„Der bärenstarke Rudi Küls aus Deutschland“ – Ehemaliger Ahrweiler Radsportler machte seiner Heimatstadt alle Ehre
Tempi passati – die Zeiten ändern sich – und zwar so rasant wie radikal. Diese lapidare Feststellung läßt sich dann besonders leicht treffen, wenn sich Vergleichsmöglichkeiten ergeben. Und eine solche bot sich nach dem Besuch des ehemaligen Radsportlers Rudi Küls. Der Grund: Der in Ahrweiler geborene Küls, weiland Dachdecker von Beruf, verdiente sich in den 50er und 60er Jahren beachtliche Meriten im Radsport. Das belegen seine recht umfänglichen, aber auch schon leicht vergilbten Annalen auf die Plazierung und Zeitangaben genau. Voller Stolz und haarklein kommentierend strampelte Küls in Gedanken noch einmal von Erfolg zu Erfolg, kramte ein Foto nach dem anderen hervor, das ihn in Siegerpose zeigte.
Der Ahrweiler Radsportler Rudi Küls, 1998
Der Ahrweiler Radstar
Und nur wenige Tage nach dem Besuch des einstigen Ahrweiler Radstars, so wird der Rudi von den älteren Ahrweilern noch heute voller Hochachtung genannt, begann in der Dubliner Innenstadt die 85. Tour de France. Die berühmteste Rundfahrt der Welt endete bekanntermaßen im Dopingdebakel. Leider nicht wenige der Radstars anno ’98 verpaßten dem Image dieser beliebten Sportart durch ihr mehr als unsportliches Verhalten empfindliche Schrammen.
Die Gier nach materiellem Reichtum
Verleiten übertriebener Ehrgeiz oder die schlichte Gier nach werbevertraglich abgesichertem materiellen Reichtum zum unerlaubten Griff in die Aufputschmittelkiste?
Ehrgeizig war Rudi Küls auch. mußte es sein. Wie sonst ist es zu erklären, daß jemand – beispielsweise aus Geldmangel -zunächst mit dem Fahrrad von Ahrweiler nach Trier fährt, um direkt anschließend noch einmal, aber dieses Mal im sportlichen Wettbewerb, in die Pedale zu treten?
Küls, der 1948 als fünfzehnjähriger den zweirädrigen Drahtesel zum sportlichen Kräftemessen bestieg, zu den Gründern des Radsportvereins Sturmvogel zählt und dort seit 50 Jahren Mitglied ist, mußte sich insbesondere gegenüber seinem Vater durchsetzen. Der war ausgesprochener Radsportgegner. nicht ohne Grund, zog sich der radelnde Filius Rudi schon mit 16 seinen ersten Schlüsselbeinbruch zu. Von Förderung durch das Elternhaus also keine Spur. Auch die Zeit zum Training war äußerst knapp.
Dennoch blieb er mit seinem Rennrad, damals mit „primitiver Vier-Gang-Schaltung“, auf Spur und seinen Gegnern auf den Fersen. Die sportliche Bilanz des Rudi Küls kann sich sehen lassen: 20facher Rheinlandmeister im Querfeldein-und Straßenrennen, vierter der deutschen Meisterschaft im Querfeldeinrennen, 1956 Sieger beim Sieben-Nationen-Straßenrennen in Luxemburg. bei dem die gesamte deutsche Nationalmannschaft am Start war und schließlich der Mannschaftssieg beim Drei-Etappen-Rennen Frankfurt-Köln-Bielefeld. Es gab 1956 keine Disziplin, in der Küls nicht den Rheinlandmeister-Titel holte.
Auf der Jahresbestenliste ganz oben
So rangierte er im gleichen Jahr auf der deutschen Jahresbestenliste auf einem beachtlichen dritten Platz und das in einem Feld der besten 100 deutschen Fahrer. Zur Erinnerung: Rudi Altig, der vierfache Weltmeister, belegte im besagten Jahr Rang 78.
Mit der Zeit wurde das Material besser, erinnert sich Rudi Küls, „denn das Gefühl für Qualität wächst mit der Erfahrung“. Und die brauchte er. Denn als Jugendfahrer schnitt er nach eigener Einschätzung nicht gerade glanzvoll ab. Er fuhr ..ohne Kopf. es fehlten Förderer und Trainer und somit die nötigen laktischen Anweisungen. Rohe Kraft voraus war angesagt. Und so setzte sich der Heißsporn Küls häufig zu schnell an die Spitze, was verständlicherweise nicht lange durchzuhalten war. Das richtige Training begann erst. als Küls mit 18 Jahren in die A-Klasse aufrückte. Das Sprinten war seine Stärke nicht. Dafür trumpfte er auf, je länger und schwerer ein Rennen war – selbst bei 20 Grad minus. Der Ahrweiler Radrennfahrer heimste Sieg um Sieg ein. Von allen Querfeldeinrennen, die er fuhr, hat er lediglich zwei nicht gewonnen. Zu seiner Zeit starteten die Amateure mit den Profis zusammen, weiß Rudi Küls zu berichten. Und so manchen Profi hängte er locker ab.
Der „Joker“ aus Deutschland
Immer wieder erzählt er von einem seiner größten Triumphe. dem Sieg beim Sieben-Nationen-Rennen in Luxemburg. Die damalige Schlagzeile in einer Luxemburger Zeitung hat er dazu natürlich gleich parat: „Der bärenstarkste Küls aus Deutschland“. Aber ebenso gibt er das passende Histörchen zum Besten. Rudi Küls hatte dieses schwere Rennen im Trikot des RSV Sturmvogel bestritten, seinem Verein, dem er viel zu verdanken hatte. Bei der Siegerehrung streiften die ihm bestens bekannten Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft kurzerhand das Natio-naitriköt über. Dies wiederum habe bei den Luxemburgern den Verdacht der Manipulation aurkommen lassen: „Die dachten, ich wäre der Joker und natürlich Fahrer der Nationalmannschaft.“
Ein Jahr der Höhen und Tiefen
Das Jahr 1956 wurde für Rudi Küls ein Jahr der Höhen und Tiefen. Denn der Dachdecker stürzte ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Karriere vom Dach und erlitt mehrere Knochenbrüche. Die Folge: eine Zwangspause von zwei Jahren. Doch Küls gab nicht auf und stieg anschließend erneut auf sein inzwischen den hohen Standards entsprechendes Rennrad. Bis zum Jahre 1960 ließ er kaum ein Rennen aus, war überwiegend in der Spitzengruppe der ersten drei Fahrer zu finden. Selbst der damalige Trainer der Nationalmannschaft, Walter Lohmann, wurde auf den jungen Küls aufmerksam und holte ihn in die nahe Dortmund gelegene Sportschule. Dort übte er nicht nur alle radsportlichen, sondern auch die Raffinessen einer sportartgerechten Ernährung ein, lernte unter anderem Rennsportasse wie Hennes Junkermann, Rudi Altig oder Eddie Ziegler kennen. Nationaltrainer Lohmann glaubte an das Können des Rudi Küls aus Ahrweiler. Was fehlte, war die sportliche, materielle und finanzielle Hilfestellung.
Sein erstes eigenes Fahrrad setzte sich aus unterschiedlichen Einzelteilen zusammen. erinnert sich Küls. Dem Fahrradhändler hatte er Holz besorgt und aufgearbeitet, dafür gab es das Fahrrad, dessen billigste Reifen zusammen 20 DM kosteten, für damalige Verhältnisse eine Menge Geld. Eine Mark pro Woche zahlte der Radsportbegeisterte. Die Reifen gab es erst, nachdem mindestens 18 DM angezahlt waren. Als sich in der Hauptklasse die ersten Erfolge einstellten, konnte Rudi Küls sein erstes Markenrad besteigen. Die damaligen Amateure erhielten für die besten Plazierungen nach einem Rennen Gutscheine, die sie anschließend in Geld umtauschten. Das Preisgeld für einen Sieg lag zwischen 80 und 100 DM. Aufgrund seiner Erfolge und der konstanten Leistungsstärke bekundeten auch die ersten Firmen daran Interesse, Rudi Küls unter ihre Fittiche zu nehmen und zu sponsern. Darunter waren Unternehmen wie Fichtel & Sachs oder die Firma Schauff, die Küls in den letzten zwei drei Jahren seiner sportlichen Ära kräftig unterstützt hatte.
Heutiger Radsport „überzüchtet“
1960 hängte er schließlich sein Rennrad an den berühmten Nagel. Heute holt der 65jährige nur noch selten sein italienisches Sportrad mit 16 Gängen aus dem Keller, um einige Kilometer herunterzustrampeln. Den Radsport dieser Tage hält Rudi Küls in jeder Hinsicht für „überzüchtet“ – dies gilt für das „Brimborium“ über die richtige Ernährung bis hin zum Gefeilsche um Siegerprämien und Werbeverträge. Noch einmal zurück zum Radsport-Spektakel Tour de France. Der Sieger der Premiere-Tour soll nach mühsam zurückgelegten 2.400 Kilometern umgerechnet 1000 Mark bekommen haben. Heute erhält die Nummer eins der Tour de France rund 700.000 Mark, die Werbeeinnahmen nicht mitgezählt. Wie war das noch: Tempi passati…