DER Geist VON AHRWEILER
VON THEODOR SEIDEN FADEN
Der Mosel mache beweglich, der Rheinwein besinnlich, der von den Hängen der Nahe gesprächig und laut, der Pfälzer hingegen schelme, der Ahrwein aber kläre ab und verwandle den, der ihn trinke, in einen Philosophen: so heißt es in den Landen um den Rhein, stromauf und stromab.
Das wollten drei Husumer, die zu Bonn studierten und auch nach dem dritten Semester die Tücken der rheinländischen Weine noch nicht kannten, feststellen und wanderten an einem heißen Frühsommermorgen von Sinzig aus nach Ahrweiler. Um die Vesperstunde kamen sie im Goldenen Stopfen an, der Schenke, die man ihnen empfohlen hatte. Sie lag neben dem Turme des Stadttores, und der rundliche Wirt katzbuckelte vor ihnen her, bis sie in der Ecke der Schankstube saßen. Ihre Stille, behauptete er, berge an so warmem Tage dreifachen Zauber und nötige selbst den Verächtern des Weines, verschrobenen Köpfen, die er nicht verstehe, einen Schoppen nach dem anderen auf.
Die Husumer schmunzelten und setzten sich behaglich um den runden Tisch. Es war nicht ihre Art, viel zu reden, und so bestellten sie kurzerhand, sich die rechte Grundlage für ihre Probe zu schaffen, Beefsteaks ä la Tatare. Die Köchin möge, setzten sie hinzu, reichlich Salz einstreuen, die Zwiebeln fein schneiden und dem Eidotter genügend Pfeffer einmischen: das reize die Zunge und mache durstig. Außerdem forderten sie eine Flasche Mosel — Brauneberger —, wenn er zu haben sei.
Gewiß bewahre sein Keller, versicherte der Wirt, Mosel, auch die gewünschte Marke; aber an der Ahr, meine er, müsse man zunächst Roten trinken, einen Burgunder, einen Rosenthaler oder einen Walporzheimer; den Mosel setze der Kenner später ein.
Sie seien keine Kenner, erwiderten die Husumer, und außerdem gewöhnt, daß ihren Wünschen entsprochen werde; also möge er den Brauneberger bringen! Da ging der Wirt, und die Drei, gewillt, dem windigen Rundling und seinem Keller mit dem ihnen eigenen Dickkopfe zu begegnen, blinzelten sich an. Sie blickten stumm umher, sahen die Blumen vor den Fenstern, an den Wänden alte Stiche mit Burgen, Ruinen und geisterhaften Erscheinungen, in der Ecke aber einen Ofen, dessen Eisenplatten die Legende vom Ritter Sankt Georg festhielt. Auf jedem der blankgescheuerten Tische stand eine Schale voller Malven oder Frührosen, und die Sonne spielte darüber hin, wie wenn sie sich der gemütvollen Sauberkeit der Stube freue.
Es dauerte eine Weile, bevor die Beefsteaks so weit waren; aber sie schmeckten, als der Wirt sie aufgetragen hatte, ausgezeichnet, nicht minder gut wie der Brauneberger, von dem sie bald die zweite und dritte Flasche bestellten. Nach dem Imbiß luden sie den Wirt ein, sich mit einem Glase zu ihnen zu setzen, und sehr bald löste der Wein ihre Geister: der Mosel, der beweglich macht. Die Dickköpfe tauten derart auf, daß es dem Wirt, einem erfahrenen Trinker und Menschenkenner, nicht schwer fiel, ihnen Wind ins Gesicht zu blasen, der ihm paßte. Wer klug sei, lege die Hand nicht zwischen Hammer und Amboß, und wer an die Liebe seiner Erben glaube, dem sei aller Witz geraubt; das Abtrocknen nütze kaum, wenn man nicht aus dem Regen gehe; diese und ähnliche Weisheiten wußte er witzig zu erläutern, und den Hu-sumern gefiel seine Art mit jedem Glase besser.
Sie ließen dem Brauneberger einen Martinstaler folgen, der um Eltville wächst, die Krescenz eines alten Weingutes, und spürten bald, wie dieser Rheinwein die besinnlichen Kräfte weckte. Ein großer Strom, versicherten sie, richte sich nicht nach dem Bette, und der beste Doktor sei die Zelt, die sicherste Mauer die Ewigkeit; zu Husum aber heiße es, selbst ein schlaues Huhn lege schon einmal in die Brennesseln.
Da der Wirt auch mit einem Nahewein aufwarten konnte, einem Schloßböckelheimer Riesling, ist es nicht verwunderlich, zu hören, wie den Husumern die Stimmen allmählich lauter klangen, sie auch dem Wirt glaubten, daß im Turm neben der Schenke ein Geist hause, der jede Mitternacht erscheine und sich nicht scheue, selbst den Stärksten unter den Tisch zu werfen.
Die Sonne war langsam verschwunden, und die Dämmerung wob ihre Geheimnisse. Die Husumer aber lachten und meinten, einen Geist fürchteten sie kaum; sie seien noch lange nicht fertig und ihre Kraft reiche über die Mitternacht hinaus, sofern der Keller es zugebe; sie müßten nach dem Nahewein den Pfälzer und dann den von der Ahr versuchen, festzustellen, ob er wirklich den Philosophen entfache, der jenseits aller Zufälligkeiten das Unveränderliche schaue. „Wir Husumer, die gewohnt sind, mit dem Meere zu ringen“, beteuerten sie, „machen die Probe; wir bannen den Geist und kehren ihn aus. Zeigt uns den Weg in die verrufene Kammer. Dort trinken wir weiter.“ Der Wirt, ein rechter Schelm, dem der geschorene Kopf rot und prall auf den breiten Schultern stand, meinte zwar, wer den Teufel einmal geschifft habe, müsse ihn immer fahren. Doch die Husumer lachten, und so ging er mit ihnen, als es dunkelte, aus der Stube über den Flur zu der Treppe, die in die Turmkammer führte. Er schritt voran und stellte drei Lichter auf den Tisch, Kerzen in silbernen Leuchtern, brachte die Gläser und einen Pfälzer, und die verhalten gekommen waren, scherzten und sprachen bald gegeneinander, als wären sie zu Kreuznach an der Nahe oder in einem Pfälzer Dorfe und nicht in dem schweigenden Husum jung gewesen.
Während die zehnte Stunde schlug, riefen sie dem Wirt, der sich geheimniskrämerisch zurückgezogen hatte, die Treppe hinunter zu, der Weiße schmecke nicht mehr; er mache zu laut; sie wollten den roten Philosophen probieren, und zwar gründlich!
Der Wirt beeilte sich und stellte Ihnen drei Flaschen Walporzheimer Domley hin. Die Turmkammer war hoch und weit, der viereckige Eichentisch streckte die Füße aus und die Stühle standen auf wuchtigen Stempeln. Bei dem hellen Kerzenscheine sah der Wirt, wie den Husumern die Augen leuchteten, daß ihre Stirnen glühten und die Schnurbärtchen sich kecker über den Lippen bewegten. Sie meinten, er solle nicht knausern, gaben ihm einen ordentlichen Batzen Geld und brüsteten sich, falls sein Keller wirklich weltmännischen Ansprüchen genüge, möge er einen Champagner nachholen und auf den Geistertisch stellen, selbstverständlich im Kühler: der Champagner, das Edelgut Frankreichs, kröne die Fahrt durch die Weinkarte und stärke das Herz gegenüber dem Geiste, der im Turm hause. Der Wirt hatte gleich gesehen, daß der Betrag seine Rechnung selbst dann überstieg, wenn die Husumer die Nacht durchhielten, und deshalb schabte er Ihn schnell in die Lederkatze, verschwand und brachte nach einer Stunde den Champagner. Da er seinen Stopfen knallen ließ, sprangen die Husumer auf, schlugen sich über die Oberschenkel und tanzten um den dicken Wirt als den Gott des Weines, wie wenn sie ihm beim Lichte nächtlicher Kerzen zu huldigen hätten. Der Wirt hatte Mühe, den kostbaren Wein in die Kelche zu gießen, und als es geschehen war, zog er es vor, sich den stürmischen Ergüssen zu entziehen.
So saßen die Husumer bald wieder allein. Sie steckten frische Kerzen auf und beobachteten, wie der Champagner rauschte und Schaum und Perlen kräuselten. Es war, als gäben Kobolde sich ein Stelldichein, und die Feiernden tranken sich langsam, fast andächtig zu, nahmen vorerst nur einen Spritzer auf die Zunge und zogen, nachdem sie gekostet hatten, lebhafter. Da merkten sie bald, daß dem Franzosen der Teufel im Nacken sitze: so behauptete wenigstens der Älteste, der die Rechte studierte. Der Zweite — er war Philologe, Altsprachler — erwiderte, wenn Homer ihn gekannt und getrunken hätte, wären die Gesänge der llias und der Odyssee knapper, woraufhin der Dritte, ein Theologe, versetzte: Sankt Paulus würde, wenn ihm Champagner begegnet wäre, auf den Römerbrief verzichtet haben! Sie merkten natürlich nicht, wie allmählich die Gedanken umständlicher und die Zungen schwerer gingen, spürten dagegen wohl, daß ihnen er Kopf zu brummen begann und ein leister Frost den Rücken hinauf kroch. Gleichzeitig kämpften ihre Augenlider gegen den Strahlenkranz der Kerzen. Sie klappten auf und nieder, und schließlich geschah es, daß sich ihren tastenden Blicken die drei Lichtzungen — dem ruhigen Auge brannten sie still und besinnlich, wie es Kerzen geziemt —, zu einer Flamme vereinten, die ihnen als Brand erschien: da schlug die Glocke des Kirchturmes die mitternächtliche Stunde.
Was sich dann zutrug, kann nur als Bericht wiedergegeben werden, den die Studenten später zu Husum — nicht in Bonn — vortrugen, wenn sie gemeinsam einen Kreis von Lauschern mit dem Rhein und seinen Tücken bekanntmachten. „Als die mitternächtliche Stunde schlug“, erzählten sie abwechselnd, indem einer dem anderen das Garn des Wortes spann, „als die mitternächtliche Stunde schlug, da fuhr eine geheime Tür der Kammer auf, die wir bis dahin nicht gesehen hatten, und das Ungeheuer glitt herein. Es war entsetzlich anzuschauen, aschfarbig im Gesichte, trug graue Sackkleider und schlurfte, wie wenn ihm Nußschalen unter den Füßen hingen. Hinter ihm her fegte ein langer Zopf, und die Nase saß wie ein roter Karfunkel über dem breitlippigen Munde. Auf der Schulter hockte ein schwarzer Kater, und der fauchte mit gekrümmtem Buckel in merkwürdigem Takte zu dem Geklapper der Nußschalen. Das Ungeheuer trat an den Tisch und donnerte mit hohler Stimme: es sei unerhört, zu solcher Stunde in der grauen Kammer zu lärmen und zu trinken, zumal von Burschen, die kaum zur Welt hinein blickten und sich blähten wie Pfauhähne; sie hätten, auch in Ferientagen, nachts zu schlafen, um am Tage mit rechtem Fleiß wandern oder arbeiten zu können; wer das Recht auslegen und pflegen wolle und ein Saufaus sei, stehe blind, selbst vor dem gesottenen Sünder, und wer den Champagner lobe und den Homer oder den Römerbrief schmähe, sei auf dem Wege, ein Hauptnarr zu werden, ein Dummshirn, das sechzehn Semester verbummele und ohne Staatsexamen heimkehre!“
Der Geist habe, behaupteten sie übereinstimmend, schnell, aber dumpf, gesprochen, und von einem Weinschlauche berichtet, einem Säufer, dem infolge des Trinkens ein starker Fluß das Licht des rechten Auges genommen habe; gleichwohl habe er — trotz dem Arzte — weiter gezecht und diesem, als er ihm gedroht habe, auch das linke Auge werde er verlieren- falls er sich nicht mäßige, erwidert, er wolle lieber die Fenster als das Haus einbüßen; gesehen habe er genug, tausendmal den Himmel, die Erde und das Meer; aber die Zunge zu ergötzen, seien noch viele Weine übrig, und sie schenke jedes Jahr neu, und der Kerl, der Luderjahn, habe getrunken und sei im Rausch gestorben, lange vor seiner Zeit. An dieser Stelle legten sie in ihrem Bericht eine Pause ein, zu sehen, ob man ihnen glaube, und wenn das zutraf, fuhren sie fort: Auch die steinharten Köpfe der Husumer seien dem Weine nicht gewachsen; sie hätten ihn verunehrt, und das müsse bestraft werden! So habe der Geist die Predigt geschlossen und sie — die armen Trinker — gepackt. „Mich, den Ältesten“, versicherte der Jurist, „nahm er an Kragen und Hosenboden und warf mich unter den Tisch.“ „Mir, dem Jüngsten“, beteuerte der Philologe, „schnürte seine dürre Faust die Kehle, so daß ich hintenüber vom Stuhle fiel und liegen blieb.“ „Und ich“, stöhnte der Theologe, „hatte, erschreckt, als ich das sah, die Beine ausgestreckt, und da trommelte mir das Ungeheuer den Bauch ab, wie wenn es gelte, eine Kompanie Soldaten zum Sturm zu führen. Ich spürte den Atem des Katers, rutschte vom Stuhl auf die Erde und verlor allmählich die Sinne.“ Die Kammer, ergänzten sie den Bericht, habe geseufzt und gewinselt und eine Stunde hindurch gekeucht und geschnauft. Sie hätten geglaubt, es sei ihre letzte: da habe der Glockenturm die erste Stunde des neuen Tages geschlagen, woraufhin der Geist jedem von ihnen einen Fußtritt versetzt habe und verschwunden sei. So berichteten, wie gesagt, die drei Studenten später zu Husum und nicht in Bonn, was verständlich ist.
Jedenfalls lagen sie, als der Wirt morgens kam, nach ihnen zu sehen, wie tot am Boden, und die Kerzen waren ausgebrannt. Das vertropfte Wachs hing an den Leuchtern, die Flaschen standen leer und die Gläser halbgefüllt. Der Wirt verzog das Gesicht zu einem breiten Lachen und ging leise, wie er gekommen war, wieder zurück. Erst nachmittags stieg er hinauf, sie zu wecken, und da rekelten sie sich mit bleichen Mienen von dem harten Lager In die Höhe, hielten sich an den Stühlen fest und gestanden dem Wirt, nun sei der Geist doch über sie gekommen, und nie hätten sie bisher eine Gewalt solcher Art gespürt; sie würden es nicht noch einmal wagen, ihn zu bannen. Als sie, wortkarg und beschämt, die Zeche begleichen wollten und hörten, das sei bereits geschehen, wunderten sie sich; denn niemand von ihnen erinnerte sich der blanken Taler, die sie dem Wirt auf den Tisch der Kammer gelegt hatten. Sie ließen sich starken Kaffee kochen und zogen ihren Weg.
Daß er Geist nichts war als der Katzenjammer, der auch den stärksten Mann anfällt, wenn er auf Mosel Rheinwein trinkt, diesem den von der Nahe, ihm den Pfäl-zer und dann den Roten, allen aber den Champagner, den Franzosen, folgen läßt, merkten sie erst am Tage nachher. Sie hatten die Wirksamkeiten der einzelnen Sorten gespürt, die Probe, deretwegen sie ausgezogen waren, also hinter sich, und es war eine Lust, zu hören, wie sicher selbst diese Husumer sie auseinander hielten. Sie waren, den Rausch endgültig zu verlieren, von Ahrweiler auf Nürburg zu gewandert, hatten dort übernachtet und schwuren, als sie, wieder völlig klaren Kopfes, von der Berghöhe aus nach Ahrweiler hinunter blickten, den Geist nicht noch einmal versuchen zu wollen; er sei wirklich ein Teufel, der auch den Ungläubigen an die Hölle glauben lasse! Ob sie dem Schwüre treu blieben, wird nicht berichtet, aber bezweifelt; denn wer in Bonn studiert und nicht ab und zu den Geist, das Ungeheuer der grauen Kammer, versucht, ist nur ein halber Student. Die Art aber, in der die drei Husumer später ihre Begegnung mit dem Geiste wiedergaben — zu Husum, wie gesagt, und nicht in Bonn — läßt vermuten, daß sie ganze Studenten waren, weil es nicht möglich ist, die erste und einzige Begegnung mit einem Gespenste so klar wiederzugeben, wie es Ihnen gelang.