Das Mädchen aus der Fremde
Das Mädchen aus der Fremde
VON JOSEF KREUTZBERG
Zu ihrer Zeit nannten die allen Römer die kostbare Frucht des Pfirsichbaumes malum persicum, den persischen Apfel.
„Sie war nicht in dem Tal gebaren;
man wußte nicht, woher sie kam …“
Die Germanen erfaßten die Eigenart, das Weibliche des schönen Naturkindes tiefer und wahrer und verweiblichten daher den persischen Apfel in „die Pfirsche“. Im heutigen Sprachgebrauch sagt man der und die Pfirsich, aber mich dünkt, man sollte den Baum der und die Frucht die Pfirsich heißen.
Die liebe Pflanze verlangt nicht nur in der Natur, auch im Reiche des Wortes ein warmes Klima, und man müßte die kleinen Dinge des Lebens wie Johannes Kirschweng vergolden oder dichten können wie Heinz Graf, der selbst Tomaten im Garten seines Museions hegt, um ihr Lob zu singen. Jetzt prangt sie wieder in unseren Gärten, auf unseren Tischen, die schöne, aparte Frucht. Wenn sie auch bei uns heimisch geworden ist, so fühlt doch jeder den geheimnisvollen, fremdartigen Zauber ihrer Erscheinung.
Gereift unfeiner anderen Flur in einem anderen Sonnenlichte in einer glücklicheren Natur. Schiller Seht euch, ihr lieben Mitmenschen, zuerst den Baum an, auf dem sie gewachsen ist. Dem inneren Lebensgesetz, das er zum Ausdruck bringt, entspricht auch der Eindruck, den er unserer Seele einprägt: Die Wurzeln, die den wundersamen Saft aus dem Boden ziehen, sehen wir nicht — sie werden erdfarbig, weitverzweigt und unansehnlich, wie alle stillen, aber fleißigen Arbeiter sein. Der Stamm ist nicht viel dicker, als der Oberarm eines kräftigen Mannes, der Wuchs niedriger als der ihr benachbarten Mirabelle. Äste und Zweige streben sich gabelnd auseinander, dem Licht und der Sonne entgegengespreizt. An jungen und alten Bäumen findet man oft trockenes und verdorrtes Ast- und Zweigholz. Das Blatt hat die Form einer Lanzenspitze, ist am Rande gezahnt oder besser scharf gesägt, glatt, kurz gestielt, bei guter Ernährung flaschengrün. Nur auf kalkhaltigem Boden ist das Blattkleid üppig, sonst im allgemeinen dürftig.
Der geistige Bauplan der Pflanze zeigt etwas Auseinanderstrebendes, dem Lichte Zugewendetes, nicht die geschlossene Kuppel, die das kosmische Himmelsgewölbe nachahmt. Es ist das Gesetz des Südens, der Darbietung, der Hingabe an Sphäre und Licht, der Sehnsucht nach Sonne und Wasser wie bei Palmen und Bananen. Dieses Armausstrecken erinnert eher an den griechischen Jüngling, der mit erhobenen und offenen Handflächen zu den Göttern betet. Anders betet der nördliche Mensch, anders die Buche, die Linde, die Eiche. Unter der Hand des Gärtners wird natürlich die Baumform verändert zu Busch und Spalier.
Lieblich ist der Pfirsich im April, wenn er blüht, noch ehe er seine Blätter treibt: Ein einziger bienenumsummter Blütenstrauß ist ein Wunder an Duft und Farbe. Die blaßrote Leuchtkraft der Blüte ist entzückend, hingehaucht in das schüchterne Grün erwachender Fluren und Gärten. Einzeln stehen die Blüten unter den Blattknospen, doch zu Ähren gedrängt mit fünf rosenroten Blütenblattlöffelchen, aber rot nach der Seite des Weiß hin. Goethe fand in seinen Farbenstudien diese Farbe „erfreulich“, er nannte sie „Pfirsichblüt“. Sie ist die Farbe der menschlichen Haut, das rosafarbene Inkarnat, das von allen beseelten Lebewesen allein dem Menschen zukommt.
Wenn die Blüte nicht durch Frost oder Unwetter gestört wird, kommen bald unter einem Krönchen verdorrter Blütenblätter die mausgrauen Fruchtknospen zum Vorschein, meist viel mehr, als der schwache Baum zu nähren imstande ist. Und obwohl ihn seine Verwandten, Mandel und Pflaume, durch Wort und Beispiel auffordern, sich der allzuvielen Fruchtkinder zu entledigen, so nährt er doch alle mit der gleichen Liebe. Der Pfirsich ist der einzige Steinfruchtbaum, der kein keimendes Leben vernichtet oder abstößt, eher läßt er Zweige und Äste verdorren, ja er „trägt“ sich selbst zu Tode. Der kluge Gärtner dezimiert daher beizeiten den allzureichen Fruchtansatz.
Diese Verschwendung seiner Lebenskraft beobachtet man auch darin, daß eine Wunde der Baumrinde sich nicht heilend schließt, sondern durch ständigen Saftfluß — „Gummifluß“ sagen die Baumärzte — bis zur Auszehrung, ja manchmal bis zur völligen Erschöpfung der Lebenskraft ausblutet. Eine Pflanze, der ein so mütterliches Lebensgesetz innewohnt, muß schöne Kinder zur Welt bringen. Nun seht euch die Früchte, die ja nicht weit vom Baume fallen, an. Ihr habt sicher schon einmal vor einem überaus schönen Marmorbild gestanden. Ein unnennbarer Drang ließ euch den Arm erheben, um den edlen Formen nicht nur mit dem Auge, auch mit der Hand und den Fingern nachzuspüren. Aber die Kühle des Marmors, der Adel des Bildes, der vornehme Abstand ließen die Regung sofort wieder schweigen und zur Ruhe kommen. Aber die Pfirsiche darfst du greifen. Wie ihr weiches Rundum sich in die Höhlung deiner Hand schmiegt. Ihr Atem duftet, es riecht nach Sonne und Luft. Die Haut ist samtig, das Fleisch ist nicht zu fest und nicht zu weich, die Farbe gleicht der Wange einer Jungfrau: „Pfirsichblüt“. Empfinde die Süße und Schmeichelei ihrer Linien. Beiß hinein, nein schlürfe sie: Aroma, Bouquet, Süße, Herbe, Bittermandelgeschmack, erfrischend, fremdartig und doch vertraut: Mädchen aus der Fremde.
Wo kommt sie nur her, die Pfirsche? Die Gelehrten sagen, ihre Urheimat sei China gewesen. Von dort sei sie über Indien, Persien in die Mittelmeerländer gewandert. Vor den Römern war sie jedoch schon den viel älteren Ägyptern bekannt, deren Mysterien ebenso geheimnisvoll waren, wie die Seele einer schönen Frau, wie der herbe Kern einer Pfirsche. „Herb ist auch noch das süßeste Weib“ singt Zarathustra. Und wahrlich, der Kern der allerliebsten Pfirsche birgt in eisenhartem Schalensarg das gefährlichste aller Gifte, die furchtbare Blausäure. Auf einem mehrere Jahrtausende vor Chr. Geburt geschriebenen, jetzt im Louvre befindlichen Papyrus stehen Worte, die allem Anschein nach an deti Verräter der Priestergeheimnisse gerichtet sind: „Sprich nicht aus den Namen von IAO (Jahve?) bei der Strafe der Pfirsiche!“ Gemeint ist die in den Pfirsichkernen enthaltene Benzaldehydblausäure — ein tödliches Gift, wie der Schierlingstrank bei den Griechen. Und seltsam und voller Geheimnisse ist noch die Wirkung des Kerngiftes auf den Organismus. Indem das Blut weise gehemmt wird, seinen Sauerstoff“ an das Gewebe abzugeben, wird es mit einem Schlage hellrot, und die Körperwärme steigt bei dem also Vergifteten noch nach dem Tode. Schauriger Abgrund: Pfirsichblüt und entbundene Sonnenwärme.
Nicht überall in deutschen Landen gedeiht der Pfirsichbaum, den die Botaniker Prunus amygdalus persica nennen. Aber hier bei uns im gesegneten Rheintal trägt er Frucht vom Frühsommer bis zum Herbst, überall da, wo auch die Weinrebe wächst und reift. Und mit ihr verbindet ihn eine uralte Freundschaft. Man kann aus Blüten, Blättern und Kernen Arzneien, aus den Früchten Gelee, Kompott, Dörrobst, Fruchtsaft herstellen, aber am lieblichsten ist doch die frische, reife Frucht vom Baum und die — Pfirsichbowle. Und wenn die Zeiten und meine Umstände danach angetan wären, so würde ich euch, meine lieben, geduldigen Leser, gerne auf eine Sommerterrasse am Rhein einladen und euch heute noch davon überzeugen. Vielleicht würden wir dabei, heiter und ernst zugleich, dem tiefen Gesetz nachsinnen, das der Pfirsche Labsal für den Kranken und Gift für den Gesunden aus einer Wurzel, aus ein und demselben Stiele hervorbringen heißt, vielleicht würden wir in einem erhöhten Geisteszustände das Urphänomen vom Gegensätzlichen und Wechsel aller Erscheinungen im großen und kleinen Kosmos erahnen und auf einer höheren Ebene die Einheit dieser Gegensätze aufspüren. Vielleicht fänden wir Trost darin, daß es keinen Tag gäbe ohne die Nacht, daß Licht und Schatten, Ruhe und Bewegung, Arznei und Gift, Stirb und Werde zusammengehören wie das Böse und das Gute.Content-Disposition: form-data; name=“hjb1965.20.htm“; filename=““ Content-Type: application/octet-stream