Der große Landgraben – Kreisgrenze im Spiegel der Geschichte
Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten über den Vinxtbach als eine schon seit spätkeltischer Zeit bestehende Völkerscheide geschrieben worden. Wer allerdings an seinem Ufer steht, muss sich allen Ernstes fragen, wie so ein kleines Rinnsal dauerhaft Völkerschaften trennen konnte. Das einzige Argument, das dafür immer wieder ins Feld geführt wird, ist die Namensableitung von „ad fines“ – „an der Grenze“, weil sich zur provinzialrömischen Zeit an der Nahtstelle zwischen Germania inferior und Germania superior in seiner Mündungsnähe eine Benificarier-Station befand und gegenüber auf der anderen Rheinseite der obergermanische Limes begann. Eine tatsächliche geografische Grenzfunktion ist historisch dagegen nicht eindeutig überliefert. Sprachforscher haben zudem auch immer wieder argumentiert, dass „Vinxt“ sich ebensogut vom keltischen „Vincenna“ – „gewunden“ ableiten lässt. Sprachgrenzen folgen seit altersher politischen Grenzen, und politische Grenzen sind von der Keltenzeit bis in die jüngste Vergangenheit häufig auch topografisch besonders durch Wehranlagen markiert. Von alledem findet sich am Vinxtbach nicht die geringste Spur, die Mehrzahl der an ihm gelegenen Siedlungen weist überdies aufgrund der Namensendungen auf Besiedlung frühestens in der fränkischen Epoche hin. Wenn also nicht an diesem Bach, wo könnte dann eine solche „echte“, alte Grenze tatsächlich gelegen haben?
Von Namedy nach Trier – der große Landgraben
Da las ich doch neulich in einem alten Faksimile-Druck von Joseph Steinbach’s „Führer zum Laacher See“ vom Ende des 19. Jahrhunderts folgende Zeilen: „Vom Laacher See aus wandern wir am andern Morgen nun auf den Gänsehals zu . . . Bei dieser Gelegenheit übersteigen wir den Landgraben, den wir auch gestern schon auf dem Wege von Wehr nach Maria Laach überschritten haben. Dieser Graben geht vom Rheingebirge bei Namedie aus an Eich und Wassenach vorbei, zwischen Maria Laach und Wehr durch, zieht sich östlich am Bergrücken des Gänsehalses hin, übersteigt dann die Höhen zwischen Rieden und Ettringen durch bis an die Nette, von dort nimmt er die Richtung zwischen Kirchesch und Langenfeld auf Virneburg zu. An manchen Stellen ist der Graben bei 15 Fuss tief und breit, mit einem hohen Wall. Auf einigen Stellen zeigen sich sogar drei Gräben mit zwei dazwischen liegenden Wällen, besonders hier und bei Eich. An anderen Stellen, wo der Graben durch Ackerland sich hinzieht, ist er theilweise wieder zugeworfen, ebenso, wo steile Höhen und tiefe Thäler ihm in den Weg treten, fehlt er gänzlich.“ Das hatte ich doch schon mal gelesen? – Richtig, in August von Cohausens „Die Befestigungsweisen der Vorzeit und des Mittelalters“ wurde ich ebenfalls fündig. Er präzisiert den Verlauf dieser Wehranlage noch etwas, so dass zusammenfassend folgender Verlauf wahrscheinlich ist: Namedy – Eich – Wassenach/Maria Laach – Wehr – Gänsehals/Rieden -Kirchesch – Langenfeld – Virneburg – Ulmen – Darscheid – Daun – Deudesfeld – Seinsfeld -Erdorf – Bitburg – Aach – Trier. Ein Blick in die topografische Karte genügt, um zu erkennen, dass der Landgraben von Andernach bis Wassenach mittlerweile durch Zersiedelung, Bims- und Lavaabbau und moderne Land- und Forstwirtschaft großflächig zerstört worden ist. An der Kreisgrenze südlich von Wehr bis an den Gänsehals ist allerdings noch ein längerer Abschnitt erhalten, Einzelabschnitte in unserer Region sind auch z. B. in der Tranchot-Karte dokumentiert worden.
Verfolgt man den weiteren Verlauf nur anhand der größeren Gemeinden, ergibt sich Luftlinie eine Länge von über 100 km, im Gelände sind es sicherlich wesentlich mehr. Damit gehört diese historische Wehranlage, die von Seinsfeld bis Trier mit der historischen Langmauer, einer riesigen spätantiken Domäneneinfriedung identisch ist, zu den längsten in Rheinland-Pfalz – und zu den in großen Teilen unbekanntesten und am wenigsten erforschten. Denn abgesehen von der Langmauer ist weder über die Erbauungszeit noch den Zweck der restlichen Abschnitte viel bekannt. Als gesichert kann wohl lediglich angenommen werden, dass eine übergeordnete territoriale Gewalt den Bau von Namedy bis zur Langmauer verfügt haben muss. Lassen wir deshalb ein paar tausend Jahre Geschichte am Mittelrhein Revue passieren und fragen uns dabei, wer die Macht- und Geldmittel dafür gehabt haben könnte.
Rheinische Frühgeschichte bis zum Bataveraufstand
Graben- und Erdwallanlagen zählen zu den ältesten Bauten der Menschheit. Bereits in der Jungsteinzeit wurden z. B. der Goloring im Maifeld oder der Ringwall bei Weißenthurm zu kultischen und wahrscheinlich auch astronomischen Zwecken angelegt. Auch neolithische Siedlungen wurden häufig mit Graben-Wallanlagen zum Schutz gegen menschliche und tierische Feinde umgeben. Die Besiedlungsdichte in unserem Raum war jedoch bis in die frühe Eisenzeit so gering, dass man zwar von Stammes- und Dorfstrukturen ausgehen kann, kaum jedoch von einem größeren territorialen Gebilde unter einheitlicher Führung eines Häuptlings/Fürsten. Das änderte sich in derspäten Eisenzeit am Übergang zur frührömischen Epoche. Mit den Treverern besiedelte den Untermoselraum eine keltische Bevölkerung, die von einer überregionalen politischen Führung in den zentralen Oppida in Luxemburg und auf dem Martberg an der Untermosel beherrscht wurde. Folgerichtig legt Joseph Steinbach den frühestmöglichen Baubeginn des großen Landgrabens in diese Epoche: „Die Trevirer sollen um das Jahr 70 vor Christus den Graben . . . aufgeführt haben, um sich gegen die Deutschen zu schützen“. Mit den Deutschen ist hier wohl der Stamm der Eburonen gemeint, der auf unserem Kreisgebiet siedelte und nach neueren Untersuchungen als Germanenstamm mit keltischem Einschlag anzusehen ist. Es muss allerdings stark bezweifelt werden, dass die hiesige Besiedlungsdichte auf eburonischem Gebiet so hoch war, um eine permanente Grenzsicherung des höherentwickelten treverischen Siedlungsraumes erforderlich zu machen. Vielmehr war unser Kreisgebiet eher eine menschenarme, waldreiche Wildlandschaft, auf der man allenfalls wie Asterix und Obelix auf Wildschweinjagd ging. Der Flurname „Ariet“ bei Kirchdaun, der sich aus dem keltischen „Argoat – Eichenwald“ ableitet, erinnert noch heute daran. Nach 53 v. Chr. spielte der Stamm der Eburonen aufgrund der ethnischen Säuberung der Legionen des Caesars ohnehin keine Rolle mehr.
Reste des Landgrabens an der Kreisgrenze am Gänsehals
Der Landgraben in der „Tranchot-Karte“, Blatt 133 „Wehr“ von 1809
Nach Konsolidierung der nördlichen römischen Reichsgrenze am Rhein rückte der Nieder- und Mittelrhein in den Jahren 69 und 70 n. Chr. erneut in den Blickpunkt römischer Tagespolitik. Das durch den Abzug eines großen Teils der Rheinarmee im Gefolge der Caesarenmachtkämpfe nach Nero’s Tod im sog. Vierkaiser-Jahr 69 n. Chr. entstandene Machtvakuum gedachte der Bataverführer Claudius Civilis durch einen eigenen unabhängigen gallischen Staat auszufüllen. Unterstützung fand er durch weitere Stämme an Niederrhein und Mittelrhein und abtrünnige Bataver-Hilfskohorten. Da das römische Imperium trotz der innenpolitischen Wirren am Rhein als nördlicher Reichsgrenze festhielt, musste der römische Legat Vocula aus Mainz mit seinen Truppen quasi als fliegende Feuerwehr erst bei Xanten, dann in Mainz, dann wieder in Neuss römische Legionäre aus der Umklammerung Aufständischer heraushauen – zumindestens solange, bis er im Auftrag des Civilis ermordet wurde. Das ganze Hin und Her ist von Tacitus eindrucksvoll in seinen Historien beschrieben worden. Dort findet sich auch ein bemerkenswerter Satz über die Treverer: „Sogar einen mit Faschinen verstärkten Erdwall errichteten die Treverer an ihren Grenzen: sie lagen im Krieg mit den Germanen, unter großen Verlusten auf beiden Seiten.“ (Liber IV, 37). Verschiedene Autoren haben den Landgraben deshalb in Zusammenhang mit dem Bataveraufstand gebracht – aber leider Tacitus nicht richtig gelesen. Denn die vorangehenden Sätze lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass sich die Treverer, die anfänglich auf römischer Seite standen, eher gegen die aufständischen Chatten schützen wollten, die nach ihrer Vertreibung aus Mainz von Süden auf treverisches Stammesgebiet vordrangen. Dagegen an der Nordwestgrenze des treverischen Stammesgebiet einen Wall zu errichten, erscheint höchst unsinnig, abgesehen davon, dass die kurze Zeit von Tagen, max. einigen Wochen kaum für ein solches Unterfangen ausgereicht hätte. Weniger unwahrscheinlich ist allerdings, dass von römischen Truppen in der Umgebung der römischen Hilfskastelle Rigomagus – Remagen und Antunnacum – Andernach in Rheinnähe Sperranlagen errichtet wurden, um die am Anfang des Aufstandes aus Mainz zurückflutenden Bataverkohorten oder die später vom Niederrhein gegen Mainz vordringenden Aufständischen aufzuhalten. Entsprechende Geländebefunde sind bis jetzt allerdings nicht nachgewiesen.
Römer, Franken, Kirchenfürsten
Nach Niederschlagung des Bataveraufstandes, Konsolidierung des niederrheinischen und Errichtung des obergermanischen Limes entwickelten sich Germania inferior und superior und Belgica unter fähigen Kaisern von Vespasian bis Hadrian von Dritte-Welt-Ländern zu wohlhabenden, erheblichen wirtschaftlichen Überschuss produzierenden Provinzen, in denen es sich gut leben ließ. Im sicheren Schatten des Limes verschwand allmählich jeder Gedanke an eine von außen drohende Gefahr. Dies sollte sich ab 235 n. Chr. ändern, ausgelöst durch die innenpolitischen Wirren unter den zahlreichen, meist sehr kurzlebigen Soldatenkaisern. Zunächst in einzelnen Gruppen, dann 259/260 und noch einmal 275 n. Chr. drangen germanische Stämme, die von den spätantiken Autoren der Einfachheit halber als „Franken“ und „Alamannen“ zusammengefasst wurden, in einer gewaltigen konzertierten Aktion in die germanischen Provinzen vor und schafften es raubend und plündernd teilweise bis nach Spanien zu gelangen. Auch die römischen Siedlungen und landwirtschaftlichen Güter im heutigen Kreis Ahrweiler waren davon weiträumig betroffen. Die Grenzverteidigung erwies sich als völlig unzureichend. Zwar schafften es die Kaiser Probus und Diokletian, die Germanen zu vertreiben und die Grenzverteidigung neu zu organisieren, aber der Erfolg ihrer Bemühungen war nicht von langer Dauer. Nach den verheerenden Franken- und Alamanneneinfällen 350 – 355 im Gefolge der Rebellion des Generals Magentius gegen Kaiser Constans (ein Sohn Konstantins d. Gr.) herrschten in den Rheinprovinzen Verhältnisse wie in Afghanistan am Ende des Sowjet-Imperiums. Römische Kultur und Verwaltung hielt sich nur noch im Umland der stark befestigten Städte, während sich auf dem flachen Lande germanische Siedler teils als Föderaten geduldet – dies ist für die Gegend um Trier und den Unterlauf von Maas und Rhein historisch belegt -, teils sicherlich unkontrolliert niederließen. Die nächsten 200 Jahre liegen weitgehend im Dunkel der Geschichte. Wir können aber heute davon ausgehen, dass sich nach Abzug der letzten römischen Grenztruppen 401 in den fränkisch besiedelten Gebieten allmählich regionale, von einzelnen „Warlords“ geprägte Machtstrukturen herauskristallisierten, wobei sich die Eroberungslust dieser Lokalfürsten nicht nur gegen die verbliebenen römischen Städte (Köln fiel z. B. 459 n. Chr. in fränkische Hände), sondern auch gegen die eigene und die alamannische Konkurrenz richteten. Denn die – und das ist eine relativ neue Erkenntnis – saß zusammen mit der römisch geprägten treverischen Bevölkerung links der Mosel in der Pellenz und im Maifeld. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich das junge, heranwachsende fränkische Staatsgebilde zunächst gezwungen sah, seine Territorialgrenzen gegen diese unliebsamen Nachbarn mit einer Landwehr zu sichern. Wenn man der Interpretation z. B. des Historikers Reinhard folgt, kann es um Trier zudem ein vom Niederrhein vertriebenen Franken gegründetes „Zwischenreich“ gegeben haben, gegen das sich die „Rheinfranken“ unter Childerich I und Chlodwig I schützen mussten. Viele Historiker neigen heute tatsächlich zu der Ansicht, dass der untere Moselraum erst zwischen 520 und 530 n. Chr. endgültig fränkisch wurde. Ebensogut ist der Landgraben aber auch als Gaugrenze unter der Herrschaft der Karolinger denkbar. Wie A. von Cohausen bemerkt, existierten von der Bretagne bis nach Sachsen zahlreiche Grenzwerke, „Limites“, die einzelne Markgrafschaften und Gaue voneinander trennten. Ein Erdwerk könnte daher also auch durchaus den historisch überlieferten „Ahrgau“ vom „Mayengau“ geschieden haben. Nach dem Zerfall des Frankenreiches bekamen Landwehren und steinerne Festungsbauten weiter Hochkonjunktur. Einschneidende Ereignisse in Mitteleuropa waren sicherlich die Ungarneinfälle in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts, die erst mit der Schlacht auf dem Lechfeld 955 endeten. Sie erzwangen ein Umdenken im Festungsbau. Hölzerne Burganlagen wurden vielfach durch steinerne ersetzt. Viele Dörfer erhielten Wehrkirchen mit steinernem Turm als Aussichtswarte und als Zufluchtsort für die Bevölkerung, Vorgänger unserer heutigen Kirchtürme. Aber auch langgestreckte, tiefgestaffelte Wall- und Grabenanlagen wurden im Gelände angelegt. Historisch ist dies z. B. für den „Ungarngraben“ im Hunsrück, aber auch für Moselweiß bei Koblenz verbürgt. Verteidigt wurden sie durch speziell ausgebildete, teilweise sogar neu angesiedelte Bauernkrieger. Denkbar ist daher der Landgraben also auch als vorgeschobener Verteidigungsriegel der Eifel-Herrschaften. Die Zersplitterung der weltlichen und kirchlichen Besitztümer im Hochmittelalter und das Fehde-Unwesen ließen die Zahl der Landwehren weiter steigern. Wenn wir uns fragen, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, seine Besitzungen in dieser Zeit überregional mit einer durchgehenden Verteidigungsanlage zu schützen, stoßen wir zwangsläufig auf die kurtrierische Herrschaft im 14. Jahrhundert. In der Figur des Trierer Erzbischofs Balduin (1307 -1354) finden wir einen skrupellosen Kirchenfürsten, der auch die weltliche Macht und das nötige Kleingeld hatte, um ein solches Vorhaben durchzusetzen. Historisch ist allerdings nicht für ihn, sondern für den Kurfürsten Werner von Falkenstein, einen seiner Nachfolger, belegt, dass er die trierischen Besitztümer zumindestens von Weißenthurm bis Mayen durch eine Landwehr schützen ließ. Mit Aufkommen der Feuerwaffen verloren Landwehren langsam ihre strategische Bedeutung. Neue Wallanlagen finden wir zur Zeit der großen Eroberungsfeldzüge in der Eifel (Pfälzischer Erbfolgekrieg, Dreißigjähriger Krieg) daher nur noch im Umfeld von militärischen Lagern, wie es z. B. für Mayen in der Limburger Chronik des Johannes Mechtel 1611 belegt ist.
Militär- und kulturhistorische Bedeutung des Landgrabens
Nach diesem Streifzug durch 1500 Jahre Geschichte am Mittelrhein muss die Frage nach dem Erbauer des Landgrabens insgesamt offen bleiben. Die Langmauer bei Trier als Abschluss des Landgrabens ist – wie schon erwähnt – als ehemalige Umfriedung einer staatlichen Domäne sicherlich spätantiker Herkunft. Die Orientierung des Landgrabens an der Südostgrenze des Kreises zwischen Laacher See und Rieden im Gelände unter Berücksichtigung von einzelnen exponierten Höhen – von denen eine bei Rieden den bezeichnenden Namen „Burgberg“ trägt – scheint sich gegen einen von Südosten kommenden Feind zu richten. Das könnte auf die spätantike – fränkische Periode hinweisen, schließt aber auch einen Verteidigungsriegel gegen von Osten vordringende ungarische Reiterscharen nicht aus. Andererseits spricht der ungefähre Verlauf zwischen kurtrierischen und kurkölnischen Besitzungen westlich von Mayen wiederum für die hoch- bis spätmittelalterliche Bauphase. Wenn wir Geschichte als kontinuierlichen Prozess begreifen, in dem nachfolgende Generationen auf den Leistungen früherer aufbauen, dann erscheint es aber gar nicht so unwahrscheinlich, dass am Landgraben vielleicht über Jahrhunderte hinweg gebaut worden ist – mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Ganz sicher war der Landgraben über die Jahrhunderte hinweg ein militärisches Sperrwerk, ein „Vorderer Rand der Verteidigung“, um es im Militärjargon auszudrücken. Der heutige Zustand lässt davon nur wenig ahnen. Aber es braucht nur wenig Phantasie, um sich seinen ursprünglichen Zustand zu vergegenwärtigen. Stellen wir uns einen steilen Graben vor, flankiert von einem Wall, beides so tief bzw. hoch, dass es von einem Pferd nicht durchschritten oder übersprungen werden konnte. Der Wall war zudem mit dem Stacheldraht der Antike und des Mittelalters – eng verflochtenem Weißdorn – oder Buchengebüsch – versehen. An besonders gefährdeten Stellen wurden auch Doppel- und Dreifach-Graben/Wälle angelegt. Die zum Feind gerichtete Seite war sicherlich in einem breiten Streifen gerodet worden, um ein unbemerktes Annähern zu verhindern, dazu kann man sich auf die Höhen hinter dem Wall gut hölzerne Wachttürme, auf Sichtweite angelegt, vorstellen, die zumindestens in Kriegszeiten ständig besetzt waren. Nur an wenigen Stellen waren für den Reiseverkehr Lücken, die im Ernstfall durch gefällte Bäume mit angespitztenÄsten wirksam gesperrt werden konnten.
Dass eine politisch-militärische Grenze auch zur Sprachgrenze werden kann, das haben wir Bundesdeutschen erst in jüngster Vergangenheit erfahren. Gerade eine Generation hat es gedauert, Spracheigentümlichkeiten wie den „Broiler“ (Brathähnchen Ost) entstehen zu lassen. Um wie viel größer muss dann der Einfluss auf Mundarten sein, wenn sich zwei Landschaften wie die Pellenz/das Maifeld hüben und der gebirgige Teil der Osteifel und Westeifel drüben sich anfänglich bevölkerungsmäßig (Treverer vs. Eburonen zur Eisenzeit, Alamannen vs. Franken am Übergang Spätantike/ Frühmittelalter), später dann machtpolitisch (unterschiedliche fränkische Gauherrschaften?, Kurtrier vs. Kurköln vom Mittelalter bis zur französischen Besetzung) über eineinhalb Jahrtausende unterschiedlich entwickeln? Gerade die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Herrschaften waren ja überaus bemüht, ihre Untertanen (meist unter Zwang) im Lande zu halten, denn aufgrund der niedrigen Bevölkerungsdichte, der hohen Säuglingssterblichkeit und der niedrigen Lebenserwartung bedeutete der Weggang eines waffenfähigen Mannes oder einer gesunden jungen Frau einen realen Machtverlust des Herrschers. Darüber hinaus können in einem solchen Zeitraum physikalische Grenzen auch zu psychologischen Barrieren werden, die die Bevölkerungsmigration zusätzlich erschweren. „Der kommt ja hinter dem Landgraben her“ (sprich: aus Hintertupfingen), war, wie Joseph Steinbach launig bemerkt, noch Ende des 19. Jahrhunderts ein geflügeltes Wort in unserer Region.
Wer meinen Ausführungen bis hierher gefolgt ist, wird mir sicherlich zustimmen, dass die berühmte Eifeler Völkerscheide wohl weniger am Vinxtbach, sondern im Verlauf des großen Landgrabens zu suchen ist. Auch wenn dieser als Politikum heute aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, sollten wir seine Historie nicht einfach ad acta legen. Vielmehr sollten sich Heimatforscher vom Laacher See bis nach Trier berufen fühlen, in Gemeinde- und Staatsarchiven mehr über seine Entstehungsgeschichte und seine Bedeutung für die Entwicklung der Eifel zu erfahren. Auch eine Bestandsaufnahme aller Reste im Gelände und eine Unterschutzstellung als Bodendenkmal tut m. E. dringend not. Vielleicht führt ja dann eines Tages ein Landgraben-Fernwanderweg vom Rhein nach Trier, auf dem man auf den Spuren fränkischer Ritter und trierischer Bischöfe wandeln kann.
Weiterführende Literatur:
- Joseph Steinbach’s „Führer zum Laacher See“, Sinzig ca. 1880.
- August von Cohausen, „Die Befestigungsweisen der Vorzeit und des Mit-telalters“, Wiesbaden 1898.
- Tacitus, „Historien“, in der Übersetzung von Helmuth Vretska, Reclam-Verlag, Stuttgart 1984.
- „Die Römer in Rheinland-Pfalz“, hrsg. von Heinz Cüppers, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1990.
- Lutz Grundwald, „Vom längsten Marsch der Weltgeschichte“, Vortrag, veröffentlicht in der Rhein-Zeitung, Ausgabe Andernach 27.03.1999.
- Fridolin Hörter, „Alte Wege und Landwehren westlich von Mayen“, Mayener Beiträge zur Heimatgeschichte, Heft 9, im Selbstverlag des Geschichts- und Altertumsvereins, Mayen 1999.