Dat Hoor en de Wuusch
Erinnerungen an den Hausschlachttag früherer Jahre
Rosemarie Bongart
Vor Jahren, als noch sehr wenig Industrie in der hiesigen Gegend angesiedelt war, befanden sich viele Felder und Gärten im Umkreis unserer Stadt. Es waren oft kleine Gärten und Felder, aber alle wurden bearbeitet und am Nachmittag nach Feierabend, sah man so manchen, der tagsüber als Arbeiter, Angestellter oder »kleiner hungriger Beamter« seine Arbeit verrichtet hatte, Hacke und Spaten geschultert, seinem Garten oder Feld zueilen. Mit dem Ertrag, den der Garten hergab, wurde die eigene Familie, aber auch noch Haustiere, wie Ziegen, Hasen, Hühner und Schweine versorgt. Damals galt Gartenarbeit bestimmt nicht als Hobby, der karge Verdienst zwang zur sparsamen Lebenshaltung. Fleisch gab es meist nur an Sonn- und Feiertagen, zwischendurch an den Wochentagen waren Gemüsegerichte auf dem Tisch, die gut mit geschmolzenem Speck angerichtet waren. Eben jener Speck, fett oder durchwachsen, stammte aus eigener Schlachtung, kostete fast nichts und besserte so die Haushaltskasse auf. Im Frühjahr wurde von einem Schweinehändler aus dem Ahrtal ein Schwein gekauft, daß einige Monate alt war. Vater sagte immer ein »Läufer« und achtete darauf, daß es einen kurzen Kopf hatte, er war der Meinung, diese ließen sich besser mästen.
Der kleine Schweinestall, an vielen Häusern angebaut, wurde hergerichtet, frisch gekalkt, der Boden mit frischem Stroh belegt und das Schweinchen unter viel Aufregung und guten Ratschlägen darin untergebracht. Alles was aus der Küche an Essensresten abfiel, wurde in einem Eimer gesammelt, mit Kartoffelschalen und Mehl gekocht und als Futter verwendet. Folglich fiel uns Kindern die Aufgabe zu, bei Bekannten, die keine Haustiere hatten, Kartoffelschalen und Brotreste wöchentlich einzusammeln, als Gegenleistung gab es am Schlachttag eine Blut- und eine Leberwurst und eine Kanne köstlicher Wurstbrühe für den Spender.
War das Schwein im November-Dezember nun gut gemästet, hatte so seine 180 – 200 Pfund, dann hieß es: »Mir schlaachten baal« und der Hausmetzger wurde verständigt. In unserem Falle war das der »Ohm Hein«, ein Bruder meiner Mutter, ein großer stattlicher Mann, mit kräftigen Händen, die zupackten wo’s Not tat, von uns Kindern geliebt, aber auch ein wenig gefürchtet.
Am Schlachttag erschien er in einer blütenweißen Metzgerschürze, frisch geputzten Gamaschen an den Beinen. Mit einem Bolzenschußapparat wurde das Schwein nun getötet und zerlegt. Unser Ohm hielt uns dann alle in Atem, verteilte so viele Aufgaben, auch an uns Kinder, daß wir keine Zeit zum Müßiggang fanden. Spurten wir nicht so, wie er wollte, so konnte es uns blühen, daß er uns die gereinigten Därme des geschlachteten Schweines, die zur Wurstpelle verwendet wurden, kurz um die Ohren hieb. So hüteten wir uns, ihm im Wege zu stehen und machten einen achtungsvollen Bogen um ihn. In pingeliger Kleinarbeit hatte der Ohm zuvor Darm für Darm gereinigt und gespült, daß man meinen konnte, sie wären nun endgültig durchgescheuert.
Zum Leidwesen des Ohms hatte meine Mutter, im Glauben Gutes zu tun, eines Tages ihre Freundin und ihre Schwester zum Schlachtfest eingeladen, was der Ohm mit einem tadelnden »moot dat langhoorige Geschier hök och he senn« kritisierte. Aber Mutter ließ sich nicht beirren, sie wies den beiden Frauen einen Platz auf dem Sofa, daß in der Küche stand, zu, begleitet von schiefen Blicken des Ohms, dem das so gar nicht recht paßte. »Die kuken mir zuvill ob de Fengere«, meinte er. Die Waschküche, die damals u. a. die Funktion eines Badezimmers erfüllte und sehr geräumig war, diente als Wurstküche und wehe, wenn der Ohm nicht alles nach Wunsch tiptop sauber vorfand. Mutter hatte schon Tage vorher alles noch einmal gründlichst gescheuert und gefegt, um ja den Ohm bei Laune zu halten. Er musterte auch die Haarpracht der anwesenden Frauen, hätte ihnen am liebsten Kopftücher verpaßt und verbot ihnen dabei zu nahe an die Wursttröge heranzutreten, wo Blut- und Leberwurstmasse getrennt verarbeitet wurden. Sein Einwand war stets: »Ech well kein Hoor en de Wuusch«.
In der Wohnküche, wo sich überwiegend das tägliche Leben abspielte, stand ein großer Küchenofen, auf dem nun die frischen Würste abgekocht wurden. Sobald die Würste in dem kochenden Wasser an der Oberfläche schwammen, servierte Mutter den beiden »unwillkommenen« Gästen eine Tasse guter Wurstbrühe, genannt im Familienkreis »Sam-sonsuppe«, wohl wegen des angenommenen Kräftigungswertes.
Der Ohm werkelte derweil an einem frisch gescheuerten Tisch, zerteilte das Fleisch und gab Mutter und Vater seine Anweisungen. Auch fiel hier und da auf Mutters Bitte an den Ohm eine Scheibe Wellfleisch, ein mageres Stück Schweinefleisch, für ihre beiden Gäste ab. Knauserig bemaß er die Stückchen und meinte: »Eijentlich bruch ech dat für de Schwade-mage«. Meine Mutter rannte geschäftig hin und her, teils bemüht dem Ohm zur Hand zu gehen, aber auch in der Sorge, ihre Gäste könnten zu kurz kommen und so kam es zu manch hitzigem Dialog zwischen Mutter und dem Ohm, dem wir Kinder gespannt lauschten, denn wer wagte schon dem Ohm zu wiedersprechen, aber Mutter schnitt zungengewandt mit einigen handfesten Argumenten wie, er übertreibe auch oft, dem Ohm die Rede ab. Auch wir Kinder durften nun, nachdem wir die uns übertragenen Aufgaben erledigt hatten, in der Küche sitzen und dem Ohm zuschauen mit dem Hinweis vom Ohm: »Rennt mer net en de Fööß erömm« und zu meiner Mutter, »Ann, senn mir he op der Kermes oder am arbeide«. Weil die drei Damen natürlich ihr Schwätzchen hielten und meine Mutter nach Meinung des Ohm zu viel in die Unterhaltung mit einbezogen wurde, sich hier und da Verzögerungen in der einen oder anderen Handreichung ergaben. Da mußten z. B. »de Lönt« die Flomen, durch die Fleischmaschine gedreht werden, die zu Schmalz verkocht wurden.
Zum Ärger des Ohms, uns aber zur stillen Freude platzte hier und da beim Kochen eine Wurst, das bedeutete eine noch größere Würze der Wurstbrühe, und die Geplatzte wurde zum Verzehr freigegeben. Schnell wurden dann die mittlerweile auf dem Tisch geschnittenen Brotscheiben belegt und verspeist. Was den Ohm zu dem Ausspruch veranlaßte: »Hat ihr dann überhaupt schon en Wuusch verdent?« Er schien der Ansicht, daß es mit unserer Hilfe an diesem Tag wohl nicht weit her gewesen sei, oder meinte er die müßig dasitzenden Vertrauten meiner Mutter?
War aber dann alles versorgt, die Wurst gekocht, meist auch noch in Gläser und Dosen gefüllt, das Fleisch und der Schinken im Bottich eingesalzen, die Würste zum Abkühlen auf Stangen in den Keller gehängt, das Schmalz in die Steintöpfe gefüllt, das Wurstgeschirr fein säuberlich gespült und gewartet, so ließ sich auch der Ohm auf einen Stuhl fallen, daß wir Kinder befürchteten, er würde unter ihm zerbrechen, stieß einen Seufzer aus und sagte: »Dat wör geschaff«. Schnell kam Vater mit einer Flasche »Klaren«. Nun begann der gemütliche Teil des Schlachttages, der Ohm war wie ausgewechselt, er alberte mit uns Kindern und dem »onnüdige Besuch« herum, daß wir uns oft vor Lachen nicht halten konnten.
Uns Kindern fiel am anderen Tag die angenehmste Aufgabe zu, wir gingen mit Kannen Wurstbrühe und den frischen Würsten zu den Spendern der Küchenabfälle, mit deren Hilfe das Schwein sich so gut mästen ließ, wurden freudig willkommen geheißen und mit Süßigkeiten bedacht, die damals so selten verteilt wurden.