte sich schriftlich am 9. 12. 1924 an die Koblenzer Provinzialregierung und bat „das Provinzial-Schulkollegium diesem Plane jede nur mögliche Förderung angediehen zu lassen.“ Doch welches Interesse leitete die Elternvertretung? Die Antwort ist so einfach wie verblüffend! Außerdem Ausbau des Calvarienbergs zum Oberlyzeum räumte die Schulbehörde in Koblenz unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit ein, daß die Mädchen aus Ahrweiler nach dem Lyzeum auch die oberen Klassen des Realgymnasiums für Jungen besuchen konnten. Die Eltern allerdings waren in tiefer Sorge um das Wohl ihrer Söhne. Es habe sich ihrer Meinung nach nämlich gezeigt, so schrieben sie, „daß die Fehler und Gefahren, die bei der Koedukation aufzutreten pflegen, auch hier in Erscheinung treten (Unruhe und Zerstreuung, auch Flirt bei den Jungen und eine gewisse Burschikosität bei den Mädchen, die zu echter weiblicher Zartheit und Zurückhaltung im Gegensatz steht).“
Die Eltern kümmerten sich rührend um die Mädchen und hielten die Umschulung vom Lyzeum zum Realgymnasium für „eine schwere Belastung“, die Mädchen müßten „gerade Inder Zeit ihres Heranreifens“ Latein vollständig und Mathematik und Naturwissenschaften teilweise nachholen, „was nur mit großer Mühe bewältigt werden und gesundheitsschädlich wirken kann.“ „Die Anwesenheit von Mädchen macht sich zuweilen im Religionsunterricht besonders störend bemerkbar, da der Regligionslehrer genötigt ist, Worte der Aufklärung und sittlichen Ermahnung an die Schüler zu richten, die die Gegenwart von Mädchen nicht vertragen.“ Wie maßgeblich das Votum des Elternbeirats vom Jungengymnasiums damals war, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls machten 1928 – also genau 90 Jahre nach den Einzug auf dem Calvarienberg die ersten sechs Schülerinnen ihr Abitur.
Der Calvarienberg in den 50er Jahren.