Der Gott der Christen und der moslemische Allah. Die türkisch-islamische Moscheegemeinde Sinzig
Eine türkisch-islamische Glaubensgemeinschaft gibt es in Sinzig bereits seit Anfang der 80er Jahre. 20 Jahre lang führte sie jedochein Schattendasein, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Mit den Terroranschlägen islamischer Extremisten am 11. September 2001 auf das World Trade Center in Manhattan und auf das Pentagon in Washington hat sich das jedoch grundlegend geändert: Hunderte Interessierte besuchten seitdem die Glaubensgemeinschaft und ihre Moschee, mit dem Ziel, aus erster Hand mehr über den Islam zu erfahren. Schüler des Rhein-Gymnasiums und der Janusz-Korczak-Schule Sinzig waren ebenso in der Moschee zu Gast wie die im Dezember 2003 in Bad Breisig gegründete Senioren-Initiative UHU (Unter Hundert). Die örtlichen Kirchengemeinden bemühen sich seit den Anschlägen ebenfalls verstärkt um einen Dialog der Religionen – auch um Bedingungen und Möglichkeiten eines gedeihlichen Nebeneinanders der Religionen auszuloten: Im Dezember 2003 besuchten Vikar Thomas Lauer und Firmlinge der katholischen Pfarrgemeinde St. Peter Sinzig die Moschee. Auch Erdmute Wittmann, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Remagen-Sinzig, setzte sich mit Interessierten in mehreren Veranstaltungen mit dem Islam auseinander. Gesprächspartner der Besucher waren Arif Kanpara, der im Mai 2004 zum dritten Mal für zwei Jahre zum Vorsitzenden des Moscheevereins Sinzig gewählt wurde, Selim Sen, Vorbeter der Moscheegemeinde, und sein seit Dezember 2002 amtierender Nachfolger Ali Kocar sowie der in Sinzig lebende Türkischlehrer Attila Doger.
Arif Kanpara | Selim Sen | Ali Kocar |
Immer wieder ging es bei diesen Besuchen um die Frage, ob der Gott der Christen und der moslemische Allah identisch sind, um den Kopftuchstreit und die Rolle der Frau im Islam, um das von Tierschützern kritisierte Schächten von Tieren bei der Schlachtung, aber auch um Klärung von Begriffen, die in der Diskussion nach dem 11. September immer wieder genannt wurden, beispielsweise um den Djihad, den im Islam geforderten unbedingten Einsatz des gläubigen Moslems für die Sache Allahs, um die Scharia als Idealvorstellung eines Gesetzes, das alle Lebensbereiche des Moslems regelt, und um die Fatwah, das islamische Rechtsgutachten, das zum Beispiel im Fall Salman Rushdies einem Todesurteil gleichkam.
Auch die Lokalpresse entdeckte das neue Informationsbedürfnis ihrer Leser, die mehr vom Islam und von den vor Ort lebenden Moslems erfahren wollten. Weitaus häufiger als vor dem 11. September 2001 machten die Medien die Sinziger Moschee und die türkisch-islamische Glaubensgemeinschaft zum Thema, und sie begannen, über Veranstaltungen der Moscheegemeinde und über die wichtigsten islamischen Feste und Feiertage – Zucker-, Opferfest und Ramadan – zu berichten. Ausbau und Modernisierung der Moschee sowie personelle Veränderungen im Vorstand des Moscheevereins wurden seitdem ebenfalls mehrfach zum Thema gemacht. Die Mitglieder der türkisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft der Barbarossastadt hatten sich seit Anfang der 80er Jahre zunächst in einem Wohn- und Geschäftshaus an der Mühlenbachstraße in Sinzig regelmäßig zum Gebet getroffen. Diese Gemeinschaft wuchs ständig, und die Räume in der Mühlenbachstraße wurden zu klein. Deshalb kaufte die Moscheegemeinde im Jahr 1991 den Gebäudekomplex der ehemaligen Traktoren-Werkstatt und -Handlung Hartmann an der Lindenstraße 45 in der Nähe des Bahnhofs. Um Sanierung, Ausbau und Unterhaltung der Moschee zu finanzieren, hat der Moschee-Verein einen Teil des Komplexes als Privat-Wohnungen und an einen Kfz-Händler vermietet. Eine weitere Wohnung stellt der Verein seinem Imam und dessen Familie zur Verfügung. Die heute etwa 100 Mitgliedsfamilien zählende moslemische Glaubensgemeinschaft aus Sinzig ist eine von derzeit etwa 1035 Moscheegemeinden Deutschlands, die der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) angeschlossen sind. Diese 1985 gegründete Anstalt, die eng mit dem Ministerium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei zusammenarbeitet und die ihren Hauptsitz in Köln-Ehrenfeld hat, ist unter anderem für den Einsatz der rund 400 hauptamtlich in den Gemeinden der DITIB in der Bundesrepublik tätigen Vorbeter zuständig. Aufgaben der Vorbeter sind die Leitung der fünf täglichen Pflichtgebete in den Moscheen, der Vollzug des islamischen Trauungsritus und das Erteilen von Koranunterricht.
Freitagsgebet in der Sinziger Moschee, 2004 Die DITIB berät die türkisch-islamischen Gemeinden in Deutschland darüber hinaus bei Bau, Erweiterung und Sanierung von Moscheen und sie beteiligt sich – beispielsweise in Sinzig – an der Finanzierung derartiger Vorhaben. Auf Antrag des Ausländerbeirats der Stadt Sinzig wurde im Jahr 2002 auf dem Friedhof der Stadt Sinzig an der Koisdorfer Straße ein moslemisches Gräberfeld ausgewiesen. Moslemische Grabstätten sind, anders als Gräber von Christen, aus religiösen Gründen auf Dauer angelegt. Mit der Friedhofsverwaltung im Rathaus hat die Moschee-Gemeinde deshalb vereinbart, dass Familiengräber zunächst für 30 Jahre gepachtet werden; danach können die Verträge um jeweils 15 Jahre verlängert werden. Anders als in der Türkei können sich die Grab-Eigentümer in Sinzig allerdings nicht als Eigentümer ins Grundbuch eintragen lassen. Im März 2002 wurde auf dem neuen Gräberfeld erstmals ein Mitglied der Sinziger Moschee-Gemeinde beigesetzt: der nach schwerer Krankheit im Alter von 34 Jahren verstorbene Erste Sekretär der Moscheegemeinde, Ziya Kemal. Mehr als 600 Türken aus dem gesamten Rheinland gaben ihm in einer Prozession von der Moschee durch die Innenstadt zum Gräberfeld das letzte Geleit. Weil die Eröffnung eines muslimischen Gräberfelds auf einem christlichen Friedhof zumindest in ländlichen Regionen Deutschlands immer noch etwas Außergewöhnliches ist, berichteten sogar türkische Fernsehsender und Zeitungen in Deutschland und in der Türkei über diese Beisetzung. Auf dem Sinziger Friedhof ruhen seitdem Verstorbene von mindestens drei Weltreligionen: Inmitten christlicher Grabstellen gibt es dort einen parkähnlich gestalteten jüdischen Bereich, der zwar nicht mehr belegt wird, der aber, einer bundesweiten Verordnung entsprechend, nicht eingeebnet, sondern dauerhaft von der Stadt gepflegt wird. Dass immer mehr türkische Moslems in Deutschland beerdigt werden möchten, ist für Arif Kanpara, den Vorsitzenden der Moschee-Gemeinde Sinzig, ein „Zeichen dafür, dass Deutschland für immer mehr türkische Moslems zur Heimat geworden ist, der sie auch nach ihrem Tod treu bleiben möchten.“