Der heilige Mauritius in Sinzig

VON DR. EGON MOSER

Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin (305 bis 337 n. Chr.), soll gemäß einer aus alter Zeit stammenden Lokaltradition in Sinzig zwei Kirchen gegründet haben: eine zu Ehren des Kreuzes, die andere zu Ehren des heiligen Mauritius. Es ist uns schwerlich möglich, die Aussage dieser Tradition zu prüfen; die erwähnten Kirchengründungen lassen sich durch keinerlei Urkunden oder sonstige schriftliche Dokumente belegen. Dennoch sollte man diese lokale Überlieferung nicht ohne weiteres abtun. Aus ihr geht nämlich unausgesprochen die Überzeugung hervor, daß das Christentum noch in römischer Zeit – also im ersten Drittel des 4.Jhs. – in Sinzig Fuß gefaßt habe. Sehen wir von den einzelnen nicht nachweisbaren Zügen dieser Überlieferung ab (den behaupteten Kirchengründungen durch Helena), so müssen wir doch feststellen, daß sie die allgemeine Situation grundsätzlich richtig erfaßt hat, insofern nämlich, als es ja Christen im nahen Köln bereits im 3. und sogar schon im 2. Jh. wirklich gegeben hat.

Bei derartigen Überlieferungen sollten wir uns auch vor Augen halten, daß man früher, etwa im 5. bis 8. Jh., in der Zeit der merowingischen Könige, nicht zimperlich war, wenn es darum ging, den Kirchen oder Heiligen Ruhm und Ansehen zu verschaffen. So suchte man den Ursprung einer Kirche oder die Verehrung eines Heiligen in möglichst frühe Zeit zu versetzen und möglichst mit großen, bekannten Persönlichkeiten in Verbindung zu bringen. Solch willkürlicher Umgang mit Heiligengeschichten muß uns im übrigen nicht sonderlich befremden; die Natur der Sache brachte ihn mit sich. Das Wirken eines Heiligen wurde ja allgemein erst nach dessen Tode in breiter Öffentlichkeit bekannt. Sein Andenken war zunächst im Gedächtnis einzelner Menschen aufbewahrt, und erst mit dem Wunsche, dieses Wissen und Andenken auch den Mitmenschen mitzuteilen und weiten Kreisen zu erhalten, wurde es aufgeschrieben.

Bei einer solchen Schilderung von Leben und Tod, Vita und Passio, eines Heiligen wurde dann eine Menge von Sagen und Märchen über sein wunderbares Wirken zu Pergament gebracht. Freilich, die Wunder, so glaubte man, machte Gott selber, doch immer auf Veranlassung und Fürbitte des Heiligen. Je größer das Wunder war, desto höher schätzte man den Einfluß des Heiligen ein, den dieser bei Gott haben mußte und, nach besagtem Glauben, auch hatte. Wir heutigen sollten uns nach alledem nicht dazu verleiten lassen, legendäre Überlieferungen nun als in jedem Falle historisch erwiesen oder nachweisbar zu betrachten. Wir dürfen die Absichten und Bedingungen ihrer Entstehung und Ausbildung nicht aus den Augen verlieren. Das junge Christentum hatte sich mit einem sehr ausgebildeten heidnischen Dämonenglauben auseinanderzusetzen, der ebenfalls mit Wundern und Tätigkeiten seiner Dämonen agierte. Letztlich trug eben der den Sieg davon, der die größeren Wunder zu tun vermochte, – sicher ein Aspekt, der nur zu leicht übersehen wird.

Zur Überlieferung der Mauritius-Legende

Zweifellos einer der interessantesten frühchristlichen Heiligen ist Mauritius (Moritz, Maurice). Über sein Leben ist kaum etwas überliefert. Sein unerschrockenes Sterben jedoch ist in einem weitverzweigten Legendenbaum verherrlicht. Die berühmtesten

Schriftsteller und Chronisten des Mittelalters öffneten diesem Martyrium ihre Blätter. Wir nennen hier Gregor von Tours und Venantius Fortunatus (beide 6. Jh. n. Chr.), Alcuin (um 800), Regino von Prüm (9. bis 10. Jh.), Otto von Freising (12. Jh.) und Helinand (um 1160 bis 1229). Die Aufnahme des Mauritius-Martyriums in die „Legenda aurea“, die umfänglichste Legendensammlung des gesamten Mittelalters, die von Jakob von Voragine (um 1230 bis 1298; Dominikaner und am Ende seines Lebens Erzbischof von Genua) aufgezeichnet wurde, war bedeutungsvoll, da gerade diese Legendensammlung im späten Mittelalter die weiteste Verbreitung fand. 1662 wurde im Kloster St. Claude, im französisch-schweizerischen Jura gelegen, eine Handschrift des 8. Jhs. entdeckt, in welcher die „Passio Agaunensium martyrum“ aufgezeichnet ist, die von Eucherius, dem Bischof von Lyon (um 450 n. Chr.), verfaßt worden war. Zwar hielten lange Zeit hindurch verschiedene Geschichtsforscher diese Handschrift für nicht authentisch, d. h., sie meinten in ihr ein Dokument eben des 8. Jhs. und nicht ein solches des 5. Jhs. sehen zu sollen. Doch sind diese Zweifel nach und nach verstummt, und man hält heute diese Handschrift des 8. Jhs. für ein Dokument, welches das Wissen des 5. Jhs. wiedergibt. Der Schreiber der Handschrift hatte als Vorlage für seinen Text wohl das – uns verlorene – Original des Eucherius-Berichtes in Händen.

Bericht des Eucherius

Eucherius erzählt uns etwa folgendes: Die beiden gleichzeitig regierenden römischen Kaiser Diokletian (284 bis 305 n. Chr.) und Maximian haben mit allen Mitteln versucht, das Heidentum zu festigen und das Christentum zu vernichten. Maximian hat sich hierin besonders hervorgetan. Jedes Mittel, dieses Ziel zu erreichen, war ihm recht, ja sogar mit der Gewalt des Heeres ist er gegen die Christen vorgegangen. Zu eben dieser Zeit hat sich bei dem Heere, welches Maximian gegen die gallischen Christen führte, eine Legion befunden, welche die thebäische geheißen und 6 600 Mann unter Waffen gehabt hat. Mauritius war Kommandant, Exsuperius und Candidus seine Offiziere. Diese Legion ist dem Kaiser aus dem Osten zu Hilfe geeilt. Ihre Männer waren tapfer und haben sich im Kriege ausgezeichnet. Sie waren aber noch größer in ihrem Glauben. Denn auch unter Waffen waren sie sich des Wortes eingedenk, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes sei. Daher haben sie sich geweigert, mit Waffengewalt gegen Christen vorzugehen. Sie verweigerten auch die Teilnahme an dem Opfer, welches Maximian veranstaltete, um die heidnischen Götter für ein gutes Gelingen der Christenverfolgung gnädig zu stimmen. Das aber hat den Maximian dermaßen erzürnt, daß er Befehl gab, die abseits bei Agaunum (heute Saint-Maurice im Wallis) lagernde Legion zu umstellen und zu dezimieren. Die Männer der thebäischen Legion aber haben nicht nur keinen Widerstand geleistet, sondern jeder trachtete geradezu danach, der zehnte zu sein und sich so die Krone des Martyriums zu erringen. Ergreifende und zugleich aufmunternde Worte richteten die Offiziere an ihre Leute, bevor diese den Nacken ihren Henkern darboten. Doch ließ sich die Legion weder durch diese noch durch eine weitere Dezimierung einschüchtern. Schließlich gab Maximian sogar den Befehl, die verbliebenen 80 Prozent der Legion ebenfalls niederzuhauen. Als die Henker, schmausend und lachend, inmitten der heiligen Leiber saßen und die Beute aufteilten, ist ein Veteran namens Viktor des Weges gekommen, der aber nicht zur Legion gehörte. Er wurde von den Mördern eingeladen, sich am Schmause und bei der Aufteilung der Beute zu beteiligen. Viktor aber gab sich als Christ zu erkennen und wurde auf der Stelle niedergehauen. Ein anderer Viktor und ein Ursus, beides Angehörige der Legion, sollen dem Gemetzel in Agaunum entkommen sein. Sie haben später die Krone des Martyriums in Solothurn empfangen. Die Namen der anderen Leute der thebäischen Legion sind nicht bekannt, sie sind aber im Buche des Lebens aufgezeichnet.

Soweit die „Passio Agaunensium martyrum“ des Eucherius.

In einem kurzen Brief, den Bischof Eucherius an seinen Amtsbruder Salvius, Bischof in Martigny, gerichtet hat und der gleichsam einen Anhang zur „Passio“ bildet, steht: Er, Eucherius, habe die Leidensgeschichte dieser „unserer Märtyrer“ nur deshalb aufgezeichnet, weil ein so glorreiches Martyrium menschlicher Erinnerung nicht verloren gehen sollte. Und weiter: Er habe sich bemüht, die Wahrheit von verläßlichen Gewährsleuten zu erfahren. Und dieses Bemühen habe ihn zu Isaak, den Bischof von Genf (um 430) geführt, der die Geschichte des Martyriums genau erzählt habe. Isaak seinerseits habe seine Kenntnis von Bischof Theodor von Sitten.-Soweit der erklärende Brief des Eucherius.

Beginn der Mauritius-Verehrung

Theodor war etwa um 350 Bischof von Sitten geworden und hatte ungefähr um 380 eine erste Kirche über den Gräbern der agaunensischen Märtyrer bauen lassen. In dem Brief an Salvius schreibt Eucherius, daß „die Reliquien… viele Jahre nach dem Martyrium“ dem Bischof Theodor geoffenbart worden seien. Es ist wohl anzunehmen, daß Theodor nicht lange vor 380 die Überreste der Märtyrer aufgefunden hat. Der Beginn der Mauritius-Verehrung ist demnach ins letzte Viertel des 4. }hs. (etwa 380 bis 400) zu setzen. (Hier sei nebenbei erwähnt, daß zu dieser Zeit Helena bereits 50 bis 70 Jahre tot war.)

Verbreitung der Mauritius-Verehrung

Zeitpunkt des Mauritius-Martyriums und sein historischer Hintergrund

Das Martyrium von Agaunum ist zeitlich nicht genau festzulegen. Aus den Quellen geht jedoch hervor, daß es sich während der Regierungszeit des Kaisers Diokletian ereignet hat.

Diesem Kaiser war schon bei Antritt der Regierung klar geworden, daß er allein nicht imstande sei, das Reich zu regieren und die Verwaltung zu kontrollieren. Deshalb ernannte er den Maximian zum Mitkaiser. Eine der ersten, wenn nicht überhaupt die erste Aufgabe Maximians bestand darin, einen in Gallien ausgebrochenen Aufstand niederzuschlagen.

Getragen wurde dieser Aufstand von den Bagauden. Bagaudes ist ein keltisches Wort und bedeutet Heimatlose oder auch Flüchtlinge, die zwangsläufig zum Vagabundieren neigten. Im Altertum sah man in ihnen Bauern, die durch die harten Forderungen des Fiskus und der Großgrundbesitzer zur Flucht von ihren Höfen und damit zum Aufstand getrieben worden waren. Auch wir können in den Bagauden eigentlich nur Bauern, Hirten und Landarbeiter sehen, die lediglich aus bitterster Not heraus zu den Waffen gegriffen hatten. Diese Bagaudes werden zum erstenmal im Jahre 283 genannt. Drei Jahre später war ihren Räubereien ein vorläufiges Ende gesetzt; einige Jahre später treten die Bagauden aber wieder auf. Es ist sicher nicht abwegig anzunehmen, daß unter den Bagauden der eine oder andere Christ war. Für die Urheber der späteren Legenden jedenfalls war der Begriff Bagauden nichtssagend, wohl aber mochten sie in ihnen insgesamt Christen gesehen haben. Maximians militärisches Vorgehen gegen die Aufständischen, eine seiner ersten Amtshandlungen als Kaiser, wird etwa 284 n. Chr. anzusetzen sein. Diese Datierung können wir allerdings nicht ohne weiteres auch auf den Tod des Mauritius übertragen. Denn wir wissen ja nicht, ob sich die Vorgänge bei Agaunum nicht doch vielleicht erst bei einer der späteren Straf- bzw. Befriedungsaktionen in Gallien zugetragen haben. Es ist daher, mit der gebotenen Vorsicht, das Martyrium des Mauritius in die Zeit von etwa 284 bis 300 zu setzen. Nach dem Berichte des Eucherius soll sich bei dem Heere, welches Maximian im unteren Wallis zusammengezogen hatte, eine Legion befunden haben, welche die thebäische genannt wurde. Die Männer dieser Legion seien wegen ihres Bekenntnisses zum christlichen Glauben allesamt getötet worden. Nun ist aber in keiner der antiken Quellen, abgesehen von Eucherius, etwas von einer thebäischen Legion überliefert: in der Tat, es gab sie gar nicht. Ebenso berichtet keiner der zeitgenössischen Schriftsteller über die Liquidierung einer Legion. Ein solches Ereignis aber hätte auch für die Damaligen, selbst Heiden, so aufsehenerregend sein müssen, daß es sicherlich überliefert worden wäre.

Eine solche Erfindung – thebäische Legion – und Übertreibung – Hinmetzelung einer ganzen Legion von 6 600 Mann – sind heute allerdings kein Anlaß mehr, die Glaubwürdigkeit des Eucherius zu erschüttern. Man sieht darin lediglich ein Maß dichterischer Freiheit, durch welches aber die Begebenheit als solche nicht in Frage gestellt wird. Der Kern der Eucherius-Erzählung ist der, daß unter Maximian ein römischer Offizier mit seiner Mannschaft um des christlichen Glaubens willen hingemetzelt wurde. Dieses Faktum, Kern einer mit schwelgenden Worten geschmückten Legende, ist als geschichtlich glaubhaft anzusehen.

Ausbreitung der Mauritius-Verehrung

Die Verehrung des Mauritius und seiner Leute ging aus von Agaunum, dem Orte des Martyriums. Hier hatte, wie bereits gesagt, Bischof Theodor um 380 über den Gräbern der Heiligen – der agaunensischen Märtyrer, wie sie damals und noch bei Eucherius heißen – eine Kirche errichtet. Doch dürfte der Kult bis in die Mitte des 5. Jhs. auf das untere Wallis beschränkt geblieben sein. Den entscheidenden Anstoß zur weiteren Verbreitung gab aber wohl die Erzählung des Eucherius. Etwa zur selben Zeit, in der Eucherius die Leidensgeschichte der agaunensischen Märtyrer aufschrieb, siedelten sich im Wallis Burgunder an (zwischen 455 und 457). Ein Menschenleben später, 515, baute der Burgunderkönig Sigismund in St. Maurice zu Ehren des „primicerius Thebaeorum“, des ersten Offiziers der Thebäer und seiner Begleiter, ein Kloster. Während dieser Zeit also, in der zweiten Hälfte des 5. Jhs., war die Mauritius-Verehrung so bedeutsam geworden, daß ein Fürst mit einer großartigen Stiftung sein Interesse an dem Kult bekundete. Wie es dazu gekommen war, wissen wir nicht. Man nimmt an, daß die Burgunder, ein germanisches Volk, dessen Verzweiflungskampf gegen die Hunnen noch im Nibelungenlied nachklingt, große Sympathie empfanden für die Haltung eines Offiziers, der Gott und seinem eigenen Gewissen mehr gehorchte als dem Kaiser und deshalb sein Leben opferte. Auch meinen verschiedene Forscher, daß Mauritius ganz besonders soldatische und ritterliche Tugenden verkörpere, so daß er gerade von Rittern und Fürsten in so hohem Maße verehrt wurde. Doch diese und ähnliche Vermutungen reichen nicht aus, den Aufstieg der Mauritius-Verehrung zu erklären.

Jedenfalls hatte das fürstlich-burgundische Interesse an dem Kult zu dessen weiträumiger Verbreitung wesentlich beigetragen. Als 534, nach langer Gegenwehr, das Burgunderreich von den Franken annektiert wurde, da schenkte der neue Herrscher – und mit ihm sein Anhang – seine besondere Huld Mauritius. König und Fürsten erkoren sich ihn zum Hausheiligen, allenthalben gründeten sie im Laufe der nächsten Jahrhunderte Klöster und Kirchen, denen sie Mauritius zum Patron, auch, in Gesellschaft mit anderen Heiligen, etwa Petrus, zum Konpatron gaben.

An der Verbreitung der Mauritius-Verehrung waren aber neben den Mächtigen dieser Welt in ganz besonderem Maße auch Bischöfe beteiligt. Wir nannten bereits Theodor, dem ja die Reliquien der agaunensischen Märtyrer geoffenbart wurden, und Eucherius, der die Passion aufgeschrieben hat. Avitus, Erzbischof von Vienne, – er hatte den Burgunderfürsten Sigismund vom Arianismus zum Katholizismus bekehrt -hielt die Einweihungspredigt von St. Maurice. Vielleicht hatte Sigismund von ihm den Anstoß zur Mauritius-Verehrung erhalten. In diesem Zusammenhang sei noch Niketius, Erzbischof von Trier (525 bis 566) erwähnt. Er rückte mit einem umfangreichen Bauprogramm der Not in und um Trier zu Leibe, war doch diese Stadt in den Wirren der vorangegangenen Jahrhunderte oft geplündert, zerstört und hart geprüft worden. Zur Verwirklichung seiner umfangreichen Bauvorhaben war er gezwungen, auf geschulte Bauleute zurückzugreifen. Solche waren damals allem Anschein nach nur aus Italien zu bekommen. Jedenfalls erhielt er über Vermittlung des Bischofs Rufus von Octodu-rum (heute Martigny), in dessen Diözese St. Maurice lag, Arbeiter, Handwerker und Architekten aus Italien. Diese Leute waren zum Großteil in Piemont und im Aostatal beheimatet, in welchen Gegenden die Mauritius-Verehrung schon damals weit verbreitet war. Man nimmt daher an, daß mit diesen „Gastarbeitern“ die Mauritius-Verehrung an die Mosel und vielleicht auch an den Rhein gekommen ist. Wir haben aufgrund der historischen Überlieferung ein zumindest skizzenhaftes Bild erhalten vom Bedeutsamwerden und Ausgreifen der Mauritius-Verehrung.

Legende des Helinandus und Martyrien am Niederrhein

Wir sollten aber nochmals einen Blick auf eine weitere Legende werfen. Sie ist um 1200 aufgeschrieben worden von Helinandus (1160 bis 1229), einem Mönch des französischen Klosters Froidmont. In dieser Legende tritt ein neuer Gedanke auf. Ihr Verfasser ist bemüht, einen Berührungspunkt zu finden zwischen dem Martyrium von Agaunum und solchen Martyrien, die sich am Rhein zugetragen haben. Es handelt sich bei dieser Legende um die Passio der heiligen Thebäer Gereon, Viktor, Cassius und Florentius. Weil diese Geschichte für uns im Rheinland von besonderer Wichtigkeit ist – erklärt sie doch die Martyrien von Bonn, Köln und Xanten und sucht diese in den geschichtlichen Begebenheiten zu verankern – soll hier der wichtigste Teil dieser Erzählung wiedergegeben werden:

„In Gallien hatte ein Aufstand gegen den römischen Staat bedenkliche Formen angenommen. Deshalb brachte Maximian in Italien ein Heer zusammen und verstärkte es noch durch eine Legion thebäischer Soldaten. Führer dieser Legion waren Mauritius, Gereon, Victor und noch andere Offiziere. Diese Thebäer waren Christen. Vor dem Antritt des Feldzuges suchten sie Papst Marcellinus auf, der sie in ihrem Glauben bestärkte. Mit diesem Heer, in dem also Heiden und Christen dienten, überstieg Maximian die Alpen und war in die Nähe Galliens gekommen. Da erfuhr er, daß auch am Niederrhein, im Gebiete der Franken, ein Aufstand ausgebrochen sei. Er sei angezettelt worden von einem gewissen Carausius.

Zur Niederwerfung dieses Aufstandes entsandte der Cäsar Maximian die Thebäer Gereon, Cassius und Florentius sowie Viktor mit ihren Abteilungen an den Rhein.

Das Gros der Legion der Thebäer unter Mauritius aber blieb bei dem Heere, welches bei Octodurum (Martigny) Halt gemacht hatte. Hier veranstaltete Maximian einen Gottesdienst, um den Beistand der Götter für das kriegerische Unternehmen in Gallien zu erflehen.

Als Christen weigerten sich Mauritius und seine Soldaten an dem Opfer für die heidnischen Götter teilzunehmen. Da wurde der Kaiser von gewaltigem Zorn gepackt. Er ließ Mauritius und seine Legion hinrichten.

Sogleich nahm er auch die Verfolgung der an den Rhein geschickten Abteilungen der thebäischen Legion auf.

Bei Bonn wurden Cassius und Florentius mit sieben Männern christlicher Gesinnung und zahlreichen anderen Soldaten erreicht. Nachdem diese befragt und sich auf die Seite des Mauritius gestellt hatten, wurden sie alle an einer Stelle enthauptet.

Alsbald erreich ten die Verfolger bei Köln in einem offenen Felde auch Gereon mit seinen 318 Begleitern. Nachdem sich auch diese zum christlichen Glauben bekannt hatten, wurden sie niedergemacht. Die Leiber der Ermordeten wurden in einen tiefen Brunnen geworfen.

Inzwischen war die Kohorte, welche Viktor führte, zur Stadt der Franken gelangt. Die Franken nannten die Stadt, nach der Heimat ihrer Vorfahren, Troja oder auch Xanten. Dort also wurden Viktor und seine 330 Begleiter niedergehauen und die Leiber in dem dortigen sumpfigen Gelände versenkt.

Das Schicksal der Thebäer teilte auch eine maurische Abteilung in Stärke von 360 Mann. Sie waren wegen der Unruhen in Gallien zu diesem Zeitpunkt herbeigeführt worden. Wie im Tode wurden sie auch im Grabe mit Gereon und dessen Genossen vereint.

Über diesem Grabe errichtete die heilige Helena eine Kirche, deren Glanz und Schönheit mit Worten kaum geschildert werden kann. Mit Gold und Mosaik reich geschmückt heißt sie im Volksmund „zu den goldenen Märtyrern.“

Wir wollen hier nun nicht in eine Diskussion darüber eintreten, wie hoch der geschichtliche Wert solcher Hagiographien, wie der von Helinand, zu veranschlagen sei.

Es mag aber erlaubt sein, die Darstellung Helinands mit jener des Eucherius zu vergleichen (zwischen beiden liegen über 500 Jahre), in des Eucherius Erzählung bilden Mauritius und seine Männer, solange sie leben, die thebäische Legion; nach ihrem Tode sind sie die Märtyrer von Agaunum. Von den Männern des Mauritius entkamen lediglich Viktor und Ursus dem agaunensischen Gemetzel; die beiden fanden aber bald in Solothurn den Tod. Das Martyrium war also auf Agaunum und Solothurn beschränkt.

In der Erzählung des Helinand werden drei Abteilungen thebäischer Soldaten noch vor dem Martyrum des Mauritius an den Niederrhein geschickt. So konnten für Helinand diese Märtyrer nicht mehr agaunensische sein, sondern mußten zu thebäischen werden. So konnte er Martyrien, die sich im Rheinland ereigneten mit dem angesehenen und bekannten Martyrium von Agaunum sinnvoll verknüpfen. Auffallen muß bei Helinand ferner, daß er einige Thebäer nennt, nämlich Gereon, Florentius und Cassius, die Eucherius nicht kannte.

Zum Bau der Kirche „zu den goldenen Märtyrern“ – St. Gereon in Köln – durch Kaiserin Helena, müssen wir eine Bemerkung wiederholen: Helena war um 380 – als Bischof Theodor die Reliquien geoffenbart wurden und er in Agaunum eine Kirche errichten ließ, welches der Anfang der Mauritius-Verehrung war – schon längst tot. Für die Annahme, daß der Thebäer-Kult im Rheinland vor dem agaunensischen begonnen habe, fehlt jeder Grund. Alle Überlieferungen sind darin einig, daß der Kult dieser Martyrien vom Wallis ausgegangen ist. Im Bonner Münster, in St. Gereon in Köln und St. Viktor in Xanten wurden zwar frühchristliche Gräber des 4. Jhs. ausgegraben; sie verraten jedoch nicht, welche Heiligenleiber sie bargen.

Mauritius-Patrozinien

Für die Ausbreitung der Mauritius-Verehrung sind neben dem allgemeinen historischen Hintergrund aber besonders die Patrozinien aufschlußreich. Doch ist gerade bei frühen, vor 1000 datierenden Patrozinien die Überlieferung trümmerhaft. Oft bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob sich hinter einem Patrozinium nur religiöse, oder etwa auch politische oder wirtschaftliche Gründe verbergen. Zweifellos das älteste Mauritius-Patrozinium ist jenes von Agaunum-St. Maurice. Um 380 wurde hier eine erste Kirche errichtet. Ihre Existenz ist durch Ausgrabungen erwiesen. 515 wurde über ihr das Kloster gebaut, welches dann besonders im hohen Mittelalter zu großer Bedeutung gelangt ist. Es gab wohl kaum einen Mächtigen der damaligen Welt, der nicht mindestens einmal in seinem Leben dort war, sei es, um sich Reliquien zu erbitten, sei es, um an weltpolitischen Entscheidungen mitzuwirken. Die ältesten Patrozinien aus unserer näheren und auch weiteren Umgebung stammen aus dem 8. Jh. 696 oder 698 wurden Mauritius-Reliquien im Johannesaltar einer Kirche deponiert, die unmittelbar neben dem Kloster Echternach lag. Mauritius war dem Kloster Prüm schon bei dessen Gründung im Jahre 721 als Konpatron beigegeben. 920 wird die Mauritiuskirche in Tholey erwähnt. Diese Kirche erscheint in einer Urkunde bereits im Jahre 633. Verschiedene Forscher nehmen an, daß die Kirche zu Tholey bereits zu dieser Zeit Mauritius zum Patron hatte. Doch ist das nicht zu beweisen. In der Kirche zu Beul, der heutigen Friedhofskirche in Bad Neuenahr, ist ein im 14. Jh. angefertigter Inschriftenstein erhalten, auf dem die Weihe der Kirche im Jahre 990 vermerkt ist. Auch hier scheint Mauritius als Konpatron auf.

Ebenso als Konpatron ist Mauritius im Kloster Maximin zu Trier, 1008, und im Kloster in Siegburg auf dem Michaelsberg, 1066, belegt.

In Heimersheim ist die Mauritiuskirche 1074 erwähnt. Die heute noch existierende Kirche stammt aus dem 13. Jh. Sie wurde auf die Fundamente einer älteren, wohl der 1074 genannten, gesetzt. Man kann dies in den etwas verschobenen Bögen im rechten, südlichen Seitenschiff besonders gut sehen. Ob die Kirche von 1074 einen Vorgänger hatte oder nicht, entzieht sich unserer Kenntnis. 1148 kann in Mainz ein Mauritius-Stift nachgewiesen werden. Weitere Mauritiuskirchen sind überliefert aus Freialdenhofen, 1166, und vom Stift in Aachen, 1215. 1322 endlich scheint Mauritius in Sinzig auf. 17 Bischöfe, die in Avignon versammelt waren, verliehen in diesem Jahre der „Mauritius-Kirche in der Lee“ einen Ablaß. Diese Kirche wurde während der napoleonischen Zeit säkularisiert und 1806 abgerissen.

Zur Frühgeschichte von Sinzig

Sinzig hatte eine lange und bewegte Geschichte hinter sich, bevor noch erstmals im Jahre 762 dieser Ortsname in einer Urkunde König Pipins erwähnt wird.

Etwa ab Christi Geburt und die drei folgenden Jahrhunderte hindurch existierte am Kuhbach (Sinzig, Ortsflur 13) eine Ansiedlung. Nach der Darstellung Prof. Kleemanns handelt es sich hierbei um eine römische Villa. In ihrer Nähe lagen die zugehörigen, wohl landwirtschaftlichen Gebäude. Obwohl an der Stelle keine Ausgrabung gemacht wurde, weiß man aufgrund von Streufunden doch einigermaßen genau Bescheid. Zudem konnten in einer Grube, die vor einigen Jahren für einen Hausbau ausgehoben wurde, zwei Brand- bzw. Schuttschichten festgestellt werden. Die obere, jüngere, ist durch Kleinfunde etwa in die zweite Hälfte des 3. Jh. zu datieren. Es war dies die Zeit, in welcher germanische Scharen die Rheinlande plünderten. Jedenfalls scheint diese Ansiedlung nach einer derartigen Katastrophe nicht wieder am selben Ort aufgebaut worden zu sein, da es keine Funde von hier gibt, die auf das späte

3. oder etwa das 4. Jh. hinwiesen. Man nimmt daher an, daß die Überlebenden vom Kuhbach ihre Villa auf den Stadtberg verlegten und nach dort übergesiedelt sind. Ob während der Zeit, in welcher am Kuhbach die Villa gestanden hatte, auf dem Sinzigberge aber tatsächlich nicht gesiedelt wurde, ist fraglich. Doch müßte schon ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommen, wollten wir hier Funde der frührömischen Zeit machen. Ist doch das Gelände durch die mittelalterliche und neuzeitliche Besiedlung gänzlich verwühlt und umgekehrt. Spärliche Funde des späten 3., reichere des 4. Jhs. zeugen für die Besiedlung des Stadtberges erst zur spätrömischen Zeit. Mit welcher Art von Ansiedlung (Straßenstation; Markt; befestigtes Dorf) wir hier am Sinzigberg zu rechnen haben ist wegen der kümmerlichen Hinterlassenschaft nur schwer zu sagen.

Der Name Sentiacum (= Sinzig) taucht erstmals 762 auf. Die so genannte Sied lu ng lokalisiert man auf dem Sinzigberge. Die Sprachgeschichtsforschung konnte zeigen, daß dieser Name, aber auch die übrigen Ortsnamen mit der Endung -acum (Brisiacum = Breisig; Antunacum = Andernach; Tolbiacum = Zülpich u. a.) einer keltischen Sprachschicht angehören. Daß heißt aber, daß der Name „Sentiacum“ etwa kurz vor oder um Christi Geburt entstanden sein müßte.

Die Bedeutung des Wortbestandteiles -acum ist umstritten. Kleemann sagt klar, daß Orte mit der Endung -acum jedenfalls keine militärischen Orte gewesen sind. Eine andere geäußerte Ansicht ist die, daß diese -acum-Orte zurückgingen auf Gutshöfe, wobei der erste Teil des Ortsnamens den Personennamen des Besitzers oder Gründers des Hofes angebe. Neuere archäologische Untersuchungen in Juliacum = Jülich legten klar, daß dieser Ort im späten 1. Jh. n. Chr. ein vicus, d. h. ein Dorf war. Allerdings konnte nicht geklärt werden, ob dieses Dorf sich aus einer Straßenstation, einem Rasthaus oder etwa einem Markt oder einer älteren einheimischen Siedlung entwickelt hat. Man darf aber diesen Befund von Jülich sicher nicht generalisieren und zur Erklärung nun aller -acum-Orte heranziehen.

Soweit wir bis heute die Verhältnisse in Sinzig kennen, spricht dieser -acum-Name für einen Gutshof, eben die Villa am Kuhbach. Wir stellen uns vor, daß mit den Leuten der Villa auch der Name „Sentiacum“ von hier auf den Sinzigberg übergesiedelt ist.

Im Laufe des 5. Jhs., wohl in dessen zweiter Hälfte, waren Land- und sonstige Güter unseres Gebietes von Franken in dauernden Besitz genommen. Diese Güter hatten auch noch nach dem Weggang des römischen Besitzers oder Verwalters weiterfunktioniert, vielleicht nicht mehr in dem ganzen früheren Ausmaß, aber immerhin doch so, daß Betrieb und Gebäude die gewisse notwendige Pflege erfuhren. Wir können daher annehmen, daß ein fränkischer König oder Adeliger noch im Laufe des 5. Jhs. den Sinzigberg – die dortige Villa – zu seinem Domizil erkor und sich die hier befindliche Villa mit dem zugehörigen Besitz aneignete. Vielleicht ist der Verlauf der späteren Pfalzgrenze von Sinzig in etwa gleich dem Einzugsbereich der Villa vom Kuhbach bzw. Stadtberg. Zu dem Geschehen in Sinzig während des gesamten 6. und der ersten Hälfte des 7. Jhs. liegen uns bislang weder schriftliche noch archäologische Quellen vor. In das ausgehende 7. Jh., vielleicht sogar ins frühe 8. Jh. sind Funde aus einem Grabe zu datieren, welches schon um 1890 entdeckt und auch ausgegraben wurde. Es lag am „Helenenberg“, in unmittelbarer Nähe der bereits erwähnten Kirche Mauritius in der Lee.

Zeichnung nach J. Werner: Münzdatierte austrasische Grabfunde
Beigaben der Doppelbestattung aus Sinzig um 700 n. Chr.

Die Bestattung bestand aus einem Doppelgrab für einen Mann und eine Frau. Die Funde kamen in ein Berliner Museum und scheinen heute verloren zu sein. Den beiden Toten wurden kostbare Gebrauchsgegenstände mit ins Grab gegeben: Ein goldener Fingerring, in den eine Münze gefaßt ist, ein sog. Solidus, der im ersten Drittel des 7. Jhs. geprägt wurde. Eine eiserne Spatha, das ist ein zweischneidiges Hiebschwert von 90 cm Länge (Abb. 2,2).

Ein eiserner Langsax, das ist ein einschneidiges Schwert, mit 65 cm Länge (Abb. 2, 3). Eine in zwei Stücke zerbrochene Schildfessel aus Eisen (Abb. 2, 5). Ein zweireihiger Kamm aus Bein, dessen Deckleiste mit Eisennieten befestigt ist (Abb. 2,4).

Hine Schale (Abb. 2, 1) aus Bronze, Höhe 7 cm, Durchmesser am Boden 20,5 cm, an der Mündung 29,5 cm, mit einem waagerecht nach außen gebogenen Rand von 0,5 cm Breite. Die Schale ist getrieben. An der Innenwand sind fünf Flickstellen. Von den beweglichen Griffen ist noch einer erhalten, er hat die Form eines etwas eckigen Omega und ist aus Bronze gegossen (Abb. 2, l, a). Die Beigaben dieses Grabes kann man, wie gesagt, ins 7. Jh., auch ins frühe 8. datieren. Einen präziseren Anhaltepunkt hat man ja in der Münze, die mit Draht äußerst gefällig in einen Ring gefaßt ist. Das Geldstück wurde zwischen 613 und etwa 630 geprägt. Da es jedoch sehr abgegriffen ist, kann man annehmen, daß es erst lange im Umlauf war, bevor es seine letzte Verwendung als Schmuckstück fand und endlich dem oder der Toten mit ins Grab gegeben wurde. Man datiert daher diesen Ring ans Ende des 7. Jhs. – man kann noch ans frühe 8. Jh. denken -, und das ist etwa die Zeit, in der die beiden Toten hier bestattet worden sind. In der Lee – auch Helenenberg genannt -wurden einige Male weitere Zufallsfunde gemacht.

Am Assessorenweg – früher hieß er Große und Kleine Hohl – wurden zwei Gräber entdeckt; von hier sollen auch ein Keramiktopf sowie Waffen stammen. An der Koblenzer Straße – etwa in Höhe des Helenenberges – entdeckte man in einer Kiesgrube eine „Knochenlage“ von 40 cm Mächtigkeit. Darin waren zwei Gefäße aus Keramik, offenbar fränkisch, d. h. etwa aus dem 5. bis 8. Jh., die jedoch – zu dieser Zeit nicht üblich

– Leichenbrand enthielten. Im Museum zu Sinzig befinden sich ein Sax von 43,4 cm Länge und eine Axt von 12 cm Länge, die ebenfalls beide vom Helenenberg stammen sollen.

Diese Befunde sind zwar mager. Sie sagen aber dennoch, daß sich hier in der Lee einer oder vielleicht gar mehrere frühmittelalterliche Friedhöfe befunden haben. Sie lagen am Abhang eines Berges, der von der Siedlung durch ein Tal, durch welches der Harbach eilt, getrennt war. Eine solche Trennung von Siedlung und Friedhof ist ein für die damalige Zeit häufig anzutreffender Brauch.

Die Beigaben jener Doppelbestattung (Abb. 2) lassen vermuten, daß hier nicht gewöhnliche Leute, sondern doch Reichere, Grafen vielleicht, vielleicht Leute aus königlicher Verwandtschaft begraben waren. Die Existenz der Pfalz zu Sinzig im 7. Jh., und früher, wird durch die innere historische Wahrscheinlichkeit dargetan.

Es scheint mir daher nicht allzu gewagt, diese beiden hier Bestatteten als Pfalzgrafenpaar zu interpretieren.

Mauritius in der Lee

Das Doppelgrab (Abb. 2) sowie einige andere Gräber des 7. und 8. Jhs. lagen, wie gesagt, in der Nähe der 1322 genannten Mauritiuskirche. Man fragt sich unwillkürlich, ob diese Kirche bereits im 7. Jh. am Platze stand.

Nun wissen wir nicht, ob bei Schleifung der Kirche im Jahre 1806 Gräber oder Funde beachtet wurden. Wir kennen nicht die Lage der Gräber zueinander und auch nicht die der Gräber zur Kirche. Lag die Doppelbestattung etwa unter der Kirche, dicht dabei oder weiter entfernt ? Wir wissen es nicht. Daher kann unsere Frage nach dem Aller der Mauritiuskirche nur mit Annahmen beantwortet werden. Es kann bereits im 7. Jh. in der Lee eine Kirche gestanden haben, an dem von Oberbreisig (hier ein St. Viktor!) über den Wadenberg nach Sinzig führenden Wege.

Ob diese Kirche eine Eigenkirche (Graf oder König) oder etwa eine Friedhofskirche (Bevölkerung) gewesen wäre, wissen wir nicht. Vielleicht kann eine Ausgrabung noch manches erhellen. Über das Patrozinium allerdings könnten auch archäologische Befunde nichts aussagen, es sei denn, man fände eine Inschrift, die den Patron ausdrücklich nennt.

Mauritius in der Pfalz

Wir haben aber zur Beantwortung der Frage „Mauritius in Sinzig“ noch eine weitere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen: Die Sinziger Pfalzkapelle wird in einer Urkunde von 855 als Petruskapelle genannt. Ihre Existenz reicht aber sicher weiter zurück, vielleicht bis in den Anfang der Pfalz. Es ist daher ohne weiteres denkbar, daß bereits etwa im 7. Jh. in der Pfalzkapelle ein Mauritius-Altar gestanden hat. Möglich ist aber auch, daß in der Pfalz – im Gelände der heutigen Pfarrkirche – zwei Kirchen gestanden haben, eine mit dem Patron Petrus, die andere mit Mauritius. In diesem Falle müßte es sich um zwei Gebäude gehandelt haben, denn zu dieser frühen Zeit war der Gedanke einer Doppelkirche – wie etwa in Schwarzrheindorf oder auf der Kaiserburg in Nürnberg – noch nicht entwickelt.

Wie dem auch immer sei – ob Mauritius am Sinzigberg auf einem Altar in der Petruskirche oder in einer eigenen Kirche verehrt wurde – in jedem Falle ginge dieser Kult aus von königlichem oder gräflichem Wirken. Dieses könnte sich entweder direkt, etwa durch eine königliche Stiftung, oder aber indirekt, etwa über Vermittlung der Abtei Prüm, niedergeschlagen haben.

Die Annahme, Mauritius sei in der Sinziger Pfalz verehrt worden, hat sicher vieles für sich. Freilich ist in dem Falle zu erklären, warum eine Mauritiuskirche 1322 in der Lee, also erheblich außerhalb der Stadt (der früheren Pfalz) gestanden habe. Diese Erklärung ist in den Vorgängen und Wirren um Sinzig im 13. Jh. zu suchen. Es war dies ja die Zeit, in welcher die Pfalz endgültig zugrunde ging, die Stadt aber entstand.

Während dieser stürmischen Vorgänge könnte Mauritius als Repräsentant kaiserlicher Gewalt aus Sinzig in einen Vorort, in die Lee, gleichsam verbannt worden sein. Die doch etwas auffällige Ablaßverleihung durch 17 Bischöfe gleichzeitig könnte eine Geste für die kaiserliche Sache und eine Warnung an die Bürger von Sinzig gewesen sein, das kaiserliche Pferd ganz abzuzäumen.

Fassen wir zusammen; Die Verehrung des heiligen Mauritius in Sinzig ist für 1322 erwiesen. Doch haben wir einige gute, wenn auch nicht zwingende Gründe vorliegen, die uns erlauben zu schließen, daß Mauritius schon im Frühmittelalter, also im 7. oder 8. Jh. in Sinzig beheimatet war. Über eine noch frühere Anwesenheit dieses Heiligen könnte man spekulieren.