Dem Volk aufs Maul geschaut
Peter Weber
Das Dorf leben hat sich mehr und mehr den Zeitverhältnissen angepaßt. Zwar gibt es noch mancherlei Nachteile, wenn man an das Erreichen der Schule oder des Arbeitsplatzes denkt. Dennoch hat das Dorfleben manches für sich. Das empfinden viele, die in der Stadt eine neue Heimat fanden, und deshalb zieht es sie immer wieder an die Stätten der Kindheit und Jugend zurück.
Mit dieser Wandlung in’s Moderne geht aber auch manches verloren, was früher den Umgang der Menschen auf dem Lande bereicherte. Eine bunte Mischung von Aussprüchen, Verhaltensweisen, Spaß und Witz soll uns das zeigen. Für die meisten sind sie heute wohl unverständlich und nicht mehr zeitgemäß, manche wohl wegen der Entwicklung überholt. Dennoch kann man auch heute noch über den Einfallsreichtum und die Treffsicherheit lächeln, wo es doch angeblich so wenig zu lachen gibt; »Wenn man sich nicht selber kitzelt, hat man nicht viel zu lachen« und damit sei der Anfang gemacht. Wenn einer fragte, wo der und der sei, und man wollte das nicht sagen, bemerkte man, »Der ist Kalk holen, um den Mond zu weißen«. Nun hatte er eine Antwort, aber die machte ihn nicht klüger als er war.
Wollte man einem Kinde drohen, sagte man zu ihm: »Paß auf, ich setze dir den Kopf zwischen die Ohren!«
Sollte ein Kind einen Denkzettel bekommen, zog man es an beiden Ohren hoch und fragte: »Siehst du deines Vaters rote Socken«? oder man fragte: »Wer die roten Socken sehen wollte« und vollführte dann die schmerzhafte Prozedur. Das war natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl, und die Kinder räumten schleunigst die Szene.
Wenn die Kinder in der Schmiede, bei einem anderen Handwerker oder an anderen Orten den Erwachsenen zuhörten, nannte man das »Maulaffen feilhalten«. Um sie loszuwerden oder ihnen einen Denkzettel zu geben, schickte man sie dann in ein Haus oder einen Handwerksbetrieb, um den sogenannten Böschungshobel zu holen. Wenn ein Kind darauf einging, lud man ihm ein schweres Stück Eisen oder einen Balken auf und schickte es zurück, wo es mit Gelächter empfangen wurde. Auf diesen »Leim« konnte man es dann nie mehr führen. Andere schickte man in’s Geschäft, um für fünf Pfennige oder ein Tütchen »Hau-mich-blau« zu kaufen.
Wenn jemand Sommersprossen hatte, dann wurde er verspottet — »Da hat mott dem Düwel Mist gedreische«. (Mist gedroschen)
Rothaarige wurden »Fuss« (Fuchs) oder »Ru-ät« (Rot) genannt, auch als Beiname, z. B. Stürmesch Ruät.
Wenn jemand zu emsig war oder sich »Lieb-kind« machen wollte, sagte man von ihm, er wolle sich ein »rotes Röckchen« verdienen.
Sprach jemand dem Essen besonders gut zu, sagte man von ihm »Da ißt wie en Schüredreischä oder Büeschtebännä«. (Scheunendrescher – Garbenbinder)
Menschen, die besonders clever oder raffiniert waren, bezeichnete man als »Flühlüsä« und Vorwitzer als »Louschhöhnchä«. (Flohlauser -Lauschhühnchen).
War jemand zu aufdringlich, hörte er die Bemerkung »Man kann auch einen Bären zanken« oder »Man kann auch eine Kuh am Schwanz herumziehen«.
Stand jemand Schlimmes bevor oder hatte er Pech gehabt, dann sagte man, »In dem seiner Haut möchte ich auch nicht stecken«.
Sollte man umsonst einspringen oder etwas verschenken und hatte keine Lust dazu, gab man zur Antwort: »Davon qualmt der Kamin nicht«.
Wenn am Hochzeitstage das Wetter schön war, sagte man von der Braut, sie habe die Katzen gut gefüttert. Bei schlechtem Wetter hieß es, sie habe die Katzen schlecht gefüttert. Wer es nicht lassen konnte, in die auf dem Herd stehenden Töpfe zu gucken, der wurde und wird »Döppcheskickä« genannt. Öfter kam es vor, daß jemand nicht pünktlich nach Hause kam. Dann fragte man ihn: »Welches Heiligenhäuschen hast du denn angetroffen«?
Sah jemand durchnäßt, frierend und zerknautscht aus, hieß es »Da hat in de Dach-trepps (Dachtraufe) jestanne« oder man fragte: »En welcher Dachtrepps häss du dann jestanne«?
War jemand einer Sache nicht geneigt und nicht zur Mitarbeit zu bewegen, sagte er kurz und bündig »Du kaans mir da Naachen deuen« (du kannst mir den Nacken drücken).
Wurde nach jemand gefragt, der das Häuschen mit dem Herzchen in der Türe aufgesucht hatte, gab man zur Antwort »Da oss, wo da Kaise ze Foß jeit« oder »Da oss op Nummer dreißig«. Von dem, der früh schlafen geht, sagte man: »Da jeit met da Hohnä schloofä«. (Der geht mit den Hühnern schlafen).
Ein häufig vertretenes Urteil im alten Dorf war »Pastor’s Hunde und Lehrer’s Kinder — sind die Schlimmsten im Dorf«. Von einem sehr pfiffigen Menschen sagte man: »Der hört die Flöhe husten«. Vielen dieser treffenden Bemerkungen ist durch die Entwicklung auf dem Lande der Boden entzogen, denn die Tierhaltung wurde sehr eingeschränkt, so daß man z. B. darauf kaum noch Bezug nehmen kann.
Dennoch leben manche dieser Redensarten auch heute noch weiter. Schade, wenn sie eines Tages sollten verloren gehen.