Der Güteraustausch der Abtei Prüm mit dem Edlen Sigebod um das Jahr 963
Überlegungen zu einer tausendjährigen Urkunde zur Geschichte des Raumes Altenahr
Von Ignaz Görtz
Das Goldene Buch der Abtei Prüm überliefert uns eine undatierte Tauschurkunde, in der die Abtei Prüm mit dem Edlen („homo seculariter honorabilis“) Sigebod Güter im Ahrgau gegen solche im Eifelgau tauscht (Goerz, Mittelrhein. Reg., I. nr. 1026). Da die Urkunde jedoch den Abt Ingram und den Propst Gislebert nennt, muß sie in den Jahren 948 bis 964 entstanden sein. Sehr wahrscheinlich datiert die Urkunde um das Jahr 963, da zu dieser Zeit die meisten der hier genannten Zeugen auch in anderen Urkunden Vorkommen (vgl. auch Wirtz, Ahrgau B I, 3 S. 133).
Der Edle Sigebod gibt der Abtei Prüm Güter im Eifelgau, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Er erhält aus dem Prümer Besitz im Ahrgau, und zwar zu „Rossebach“ und „Entineberge“ fünf Hufen, „Riferesburch“ eine Hufe, „Cruciberge“ drei Hufen mit allem Zubehör, bebautem und unbebautem Land, Wald, Wiesen, Weiden, Mühlen und- dem Recht der gemeinschaftlichen Wald= und Weidenutzung mit den Einwohnern von „Viscala“. Die genannten Namen weisen eindeutig auf den Raum des heutigen Altenahr. „Cruciberge“ und „Viscala“ sind das heutige Kreutzberg und Vischel. „Rossebach“ dürfte in der Nähe des heute noch so genannten Baches, also in der Ortslage Altenahr, gelegen haben. Hier saßen die Häuser längs des Roßbaches bis ins 18. Jahrhundert „Roßbach“ im Gegensatz zum ummauerten „Tal Altenahr“. Auch die Straßenbezeichnung „Im Roßberg“ lautete bis zur Jahrhundertwende noch „In der Roßbach“. „Entineberge“ ist das spätere „Entelburg“, ein Hofgut nördlich von Altenahr, das um das Jahr 1803 abbrannte, dessen Lage durch die Flurnamen „Unter Entenburg“, „Am Entenburger Pütz“, „In der Entenburger Dell“ und „Im Hoff“ (Flur 10) umrissen wird. „Riferesburch“ lag, wie schon der Name aussagt, auf oder vor dem Felsrücken beim heutigen Altenburg. „Rifer“ (Ripp) bedeutet Felsrippe (Felsrücken). Bei diesem Umlaufberg lagen auch die ältesten Häuser Altenburgs. Ein weiterer Hinweis liegt in der Flurbezeichnung „An der Burg“ (Flur 8, BI. 7) und natürlich im Ortsnamen selbst, dem die Unterscheidung zwischen einer älteren (Riferesburch) und einer jüngeren Burg (Are) zugrunde liegt. Hier muß auch die Überlieferung erwähnt werden, daß auf diesem Felsen die erste Burg der Grafen von Are gestanden habe, nach deren Zerstörung Burg Are gebaut worden sei. Künstlich geschaffene Veränderungen am Fels sind heute noch zu erkennen. Ob dies allerdings Spuren des Hofes Riferesburch oder einer an seiner Stelle später geschaffenen befestigten Anlage sind, läßt sich nicht sagen. Zur erwähnten Überlieferung wäre noch festzustellen, daß die Zerstörung der „Alten Burg“ und die Erbauung der Burg Are sehr wahrscheinlich um 1100 anzusetzen ist. Und zwar spricht die nahe Verwandtschaft zwischen den Grafen von Are und den Grafen von Limburg dafür, daß bei der Auseinandersetzung zwischen Graf Heinrich von Limburg und Kaiser Heinrich IV. der auf Seiten des Grafen Heinrich genannte Graf Theoderich der Graf von Are war, dessen Burg dann mit den Burgen des Limburgers durch den Kaiser zerstört wurde. Außerdem wird Graf Theoderich erst gegen 1102 und 1105 „von Are“ genannt (Frick, Quellen, nr. 17 und 20), eine Tatsache, die wohl auf den erst kurz vorher erfolgten Bau der Burg „Are“ hindeutet. Die Hufen, die der Edle Sigebod erhält, scheinen ein zusammenhängendes Gebiet bei Altenahr/Kreuzberg zu umfassen. Bedenkt man nun, daß Sigebod als einer der Vorfahren der Grafen von Are angesehen wird, daß weiter der Pfarrbezirk Altenahr mit der hierin gelegenen Burg Are das Kernstück der Grafschaft Are und des späteren kurkölnischen Amtes Altenahr war, könnte man annehmen, daß der eingetauschte Güterkomplex mit dem Umfang der späteren Pfarrei Altenahr in etwa zusammenfällt. Natürlich ist der Begriff der Pfarrei jünger. Es ist jedoch naheliegend, daß der um die „Riferesburch“ bzw. später um die Burg Are gelegene, in sich geschlossene Grundbesitz auch zu einer kirchlichen Einheit wurde. Ursprünglich mögen die Prümer Mönche bei dem auch im Prümer Urbar vom Jahre 893 genannten Hof „Cruceberhg“ eine Kapelle errichtet haben. Vielleicht trat sogar hier auf dem Felsrücken das Kreuz an die Stelle einer früheren heidnischen Opferstätte, eine Vermutung, die durch den Namen „Kreuz= Berg“ eine gewisse Bestätigung erführe. Nach dem Obergang des umrissenen Güterkomplexes an die Familie des Sigebod verlagerte sich dann der Schwerpunkt dieses Grundbesitzes vom Hof „Cruciberge“ über die „Riferesburch“ zur Burg „Are“. Mit dem Bau der Burg Are oder im Anschluß hieran wurde dann durch die Grafen von Are unten im „Tal“ die Kirche zu Are gebaut, womit auch die religiöse Betreuung einen neuen Mittelpunkt fand, und die Pfarrei Altenahr sich herausbildete. Ob zwischenzeitlich eine Hofkapelle bei der „Riferesburch“ oder ob der romanische Bau der Altenahrer Pfarrkirche einen Vorläufer gehabt, läßt sich höchstens durch Grabungen feststellen.
Foto: Görtz
Es wäre nun interessant, die Lage der in der vorliegenden Urkunde erwähnten neun Hufen zu bestimmen. „Die Annahme, daß sie alle im Gebiet der heutigen Pfarrei Altenahr lagen (der Umgang der Pfarrei hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht verändert!), könnte die Arbeit erleichtern, wie andererseits eine genaue Festlegung der Hofesbezirke unsere Annahme bestätigen könnte, daß der kirchliche Verwaltungsbezirk der Pfarrei Altenahr auf dem hier behandelten, in sich geschlossenen Güterkomplex aufbaut. Nimmt man nun die spätesten 3 in mittelalterlichen Urkunden erwähnten Höfe des umschriebenen Gebiets, die gleichzeitig auch die allgemeinen Voraussetzungen für eine Besiedlung in fränkischer Zeit erfüllen, kommt man schon zu einem brauchbaren Ergebnis. Genaues über die Lage kann natürlich nur der Spaten zu Tage fördern. Vielleicht werden mit der Zeit Funde gemacht, die unsere Vermutung bestätigen oder berichtigen. Die Lage des Hofes „Riferesburch“ wurde vorher schon behandelt. Beim Hof „Cruciberge“ werden drei Hufen angegeben. Der erste dürfte der Herrenhof selbst sein, dessen Lage auf der Erhebung angenommen wird, deren äußerstes Ende heute noch Burg Kreuzberg trägt. Die zweite Hufe könnte an der Stelle des mittelalterlichen Hofes „Hensberg“ auf der Höhe südwestlich von Kreuzberg gestanden haben. Bis zu seinem Untergang gehörte der Hof „Hensberg“ (Hengsberg) stets zur Pfarrei Altenahr, obwohl der Pfarrort Lind viel näher lag. Auf die Wüstung weist die Flurbezeichnung „Am Hoff“ (Kreuzberg Flur 5, Bl. 2) hin. Die dritte Hufe ist im Sahrtal bei der Abzweigung der Straße nach Krälingen zu vermuten. Der hier gelegene Hof wird in den Urkunden „Imgenhausen“ genannt, welcher Name noch erhalten ist in den Flurnamen „Am Emgeshäuser Hof“ und „Im Emgeshäuser Berg (Kreuzberg, Flur i, Bl. l und Flur 3). Auf die Lage des Hofes Entelburg wurde schon hingewiesen. Auf der Höhe, nordwestlich von Entelburg, südlich von dem heutigen „Rangshof“, muß eine weitere Siedlung gelegen haben, deren Name nicht überliefert ist. Es sei denn, man nähme hier den Hof „Rode“ an, der mit dem Hof Entelburg zusammen zum Altenahrer Burglehen Uprath (Uprode; Upraide) gehörte, der dann später aufgegeben worden sei, und dessen Ländereien zwischen dem Hof Entelburg und dem Hof „Wißen Rode“ (Weißerrath) aufgeteilt worden wären. Eine Stütze erhielte eine solche Annahme durch die Flurbezeichnung „Im Roder Berg“ und „Ober dem Roder Berg“ (Flur 9, Bl. 3; hier: Roter Berg) für den ganzen Berghang, der sich westlich der vermuteten Siedlung bis zum Vischelbach hinunterzieht. Die Stelle selbst heißt im Volks= mund „Auf Steiner Burg“. 1939/40 wurden hier bei Feldarbeiten vermutlich frühgeschichtliche Funde gemacht, die leider nicht erfaßt und datiert wurden und in den Kriegswirren verloren gingen. Gemäß Aussage älterer Einwohner soll sich hier vor rund 50 Jahren noch ein Brunnen befunden haben. Eine dritte Hofanlage dürfte im Gebiet des heutigen Burtscheider Hofes angenommen werden (Flur 11), der im Jahre 1428 als Hof „Boytscheit“ urkundlich erwähnt wird. Daß der Hof „Rossebach“ an der Stelle des heutigen Altenahr lag, wurde schon erwähnt. Nachzutragen wäre noch, daß im Jahre 1961 bei Ausschachtungsarbeiten oberhalb der Kirche kleinere Funde gemacht wurden, die in das 8. bis 9. Jahrhundert weisen und sehr wahrscheinlich Reste eines fränkischen Gräberfeldes sind. Am gleichen Hang wurden an mehreren Stellen Teile einer alten Wasserleitung gefunden, die jedoch auch mittelalterlichen Ursprungs sein könnte. In diesem Gebiet dürften wohl noch weitere Funde zu erwarten sein. Ob in der Ortslage von Altenahr zwei Höfe lagen, womit die fünf erwähnten Hufen nachgewiesen wären, läßt sich nicht ohne weiteres annehmen. Die fünfte Hufe könnte natürlich auch noch links des Roßbaches auf der Höhe gelegen haben, wo eine mittelalterliche Anlage, die Burg „Ecka“, im Jahre 1249 urkundlich nachgewiesen ist, oder weiter östlich in der Gemarkung „Auf Turchhausen“ (Fl. 15, Bl. l). Der Ort Reimerzhoven dürfte hier ausscheiden. Er liegt zwar auch links des Roßbaches und gehörte, soweit bekannt, stets zur Pfarrei Altenahr; gegen eine solche Annahme spricht jedoch die Lage und auch die Aussage eines Aktenstücks vom Anfang des 18. Jahrhunderts, in dem vermerkt wird, daß vor einigen Jahrhunderten dort Weingärtner zur Bebauung der kurfürstlichen Weingärten angesiedelt worden seien.
Wo werden nun diese neun Hufen im Güterverzeichnis des Jahres 893 (vgl. Rausch, Der Grundbesitz der Abtei Prüm im Ahrgebiet. Eifelkalender 1961, S. 131 ff.) genannt? „Cruceberhg“ wird 893 aufgeführt, allerdings mit 5 Hufen. Hier dürfte auf jeden Fall die eine Hufe zu „Riferesburch“ mitgezählt sein. Die übrigen Höfe, die der Edle Sigebod zu „Rossebach“ und „Entineberge“ erhält, dürften im früheren Verzeichnis unter „Wihsselle“ (Vischel) mitaufgeführt sein, worauf auch die Feststellung der Urkunde hinweist, daß die Bewohner der genannten Höfe gemeinschaftliche Wald- und Weidnutzung mit denen von Vischel hätten. Das Gebiet des Herrenhofes Vischel hätte sich dann ursprünglich ! zwischen Vischelbach und Roßbach bis zur Ahr hin erstreckt.
Nach den bisherigen Ausführungen dürfte feststehen, daß der Raum Altenahr schon zu Ende des 9. Jahrhunderts besiedelt war, eine Tatsache, die in bisher veröffentlichten Karten zur Siedlungsgeschichte des Ahrgebietes in fränkischer Zeit nicht berücksichtigt ist. Die bekannten Karten nennen im behandelten Raum nur die im Prümer Urbar genannten Orte Kreuzberg, Lind und Vischel, obwohl zum wenigsten „Rossebach“, „Entineberge“ und „Rifferesburch“ mit aufzuführen wären.
Eine Frage wirft die hier behandelte Urkunde noch auf, nämlich die Familienzugehörigkeit des Sigebod. Die Urkunde weist auf den Eifelgau, in dem Sigebod begütert ist. In der Eifel begegnet uns der Name Sigebod schon früher. Ob es sich hier um Vorfahren handelt, läßt sich nicht exakt nachweisen. Eine spätere Urkunde ist aus dem Jahre 1992 überliefert, mit der König Otto III. seinen Getreuen, den Brüdern Sigebod und Richwin, einen fest umschriebenen Wildbann rechts der Ahr schenkt.
Schließlich ist noch auf die Steinfelder Überlieferung hinzuweisen, die als Gründer des Klosters einen Sigebod (Sybodo) nennt. Die Überlieferung legt die Gründung des Klosters in das erste Drittel des 10. Jahrhunderts. Neuere Forschungen (Oediger, Steinfeld, zur Gründung des ersten Klosters und zur Verwandtschaft der Grafen von Are und Limburg. Festgabe für Prof. Steinbach. Bonn 1960) machen es je= doch wahrscheinlich, daß die Gründung des ersten Klosters Steinfeld in die Zeit 1069 bis 1073 fällt. Der Gründer wäre der Graf Sigebod, Bruder des Bischofs Udo von Toul, als dessen Eltern genannt werden „Riehwin comes de Reubariorum regione ortus“ und Mathildis. Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises auf den Namen Richwin, wie er uns auch zusammen mit dem Namen Sigebod in der Urkunde von 992 begegnet. Die Verbindung zwischen den genannten Sigebodonen ergibt sich nun daraus, daß sich das Kloster Steinfeld, der Wildbann rechts der Ahr und das um 963 erworbene Gebiet um Altenahr später in den Händen der Grafen von Are bzw. deren Rechtsnachfolgern, den Erzbischöfen von Köln, befinden. Außerdem wird der Gründer des Klosters Steinfeld ausdrücklich als Vorfahre der Grafen von Are bezeichnet, als im Jahre 1121 Erzbischof Friedrich I. von Köln vom Grafen Theoderich von Are das Kloster Steinfeld erwirbt, es aber gleichzeitig unter die Vogtei des Grafen Theoderich und seiner Nachfolger im Besitz der Burg Are stellt (Goerz, a.a.O. I nr. 1727). Man darf wohl annehmen, daß es sich bei den hier erwähnten Namensträgern Sigebod und Richwin um Angehörige derselben Familie handelt, der auch die Grafen von Are angehören. Eine weitere Bestätigung mag noch darin zu sehen sein, daß in der Urkunde vom Jahre 1121 Graf Theoderich als Graf des Eifelgaues bezeichnet wird, also in dem Gebiet, in dem die Sigebodonen größeren Grundbesitz besaßen.
Um das Jahr 963 erwirbt Sigebod wohl den ersten Grundbesitz im Ahrgau. Das erworbene Gebiet ist nun nicht irgend ein Teil der späteren Grafschaft Are, sondern deren Kernstück, nämlich der Pfarrbezirk Altenahr, der von jeher eine besondere rechtliche Stellung innerhalb der Grafschaft Are und im späteren kurkölnischen Amt Altenahr einnahm. Der Erwerb des Wildbannes von 992 vergrößerte den Besitz beträchtlich. Beide Erwerbungen zusammen werden zum Ausgangspunkt der folgenden Ausdehnungspolitik dieser Familie im Ahrgau. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Tragik, daß diese Expansion auf Kosten des prümischen Besitzes an der Ahr erfolgte, also der Abtei, die durch den Tausch um das Jahr 963 den Sigebodonen zu deren erstem Grundbesitz im Ahrgau verhalf. Damals schien es dem Prümer Abt vielleicht von Nutzen, wenn ein angesehener, dem Kloster wohlgesinnter Mann sich bei dem weiter entfernten Klosterbesitz niederließ. Oder man hielt den Erwerb der umfangreicheren und dem Kloster näher gelegenen Güter im Eifelgau für wichtiger als die Hergabe der nicht so bedeutenden und entfernteren Güter im Ahrtal. Auf jeden Fall zeigt schon ein Blick in den Kommentar zum Prümer Güterverzeichnis, daß schon im Jahre 1222 die Grafen von Are-Hochstaden den größten Teil des Prümer Besitzes im Ahrgau zu Lehen hatten, und mit der Zeit ging er der Abtei ganz verlustig. Nur der überwiegende Grundbesitz in den Vogteien Ahrweiler und Kesseling sowie die beiden gleichnamigen Pfarreien blieben bis zur Säkularisation dem Kloster im Ahrtal erhalten.