Das Leben im Herzogtum Arenberg
„Wir leben hier wie in der Türkei, wir verlieren unsere Haltung nicht bei der Toilette, wir verbringen die Abende nicht im Theater oder auf Bällen; im Gegenteil, wir arbeiten von früh bis spät, und wenn ich nicht arbeite, dann sitze ich zu Pferde.“
So beschrieb der herzogliche Statthalter Bornschlegel einige Jahre vor der Französischen Revolution (1784) seinen Alltag auf der Arenburg. Nun, diese Sätze schrieb er im Sommer. Wie es aber im Winter oben auf der Burg aussah, auch das hat er in zahlreichen Briefen festgehalten. Da heißt es etwa (7.12.1784): „Die Winde heulen jetzt so um den Berg, dass es selbst den Wölfen angst wird… Das ganze Haus ist seit drei Tagen voller Rauch und es ist eine schreckliche Kälte, so dass man es sich zweimal überlegt, die Nase nach draußen zu stecken.“
Das alles gibt nicht gerade ein rosiges Bild von den Zuständen auf der Burg, wo immerhin die Herren ihr Zuhause hatten. Dass es da ein Herzog von Arenberg vorzog, seine Residenz an gesegneterer Stelle in Enghien, Brüssel oder Heverlee aufzuschlagen, können wir ihm nicht verübeln. Die Arenburg selbst lag abseits aller wichtigen Verkehrswege, und wer sie suchen wollte und den Weg nicht kannte, der konnte sich im Winter leicht die Zehen erfrieren. So berichtet uns Bornschlegel über zwei Landfremde, die aus Köln mitten im Winter (Febr. 1784) zur Burg und ins Herzogtum geschickt wurden: „Daniels hat noch zwei Mann geschickt, die im Land nach Kohlen suchen sollten. Diese armen Teufel sind vier Tage lang im Land herumgelaufen, um Aremberg zu finden. Der Führer hat sich den linken Fuß völlig erfroren… Ich möchte Ihrer Durchlaucht gerne sagen, welch herrliches Wetter wir auf der Höhe hier haben: Man hört die Engel und Teufelchen singen. Der Postkarren hat 5 Tage gebraucht, um von Köln zurückzukommen.“
Kohlen fanden die aus Köln entsandten Fachleute auf den Eifelbergen nicht, auch wenn die Herzöge jahrzehntelang nach dem schwarzen Gold suchen ließen. Aber dafür barg der karge Boden einen anderen Schatz: Eisenerz. Es eröffnete den Landleuten und natürlich den Landesherren wichtige Einnahmequellen, denn in Antweiler oder in Ahrhütte ließ man dieses Erz gleich an Ort und Stelle verarbeiten. Von hier gingen nicht nur eiserne Öfen, von hier gingen auch Kanonen oder anderes Kriegsgerät über holprige Wege bis zu den nächsten Hafenplätzen. Deshalb konnte eine zeitgenössische Beschreibung festhalten: „Das Herzogtum Arenberg ist ein bergiges, unfruchtbares Ländchen, dessen Werth auf Waldungen und Eisenwerken beruht. Es erträgt jährlich 18000 Gulden.“
Die Eisenindustrie des Landes war es, die nicht nur Geld ins Land brachte, sie führte auch neues, frisches Blut in die Täler an der oberen Ahr. So ließ der Herzog im 18. Jahrhundert Eisenfachleute an der Maas und in den Ardennen anwerben. Sie kamen für Jahre oder für immer an die Ahrwerke, führten ihre Rechnungen in französischer Sprache, sprachen französisch untereinander, wie übrigens auch meist die Verwaltungsbeamten auf dem Burgberg. Selbst der Bürgermeister des heute weltberühmten Badeortes Spa, ein Gerhard de l’Eau, war jahrelang als Hüttenmeis-ter an der Ahrhütte. Bei Kirmessen kam es zwischen diesen „Welschen“, wie sie genannt werden, und den handfesten Eifeler Burschen auch hin und wieder zu Schlägereien, wobei es angeblich oft um die Dorfschönheiten gegangen zu sein scheint.
Die meisten Leute im Herzogtum waren – trotz Bergbau und Eisenindustrie – Bauern und lebten von den kärglichen Erträgen ihrer Landwirtschaft. Auch hier wollte der Herzog, der die fruchtbaren Felder in Brabant sah, eine Wende herbeiführen. So ließ er die sogenannten „Brabänder“ anwerben und sie mit ihren Familien in die Eifel bringe, wo sie auf ungenutztem Brachland angesiedelt wurden. Sie brachten neues Ackergerät mit – und in der Eifel staunte man. Dazu berichtet der eingangs schon erwähnte Statthalter Bornschlegel:
„Das gab ein Geschrei, als die Arenberger hörten, dass ich meine Wiese mit einem Pflug ohne Räder bearbeiten lassen wollte. Der Pastor, die Sendschöffen, die Bauern kamen und bestaunten zunächst den Pflug. Sie fanden, dass er für ein ebenes Land wohl geeignet sein könnte, aber nicht für Arenberg, wo der Boden ja ganz anders beschaffen ist als in niederen Regionen. Ich ließ arbeiten und ließ sie reden. Dann gab ich zu erkennen, wie weit meine Arbeit schon fortgeschritten sei, denn es war noch früh am Morgen, und ich hatte um 5 Uhr angefangen. Die Aremberger kommen sonst morgens nicht vor 7 Uhr heraus, nämlich dann, wenn im Sommer schon die Hitze beginnt. Als ich ihnen das sagte, meinten sie. ‚Das ist hier im Land so und nicht anders’.“
Gartenseite des Palais Lobkowitz in Prag, heute Botschaft der BRD. Hier feierte 1819 Herzog Prosper Ludwig von Arenberg Hochzeit mit Ludmilla von Lobkowitz. Der Balkon hat vor über einem Jahrzehnt „Geschichte gemacht“, als Außenminister Genscher den im Garten wartenden DDR-Flüchtlingen verkündete, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen konnten.
Man kann sich leicht vorstellen, dass die Brabanter Bauern, die man in die Eifel gelockt hatte, tief enttäuscht waren über das rauhe Klima, über den schlechten Boden, über die Sprache, die sie nicht verstanden. Alle Versprechungen halfen nichts, die meisten kehrten bald schon wieder in die alte Heimat zurück, trotz des Unwillens des Herzogs und trotz Steuerfreiheit.
Und als der Herzog kurz vor 1800 seine Stammburg verließ und als die Bauern nun ohne Herzog und ohne Lehnswesen „frei“ wurden, da gab es zwar keine Leibeigenen mehr, aber besser ging es den Leuten keineswegs. „Das Herzogtum ist ärmer als es je war.“ So berichtete der Beauftragte des Herzogs, als er zu einem kurzen Besuch 1816 – also nach der Franzosenzeit – in das alte Stammland kam.
Der Menschenschlag hier auf den Höhen, das waren echte Eifler, urwüchsig und rauh wie ihre Berge. Wie man sie einzuschätzen hatte, das wusste auch vor 100 Jahren noch Herzog Engelbert August. Als es damals darum ging, einen Nachfolger für die Domänenverwaltung in Schleiden zu finden, schrieb er seinem Rat Landschütz (Recklinghausen): „Für die dortige Gegend ist etwas Grobheit kein zu großer Fehler.“ – Kamen diese Eifelmänner einmal in das heilige Köln oder nach Koblenz, so fanden sie wohl einige Beachtung, sie fielen halt in der Stadt auf. So schrieb der Arenberger Beamte Kreutzberg seinem Partner 1806 nach Köln: „Auch wenn man in Köln die Eifler am liebsten zum Nachtquartier zu den Ziegen in den Stall steckt – Du brauchst Dich aber nicht zu erschrecken vor den Eiflern, denn sie sind harmlose und gutherzige Geschöpfe.“
So kennen wir sie bis auf den heutigen Tag: Harte Schale – guter Kern.
So lange der Herzog hier das Sagen hatte, wollte er das kleine, rauhe Ländchen fördern, wo einst die Wiege seines Geschlechtes gestanden hatte. So siedelte er einen Strumpffabrikanten aus der Brüsseler Gegend in Antweiler an, einen englischen Weber Mathy Talbot ließ er nach Mülheim kommen, sie sollten den Menschen neue Erwerbsquellen erschließen helfen. Die Nachkommen Talbots leben heute noch in der Region.
Man sieht also, das kleine Herzogtum wurde ein „erstes europäisches Ländchen“. Aber vermittelnd musste immer wieder der Statthalter eingreifen, wenn die verschiedenen Gruppen nicht miteinander auskamen. Als Vermittler sprach er im 18. Jahrhundert von der „Union der beiden Nationen“ und von der gemeinsamen „Zuneigung der Deutschen wie der Wallonen zum Herzog von Arenberg“.
Die Arenberger ein europäisches Geschlecht! Das kleine Herzogtum an der Ahr ein kleiner Landstrich, der in seiner Geschichte das vorwegnahm, was zwei Jahrhunderte später erst von fast allen Europäern angestrebt wird.
Und dieses europäische Denken endete nicht etwa an Rhein und Maas. Auch für die Arenberger gehörten zu Europa wie ganz selbstverständlich Mittel- und Osteuropa. Arenbergs Spuren finden sich – bis in unsere Tage – in dieser Region, obwohl doch der Kommunismus die Spuren aller Adelsgeschichte verwischen wollte. Wir Deutsche erinnern uns mit einem gewissen Schaudern noch heute an die ergreifende Szene, als unser damaliger Außenminister Genscher vor rund 10 Jahren auf den Balkon der deutschen Botschaft in Prag trat und den im Garten wartenden Flüchtlingen verkündete, dass sie in die Freiheit ausreisen könnten. Wer weiß schon, dass, auf eben diesem Balkon vor über 180 Jahren der junge Arenberger Herzog Prosper Ludwig stand und die Hochzeit mit seiner Braut, einer Prinzessin von Lobkowitz, feierte. Und wenn wir heute durch die Tschechische Republik reisen, so finden wir das Arenberger Wappen sowohl in der prächtigen, wunderschönen Burg Kokorin bei Prag, aber auch aus Stein gehauen über einem Altenheim in Paclavice unweit Brünn, wobei man wissen muss, dass dieses Altenheim in einem ehemaligen Arenberger Schloss untergebracht ist. Dieses Schloss wurde von einer Arenberger Prinzessin kurz vor ihrem Tod als Unterkunft für Alte und Kranke gestiftet.
Die Arenberger ein europäisches Geschlecht! Die Menschen in allen Arenberger Ländern sie waren – ohne es zu wissen – Europäer der ersten Stunde!
Die Menschen in unserem Arenberger Land fühlen sich mehr als 800 Jahre mit dem Geschlecht verbunden, das von hier seinen Ausgang nahm, das einst hier seine Stammburg hatte, die längst verschwunden ist. Die Steine der Burg finden sie heute in manchen alten Bauernhäusern und Scheunen wieder, denn bekanntlich wurde das Schloss – wie so viele Burgen – niedergerissen und als Steinbruch genutzt, übrigens sogar mit Genehmigung des blinden Herzogs. So bleiben die Steine stumme, kalte Zeugen einer fast vergessenen Zeit. Das Haus Arenberg lebt in den Herzen der Menschen des alten Herzogtums aber noch in guter Erinnerung weiter.
Vortrag, gehalten anläßlich der Verleihung des Arenberg-Preises in Antweiler am 10. 9. 2000.
Über dem ehemals Arenberger Palast in Paclavice in Mähren, unweit Brünn, ist auch heute noch das Wappen der Arenberger zu sehen. In dem ehemaligen Palast ist ein Altenheim untergebracht.