Der Erfolg

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Der Erfolg*)

Eine Parabel

von Theodor Seidenfaden

Um die Zeit der Sommersonnenwende, in welcher die längsten Tage, die kürzesten Nächte das Land überwandern, geleitete der Meister, der große Weise, einen Jünger von seinem Waldheime fort auf den Weg zu der fernen Stadt.

Es war später Nachmittag, und der Mischwald, der die Getreideäcker der Ebene säumte, lag sommerstill. Im Gras unter den Birken und Haselsträuchern, selbst unter düsteren Tannen leuchteten die weißen Blütensternchen der Vogelmiere. Hier und da winkten die Zwergenhütchen von Walderdbeeren, und der Meister spürte wie der Jünger die satte Fülle der Schöpfung.

Da fragte der Jünger, der den Morgen und den Mittag über mit dem Weisen auf der Terrasse des Waldheimes wie so oft um Rätsel des Lebens gerungen hatte, nach dem, was er vom Schriftsteller halte.

„Der wertvolle Schriftsteller“, sagte der Weise, „ist ein Mann, welcher der Volkheit geistig Eigenes zu sagen hat — ohne Gelehrter, aber auch ohne Dichter sein zu wollen. Der Schreiher sind zahllose, der Schriftsteller wenige. Ich könnte die heute lebenden an den Fingern meiner Rechten aufzählen.“ „Und was meinst du vom Dichter?“ „Er setzt“, fuhr der Weise fort, „seinem Volke das Bild, indem er seine Seele Wort werden läßt. Das Wort aber ist hohes Heiligtum. Der Schriftsteller, den ich ernst nehme und der Dichter leben im Geistigsten: sie schenken einem Volke das Unvergängliche.“ „Demnach müssen sie“, meinte der Jünger, „Außenseiter sein!“ Der Weise lächelte.

„Sie sind es, stets und bei jedem Volke. Nur den Zeiten geschlossener Gesittung erscheinen sie nicht als solche. Die sind jedoch selten, bei welchem Volke du nach ihnen suchen magst.“ „Warum müssen die Schriftsteller deiner Art und der Dichter das sein, was du Außenseiter nennst?“ fragte der Jünger. „Ein Acker, der Getreide will reifen lassen, kann nicht Rummelplatz des Jahrmarktes werden, eine Seele, die Ewigem dienen muß, nicht schillerndes Glasperlenspiel. Ein Geist, den der Ruf des Innern nötigt, zu lauschen, auf daß nachher sein Wort binden, bilden, bauen kann, darf nicht in schwankem Rohrgerüst schwingen. Eine solche Seele hat sich zu bewahren: Nur dann ist sie stark genug, begnadet zu bleiben. Wer dem Himmel in sich Luft läßt, dem wird die Musik des Geheimnisses klingen.“ Der Meister hatte lebhaft gesprochen. „Dann muß das Leben des Schriftstellers, des Dichters“, meinte der Jünger, „schwerer sein als das der anderen.“

„Du sagst es“, versetzte der Meister und fuhr ruhiger fort. (Es ist dreifach schwer während der Zeiten tiefer Unsittlichkeit und Roheit. Wir erleben eine solche, und ihre sogenannten Wunder wollen vergiften.“ „Warum betonst du“, fragte der Jünger zurück, „daß dem Schriftsteller und dem Dichter .das Leben heute noch schwerer ist denn sonst?“ „Die Doppelgänger“, erwiderte der Weise, „verdrängen sie, rauben ihnen das Mögliche des Wirkens: Literaten. Das sind Männer und Frauen, welche des Erwerbs wegen mit unzulänglichen Kräften, doch mit genauer Kenntnis des die Menge Fesselnden Schriften und, Bücher herausgeben, die nicht fordern sondern berauschen, einschläfern, täuschen. Wie sie sich selber einschätzen, ergibt sich aus dem Beiwort .erfolgreich‘, das sie sich zulegen. Ein wertevoller Schriftsteller, ein ‚wirklicher Dichter können nie erfolgreich sein. Sie leben ihrer Zeit voraus, und beide rechnen nur auf die Auslese der Nation. Sie aber umfaßt einen kleinen Kreis. Bedenke das Wort des Aristides, jenes Griechen, der die Sechs heiligen Reden und die ,Lobreden auf Gottheiten und Städte‘ hinterließ.“ „Und welches Wort meinst du?“ „Als ihn, der 7war kein Dichter, der vielmehr Schriftsteller war, nach einer Rede seine Zuhörer beklatschten, fragte er betroffen: ,Sollte ich etwa eine Dummheit gesagt haben, Freunde?‘ Zu dieser Frage veranlaßt jeden Höherstehenden heute — der Erfolg: der Menge Beifall.“ Der Jünger schwieg — fast betroffen, und der Meister schritt ruhig neben ihm. Sie näherten sich dem Ende des Waldweges und sahen, wie aus dem gilbenden Getreide der feuerrote Mohn durch das gemachsame Wogen der Halme lohte. Nach einer Weile stummen Schreitens fuhr der Meister fort:

„Die Welt ist geordnet, wie dieser Juninachmittag dich schauen läßt. Nur die Menschen sind es nicht. Bloße Worte wie sie Literaten entsprechen, können nicht -— ich wiederhole —, binden, bilden, bauen. Nur solche Worte gelten, die wie ein Becher mit dem Abglanze des Ewigen gefüllt sind. Sie kommen von innen, sie gehen, nach innen: sie wecken das wahre Leben. Alles Äußere — wußten, die alten Weltdeuter —, spiegelt ein Inneres. Sie schauten, daß aus der verborgenen Werkstatt der Natur nichts hervorgehen könne, ohne daß sein Geprägtes Rechenschaft ablegt von der Tugend, die ihm innewohne, Tugend aber ist das Trächtige, das, was zeugt. Wer still sein kann, wird das Geheimnis empfangen, auferstehen und leuchten, sobald seine Stunde da ist. Der Stille ist der Künftigere: Er meidet den Erfolg, weil er um sein Heiligtum fürchtet.“

Mit diesen Worten erreichten sie das Ende des Waldes.

Der Meister schritt zurück, und jenes Offenbaren war seinen Sinnen lebendig, dem der Mangel an geistigem Wagemut Tod des Lebens wäre. Da gab der Jünger dem Meister die Hand, dankte ihm umfangenden Blickes und ging den Weg, der durch die satten Äcker der Stadt zuführte. Sie lag zwei Fußstunden weit fort, und ihre Türme winkten wie fließendes Ferngold im Sonnenstrome des Nachmittages.

Er war bartlos, schritt trotz des schneeweißen Haarkranzes zukunftbeseelt und sagte zu sich selber: daß der Himmel im Menschen etwas tue, zeige der selige Nachmittag; was er aber im Besonderen tue, bleibe verborgen!

Und er freute sich an den winzigen Blütensternchen der Vogelmiere, wie wenn er sie eben entdecke.

*) Aus dem unveröffentlichten Buch „Der Goldene Schrein“. Kleine Geschichten für jedermann.

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