Der Abschnitt Sinzig-Düren der Krönungsstraße von Frankfurt nach Aachen
Klaus Flink
Die Bürger und Kommunalpolitiker der Bundeshauptstadt und ihrer westlichen Randgemeinden kamen 1973 in den Genuß zahlreicher Veranstaltungen zur 1000-Jahr-Feier des erstmals 886 urkundlich bezeugten Kottenforstes. In der als Grundlage für dieses „Jubiläum“ dienenden Urkunde von 973 ist auch ein Teilstück der Straße genannt, die seit der durch Alois Schulte angeregten und 1927 von Johannes Dottebrock veröffentlichten Bonner Dissertation „Die Aachen-Frankfurter Heerstraße in ihrem Verlauf von Aachen bis Sinzig“ unter diesem Namen (i. d. Folge AFH) in die Literatur eingegangen ist1). Diese Benennung ist wahrscheinlich der Grund dafür, daß die Gesamtstraße gelegentlich als „karolingische Neuschöpfung“ 2) bezeichnet wird. Das trifft insgesamt aber nur für die Verbindung von Sinzig nach Düren zu, während die Teilstrecke Aachen — Düren zumindest teilweise und die des Rheintals insgesamt auf römerzeitlichen Straßen verläuft.
Die Bedeutung der AFH lag zunächst auf politischem Gebiet. Die Karolinger und ihre ostfränkischen Nachfolger benutzten sie auf ihren zahlreichen Aachenzügen: die einen vornehmlich, um dort zu jagen und zu baden, die anderen, um hier die deutsche Königskrone zu erlangen. Als Handelsstraße war die AFH ein Glied des „großen niederländisch-italienischen Straßenzuges, der, von Flandern kommend, über Frankfurt und Augsburg durch Bayern und Tirol nach Oberitalien führte“3). Sie war aber auch Heer-, Pilger- und Poststraße. Rund tausend Jahre, vom 8. bis 18. Jahrhundert, hat sie diese Funktion erfüllt, doch schon im 19. Jahrhundert erinnerten nur noch Flurnamen an ihre einstige Existenz.
So bedeutsam die AFH in ihrer Gesamtstrecke gewesen ist, sie ist es erst durch die Verbindung von Sinzig und Düren geworden. Der Bau dieses Streckenabschnittes „war ein die Jahrhunderte überdauernder Erfolg ka-rolingischer Verkehrspolitik“4). Aus diesem Grunde und mit Rücksicht auf die bisher vorliegenden Ergebnisse des Rheinischen Städteatlasses beschränken wir unser Interesse auf den Abschnitt Sinzig — Düren der AFH.
Nottebrock hat überzeugend dargelegt, u. a. durch Itineraruntersuchungen, daß der Abschnitt Sinzig — Düren in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts entstanden sein muß. Die bisher einzige Kritik an dieser Datierung und die statt dessen ohne jede Begründung genannte Entstehungszeit von um 11505) ist zurückzuweisen. Nottebrocks Zeitansatz ist sogar noch durch ein Argument zu untermauern, das er nicht genannt hat. Die unmittelbar an der Straße gelegenen Pfalzen sind alle zwischen 762 und 774 entstanden. Sinzig wird erstmals 762 palatium, Aachen 769 palatium publicum und Düren 774 palacium ragium genannt. Das kann kein Zufall sein und ist sicher im Zusammenhang mit dem Bau des Abschnittes Sinzig — Düren zu sehen. Hinzu kommt, daß Düren zwischen 748 und 779 mehrfach Tagungsort für Gerichts-, Kirchen- und Reichsversammlungen gewesen ist, was ohne eine gute Verkehrsanbindung des Ortes kaum möglich gewesen wäre.
Erstmals erwähnt wird die Straße in der eingangs genannten Urkunde von 973. Es heißt dort u. a: de uuisheim via, que prope miluchuuilere trans ruram ad aquisgrani tendit uisheim ist – mit Dittmaier und gegen Kaspers6) eindeutig das nördlich Euskirchen gelegene Wüschheim. Hier überquerte die AFH die Erft und erreichte bei dem nordwestlich Düren gelegenen Mariaweiler den Rurübergang nach Aachen. 1265 wird die AFH bei Rheinbach strata exercitus und 1282 in Bodendorf strata pubilca genannt7). Der zweite von Sinzig nach Bodendorf führende Weg ist 1350 zur Unterscheidung von der AFH als parva via bezeugt8).
Seit dem 15. Jahrhundert ist ein eigener Name für die AFH überliefert. Sie heißt jetzt die Aicher straiss, also Aachener Straße, so etwa erstmals 1413 bei Wichterich9) und in der Folge bei Nierendorf, Rheinbach, Oberdrees und Kelz. Ein sehr schöner Beleg ist um 1430 für die Gegend bei Essig bezeugt. Die AFH heißt dort publlca strata sive platea Aqulsgranl10).
Außerdem sind für das 15. bis 17. Jahrhundert die Bezeichnungen Heerstraße, so 1433 und 1482 bei Överich und Rheinbach 11), freie Kaiserstraße bzw. kaiserliche Straße, so 1493 bei Kirchdaun und um 1541 in Oberdrees12) und schließlich hohe Rheinstraße bzw. Hohe Straße, so 1453 bei Niederich13), nachweisbar. In den spätmittelalterlichen Itinerarien wird die AFH seit dem 14. Jahrhundert und in den Kartenwerken erstmals 1501 genannt14).
Charakteristisch für die Teilstrecke Sinzig — Düren der AFH ist ihr streng nordwestwärts gerichteter Verlauf, d. h. man hat offenbar die kürzeste Streckenführung gewählt. Die Gesamtlänge der AFH beträgt 252 km, davon entfallen auf den Abschnitt Sinzig — Düren 64 km. Einige Abzweige bzw. Kreuzungen verbanden diesen Teil der AFH mit den übrigen zumeist Süd-Nord-Verbindungen. Zwischen Bodendorf und Kirchdaun, beim ehemaligen Landskroner Hof, führte ein Abzweig nach Remagen ins Rheintal hinab. Von Eckendorf verlief eine bereits 973 genannte via pubilca am Rande des Kottenforstes entlang zum Königshof Muffendorf und weiter zum Rhein. In Rheinbach kreuzte die AFH einen Abzweig der römerzeitlichen Köln-Trier-Straße. Von hier aus erreichte man auch die 870 genannte villa regle Flamersheim, wo Ludwig der Deutsche in diesem Jahre seinen vielzitierten Rippenbruch erlitt, der ihn aber nicht daran hindert, anschließend schleunigst nach Aachen weiterzureiten. In Büllesheim traf die AFH mit der 1222 vom Prümer Exabt Cesarius genannten Strafte von Münstereifel nach Köln zusammen, und in Wichterich traf die alte, von Mechernich kommende, 1413 im Wichtericher Wetstum genannte Bleistraße auf die AFH. Bei Rövenich und Dirlau (2 km nw. Sievernich) überschritt unsere Straße die römischen Fernverbindungen von Köln nach Reims und von Trier nach Neuß. Wenig westlich Kelz traf schließlich eine von Bonn kommende Straße auf die AFH. Abgesehen von dieser letztgenannten Verbindung waren alle übrigen die AFH kreuzenden bzw. verlassenden Verkehrswege Nord-Süd-Verbindungen. Die Straße verlief vom Fiskus Remagen bzw. Sinzig durch Bodendorf, Eckendorf, Klein-Altendorf, Rheinbach, Oberdrees, Essig, Groß-Büllesheim, Wüschheim, Wichterich nach Sievernich, um von hier, ohne jede weitere Ortsberührung, direkt Düren zu erreichen. Es ist wohl kein Zufall, daß dieses Bild der häufigen Ortsdurchgänge auf der Strecke zwischen Sinzig und Sievernich dem der Verbreitung des Königsgutes von 762 bis 865 an bzw. entlang dieses Streckenabschnittes entspricht15). Der Abschnitt Sievernich — Düren vermeidet jede Ortsberührung und weist auch kein Königsgut auf.
In diesem Zusammenhang ist auch die Verbreitung des seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts nachweisbaren Fernbesitzes westfränkischer Klöster entlang der Strecke Sinzig — Düren zu sehen. Schon Eugen Ewig ist die „starke Ballung kirchlichen Fernbesitzes im Fiskus Remagen“ aufgefallen, die seiner Meinung nach „zum Teil durch den Weinbau bedingt“ war“). Ein weiterer Grund ist wahrscheinlich in der Existenz der AFH zu sehen. Über diese kürzeste West-Ost-Verbindung zum Rhein waren die entfernt gelegenen Besitzungen günstig zu ereichen. So waren die Lütticher Stifte St. Dionysius, St. Martin, St. Lambert und Hl. Kreuz in Bengen, in Flerz-heim, in Witterschlick und Lantershofen sowie In Unkelbach begütert. Das Servatiusstift in Maastricht besaß Weingärten in Ahrweiler und in dem in Bad Neuenahr aufgegangenen Wadenheim. Ebenfalls In Ahrweiler und in Lommersum hatte die Abtei Klosterrath Besitzungen. Nivelles, die alte Hausabtei der Pippiniden, hatte Besitzrechte in Unkelbach, Odingen und Binsfeld (seit 783). In Gelsdorf war St. Omer seit 877 begütert. Das Reichskloster Stablo erhielt 755 Besitzungen in Rerriagen, 814 Zehntrechte in Sinzig und Düren, 873 wurden Güter in Villip bestätigt. Remagener und Sinziger Besitzrechte sind auch für das Metzer Arnulfstift bezeugt. Schließlich sind noch die Nierendorfer Güter des Klosters Corbie zu nennen.
Der Verlauf der frühmittelalterlichen Straße Sinzig— Düren sowie entlang der Straße gelegenes Königsgut (762—856) Repro: Kreisbildstelle
II
Von den zwischen Sinzig und Aachen unmittelbar an der AFH gelegenen Städten wird Düren 748, Sinzig und Rheinbach jeweils 762 sowie Aachen 765 erstmals genannt. In Sinzig und Düren waren die Pfalzanlagen, in Rheinbach ein aus Königsgut an das Reichskloster Prüm geschenkter Fronhof die Keimzellen der Siedlungsentwicklung. Während der Verlauf der AFH sich auf die Grundrißentwicklung von Sinzig und Rheinbach entscheidend ausgewirkt hat, ist dies für Düren nicht zu beobachten, da die Straße hier offensichtlich zunächst östlich der Siedlung verlief und erst im Zuge des Mauerbaues durch die Stadt geführt worden ist. Eine förmliche Stadtrechtsverleihung ist für keine der drei Städte überliefert. Während der Befestigungsbeginn für Düren doch wohl schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts anzunehmen ist, wird der Mauerbau für Sinzig und Rheinbach erst 100 Jahre später bezeugt. Im juristischen Sinne sind Düren, Sinzig und Rheinbach spätestens seit 1241, 1267 und 1323 als Städte anzusehen. Stadtsiegel sind für Sinzig zu 1270, für Düren zu 1278 und für Rheinbach zu 1323 erstmals bezeugt. Seit 1278, 1290 und 1371 sind Bürgermeister und Rat in Düren, Sinzig und Rheinbach nachweisbar. Territorial gehörten Düren und Sinzig seit 1241 bzw. 1300 als nicht eingelöste Reichspfandschaften zu Julien. Das von den gleichnamigen Herren zur Stadt erhobene Rheinbach wurde 1342/43 von den letzten Angehörigen des aussterbenden Geschlechtes an Erzbischof Walram von Köln verkauft.
Ein Markt wird in Sinzig 1310, in Rheinbach 1323 und in Düren 1325 erstmals genannt. Das sind aber zufällige Belege, da der Dürener Markt, der wohl aus einem nicht durch eigene Privilegierung gegründeten Pfalzmarkt erwachsen ist, offensichtlich der älteste Markt der drei genannten Städte ist. Jahrmärkte gab es in Sinzig 1 (1310), in Rheinbach 2 (1371) und in Düren-3 (1544). Juden sind für Düren erstmals 1241, für Sinzig 1243 und für Rheinbach 1345 erwähnt. In Sinzig und Düren sind auch Lombarden bzw. Kawerschen seit 1275 und 1351 ansässig gewesen.
Die bedeutendste der drei Städte war die Gewerbe- (insbesondere Metalle und Textilien) und Handelsstadt Düren mit 1545 achtzehn in 7 Ämtern zusammengefaßten Zünften. Auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung um 1600 hatte die Stadt ca. 3000, 1818 insgesamt 4909 Einwohner. Die vorwiegend agrarwirtschaftlich orientierte Kleinstadt Rheinbach wurde 1343 Sitz des gleichnamigen kurkölnischen Amtes, hatte im 18. Jahrhundert 2 Zünfte (Wollweber und Gerber), 1602 ca. 450 und 1816 insgesamt 1307 Einwohner.
Sinzig hat nicht nur am längsten den Status einer Reichstadt behaupten können, sondern auch, im Vergleich zu den beiden anderen Städten, entwicklungsmäßig den größten Nutzen aus der Lage an der AFH gezogen. Die Ursache hierfür ist in seiner gleichzeitigen Lage am Rhein und in einem bedeutenden Weinbau bzw. -handel zu sehen.
Ausschnitt aus der Tranchot-Karte Nr. 112 Remagen (180&-1830), verkleinert
Repro: Kreisbildstelle
Die Kunde vom Sinziger Wein war sogar bis zu den bösen Normannen gedrungen, deren König Godefried 885 Kaiser Karl dem Dicken mitteilen ließ, falls er wünsche, daß er in der versprochenen Treue verharre und die ihm anvertrauten Reichsgrenzen weiterhin verteidige, so möge er ihm dafür u. a. den fiscus Sincicha propter vini affluentlam schenken.
In der villa regia cui Siciacus vocabulum est pflegte auch Einhard, der Biograph Karls des Großen, zu übernachten, wenn er alljährlich im November nach Aachen reiste, um im dortigen Palast in der Umgebung des Kaisers den Winter zu verbringen. Auf einer dieser Reisen erlebte Einhard 828 in der Sinziger Pfalz ein Wunder, das sehr an das der Hochzeit von Kanaan erinnert, nur soll in Sinzig nicht Wasser, sondern Bier zu Wein geworden sein.
Seit der Krönung Heinrichs III. im Jahre 1028 hatte sich die Gewohnheit entwickelt, daß die deutschen Könige zur Krönung nach Aachen reisten, wodurch die Sinziger Pfalz und der Abschnitt Sinzig — Düren der AFH zu neuer Bedeutung gelangten. Unmittelbar nach der Wahl, die seit Friedrich l. zu Frankfurt a. M. stattfand, reisten die gewählten Herrscher nach Aachen. So ging etwa Friedrich Barbarossa am 6. 3. 1152 in Frankfurt an Bord eines Schiffes, fuhr bis zur villa regalls Sinzig, bestieg dort ein Pferd und erreichte am 8. März Aachen. Kein anderer deutscher Herrscher ist so oft in Sinzig gewesen wie Friedrich l., so daß die Stadt den Namen Barbarossastadt zu Recht trägt. Die überaus günstige Verkehrslage Sinzigs am Rhein und an der AFH, der hierdurch mögliche Wechsel des Transportmittels vom Schiff aufs Pferd oder auf einen Wagen scheint auch ein Grund dafür zu sein, daß für Sinzig weit mehr Königsaufenthalte bezeugt sind als für Düren.
Die für den Vergleich mit Düren und Rheinbach erforderlichen Einwohnerzahlen waren bisher nur für 1817 zu ermitteln. In diesem Jahre hatte Sinzig 1413 Einwohner.
An dem 64 km langen Abschnitt von Sinzig nach Düren lagen aber nicht nur drei Städte von unterschiedlicher Bedeutung, sondern entstanden bis 1370 auch insgesamt 36 (!) Burgen. Die ältesten sind die erstmals 1012 genannte Tomburg und die benachbarte, gegen Halde des 12. Jahrhunderts erbaute Burg in Rheinbach. Nach der 1206 auf Geheiß König Philipps von Schwaben bei Sinzig errichteten Burg Landskron sind bis 1300 folgende Burgen entstanden: Bubenheim (1237), Ringsheim und Münchhausen (1249), Klein-Altendorf (1251), Wichterich (1254); Kuchenheim (1259), Disternich (1288), Gladbach (1247) und Bodendorf (1300). Die restlichen 24 Burgen wurden erstmals in der Zeit zwischen 1300 und 1370 genannt: Sievernich und Niederelvenich (1306), Gelsdorf (1317), Kessenich (1321), Lüssem (1323), Bollheim (1331), Schweinheim (1333), Büllesheim, Adendorf und Sinzig (1337), Ersdorf (1343), Morenhoven und Lüxheim (1345), Kettenheim (1350), Müddersheim und Peppenho-yen (1351), Flamershelm und Lüftelberg (1358), Ramershoven (1359), sowie Binsfeld, Vettweiß, Boulich, Bodenheim und Vettelhoven (alle vor 1370). Bezeichnenderweise sind nur die beiden Höhen- und Reichsburgen Tomburg und Landskron zu Zentren größerer Herrschaften geworden. Zusammen mit der Rheinbacher Burg, die man hier — mit einer gewissen Einschränkung — auch noch rtennen kann, sind sie zudem die ältesten der genannten Burgen, deren bedeutendste zweifellos die Tomburg gewesen ist. Dieser ursprüngliche Sitz des zur Creme der Reichsaristokratie zählenden Pfalzgrafengeschlechtes der Ezzonen wurde 1473 zerstört. Das gleiche Schicksal erlitt die Landskron 1682. Die Entstehung beider Burgen ist sicher im Zusammenhang mit der in 2,5 km bzw. 1,5 km Entfernung verlaufenden AFH zu sehen. Daß diese Burgen, insbesondere die Tomburg, nicht nur ein Schutz, sondern gelegentlich auch eine Gefahr für die Reisenden gewesen sind, wird sich noch erweisen. Die übrigen Burgen sind insgesamt Anlagen von Angehörigen des niederen Adels gewesen. Wenn auch nur sieben dieser Burgen direkt an der AFH gelegen haben, so Ist doch auch die Bedeutung der übrigen in ihrer Lage zu dieser Straße zu sehen. Das zeigt sich insbesondere bei den territorialen Auseinandersetzungen der Erzbischöfe von Köln mit .den Grafen von Julien zwischen 1250 und 1350. Insgesamt 19 der 36 Burgen sind In diesem Zeitraum entstanden. Auch die auffällige Häufung der (14) Burgen In der näheren Umgebung von Rheinbach ist in diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Verkehrslage der Burgen zu sehen. In Rheinbach kreuzte die AFH die auch im Mittelalter bedeutsame Nord-Süd-Verbindung der Köln-Trier-Straße. Eine vollgültige Aussagekraft erhält diese naturgemäß unvollständige Liste der Befestigungen entlang der AFH zwischen Sinzig und Düren aber erst, wenn auch die entlang dieses Streckenabschnittes nachweisbaren Dorfbefestigungen berücksichtigt werden. Befestigungen dieser Art, mit Wall, Doppelhecke und 2 Holz- bzw. Falltoren, sind bezeugt für Westum und Heimersheim (1426), Bodendorf (1485), Kirchdaun (1493), Gelsdorf (1554), Meckenheim (1338), Weidesheim (17. Jahrh.), Esch (15. Jahrh.) und Friesheim (1427).
Wie bedeutsam eine Befestigung solch primitiver Art dennoch für die Entwicklung eines Dorfes werden konnte, zeigen die Beispiele Gelsdorf und Meckenheim. Graf Johann von Neuenahr erhielt am 12. April 1359 von Kaiser Karl IV. die Erlaubnis, das Dorf Gelsdorf bei Tomburg (!) zu einer Stadt zu machen und dort montags einen Wochenmarkt und am Walpurgistag (1. Mai) einen gefreiten Jahrmarkt abzuhalten17). Johann von Neuenahr verfügte zwar nicht über die Machtmittel, dieses Privileg zu realisieren, aber ein Dorf war Geisdorf seitdem nicht mehr. 1578 wird der Ort Freiheit genannt. Am 5. März dieses Jahres bekundet der Herzog von Jülich-Berg, daß ihm Bürgermeister und Geschworene der Freiheit Gelsdorf zu erkennen gegeben, daß in der Grafschaft Neuenahr und in den umliegenden Länderelen groß gewerb mit pflüg und ackerwln-nung vorhanden, wozu viele Pferde vonnöten, welche die Untertanen der Freiheit und der Grafschaft in anderen weit entlegenen Städten und Flecken mit schweren Unkosten kaufen und holen mußten. Aus diesem Grunde habe er ihnen erlaubt, einen gefreiten Pferdemarkt am Sonntag vor Simon und Judas (28. Oktober) abzuhalten. 1609 ist die Existenz eines Rathauses bezeugt. 1719 waren zwei jüdische Familien ansässig, und 1786 hatte der Ort 415 Einwohner in 91 Häusern. Ein oppidum-Beleg für Meckenheim zu 1338 machte eine erste Ortsbefestigung zu Beginn des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich. Sie ist 1369 durch novae structurae, fossae et sepes verstärkt worden. Der Anlaß zu der von den Einwohnern unter der Leitung der beiden Meckenheimer Hofschultheißen In eigener Verantwortung — aber unter Kostenbeteiligung der beiden Ortsherren (Bonner Cassiusstift und Kölner Mariengradenstift) — errichteten Befestigung (Doppelgraben, Wall, Hecke und 2-Holzpforten) ist nachweisbar In der Nähe zur „unruhigen“ (Truppendurchzüge) AFH und in den Raubgelüsten der benachbarten Herren von Tomburg zu sehen. Die auf Grund der verfassungsrechtlichen Stellung eines Dorfes einerseits und der vorhandenen Befestigung andererseits erfolgte doppelte Steuerveranlagung des 1606 Flecken oder schlößige Freiheit genannten Ortes war schließlich der Anlaß für die 1636 mit Einverständnis der beiden Ortsherren erfolgten Stadtrechtsverleihung durch den Kölner Erzbischof Ferdinand. Diese beiden Beispiele zeigen sehr deutlich die möglichen Auswirkungen der AFH auf die anliegenden Ortschaften. Eine, wenn auch bescheidene Ortsbefestigung bot einerseits Schutz vor streunenden Rotten und schuf andererseits eine Voraussetzung für den Aufstieg zum Flecken oder zur privilegierten Freiheit bzw. Stadt. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Auswirkungen der AFH auf die anliegenden Ortschaften ist schließlich noch eine Funktion der Straße zu nennen, nämlich die einer Grenzfunktion. Schon der erste Beleg für die Existenz der Straße von 973 zeigt sie in dieser Bedeutung: von Wüschheim bis Mariaweiler bzw. weiter bis Haaren war die AFH südwestlich bzw. südliche Grenzlinie des Kölner Wildbannes. Der Abschnitt von Wichterich bis Sievernich entsprach der Nordostgrenze des Zülpicher Betfanges“). Auch als Gemarkungsgrenze hat die AFH gedient, etwa bei Euskirchen, wo die Strecke von Wüschheim bis Oberwichterich als Nordgrenze der Gemarkung Euskirchen erscheint.
III
Die Bedeutung einer Handelsstraße läßt sich u.a. an der Zahl und den Erträgen ihrer Zollstellen ermessen. Auf dem Abschnitt Sinzig — Düren der AFH ist in Sinzig, Ek-kendorf, Rheinbach und in Wichterich Landzoll erhoben worden.
Die erste Nennung der Eckendorfer Zollstelle belegt schon die Bedeutung dieses Abschnittes der AFH als Handelsstraße und nennt auch Herkunfts- und Zielort ihrer Benutzer. 1194 mußte Graf Gerhard von Are Kaiser Heinrich VI. geloben, den bisher in Eckendorf zu Unrecht a mercatoribus et burgensibus Aquensibus erhobenen Zoll (theloneum) in Zukunft nicht zu verlangen.
Diese Befreiung galt aber nur für die Aachener Kaufleute, die alle Zollstätten innerhalb des Reiches frei passieren durften. Der Sin-ziger Zoll ist erstmals um 1225 erwähnt. Die ertragreichste Zollstelle war die Rheinbacher auf Grund der dortigen erwähnten Straßenkreuzung. Sie wurde bereits von den Herren von Rheinbach genutzt, deren letzte Erbin sich 1343 bei der Übertragung ihrer Rechte an Erzbischof Walram von Köln das jus de carrucis oppidum Reymbach Intrantibus et exeuntibus ausdrücklich auf Lebenszeit vorbehielt. 1396 erhielt Erzbischof Friedrich von Köln von König Wenzel die Erlaubnis, in Rheinbach eine Landzollstätte einrichten zu dürfen. Die für 1421/22 und für 1448/49 überlieferten Erträge der Rheinbacher Zollstelle sind ein eindeutiger Beweis für die Handelsbedeutung dieser Strecke der AFH auch im 15. Jahrhundert. Im erstgenannten Jahr wurden 252 rheinische Gulden eingenommen, das war mehr als die Hälfte der Erträge der kurkölnischen Landzölle in Godorf, Merheim, Brühl, Heimerzheim und Llblar, die sich im selben Jahre auf insgesamt 476 rheinische Gulden beliefen. 1448/49 wurden gar 925 rheinische Gulden Zollgebühren in Rheinbach erhoben. Der Grund für diese enorme Ertragssteigerung ist u. a. in dem seit den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts im verstärkten Maße zu beobachtenden Versuch der Kaufleute zu sehen, die zahlreichen Rheinzölle und den Kölner Stapel durch Benutzung der Sinzig-Düren-Verbindung der AFH zu umfahren. Auf die hiergegen seitens Kurköln getroffenen Abwehrmaßnahmen ist auch die Einrichtung der Wichtericher Landzollstelle zurückzuführen 19).
Einen sehr schönen Einblick in die Verhaltensweise der bei einer solchen versuchten Zollumgehung Betroffenen vermittelt ein bisher noch nicht ausgewertetes Aktenstück aus den Jahren von 1580—158420). Am 6. Februar 1581 erreichten zwei Lütticher Kaufleute per Schiff mit 21 Fuder Wein, den sie an der mittleren und oberen Mosel gekauft hatten, den Andernacher Zoll. Dem dortigen Kurkölner Zöllner gestanden sie, daß sie den Wein in Breisig auszuladen und über Sinzig nach Lüttich zu führen gedächten. Daraufhin verlangte der Zöllner neben den Andernacher auch die Linzer und Bonner Zollgebühren in Höhe von insgesamt 34 Goldgulden. Dieses Ansinnen wiesen die Lütticher zurück und beriefen sich darauf, daß sie bisher stets gegen erlegungh des antreffenden Landtzoll und Weghgeltz unverhindert die Kayserliche Freye Landtstraß von Breisig durch Sinzig, die Grafschaft Neuenahr und also fort uf Dueren, Aichen, Luttich und anderswo benutzt hätten. Der Zöllner zeigte sich aber unbeeindruckt und ließ das Schiff kurzerhand beschlagnahmen. Die daraufhin von den Kaufleuten bei der jjülisch-bergischen und der kurkölnischen Regierung vorgebrachten Proteste hatten eine umfangreiche Untersuchung zur Folge, bei der sich u. a. ergab, daß schon häufig zu Breisig Weinladungen auf der Achse claudestire hinweg geführt worden seien, aber so schlimm wie im letzten Herbst sei es noch nie gewesen. Der Grund hierfür sei — rieben der Zollumgehung — die kürzere Landstrecke und die Unsicherheit der Straße von Köln nach Lüttich. Als sich Anfang März einer der Kaufleute erbot, mit dem Leib einzuhalten, wenn man die Weine wenigstens bis Köln fahren ließe, damit sie dort verkauft werden könnten, schrieb der Andernacher Zöllner dem Bonner Hofrat, er halte dieses Bürgschaftsangebot für betriegliche Schiff- und welsche Kauffmans poßen. Diese Annahme scheint der Hofrat geteilt und das Angebot nicht angenommen zu haben, jedenfalls haben die beiden Lütticher am 30. März die geforderten 34 Goldgulden Zollgebühren gezahlt und sind dann auf der AFH unter nochmaliger Zahlung an den Landzollstätten nach Lüttich gefahren. Mit der Sicherheit auf der AFH zwischen Sinzig und Düren war es allerdings selten so gut bestellt, wie das aus der Untersuchung von 1581 hervorgeht.
Ausschnitt aus der Tranchot-Karte Nr. 111 Ahrweiler (1803—1820), verkleinert
Repro: Kreisbildstelle
Insbesondere die Weinladungen waren begehrte Objekte. In Sinzig besaß das Aachener Marienstift ausgedehnte Weingüter, deren Erträge zumeist unter dem Geleit der Burggrafen von Landskron nach Aachen transportiert den sind, was zwei entsprechenden bzw. Dankesbriefen der Stiftsherren aus der Zeit um 1255 bzw. 1300 zu entnehmen ist. Um 1265 haben auch erstmals die von Kleve mit der Tomburg belehnten Herren von Müllenark ihr in der Folge noch mehrfach bezeugtes Raubrittertum betrieben. Mehrere Oberlieferte Ermahnungen der Lehnsherren an die Tomburger, die benachbarten Ortschaften nicht zu belästigen, scheinen wenig gefruchtet zu haben. In diesem Zusammenhang ist auch wohl die Bestimmung des Außenbürgervertrages zwischen den Herren von Rheinbach und der Stadt Köln von 1310 zu sehen, der die Rheinbacher verpflichtete, Kölner Bürger jederzeit innerhalb des Rheinbacher Hoheits- bzw. Einflußbereiches (In districtum meum vel locum in quo posse habeo) zu schützen und zu verteidigen. 1351 bittet der Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg Gerhard von Landskron, dafür zu sorgen, daß die Angriffe auf Kaufleute, die unter kölnischem Geleit reisten, eingestellt werden. 1321 werden die Tomburger gezwungen, Schadenersatz zu leisten für das, was sie den Meckenheimern und Münstereifelern geraubt und den Julichern durch widerrechtliche Zollerhebung bei Münchhausen abgenommen haben. 1329 bittet die Stadt Maastricht Gerhard von Landskron, die einem ihrer Mitbürger geraubten 3 1/2 Ohm Wein und 100 Pfund kanarischen Pfeffer zurückzugeben. 1362 mußten die Tomburger den Schaden, den sie vier Kaufleuten aus Löwenberg in Schlesien zugefügt hatten, ersetzen. Die Herren von tomburg waren in diesem Jahre aber keineswegs die einzigen Bösewichte. Ein kleiner Herr von Bollheim nutzte seine Fehde mit dem mächtigen Herzog von Limburg, um von seiner an der AFH gelegenen Burg die Kaufleute des Herzogs zu überfallen21). Was der 1483 zwischen der Reichsstadt Aachen und Gerhard Quad, Herr zu Tomburg und Landskron, geschlossene Sühnevertrag berichtet, gehört zwar in eine völlig andere Zeit, ist aber unter dem Aspekt der öffentlichen Sicherheit doch sehr aufschlußreich. Mittels dieser Urkunde verpflichtete sich Gerhard, allen Aachener Bürgern für immer innerhalb seines gesamten Herrschaftsbereiches (der sich nach der Vereinigung mit Tomburg rechts und links der AFH von Sinzig bis Kleinbüllesheim erstreckte) Geleit zu geben und ihnen, wenn sie verfolgt werden, auf ihr Ersuchen die Tore und Schlagbäume seiner Schlösser {Miel und Landskron), Dörfer und Herrschaften zu öffnen und sie dort auf ihre Kosten so lange zu behausen und zu beherbergen, bis sie sich wieder entfernen können. Diese Urkunde ist nicht nur ein an-schauliches Zeugnis der „Sicherheitspolitik“ (heute würde man Friedenspolitik sagen) der Reichsstadt, sondern auch ein Beleg für die intensiven Handelsbeziehungen der Aachener zum Rhein bzw. zu Sinzig, die auch schon seit dem 12. Jahrhundert vielfach bezeugt sind.
Auch den Weistümern der in der Nähe der AFH gelegenen Dörfer sind zur Frage des Schirms und Geleits auf der Straße interessante Hinweise zu entnehmen. So enthält etwa das 1465 aufgenommene Weistum des Ahrweiler Fronhofes des Maastrichter Servatiusstiftes die Bestimmung, daß der Vogt des Ahrweiler Hofes, der Herr von Saffenberg, verpflichtet ist, die Weintransporte des Stiftes auf eigene Kosten und Gefahr von Ahrweiler bis nach Wichterich über den roten Bach hinweg zu geleiten. Dort muß er noch Ausschau halten,, bis die Fuhre über den Horst und nicht mehr zu. sehen ist. Der Rotbach spielt auch in dem Weistum des Fronhofes des Bonner Cassisstiftes zu Leimersdorf von 1559 eine, wenn auch völlig anders geartete, Rolle. Der betreffende Passus des Weistums besagt, daß der Hofherr verpflichtet ist, einem Missetäter, der den Fronhof (der auch Asylstätte war) erreicht hat, freies Geleit bis uff die Roldtbach bei Wichterich zu geben und ihm dort drey genge stralssen (hier erreichte die Bleistraße von Mechernich die AFH) zu weisen. Daß in beiden Fällen das zu leistende Geleit auf die nicht erwähnte AFH zu beziehen ist, steht auf Grund des genannten Endpunktes außer Frage.
Diese hier nur skizzierten Auswirkungen des letztlich im Niedergang des Königstums begründeten Verlustes der öffentlichen Ordnung und Friedenssicherung zwangen Territorialherren und Städte zu Gegenmaßnahmen. Als ein erster Versuch, die Friedensordnung wiederzugewinnen, ist der große rheinische Städtebund von 1254 zu werten. Am 1. April 1255 wurde auf Antrag die dem Reich angehörige Pfarrei bzw. wurden alle zum Allod Sinzig Gehörenden in diese Friedenseidgenossenschaft aufgenommen. 1275 schloß der Kölner Erzbischof Sifrid von Westerburg mit der Reichsstadt Aachen ein Friedensbündnis für das Gebiet zwischen Andernach, Neuß, Lüttich und Roermond.
Auch die deutschen Könige schalteten sich in die allgemeine Landfriedenspolitik ein — so etwa 1317 König Ludwig — und benutzten diese überterritorialen Ordnungsgefüge als Mittel, um wieder Einfluß auf die Einzelterritorien zu gewinnen, allerdings ohne bleibenden Erfolg. Nach mehreren kleinräumigen Regionalbündnissen schlössen 1351 der Kölner Erzbischof, der Herzog von Brabant sowie die Städte Köln und Aachen einen Landfrieden, der für zehn Jahre in dem Gebiet zwischen Maas und Rhein von Andernach bis Xanten gelten sollte. Unter den drei vom Kölner Erzbischof gestellten Aufsichtspersonen waren zwei, die ihren Sitz in der Nähe der AFH hatten: die Herren von Saffenberg und von Ahrental (bei Sinzig). Dieser Vertrag von 1351 wurde das Muster für alle folgenden Landfriedensbündnisse, die nun mit immer kürzeren Fristen geschlossen worden sind. Genützt haben sie wenig, der zweite Landfriede, wurde noch schneller gebrochen als der erste.
Wie es in dieser Zeit z.B. in der Grafschaft Neuenahr aussah, schildert sehr eindrucksvoll eine Klage Johanns von Saffenberg, die dieser in seiner oben genannten Funktion 1365 bei den Herren des Landfriedens zwischen Maas und Rhein einbrachte. Danach hatte Johann von Neuenahr von seiner gleichnamigen Burg aus die Saffenberger Leute zu Gelsdorf ausgeplündert, sie anschließend in die Kirche getrieben und dort 11 Personen verwundet, von denen einer in der Folge starb. Ähnlich hauste der Neuenahrer in Bodendorf, wo ebenfalls alle Einwohner in die Kirche getrieben wurden. Nachdem die gottesfürchtigen Mordgesellen vorsichtshalber das Altarsakrament hinausgetragen und Holz und Stroh schon vor der Kirchentür aufgeschichtet hatten, vermochten sich die Dorfbewohner vor der angedrohten Verbrennung nur durch Zahlung von 100 Goldschilden, 70 Malter Hafer und 70 Paar Hosen, Strümpfen und Schuhen zu retten.
1375 vereinten sich unter Führung des Pfalzgrafen bei Rhein insgesamt 48 Herren und Ritter, darunter auch die von Saffenberg und Tomberg (letztere waren 1367 von den Verbündeten des allgemeinen Landfriedens zur endgültigen Einstellung ihrer Feindseligkeiten gezwungen worden), auf drei Jahre zu einer Gesellschaft, um ihren Landen und Leuten zu nützen, weitere Übeltaten zu verhindern und Kaufleuten, Pilgern und Bauern, Geistlichen wie Laien, öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.
Für die Grafschaft .Neuenahr nahm der ganze Spuk jedoch erst ein Ende, nachdem der Kölner Erzbischof Friedrich von Saarwerden 1381 die Burg Neuenahr erobert und zerstört hatte. Ein Unternehmen, das ihn zwar mehr als 50000 Gulden gekostet, ihn aber andererseits bis 1546 zum Mitherren der Grafschaft Neuenahr gemacht hat. In dem Vertrag von 1375 ist auch eine Personengruppe angesprochen, die über Jahrhunderte hinweg in großer Zahl die AFH benutzt und dadurch in hohem Maße zur Bedeutung dieser Straße beigetragen hat; gemeint sind die Aachenpilger. Die schon im 13. Jahrhundert einsetzenden Wallfahrten zu den Heiligtümern nach Aachen nahmen‘ im 14. Jahrhundert einen starken Aufschwung. Seit 1349 ist der siebenjährige Turnus der sogenannten Heiligtumsfahrten sicher bezeugt. Die Pilger kamen nicht nur aus allen Teilen des Reiches, sondern auch z. B. aus Ungarn.
1350 inkorporierte der Kölner Erzbischof dem Aachener Marienstift dessen mit großen Einkünften versehene Pfarrkirche zu Sinzig, damit die Siftsherren ihrer Verpflichtung zur Gastfreundschaft, die durch den großen Zur ström von Pilgern aus allen Weltgegenden (de diversis mundi partibus) immer kostspieliger geworden war, besser nachkommen konnten.
Derselbe Erzbischof genehmigte 1358 auf Bitten der Stadt Lechenich die Einführung einer Frühmesse, damit die peregrini, die per medium opid versus Aquisgrani transitum und dort übernachten, vor ihrer Weiterreise am frühen Morgen die Messe hören konnten.
Ein erstes Zeugnis für Pilgerverkehr auf dem Abschnitt Sinzig — Düren der AFH ist für 1337 überliefert. In diesem Jahre hatte ein Ahrweiler Bürger in Eckendorf zur Erfrischung der dort durchziehenden Pilger eine unterirdische Wasserleitung angelegt. Die Zahl der Wallfahrer hat insbesondere seit der zu Beginn des 16. Jahrhunderts einsetzenden Annawallfahrt nach Düren stark zugenommen, weil die Pilger bestrebt waren, auf ihren meist sehr langen Reisen möglichst viele Wallfahrtsorte zu besuchen. So berichtet der Metzer Bürger Philipp von Vig-neulles, der 1510 eine Heiligtumsfahrt nach Maastricht, Aachen, Kornelimünster, Düren und Köln unternahm, daß er auf seiner Reise von Aachen nach Düren „auf der großen Straße“ im Laufe eines Nachmittags an mehr als 50000 (!) Menschen vorbeigeritten sei.22).
Zur Betreuung dieser Pilgermässen entstanden entlang der AFH viele Hospitäler und sogenannte Siechenhäuser. Hospitäler sind in Sinzig seit 1275, in Remagen seit 1300 und in Rheinbach seit 1484 bezeugt. In Düren ist in der Nordweststrecke der Stadt im Zuge der Philippstraße, die eine innerstädtische Teilstrecke der AFH war, ein ganzes Hospitalsviertel entstanden. 1429 ist das Agathahospital, 1522 das Gasthaus und 1546 das Heilig-Geist-Haus genannt, wobei die späten Nennungen auf die Vernichtung des Stadtarchivs durch den Stadtbrand von 1543 zurückzuführen sind.
Siechenhäuser sind 1345 für Remagen, 1358 am Rurübergang nordwestlich Düren, 1439 in Essig23), 1479 bei Rövenich24) an der Kreuzung der AFH mit der Römerstraße Köln — Reims, 1525 bei Rheinbach, bis 1606 für Eckendorf25) und noch 1613 bei Heppingen26) nachweisbar.
Das bedeutendste dieser Siechen- und Melatenhäuser war das nordwestlich von Düren gelegene. Es war ein vom Dürener Magistrat unterhaltenes Leprosenheim, zu dem 1501 insgesamt 10 Häuschen und eine dem hl. Lazarus geweihte Kapelle gehörten. In der 1603 von Herzog Johann Wilhelm erlassenen Leprosenordnung wurde das Dürener Leprosenheim zum Siechenhaus für das gesamte Oberquartier des Herzogtums Julien bestimmt.
Aachen war aber nicht nur das Ziel von Pilgern, sondern auch schon in früheren Jahrhunderten ein viel besuchter Badeort. Die Reise des Landgrafen Ludwig von Hessen mag hier als Beleg genügen. Er brach am 2. Mai 1431 in Kassel auf und ritt auf der alten Straße über Homburg und Montabaur nach Linz, wo er den Rhein überquerte und über Rheinbach, Großbüllesheim und Düren am 7. Mai in Aachen eintraf26).
IV
Wir haben die Bedeutung des Abschnittes Sinzig — Düren der AFH und die Auswirkung dieser Straße auf die Entwicklung der anliegenden Ortschaften und auf das Schicksal der in ihnen lebenden Menschen über Jahrhunderte hinweg im Spiegel der schriftlichen Quellen verfolgt. Das wichtigste Zeugnis der Bedeutung dieser Straße bis ins 18. Jahrhundert wurde aber erst in eben dieser Zeit geschrieben. Wir verdanken die Oberlieferung dieser einzigartigen Quelle der Findigkeit und Akribie des Heimatforschers Peter Simons, der für seine zahlreichen den Raum Euskirchen-Zülpich betreffenden ortsgeschichtlichen Veröffentlichungen die Quellen nicht nur sogar gelesen, sondern auch oft im Volltext veröffentlicht hat. Im vorliegenden Falle hat Simons eine undatierte Denkschrift des jülich-bergischen Kanzlers Franz Karl von Hompesch über den Ausbau der AFH ediert. Da Hompesch 1778 mit dem an der AFH gelegenen Boulichshof bei Wichterich belehnt worden ist, wird die Denkschrift in den folgenden Jahren geschrieben worden sein. Sie hat folgenden Wortlaut: Wenn es wahr ist, daß gute weeg- und landstraßen den inländischen handel und wandei befördern, so ist es kaum begreiflich, wie man bisheran hat Zaudern können, die für das Gülische und Collnische so wichtige landstraße von Deuren auf Sintzig in chausseemäßigen stand zu stellen. Die Wichtigkeit dieser neuen Chaussee fällt einem jedem ins auge, der nur einen blick auf die landkarte wirft. Doch sicherer ist aber derjenige davon überzeugt, der die menge des fuhrwerkes bemerket hat, welche schon dermalen diesen weeg täglich brauchet, obschon er zu allen Jahreszeiten wegen der schlechten Unterhaltung und starken gebrauch ohne schweren Vorspann nicht durchzukommen ist. Im sommer, frühjahr und herbst sieht man auf diesem weege oft über hundert schwerbeladene frachtkarrigen mit vier, fünf und sechs pferden an einem tag vorbeifahren, und wenn auch zehn andere Chausseen angelegt würden, so würden doch immer die fuhrleute diesen weeg, so oft nur durchzukommen, vorziehen, wellen er der geradeste ist und Ihnen wenigstens eine ganze tagreise zwischen Braband, Lüttich, Aachen und dem Oberrhein ersparet. Man bestelle einen meßkunstverständigen, so wird sich zeigen, daß von Deuren die iinie grad auf Sievernig, von da über Elvenich, Frauenberg auf Euskirchen etc. leite. Ein beweis, daß der weeg über Sievernich nach der gegend von Euskirchen der beste seye, ist, daß das fuhrwerk würklich diesen weeg bei guter Witterung einschlägt und dabei die alte landstraß meistens beibehalten wird. Nur müßte die Chaussee durch Euskirchen geführt werden, anstatt, daß jetzt die landstraß bei Euskirchen vorbei durch Wü-schem gehet, weilen die Stadt Euskirchen als der mittelpunkt zwischen Sintzig und Deuren zu anlegung einer postStation und ruheplatz am bequemsten gelegen ist27).
Diese Denkschrift wurde 1787 vom rührigen Magistrat der Kleinstadt Euskirchen eifrig mit mehreren eigenen Petitionen unterstützt. Da der gewünschte Abzweig in der Tranchot-Karte von 1808 eingetragen ist, muß der Abzweig der AFH vom Zülpicher Siechenhaus bei Rövenich über Obere!venich und Frauenberg nach Euskirchen zwischen 1787 und 1808 gebaut worden sein. Dank dieser Verkehrsanbindung nahm insbesondere die Textilindustrie des zwischen 1270 und 1300 aus vier Dörfern zusammengesiedelten und 1302 zur Stadt erhobenen Euskirchen einen starken Aufschwung. Die Stadt wurde an Stelle des aus verkehrspolitisch in selbst gewählter Isolation verharrenden Münstereifel zum neuen Zentrum einer überregionalen bedeutsamen Textilindustrie.
Geschichten werden nicht nur viele gemacht, sondern auch geschrieben, die einer Straße dagegen nur selten. Auf dem Abschnitt Sinzig—Düren der AFH haben deutsche Kaiser und gottesfürchtige Pilger, reiche Kaufleute und plündernde Mordgesellen ihren Weg genommen. Die Verkehrspolitik einer neuen Zeit, insbesondere der Bau der Eisenbahnstrecken seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, haben diesen über Jahrhunderte hinweg bedeutsamen Abschnitt der AFH binnen weniger Jahrzehnte zu einem unbedeutenden Feldweg werden lassen. Die Flurbereinigungen haben schließlich auch diesen beseitigt. Zur Zeit aber ist die Streckenführung dieser karolingischen Straßenschöpfung wieder sehr aktuell: Die im Bau befindliche Autobahn A 61 verläuft zwischen Düren und Bad Neuenahr fast auf der gesamten Strecke unmittelbar neben der alten Trasse der AFH, allerdings werden sich die Planer der A 61 dessen wohl kaum bewußt gewesen sein.
Anmerkungen
1) Um den Beitrag nicht durch eine konsequente Angabe sämtlicher Einzelbelege zu überladen, wird die Angabe von Nachweisen im allgemeinen auf die Mitteilung von bisher ungedruckten Quellenzeugnissen beschränkt sowie eine Auswahl der wichtigsten benutzten Quellenpublikationen und Literatur angeführt. Die Belege zu den Angaben über die Städte Meckenheim, Rheinbach, Euskirchen und Düren sind im Rheinischen Städteatlas zu finden.Quellenpublikationen
1.A. Goerz, Mittelrheinische Regesten, 4 Bde., Co-blenz 1876/78
2. H. Frick, Quellen zur Geschichte von Bad Neuen-ahr, Bad Neuenahr 1933
3. Ders. u. Th. Zimmer, Quellen zur Geschichte der Herrschaften Landskron a. d. Ahr, 2 Bde., Bonn 1966 (zit. Reg. Landskron)
Literatur
- J. Nottebrock, Die Aachen-Frankfurter Heerstraße In ihrem Verlauf von Aachen bis Slnzlg. In-: Bonner Jahrbücher (= BJb) 131, 1927, S. 245—284
- J. Cloot, Die Aachen-Frankfurter Herrstraße. Ihr Verlauf durch den Kreis Düren und ihre Bedeutung. In: Heimat-Blätter der Dürener Zeitung 1931, S. 196—198
- P. Zepp, Ehemals befestigte Dörfer im unteren Ahrgebiet. In: Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 1939, S. 76—80
- H. Welters, Die Wasserburg im Siedlungsgebiet der oberen Erftlandschaft, Bonn 1940
- Ders., Befestigte Dörfer am Nordostrand der Ei-fel. In: Rheinische Vierteljahrsblätter (= RhVjbl) 15/16, 1950/51, S. 267—292
- H. Dittmaier, Zur Geographie der Wildbannbestätigung für die Kölner Kirche von 973. In: RhVjbl 24, S. 210 f. (Wüschhelm = S. 215)
- F. Petri, Zur Stellung der Eifel und ihrer Nachbarräume im europäischen Nord-Süd-Verkehr bis zur Wende von Mittelalter und Neuzelt. In: Beiträge zur Wirtschafts- und Stadtgeschichte, Festschrift für Hektor Ammann, Wiesbaden 1965, S. 271 ff, bes. 274—276
- F. Schorn, Von alten Dörfern und der Krönungsstraße. In: Heimatkalender 1968 für den Landkreis Euskirchen S. 71—77
- H. P. Müller, Die Herrschaft Tomberg und ihre Herren bis zum Ausgang des Mittelalters, Bonn 1970
- Rheinischer Städteatlas (vgl. Bonner Universitätsblätter 1972), hrg. v. E. Ennen, bearb. v. K. Flink, 1. Lief., Bonn 1972 (u. a. mit Meckenheim und Rheinbach), 2. Lief., Bonn 1974, u. a. mit Euskirchen und Düren)
2) F. Petri (= Anm. 1), S. 274 f
3) J. Nottebrock (= Anm. 1), S. 246
4) = Anm. 2, S. 275
5) Dürener Geschichtsblätter 1960, S. 447 und 1964, S. 797, 805—807, 818 und 823
6) = Anm. 5, S. 446
7) Staatsarchiv Koblenz (= STAK) 96 hr 321 und ebda 170 nur 82
8) Regesten der Reichsstadt Aachen II 884
9) J. Grimm, Weisthümer II, S. 728
10) Historisches Archiv der Stadt Köln (= StaK) Geist l. Abt. 166 a
11) Reg. Landskron 1378/58 und stak 186 nr 445
12) Reg. Landskron 1323 und Pfarrarchiv Hilberath (vgl. auch RhVjbl 34) 1970, S. 334 nr. 1395)
13) Reg. Landskron 1036
14) Nottebrock (= Anm. 1), S. 255-und 252
15) Die Belege für den Nachweis des Königsgutes von 762—856 sind in den entsprechenden Diplomatabänden der Monumenta Germaniae Historica zu finden
16) E. Ewig, Das Bistum Köln Im Frühmittelalter. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein (= AHVN) 155/56, 1954, S. 221
17) STAK 13 nr 218,
18) Vgl. die Karte bei S. Corsten, Der Forstbezirk Vlatten-Helmbach. In: Festschrift Franz Steinbach, Bonn 1960, S. 188
19) Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (= HSTAD) Jülich-Berg II 5177
20) Ebda. Kurköln II 5237
21) P. Slmons, Chronik der Gemeinde Wichterich, Eusklrchen 1923, S. 16
22) E. Teichmann, Zur Helligthumsfahrt des Philipp von Vigneulles im Jahre 1510. In: Zeltschrift des Aachener Geschichtsverelns (= ZAGV) 21, 1899, S. 133
23) HSTAD Kloster Marienstern 1
24) P. Heusgen, Das Dekanat Zülpich, Siegburg 1968, S. 382
25) HSTAD Jülich-Berg II 4457
26) A. Reumont, Landgraf Ludwig l. von Hessen badet Im Jahre 1431 in Aachen und Burtscheid. In: ZAGV 8, 1860, S. 167
27) P. Simons, Geschichte der Jülichschen Unterherrschaft Bollheim, Euskirchen 1907, S. 101
Abbildungsnachweis (in der Reihenfolge der Abbildungen)
Ausschnitte der TÜK 1 :200 000 Nr. CG 5502 Köln, der Tranchot-Karten Nr. 112 Remagen — 57 (rrh.) Unkel, Nr. 111 Ahrweiler; wiedergegeben mit Genehmigung des Landesvermessungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 22. 1,0. 1973 (38825. Mit Erlaubnis des Verfassers und der Redaktion aus Bonner Universitätsblätter 1973 (S. 25—40) übernommen. (Die Red.)