„…den newen anbau mit der Capellen…“ – Zur Geschichte des Weißen Turms in Ahrweiler und seiner Kapelle
„ . . . den newen anbau mit der Capellen …“
– Zur Geschichte des Weißen Turms in Ahrweiler und seiner Kapelle
Egbert Luley
Seit mehr als 30 Jahren kenne ich ihn. Damals wurde ich nach Ahrweiler geschickt, um die Planung und die Vorarbeiten zur Einrichtung der Don-Bosco-Schule einzuleiten. In der Aloi-siusschule hatte ich die ersten Gespräche mit den Kollegen. Im Schulhof fiel mir dieser gewaltige Bau auf. Etwas heruntergekommen zwar, die Jahrhunderte waren ihm anzusehen. Wie der Stumpf eines mächtigen Bergfrieds im Hof einer Burg, dreiseitig nicht von Pallas und Kemenate, sondern von den Gebäuden der Aloisi-us-Schule umgeben. Sie reichten an sein Alter lange nicht heran – fast älter als die ehrwürdige St. Laurentius-Kirche am Markt schien er mir. Heute, nachdem die Schulgebäude weichen mußten, steht er recht einsam, nur noch begleitet von dem westlichen Anbau des 18. Jahrhunderts, aber sorgsam restauriert, auf einem teils begrünten, teils gepflasterten und asphaltierten Freibereich.
Neben der Stadtummauerung aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts und der St. Laurentius-Kirche von 1269, der frühesten gotischen Hallenkirche auf der linken Rheinseite, wird er so erst dem Beschauer als ein weiteres bedeutendes Wahrzeichen der Stadt bewußt.
Das „adeliche Hauß … genandt uff Thurn.
Sehr aussagekräftige Fakten zu seiner frühen Geschichte geben die bisher vorgefundenen Archivalien nicht her. Die dendrochronologi-sche Untersuchung seiner massigen Eichenstützhölzer im Keller- und Fundamentbereich lassen auf einen Baubeginn um 1265 schließen. Im frühen 14. Jahrhundert erscheint er in einem Pergamenteodex, einer Arterstem Grundbuch der Stadt Ahrweiler als das „Staffelhus“. Ein Anseimus de Staffele begegnet uns 1277 in einer Steinfelder Urkunde als Schöffe der Stadt „Arwiilre“.
Das Stadtbild von Ahrweiler auf der Karte des unteren Ahrtals von 1571 weist im Bereich der Obemut/Altenbaustraße eine ganz andere Bebauungsstruktur auf als im östlichen Stadtbereich, der wohl geordnet erscheint. In der Oberhut sind teils ruinöse innerstädtische Befestigungsmauern und ein großes kubisches Gebäude zu erkennen. Wir dürfen in ihm das „Staffelhaus“- den „Alten Bau“, das alte, möglicherweise erste Befestigungszentrum der „Villa Ahrweiler“ vermuten. Um diese Zeit besitzt der Junker Nagel als Erbe der Ritter Blankart den Bau. Von „Junker Nagels Erben“ geht er dann zum Ende des 16. Jahrhunderts als der „Adeliche Seeß“, der Rittersitz, auf die von Metternich über.
1630 ist der Turm in der Beschreibung „dem Prümschen Lehngüteren zu Arweyler“als „daß adeliche Hauß binnen Arweyler genandt uff Thurn“ im Besitz des Dieterich von Metternich. Am 12. Juli 1666 werden die Freiherrn von und zu Stein-Callenfels durch einen „Erbkaufbrief“ neue Besitzer. Sie verpassen ihm die etwas zu flach geratene welsche Haube mit laternenartigem Türmchen und Wetterfahne mit ihrem Wappen.
Am 6. November 1700 verkauft Carl-Casimir von und zu Stein-Callenfels „Oberamtmann der Hindergrafschaft Sponheim“ für sich und seine drei Brüder dem „Hoch- undt Wohl Ehrwürdigen Herrn, Herrn Michael Kuell, Äbten undt gemeinen Convent deß Gotteßhaus Steinfeldt, Praemonstratenser Ordens, den zu Ahrweiler, Cöllnischen Erzstiftes, gelegenen alsogenandten Staffeiter Thum mit allen anklebenden freyadlichen Güthern… für 2134 2/3 Reichsthaler cöllnischer Währung“.
Der Weiße Turm, rückwärtige Ansicht (1994)
Am 31.5.1804 wird er im Zuge der Auflösung der Klostergüter vom französischen Staat als „Steinfelderkellerey für 1825 Francs dem Steuerschätzer Philipp Gillet verkauft. Nach 1815 geht er in städtischen Besitz über, wird erste höhere Bürgerschule, um dann zu Beginn unseres Jahrhunderts bis zum heutigen Tag die Sammlungen des Heimatmuseums aufzunehmen.
Drei solch mittelalterliche, turmartige Burghäuser, sogenannte Wohntürme, die adeligen Geschlechtern als „Behausung“dienten, hatte Ahrweiler einst:
Den Roten Turm, mit Wassergraben umgeben vor der heutigen westlichen Stadtmauer, den Kolventurm nach den schon im 13. Jahrhundert genannten Rittern von Colve innerhalb der Mauer nahe dem Adenbachtor und den Staffeler, heute Weißer Turm genannten. Er alleine blieb übrig. Stolz dürfen wir auf ihn sein, müssen wir doch weit fahren, um solche Wohntürme in Städten anzutreffen.
Der Heilige von Kloster Steinfeld
Während der letzten großen Renovierungen des Weißen Turms 1989/90 entdeckten Handwerker beim Entfernen von Mauerteilen in seinem westlichen zweigeschossigen Anbau des 18. Jahrhunderts, der viele Jahrzehnte lang Rektoren- und Lehrerfamilien als Wohnung diente, eine höchst qualitätvoll stuckierte, teils marmorierte, teils vergoldete Nische in der Südwand des Untergeschosses mit einer im unteren Körperbereich leider zerstörten Stuckplastik eines zunächst für sie und die Fachleute nicht zu identifizierenden Heiligen.
Die Presse machte den Fund bekannt. Zu damaliger Zeit gerade von einer Pragreise zurückgekehrt, war mir nach Besichtigung des Raumes sofort bewußt, daß dieser zunächst nicht zu identifizierende „Heilige“ der bekannteste Heilige des Prämonstratenserordens, der Mystiker Hermann-Josef von Steinfeld, war.
Die Chorherrenkleidung, das Jesuskind auf dem rechten Arm, das Almutium (ein Pelz als Teil der Chorkleidung) über dem linken – die als Attribut zugehörige Lilie war verlorengegangen – bewiesen es.
In Prag hatte ich eben den Heiligen in der Skulptur von Ignaz Platzer d. Ä. auf dem Hochaltar von Kloster Strahov, dem Zweitältesten Mönchskloster von Prag und zugleich der bedeutendsten Tochtergründung von Steinfeld, bewundert. Mit der Gestalt des Heiligen auf der alabasternen Deckplatte seines Hochgrabes in Steinfeld wie auch der Darstellung auf dem Seitenaltar der Kirche in Wehr war die in Ahrwei-ler vorgefundene Plastik gut zu vergleichen.
Nische, Skulptur, Umrisse des abgeschlagenen Sarkophagaltars im Putz, barocke Sockelmalerei des teils noch verschütteten Raumes, alles deutete darauf hin, daß der vorgefundene Raum jene „Capelle“war, „welche Abt Evermod Claeßen in festo St. Laurentii 1777 einweihete“.
„so heruntergekommen“
Die Fachleute stellten meine Vermutungen in Frage. Nach ergebnislosen Recherchen im Landeshauptarchiv Koblenz dann endlich im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf der erste Erfolg: In den „Kahnakten“, das sind Akten, die nach dem Krieg bei der Zurückführung ausgelagerter Akten auf einem Kahn im Mittellandkanal untergegangen waren und erst nach mehreren Monaten geborgen werden konnten, fand ich eine wegen ihres vorangegangenen Schicksals nicht ganz leicht zu lesende Beschreibung von Reno-vierungs-und Ausbaumaßnahmen im Turm von 1700 bis 1775. Aufgeschrieben hatte sie Hermann-Josef Schefer um 1775. Er war ein Ahr-weiler Junge, Chorherr der Abtei Steinfeld, ihr Kellner in seiner Heimatstadt von 1756 bis 1794, d. h. er war der Verwalter, der Inspektor aller seinerAbtei Steinfeld zugehörigen hiesigen Besitzungen.
Er schreibt: „Der Turm mit dem Hof, der Scheuer, dem Stall und dem Garten ist ein halber Morgen, 1 Pinte, 2 Fuß groß. Dieses Turmhaus war 1702, als Herr Kellner Pütz es bezogen, so heruntergekommen, daß man von unten bis unter das Dach hat sehen können.
Kein Zimmer hatte einen Fußboden, kein Fenster war verglast. Nur das Stübchen und die Küche, die mit Steinplatten ausgelegt war, hatten jeweils ein kleines Glasfenster. Scheuer und Stallung waren ganz zerfallen.
„den newen anbau“Im selben Jahr noch hat Herr Pütz erstens eine Trepp aufs Haus machen lassen; zuvor mußte man mit einer Leiter hinauf. Zweitens hat er die Zimmer dielen und teils mit Steinplatten belegen und drittens hat er einige verglaste Behelfsfenster einsetzen lassen.
Skulptur des Mystikers Hermann-Josef von Steinfeld in der Kapelle im Weißen Turm
Hernach hat er neue Stallgebäude, eine Scheune und ein Kelterhaus errichtet.
Herr Kellner Schink hat die Pumpe im Hof anfertigen und aufrichten lassen. Herr Kellner Wachendorf hat den ganzen Hof gepflastert. Danach hat der jetzige Kellner oben in den Zimmern neue Holzfenster mit Bleiverglasung und neue Türen einbauen, den großen Kamin abbrechen und neu aufsetzen lassen.
Das Untergeschoß, das nur aus Küche, einem großen und einem kleinen Raum bestand, hat er so verändert, daß man jetzt ein Zimmer für den Herrn, einen Empfangssaal, einen Raum für Gesinde und Pächter, einen Raum für Schränke und die Küche hat. Die Küche wie auch der Eingang wurden 1762 mit Weiberner Steinplatten neu ausgelegt. Nach all diesem hat dieser Kellner „den newen anbau mit der Capellen item eine neue Trap auffs Hauß verfertigen item 1775 den gantzen Thurn auffs new bewerffen, weißen und anstreichen laßen“.
In teils lateinischer Sprache hat Hermann-Josef Schefer später am linken Rand hinzugefügt: „Diese Kapelle wurde mit dem Einverständnis des Weihbischofs von unserem Hochwürden Claeßen am Fest des heiligen Laurentius 1777 feierlich benediziert. Am selben Tag hat er auch die Altäre in der Pfarrkirche konsekriert.“
„ein Altar mit Skulptur“ der – Beweis
Zu einem wirklichen Glücksfall wurde dann noch die Durchsicht der Güterschätzungs- und Versteigerungsakten im Landeshauptarchiv Koblenz aus der Zeit der Enteignung der Klöster durch den französischen Staat um 1800.
Vor dem Beigeordneten der „Mairie“ Ahrweiler, Matthias Keßler, dem Registrierungsbeauftragten der zu versteigernden Güter Charles Louis Leduc und dem Notar Windeck mußte der letzte Steinfelder Kellner in Ahrweiler, also der Nachfolger Hermann-Josef Schefers, der „Bürger“ Hermann Pfeiffer, Güterverwalter und Mitglied der Abtei Steinfeld, u. a. dezidiert das Inventar der Kapelle der Steinfelder Kellnerei auflisten sowie auch eine Beschreibung ihres Mobiliars liefern. „Existant dans la chapelle.-.ainsi qu’il suit(Es sind in der Kapelle vorhanden wie folgt):Ein Altar mit SkulpturZwei versilberte KerzenleuchterEin kupferner Christus, versilbertEin AltartuchZwei Kerzenleuchter aus HolzEin kupferner WeihwasserkesselZwei ZinnkännchenZwei große BilderSechs BänkeVierzehn kleine BilderEine kleine GlockeEin Ofen im Speisesaal“
In Fortsetzung dieses Schriftsatzes findet sich dann unter der Nr. 1 des zu schätzenden und zu versteigernden Grundbesitzes der Steinfelder Abtei in Ahrweiler „ein Haus (üer Weiße Turm!), eine Kapelle, ein Backhaus, Hof, Scheune, Pferdestall, Kelterhaus, zwei Gärten – alles mit Mauern umgeben.“
Hermann-Josef Schefer hat uns den im Jahr 1700 von den Stein-Callenfels gekauften Wohnturm, der vermutlich durch die Kriegswirren des vorangegangenen 17. Jahrhunderts wie Trup-pendurchzug, Einquartierung, Plünderung und Brandschatzung fast ruinös geworden war, beschrieben. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses „adelichen Hauses“erfahren wir Näheres über seinen baulichen Zustand – hier um 1700 – aber auch über die bedeutsamen baulichen Maßnahmen am und im Turm und an den Ökonomiegebäuden auf dem großen ummauerten Grundstück, die er selbst und seine Vorgänger im Amt des Kellners, die Prämonstra-tenserchorherren J. Pütz, A. Schink und M. Wachendorf, vorgenommen hatten.
Wir hören sogar von ihm, daß man ursprünglich zum höher gelegenen Eingang „mit einer Leider Hinauf mußte“, eben wie es der Befestigungscharakter eines Rittersitzes ohne Wassergraben erforderlich machte.
Gesucht haben wir den Beweis für die Richtigkeit unserer Vermutung, daß der große Raum im barocken Anbau mit Nische und Skulptur die wiedergefundene Kapelle der Steinfelder Kellnerei ist.
Gefunden haben wir den Beweis in Aufzeichnungen des bisher in Ahrweiler unbekannten Sohnes der Stadt, der für sein Kloster in Steinfeld im Auftrag seines Abtes Ebermodus Claeßen am Turm nicht nur erhebliche bauliche Maßnahmen durchführen, sondern den „newen anbau mit der Capellen verfertigen“ und sie so einrichten ließ, wie es das von Revolutionsbeschlüssen erzwungene Inventarverzeichnis ausweist.
Der „weiße“ Turm
Wahrscheinlich sein letztes großes Bauvorhaben in Ahrweiler war, daß er „ 1775 den gantzen Thurn auffs newbewerffen, weißen und anstreichen“ \\eß.
Noch 1775, obwohl damals schon sehr lange Jahre im Besitz der Steinfelder Chorherren mit dem weißen Mönchshabit, wird der Turm noch immer „Stein-Callenfelser Rittersitz Staffeler Turm“ genannt.
Ein Kloster, also ein Haus mit mehreren „weißen“ Mönchen – wie in der Literatur oft gesagt -hatte die Abtei Steinfeld in Ahrweiler nie. Deswegen dürfen wir nun die Frage stellen, ob der Weiße Turm, wie Ahrweiler ihn heute nennt, vielleicht gar nicht wegen der weißen Kutte der Steinfelder Chorherren – es gab immer nur einen in Ahrweiler, den Güterinspektor, den Kellner – sondern nur wegen seiner neuen weißen Farbe, die ihm Hermann-Josef Schefer 1775 gegeben hatte, zum Weißen Turm wurde.
Quellen und Literatur:
Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf: Akten Steinfeld 331, Bl. 267 v Landeshauptarchiv Koblenz; Abt. 53 C 46 Nr. 175. 18 Nr. 2014,2 Nr. 1234, 2 Nr. 1235, 18 Nr. 2014, 256 Nr. 2787, 256 Nr. 10767, 256 Nr. 10172.256Nr.9960
Ingrid Joester; Urkundenbuch Steinfeld; Köln-Bonn 1976, No. 140 Theresia Zimmer; Inventar des Archivs der Stadt Ahrweiler; Koblenz 1965, Nr. A1, A2, A126, A173, A 174, A178, A181, A190, A347. A571 Bruno Andre: Das Dort Wehr Bd. II; Wehr 1986
Bruno Andre: Kopie des Mitgliederverzeichnisses der Abtei Steinfeld von 1540- 1802.
Hans Frick: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr, 1933 Klaus Flink: Der Stadtwerdungsprozeß von Ahrweiler und die „Kurkölnischen Stadtgründungen“ in; Rhein. Vierteljahresblätter Nr. 39; 1975 Georg Barsch: Das Prämonstratenserkloster Steinfeld in der Eifel; Schleiden. 1857
Paul Clemen: Kunstdenkmäler der Rheinprovinz – Kreis Ahrweiler; Düsseldorf. 1938