Der Bergsturz am Unkelstein anno 1846
Der Bergsturz am Unkelstein anno 1846
Hans Kleinpass
Am 20. Dezember 1846 ereignete sich bei Oberwinter am Rhein, dem Städtchen Unkel gegenüber, unterhalb vom Birgeier Kopf am Unkelstein ein gewaltiger Bergrutsch. Das ganze Gebiet schien in Aufruhr geraten zu sein, das Erdreich hob sich in teilweise beachtlichem Umfang, und die am Rhein entlang führende Köln-Mainzer Staatsstraße war auf einer Länge von über 400 Metern verschüttet, die Durchfahrt damit zunächst unmöglich gemacht.
Der Name „Unkelstein“
Seit vielen Jahrhunderten gibt es die Bezeichnung „Unkelstein“, abgeleitet von dem auf der anderen Rheinseite gelegenen Städtchen Unkel. Man verstand darunter sowohl die linksrheinisch gegenüber Unkel gelegene Bergregion mit den früheren Basaltsteinbrüchen, als auch die dort bis in den Rhein sich hinziehenden Basaltsteine, die man als solche allgemein auch „Unkelsteine“ nannte. Benediktinermönche der Abtei Siegburg, welche dem Wunsch der Bewohner von Remagen entsprechend im 12. Jahrhundert auf dem damaligen Martinsberg (heute: Apollinarisberg) eine Propstei, d.h. eine klösterliche Niederlassung einrichteten, hatten nach einer Urkunde von 1117 auch das Recht zum Fischfang im Rhein „iuxta Vnkelstein“, d.h. bei Unkelstein.1) Schon im 12./13. Jh. werden Weinberge am Unkelstein urkundlich erwähnt. Als 1586/87 hinter dem kurfürstlichen Zollhaus in Bonn eine Windmühle erbaut wurde, ließ man für den Bau des Mühlengebäudes auch viele Schiffsladungen „Unckelsteine“ aus Oberwinter kommen.2) Mehr oder weniger ausführliche, teilweise recht interessante Angaben zu diesem Thema finden sich in nahezu allen Reiseführern, soweit sie sich mit diesem Teil der Rheinstrecke befassen. Gregor Lang berichtet 1790 auch von seiner Wanderung am Unkelstein entlang und erwähnt den „im Rhein emporstehenden berüchtigten Unkelstein“ sowie die ungefähr 60 Schritte von der Landstraße entfernt „im Abhange des Berges liegende Steinkaule, wo dieser Basalt in einer unerschöpflichen Menge gegraben wird, (…) und in Bonn und Köln zum Straßenpflaster dienet“.3)
Bei diesen umfangreichen Basaltvorkommen, die sich von den linksrheinischen Steinbrüchen unter der Staatsstraße her bis ungefähr in die Mitte des Rheines hinzogen, unterschied man seinerzeit den großen und den kleinen Unkelstein. Der „große Unkelstein“, eine große und mächtige Gruppe von Basaltsäulen, stand einst etwa 55 Fuß (rd. 17 Meter) vom Ufer entfernt im Rhein und ragte auch bei hohem Wasserstand noch weit aus dem Wasser. Wurzer berichtet 18054), als die Franzosen das Rheinland besetzt hatten, die Französische Regierung habe „vor einigen Jahren“ alles, was vom größeren Unkelstein der Schiffahrt hinderlich war, zerstören lassen. Offenbar wurde auch später noch wiederholt an dieser für die Schiffahrt gefährlichen Klippe gearbeitet. Selbst der früher am Ufer sich hinziehende „kleine.Unkelstein“ war bei niedrigem Wasserstand für die Schiffahrt nicht ungefährlich.
Drohende Vorzeichen der Katastrophe
Der verheerende Bergsturz, der sich am 20. Dezember 1846 am Unkelstein ereignete, kam keineswegs aus heiterem Himmel. Lange zuvor hatte es hier an den verschiedensten Stellen deutliche Anzeiche dafür gegeben, daß Teile des Berges in Bewegung geraten waren. Jahrhunderte hindurch war hier in den Steinbrüchen Basalt gebrochen und am Rheinufer auf Schiffe verladen worden. Nach und nach hatte der Berg offenbar dadurch seinen gewachsenen Halt und das Gleichgewicht verloren. Auch aus den im Landeshauptarchiv Koblenz überlieferten Akten5) geht eindeutig hervor, daß dieser gewaltige Bergrutsch nicht völlig unerwartet kam. Abrutschungen vom oberen Berghang, die dort auch schon in früheren Jahrhunderten vorgekommen waren6), hatten nach den übereinstimmenden Äußerungen der Steinbrecher erneut 1844 begonnen und sich allmählich verstärkt. Schon im Januar 1846 hatte es „Emporhebungen“ auf der Staatsstraße gegeben, und auch danach hatte man wiederholt Risse und Spalten in der Fahrbahn aurfüllen müssen und Hebungen abgetragen. Sogar Teile der rheinseitigen Stützmauer an der Staatsstraße mußten deswegen im Sept./Okt. 1846 auf einer Länge von 274 Fuß (rd. 86 Meter) erneuert werden. Beim Neubau dieser Stützmauer waren seinerzeit die unterhalb gelegenen Weinberg-Pflanzungen des Erzbischöflichen Klerikal-Seminars zu Köln kräftig geplündert worden. Seminar-Pendant Gruben beantragte deshalb am 7. Dezember 1846 bei der Regierung in Koblenz eine „angemessene Entschädigung“ für den erlittenen Traubenverlust und lieferte auch eine durchaus glaubhafte Begründung. Im Gegensatz zu den übrigen Weinbergen hatte man den Seminar-Weingarten während der Mauerarbeiten nicht absperren können, „was bei der weit vorgerückten Trauben-Reife umso gefährlicher und verlockender war, da hier stets viele Schiffe an dieser Stelle zum Stein-Einladen bereitliegen“, so Pendant Gruben. Auf Anraten des Gemeinde-Vorstandes von Oberwinter hatte man vorsorglich durch zwei Flurschützen den Traubenvorrat vor Beginn der Mauerarbeiten und zu Beginn der Weinlese den Verlust aufnehmen lassen. Dabei hatte sich schließlich herausgestellt, daß 215 Rebstöcke „von Trauben ganz entleert“ und viele Rebstöcke beschädigt waren. Der Verlust war nach Angaben des Rendanten auf über eine Ohm Wein (rd. 150 Liter), der Gesamtschaden auf 24 Reichstaler abgeschätzt worden, „wovon die Hälfte den armen hartgedrückten Winzer Peter Monschau in Oberwinter mitbetrifft, welcher das Seminar-Weingut für den halben Ertrag bearbeitet, der also diesen Schaden nach so vielen Fehljahren im gegenwärtigen günstigen Jahre um so schmerzlicher empfindet. Denn seit 1834 hat es Jahre gegeben, worin auch nicht einmal die auf dem Boden des Guts lastende Staats- und Communalsteuer gewonnen und doch abgetragen worden ist.“ Ob nun „für den durch den fraglichen Mauerbau (…) erleichterten Trauben-Raub“ eine Entschädigung gewährt wurde, geht aus diesen Akten nicht hervor.
Nach einem sehr trockenen Sommer war Mitte Dezember 1846 Frostwetter eingetreten und bereits ziemlich viel Schnee gefallen. Am Morgen des 18. Dezembers war das Thermometer auf -15 Grad gesunken, aber noch am gleichen Tag stieg die Temperatur so sehr an, daß am 19. Dezember Tauwetter eintrat. In einem Bericht, den der Wegeaufseher Bürger aus Remagen am 15. Dezember 1846 an den Wege-Baumeister Schmülling in Koblenz schickte, heißt es, der Berg am Unkelstein habe sich in den letzten acht Tagen, besonders aber seit dem 10. Dezember dermaßen erschüttert, daß die im Herbst 1846 erneuerte Futtermauer am Rhein teilweise einzustürzen drohe und die Straße dadurch kaum mehr passierbar sei. Noch bedrohlicher klang der Bericht, den der Beigeordnete Johann Adolph Eckertz aus Oberwinter am 19. Dezember 1846 nach Koblenz schickte. Darin hieß es, beim Nummernstein 5,85 sei die Chaussee derart gerissen, daß sie jeden Augenblick einzustürzen drohe. Der Riß sei etwa 15 Ruthen (= 56,49 Meter) lang und mitunter drei Fuß (= 0,94 Meter) tief. Weiter schrieb Eckertz: „Es sind mehrere Menschen und Fuhren dort beschäftigt, um die Chaussee nächst dem Berg zu erweitern, damit wo möglich die Passage nicht unterbrochen wird. Jedenfalls aber muß Morgen Sonntag durchgearbeitet werden, so wie diese Nacht Wächter anzustellen sind; auch ist ein Nothgeländer eiligst zu machen, welches ich mit dem Aufseher Bürger abgesprochen habe, damit Unglücksfällen möglichst vorgebeugt werde.“
Der Bergsturz bei Oberwinter am 20.12.1846, nach der Natur aufgenommen
und auf Stein gezeichnet von Adolf Lasinsky, 1846
Der Bergsturz
Schon bald sollte sich zeigen, wie berechtigt die Vorsichtsmaßregeln gewesen waren. Nur wenige Stunden später geriet der Berg am Unkelstein in der Frühe des Sonntagmorgens am 20. Dezember 1846 gegen 5 Uhr vollends aus den Fugen. Der Remagener Bürgermeister Johann Adam Deinet hatte schon bald durch einen Boten vom „Einsturz des sogenannten Unkelsteins“ erfahren, war sofort dorthin geeilt und hatte sich davon überzeugt, daß „derselbe sich von dem mit ihm zusammenhängenden Berge in einer Länge von über 100 Ruthen getrennt“ hatte. Nach heutigen Maßen waren das über 377 Meter. Noch am gleichen Tag gegen 10 Uhr schickte Deinet einen schriftlichen Kurzbericht an die Regierung in Koblenz. Danach hatte der Bergsturz gegen 5 Uhr morgens stattgefunden. Ein Frachtwagen wurde „unter den Basalttrümmern begraben“, Fahrer und Pferde sowie ein Teil der Fracht gerettet. Weiter heißt es: „Die Passage ist gehemmt, und hat sich die Straße um 15 Fuß (rd. 4,71 Meter) gehoben. Es poltert unter der Erde fortwährend, daß solches ganz furchterregend ist.“
Der Beigeordnete Eckertz von Oberwinter hatte noch am Unglückstag „über die Verschüttung eines Frachtwagens durch den Bergfall am Unkelstein“ ein schriftliches Protokoll angefertigt. Der Hauptbetroffene, Fuhrmann Georg (laut Unterschrift: Jörg) Pfitzenreuter aus Breitenbach bei Nordhausen/Kreis Worbis, 36 Jahre alt, erklärte: „Gegen halb fünf heute Morgen fuhr ich mit meinem Wagen von Oberwinter; als ich oberhalb von Oberwinter war, ungefähr Unkel gegenüber, erschütterte sich die Erdmasse der Chaussee der Art, daß mein Wagen gleich auf eine Seite fiel, und ich nur mit Mühe die Pferde abspannen konnte; ich ließ gleich Hilfe von Oberwinter kommen, um die Ware zu retten, aber es konnten leider nur einige wenige gerettet werden, indem von Amtswegen der Zugang zu meinem Wagen wegen der zu befürchtenden Lebensgefahr verboten wurde. Mein Wagen liegt unter dem Basalt des heruntergestürzten Unkelsteins (…) begraben.“ Zwei Minuten vor diesem Unglück, so gab er an, habe noch die Schnellpost den Weg passiert. Nach Angabe des Fuhrmanns waren außer dem Wagen noch zwei Kisten mit Jodine und Eisenwaren, ein Ballen Baumwollware und einige Kupferrohre unter den Erd- und Steinmassen verschüttet. Als Zeugen benannte der Fuhrmann seinen Bruder Heinrich, 34 Jahre alt, ebenfalls Fuhrmann aus Breitenbach, ferner den Johann Gelen, 44 Jahre alt, Frachtfuhrmann aus Siegburg, den Conrad Zils, 22 Jahre alt, Frachtfuhrmann aus Spai, sowie mehrere von der Polizeibehörde beauftrage Wächter. Joseph Kriechel, 29 Jahre alt, Maurer in Oberwinter, war einer der Wächter gewesen, hatte aber nur den weitgehend verschütteten Frachtwagen gesehen. Auch Georg Monschau, 30 Jahre alt, Winzer aus Oberwinter, war als Wächter am Unkelstein eingesetzt worden und hatte am Vortag noch Dienst dort getan. Er gab bei seiner Vernehmung an, die Fuhrleute hätten sich viele Mühe gegeben, dem von Koblenz nach Köln fahrenden Schnellpostwagen am Unkelstein vorbei zu helfen.
Zeichnung des Bergsturzes bei Oberwinter am 20.12.1846 von Adolf Lasinsky
Landrath Schrauth hatte an diesem 20. Dezember 1846 erst gegen 16 Uhr die entsprechende Nachricht des Beigeordneten Eckertz aus Oberwinter erhalten, sich aber wegen des hohen Schnees und des plötzlichen Tauwetters erst am Montag, dem 21. Dezember, „in aller Frühe“ zum Unkelstein begeben können. Sein ausführlicher Bericht vom 22. Dezember 1846 enthält eine zusammenfassende Darstellung der Ereignisse und weitere Einzelheiten. Auch der Landrat erwähnt, daß kurz vor dem Bergsturz die von Koblenz kommende Schnellpost mit Hilfe einiger Fuhrleute noch glücklich an der Gefahrenstelle vorbeigekommen sei. Nach seinem Bericht über den verschütteten Frachtwagen heißt es weiter: „Das Heben der Chaussee sowie auch des daran grenzenden Vorplatzes der Basaltgruben währte bis 4 Uhr Nachmittags fort und sind ungefähr 100 Morgen Erdreichs, wenn nicht gar mehr in Bewegung gesetzt worden. Basaltfelsstücke, welche vorher auf dem Vorplatze der Gruben lagen, befinden sich jetzt 30 Fuß (= 9,42 Meter) und noch höher über ihrem früheren Lagerplatze, ebenso gewahrt man in dieser Höhe bei näherer Betrachtung einzelne Schollen mit den darauf befindlichen Karrengeleisen, die früher einen Teil des Weges bildeten, der von dem Vorplatze zu dem inneren Bruche führte. Das Herabrutschen des Berges nach Remagen zu währte noch in der Nacht vom Sonntage auf Montag fort.“ Über den Grund des Bergsturzes gab es natürlich die verschiedensten Ansichten. Im Bericht des Landrats, der eine vulkanische Ursache völlig ausschloß, heißt es dazu: „Vielmehr ergab sich nach einer näheren Besichtigung, die zur Zeit, als ich mich dort befand, angestellt wurde, daß durch das Ablösen sogenannter Kleierde, womit die fraglichen Basaltgruben auf ihrer früheren Spitze gleichsam wie mit einem Rahmen umgeben waren, das ganze Erdreich, insoweit es der Kraft jener großen Masse nicht gewachsen war, mit fortgerissen oder überschüttet wurde….“
Überliefert ist auch ein ausführlicher Bericht des Berghauptmanns von Dechen und des Geheimen Bergrates Professor Nöggerath vom ehemaligen Oberbergamt in Bonn. Beide waren am 21. Dezember 1846 am Bergsturz in Oberwinter gewesen, „um die Beschaffenheit dieser Erscheinung zu untersuchen und Kenntnis von dem Zustande dieser Steinbrüche zu nehmen“. Die Abrutschungen, so heißt es, hätten „teils auf dem veränderten Thonschiefer, teils in der Thonmasse stattgefunden, welche den unteren Teil des Basaltconglomerates“ bildeten. Die Höhe des Birgeier Kopfes betrug nach diesem Bericht 380 Fuß (= 119,32 Meter) über dem Rheinspiegel, während die Chaussee etwa 30 Fuß (= ca. 9,42 Meter) über dem Rheinspiegel lag und der obere Rand der Abrutschungen sich in einer Höhe von etwa 250 Fuß (= ca. 78,50 Meter) über der Chaussee am Bergabhang hinzog. Auch die Hütte der Steinbrecher wurde von dem Bergsturz betroffen. Sie hatte etwa auf gleicher Höhe wie die Chaussee gestanden, wurde jedoch durch die gewaltigen Erdbewegungen nach und nach etwa 20 Fuß (= ca. 6,28 Meter) „senkrecht in die Höhe gehoben“, wobei zwei Mauern stehenblieben und die beiden anderen einstürzten. Es heißt, gegen 7.30 Uhr hätten sich noch Arbeiter in der Steinbrecherhütte befunden. Die Hauptursache dieses gewaltigen Bergsturzes sah man schließlich doch im Steinbruchbetrieb. Durch den Bergsturz am Unkelstein war jedenfalls die Durchfahrt auf der Köln-Mainzer-Straße zunächst völlig gesperrt und damit der gesamte Verkehr auf dieser wichtigen Durchgangsstraße unterbrochen. Die linksrheinische Eisenbahn endete damals noch in Rolandseck, und weiter südwärts ging es hier nur mit der Postkutsche oder per Schiff. Man mußte also zu Notlösungen greifen, wobei schließlich auch die damals noch zwischen Straße und Leinpfad am Rhein gelegenen Weinbergpflanzungen herhalten mußten. Wegebaumeister Schmülling berichtete am 25. Dezember 1846: „Zur Offenhaltung der Passage ist einstweilen der Leinpfad von E bis F hergestellt worden, dieser kann aber mit schwer beladenen Fahrzeugen nur mühsam passiert werden; es muß deshalb durch die Weinberge ein Notweg (…) angelegt werden, dessen Einrichtung bereits begonnen hat, welcher Letztere später als Chaussee ausgebaut wird, da die alte Straße von den auf ihr lagernden circa 25 bis 35 Fuß (= ca. 8-11 Meter) hohen Schuttmassen nicht befreit werden kann.“
„Der Bergfall bei Oberwinter“ war auch Thema eines längeren Artikels im Koblenzer Anzeiger vom 27. Dezember 1846 (Nr. 298, S. 2-3). Hiernach war die Chaussee am Unkelstein auf einer Länge von 115 Ruten (= rd. 433 Meter) teils überschüttet, teils zerrissen und in die Höhe gehoben. Weiter heißt es in dem Pressebericht: „An dem nach dem Rheine gekehrten Abhange dieses Berges, welcher durch große Vertiefungen der alten Basaltbrüche mehrfach unterbrochen ist, lagert eine mächtige Tonschicht, und in dieser zeigt sich eine Spalte von der Südseite, aufwärts des Berges laufend, dann in ziemlichem Parallelismus mit der Chaussee nach der ganzen Länge des zerstörten und überschütteten Teiles, und endlich wieder an der Nordseite abwärts zu dem Bergfuße gewendet. (…) Der vor der Spalte gelegene Teil des ganzen Abhanges, mit seiner oberflächigen Bedeckung, dem Waldboden, mit Sträuchern und Pflanzen, ist über die schlüpfrige Rutschfläche des Tons herunter gesunken. (…) Der Besuch des Bergfalls durch nahe und entfernt wohnende Fremde ist sehr bedeutend, und nicht wenig werden die jetzt von Bonn aus regelmäßig dahin abgehenden Omnibus-Fahrten dazu beitragen, ihn noch sehr zu vermehren (…).“ In einem Bericht aus Köln vom 28. Dezember 1846 (vgl. BonnerWochenblattvom2.1.1847,39.Jg., Nr. 2, S. 3) heißt es: „In den Weihnachtstagen hat der Bergfall bei Oberwinter eine außerordentliche Menge Neugieriger hinausgelockt. Wird auch die Passage noch für einige Zeit gehemmt sein, so ist dieser Bergfall für die Gegend selbst in dieser Jahreszeit eine Wohltat, da er vielen armen, arbeitslosen Menschen Verdienst verschafft.“
Am 31. Dezember 1846 berichtete der Ober-Wege-lnspektor Schmidt der Regierung in Koblenz, er habe „die Arbeiten zur Sicherstellung der Passage beim Bergsturz am Unkelstein gestern (30.12.1846) revidirt und gefunden (…), daß mit der größtmöglichen Thätigkeit daran gearbeitet worden, so daß der Nothweg bereits auf die Hälfte der Länge versteint ist (…). Auch sind die bei der Passage drohenden Erdmassen längs dem gedachten Nothweg so abgeböscht, daß die Passage einstweilen sichergestellt ist.“ Bereits zwei Tage später konnte der Notweg am Samstagabend, dem 2. Januar 1847, fertiggestellt und die Passage am Sonntagmorgen, dem 3. Januar 1847, eröffnet werden.
Der von 1843-54 in Köln ansässig gewesene Landschaftsmaler und Zeichner Adolf Lasinsky (1808-1871) hat seinerzeit den Bergsturz bei Oberwinter auf sechs verschiedenen Zeichnungen festgehalten7), die wenig später vom Verlag der palingraphischen Anstalt in Köln gedruckt und veröffentlicht wurden. In einer permanenten Ausstellung von alten und neuen Gemälden, eröffnet am 31.-Januar 1847 bei Tonger in Köln, wurde auch eine Winterlandschaft „der Oberwinterer Bergsturz“ des Kölner Landschaftsmalers Wilhelm Themer (1815-1849)gezeigt.8)
Über einen recht interessanten Fund berichtete in diesem Zusammenhang das Bonner Wochenblatt vom 4. März 1847 (39. Jg., Nr. 62, S. 3) wie folgt: „In den Trümmern des Bergsturzes bei Oberwinter wurde in den letzten Tagen von einem Arbeiter das Stück vom Kinnbackenknochen eines riesenhaften urweltlichen Tieres zu Tage gefördert. Es wiegt dies zum Teil versteinerte Stück Knochen über sieben Pfund, ist gut erhalten und enthält einen Backenzahn von enormem Umfang; die Kronenfläche desselben ist oval und hat eine Länge von mehr als sieben, eine Breite von zwei und einem halben Zoll. Herr Gastwirt Groyen von Rolandseck ist gegenwärtig im Besitz dieses merkwürdigen urweltlichen Überrestes.“ Rechnet man einen preußischen Zoll zu 2,615 cm, so war die Kronenfläche dieses Backenzahns etwa 18,3 cm lang und 6,54 cm breit. Stramberg berichtete später sogar, „bei dem Aufräumen des alten Steinbruchschuttes, welcher durch den Bergschlüpf in die Höhe gehoben worden ist“, sei ein römischer Altar aus Traßstein aufgefunden worden, der nach der teilweise erhaltenen Inschrift dem Hercules gewidmet war.9)
Im Bonner Wochenblatt vom 15. Januar 1847 (39. Jg., Nr.15, S. 4) ließ der Bonner Professor Nöggerath bekanntgeben: „Das allgemeine Interesse, welches der bei Oberwinter am 20. December v.J. vorgekommene große Bergfall darbietet, veranlaßt mich, über diesen Gegenstand am kommenden Donnerstag, den 21. Januar d.J., Abends 6 Uhr, eine öffentliche Vorlesung im großen Saale der Lese- und Erholungs-Gesellschaft, zum Besten der hiesigen Suppenanstalten für Bedürftige, zu halten. Die verehrten Frauen und Herren unserer Stadt bitte ich, zur Förderung des beabsichtigten Wohltätigkeits-Zwecks, um zahlreiche Teilnahme. Bonn, den 14. Jan. 1847. Nöggerath. Billets sind bei Herrn Henry und Cohen zu zehn Silbergroschen zu haben.“ Gemeint war hier die am 19. Januar 1847 eröffnete „Speise-Anstalt des Bürger-Hülfs-Vereins“ in Bonn (vgl. Bonner Wochenblatt v. 19.1.1847, 39. Jg., Nr.19, S. 4). Etwa zwei Wochen später hieß es dazu in einem Leserb rief (vgl. Bonner Wochenblatt v. 4.2.1847, Nr. 35, S. 4), der Geheime Bergrat, Prof. Dr. Nöggerath, habe „durch seinen Vortrag über den Bergsturz bei Oberwinter einen höchst belangreichen Beitrag zur Abwehr der am hiesigen Orte herrschenden Noth herbeigeschafft und wird in einigen Tagen für Köln ein Gleiches thun“.
Überliefert ist u.a. auch die „Gutachtliche Meinung des Ober-Geschworenen Bergmann über fernere Zulassung eines Betriebes auf den Basaltsteinbrüchen bei Oberwinter, Unkel gegenüber“. Dieses Gutachten (datiert: Brühl, 9. März 1847) sollte sich zur Sicherheit der Arbeiter und des Straßenverkehrs am Unkelstein äußern. Demnach gab es damals am Unkelstein von Süden nach Norden fünf Basaltsteinbrüche folgender Besitzer: 1) Bartel Eckertz, 2) Baptist Hattingen, 3) Franz Hattingen, 4) N.Servas (von Brohl), 5) Joh. Adolph Eckertz. Alle Steinbrüche lagen in dem Gebiet, welches durch den Bergsturz „mehr oder weniger verändert“ worden war. Die Gefahr für die Arbeiter sei nicht größer als früher, meinte der Gutachter, schlug allerdings gewisse Schutzmaßnahmen vor. Im übrigen sei der weitere Betrieb der Steinbrüche für die vorbeiführende „Staats-Chaussee“ völlig unschädlich.
Entsprechend einem Vorschlag des Koblenzer Regierungspräsidenten teilte der preußische Finanzminister mit Erlaß vom 5. Juli 1847 aus Berlin mit, des Königs Majestät habe den Gebrüdern Pfitzenreuter zu Breitenbach, Kreis Worbis, auf deren Immediat-Gesuch vom 12. Februar 1847 „mit Rücksicht auf den Verlust, welchen die Bittsteller am 20. Dezember v.Js. durch den Unkelsteiner Bergsturz erlitten haben, ein Gnadengeschenk von einhundert Thalern zu bewilligen geruht“. Für die zur Verlegung der Staatsstraße am Unkelstein eingezogenen Grundstücksteile wurden später an vier verschiedene Empfänger insgesamt 1.657 Taler, 9 Silbergroschen, 11 Pfennige gezahlt.
Sieben Jahre später beschwerte sich Bürgermeister Beinhauer von Remagen am 22. Dezember 1853 bei Landrat von Hövel, „…daß die bei dem vor einigen Jahren stattgehabten Bergrutsch am Unkelstein verschüttete Strecke der Cöln-Mainzer-Straße noch nicht wiedergebaut und hergestellt worden“ sei. An beiden Enden stieß das verlegte, nicht ausgebaute Straßenstück mit einer Steigung von angeblich 12 bis 15 Zoll (ca. 30-40 cm) auf die alte, höher gelegene Straße. Die „aushülfliche Wegestrecke“ war an einzelnen Stellen offenbar so schmal, daß die Fuhrwerke weder ausweichen, noch aneinander vorbeifahren konnten. Weiter heißt es dann im Bericht des Bürgermeisters Beinhauer:
„Die Frachtfuhren, in der Regel mit 3-4 Pferden bespannt, pflegen sich, um von der ungebauten Wegestrecke die Höhe der Staatsstraße wieder zu erreichen, einander vorzuspannen und bleiben unterdessen abgespannte Wagen oben auf der Straße und die nachzuholenden Fuhrwerke bis zur Abholung in der Tiefe der ungebauten schmalen Strecke stehen. Schon erheben Privatpersonenfuhrwerke wegen der hierdurch entstehenden, sich fast alle halbe Stunde wiederholenden Sperrung und wegen des erlittenen Aufenthaltes bei mir lebhafte Beschwerde, und der Postverkehr ist nicht minder beschwert.“ Der Bürgermeister bat den Landrat um weitere Veranlassung, damit dem Übelstand baldigst abgeholfen und „die ungebaute Strecke“ an ihren schmälsten Stellen und an den Steigungen wenigstens soweit verbreitert werde, daß zwei Fuhrwerke ohne Gefahr aneinander vorbeifahren könnten.
Natürlich ging diese Beschwerde weiter an die Regierung in Koblenz. Diese verfügte am 21. Januar 1854, die „Wagen sollten nicht unten halten und abspannen, sondern jeweils schon oben und dann gegenseitig helfen“. Die Verbesserung des Notweges stellte die Regierung für das Frühjahr in Aussicht, während die Wiederherstellung dieser Straßenstrecke erfolgen sollte, „sobald die Kosten dafür disponibel gemacht werden können“. Kreisbaumeister Nell in Koblenz erhielt gleichzeitig den Auftrag, die betreffende Straßenstrecke „an den Seiten mit Steinsprotteln und Steinschlag“ soviel zu verbreitern, daß sie der übrigen Steinbahn an Breite gleichkomme, im übrigen aber einen Plan zur gänzlichen Wiederherstellung dieser Wegestrecke aufzustellen und vorzulegen.
Wenige Tage später erhielt die Regierung Koblenz aus Berlin eine Anfrage des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten vom 26. Januar 1854, worin es hieß: „In einem in No. 358 der Kölnischen Zeitung vom 27ten Dezember v.J. enthaltenen Artikel wird über die noch nicht beseitigten Folgen des Bergsturzes am Unkelstein auf der Köln-Mainzer-Staats-Chaussee Klage geführt und der mangelhafte Zustand der angelegten Not-Chaussee geschildert. Über die Lage dieser Angelegenheit wird dem baldigen Berichte der Königlichen Regierung entgegengesehen.“ Die Regierung Koblenz antwortete am 18. Februar 1854, der 1846 durch den Bergsturz am Unkelstein ruinierte Teil der Köln-Mainzer-Staatsstraße sei „allerdings noch nicht wieder planmäßig hergestellt, sondern es wird daselbst immer noch der damals sogleich angelegte Notweg gebraucht“. Die Regierung spielte die Sache dann etwas herunter, hielt die Steigungen an beiden Enden des Notweges nicht für übermäßig und berichtete, die Fahrbahn sei zwar etwas enger als auf der eigentlichen Straße, im übrigen aber ganz gut gehalten und namentlich zur Zeit, als darüber in der Kölnischen Zeitung Klage geführt wurde, in bestem Zustande gewesen. Weiter heißt es, die „Ansteigungen, welche indeß leichter zu überwinden sind als die Steigungen auf beiden Seiten von Sinzig in derselben Straße, haben allerdings für das schwere Frachtfuhrwerk, was im Sommer diese Straße selten befährt und deren Steigungen garnicht gewohnt ist, etwas unbequemes, jedoch ist die Sache nicht so gefährlich, wie sie geschildert worden ist“. Im übrigen, so die Regierung weiter, sei der betreffende Baubeamte bereits angewiesen, die Fahrbahn des Notweges bei günstiger Witterung entsprechend .zu verbreitern, und man werde für 1855 den Kostenbedarf zum Ausbau dieser Straße anmelden.
Am 2. Juni 1854 erkundigte sich der Oberpräsident der Rheinprovinz bei der Regierung in Koblenz, was zu Beseitigung des schlechten Straßenzustandes am Unkelstein veranlaßt worden sei und forderte Bericht innerhalb von vier Wochen. In der Stellungnahme der Regierung Koblenz vom 22. Juli 1854 hieß es, die von der Regierung zum Ausbau der fraglichen Straßenstrecke veranschlagte Summe von 865 Talern sei am 14. Februar 1854 vom Königlichen Ministerium bewilligt worden. Da aber zwischenzeitlich das Projekt zur Anlegung einer Eisenbahn zwischen Rolandseck und Koblenz eifrig betrieben worden sei und bei dessen Ausführung voraussichtlich gerade am Unkelstein wesentliche Veränderungen zu erwarten seien, so sei der bewilligte Betrag mit Genehmigung des Ministeriums anderweitig verwendet worden. Man habe aber die gleiche Summe „in den Verwendungsplan pro 1855 mit aufgenommen und den Ausbau höheren Orts beantragt“.
Ende November 1855 wurde schließlich mit dem Bau der Verlängerung der Eisenbahn von Rolandseck bis Remagen begonnen. Besonders schwierig war natürlich der Ausbau auf der Strecke Unkelstein – Apollinarisberg. Die Hauptarbeiten wurden im Jahre 1857 ausgeführt, dabei auch die Straßenverhältnisse am Unkelstein bereinigt und die Eisenbahnstrecke Rolandseck – Remagen am 21. Januar 1858 dem Verkehr übergeben.
Anmerkungen:
- Knipping, Richard. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mitteialter,2.Bd.,(Bonn) 1901, S. 11, sowie Wisplinghoff, Erich. Urkunden und Quellen zur Geschichte von Stadt und Abtei Siegburg. 1. Bd., (Siegburg) 1964. S. 62.
- Ennen, Edith, Geschichte der Stadt Bonn. II.Teil. 1962, S.42
- Lang, Gregor. Reise auf dem Rhein, 11.Teil, (Koblenz) 1790 S, 141-144.
- Wurzer, Ferdinand, Taschenbuch zur Bereisung des Siebengebtr-ges, (Köln) 1805. S. 171
- LHA Koblenz, Abt. 441. Nrn 34296 und 34333
- Stramberg, Chr. von, Rheinischer Antiquarius, III Abt. 9 Bd., (Koblenz) 1862. S. 382-386.
- Vgl. Mitteilung in: Bonner Wochenblatt vom 9,1,1847, 39. Jg.. Nr. 9. 3.3.
- Vgl. Bonner Wochenblatt vom 4.2.1847. 39 Jg.. Nr 35. S 3
- Stramberg. wie Anm 6. S. 382.