Das „Kötte“ im Brauchtum des unteren Ahrtals

Das „Kötte“ im Brauchtum des unteren Ahrtals

Heinz Schmalz

Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene, gingen und gehen zum Teil auch heute noch zu bestimmten Tagen „kötte“, das heißt, eine ihnen aus dem überlieferten Brauchtum heraus zustehende Gabe einsammeln. Der Volkskundler bezeichnet solche Gänge als „Heischegänge“.

Das „Kötte“ (oder Heischen) war im Brauchtum fest im Jahres- und Lebensrhythmus eingebettet und von Nehmenden sowie Gebenden eine traditionelle Angelegenheit, der man sich nicht verschließen konnte. Somit grenzte sich das „Kötte“ streng von dem Betteln, Fechten, Klinken putzen, Schnorren oder Hausieren ab. Das verschiedentlich angewandte Wort „terminieren“, das heißt an bestimmten Terminen kötten gehen, paßt zum Teil in das hier behandelte Thema. Genauso gehört auch das „Krabbele“ sowie das „Raffe“ der Kinder in diesen Bereich.

l n einer Zeit, in der die Bewohner der Dörfer und Städte in Ermangelung von Verkehrsmitteln und nur mit spärlichen Informationen aus anderen Bereichen zurückgezogen und in einer geschlossenen Einheit zusammen lebten, brachten die Heischegänge eine willkommene Abwechslung. Die damaligen Zeiten waren geprägt von Armut, Arbeit und Religion. Wie froh waren damals Kinder, Männer und Frauen, wenn sie durch Einzelgänge oder Umzüge kleinere Bereicherungen ihrer spärlichen Lebensgenüsse in Form von besonderen Speisen, Süßigkeiten oder Getränke erlangen konnten.

In dem folgenden Beitrag soll nun das „Kötte“, wie es im unteren Ahrtal üblich war, und zum Teil auch noch ist, behandelt werden. Festzustellen ist auch hierbei, daß durch Kriegs- oder Hungerzeiten Heischegänge wegfielen und in unserer übersättigten Zeit anderes Kötten hinzu kam.

Im Jahresrhythmus ergab und ergibt sich folgendes „Kötte“:

Neujahrstag (01.01.)

Am Neujahrstag gingen die Kinder, die noch nicht mit zur hl. Kommunion gegangen waren, nach dem Hochamt die Taufpaten (Pat on Jööt) besuchen. Hier sagten sie „Prosit Neujahr“ und erhielten zum Dank für die guten Wünsche ihr „Neujöhrche“ in Form eines gebackenen Hefekranzes. Dieser Brauch ging bereits 1935 zurück und war gegen 1950 fast ganz verschwunden. An Stelle des Kranzes trat ein kleines Geldgeschenk als Neujöhrche und auch dieses war gegen 1970 kaum noch anzutreffen, weil das Weihnachtsfest das Geben an sich gezogen hatte.

Diejenigen, die irgendwelche Dienstleistungen im Laufe des Jahres erbrachten, holten sich ihr „Neujöhrche“ in Form von Getränken, und später als kleines Geldgeschenk ab. Bedacht wurden u.a. der Briefträger (ab 1849) der Zeitungsbote, der Kaminfeger (ab 1842) die Männer der Müllabfuhr (ab 1950) und der Stromgeldeinzie-her (ab 1922). Auch hierbei hat sich inzwischen eine Verlagerung auf Weihnachten ergeben. In den Gaststätten erhielten die Stammgäste einen Hefekranz, den sie anschließend beim Kartenspiel oft einsetzten und so wieder verloren oder andere dazugewannen.

Drei Könige (06.01.)

Gute Bekannte und Verwandte durften sich am Dreikönigstag für im ganzen Jahr erwiesene Gefälligkeiten einen Hefekranz abholen. Auch der Freund eines Mädchens konnte von diesem als Zeichen der Zuneigung einen Hefekranz erwarten.

Ab 1963 kam in unserem Heimatbereich das „Sternsingen“ auf. Hierzu gehen alle Meßdienerinnen und Meßdiener in verschiedenen Gruppen als die heiligen Könige verkleidet sowie mit einem Sternträger von Haus zu Haus. Dabei singen sie ein Dreikönigslied an den Haustüren, sagen einen Spruch auf und schreiben mit Krei-

de auf den Türrahmen die Anfangsbuchstaben der hl. Drei Könige und dazu die Jahreszahl (19 + C + M + B 93). Als Dank für ihren, das ganze Jahr über geleisteten Dienst in der Kirche, erhalten sie einen Geldbetrag in eine Sammelbüchse, der für die Mission bestimmt ist, sowie eine Gabe in Form von Süßigkeiten oder Geld für ihren eigenen Verzehr.

Maria Lichtmeß (02.02.)

Bis gegen 1955 war es noch allgemein üblich, an den Weihnachtsbaum in der guten Stube Gebäck, Trockenobst und Süßigkeiten zu hängen. Am Lichtmeßtag durften die Kinder nun den Baum „plündern“ (die Leckereien abnehmen). An diesen Tagen gingen dann die Kinder auch zu den Großeltern und den kinderlosen Paten etwas vom Baum kötten.

Weibertastnacht

Unter Leitung der Obermöhn ziehen seit etwa 1930 die Möhnen über die Straßen. Bei Schwenken einer Fahne und Tanzen kötten sie von den Anwohnern Getränke und besonders von den Männern als Passiergeld eine finanzielle Unterstützung für ihre Vereinskasse. Als Gegenleistung werden „Bützje“ vergeben.

Vor Fastnacht

Zur Finanzierung der Fastnachtsumzüge ziehen Mitglieder der Fastnachtsvereine, unterstützt von den Möhnen, von Haus zu Haus und erbitten (kötten) einen Geldbetrag. In verschiedenen Orten geschieht dieses Sammeln während des Umzugs.

Rosenmontag

Traditionsgemäß gingen früher einige Männer mit einem „Erbsenbär“ oder „Strohbär“ mit Musikbegleitung und singend durch die Straßen und erwarteten von den Anwohnern Getränke oder einen kleinen Geldbetrag, der anschließend in Getränke umgesetzt wurde. Mit dem Aufkommen der Karnevalsumzüge kam oft der „Strohbär“ nicht mehr zur Geltung. Da die Umzüge mit immer mehr Prunk ausgestattet wurden, erwartet das närrische Volk, vor allem aber die Kinder, von den Zugteilnehmern, besonders aber von dem Prinzen oder Prinzenpaar, Süßigkeiten und Getränke. Die Kinder versuchen durch Zurufen viele Süßigkeiten zu erheischen und „raffen“, was sie zugeworfen bekommen.

Sollte der Fastnachtsumzug an einem anderen Tag durchgeführt werden, so gilt im Bezug auf das „Raffen“ von Süßigkeiten das gleiche. Außer der einheimischen Bevölkerung sind oft viele Besucher aus anderen Orten unter den Zuschauern und „kötten“.

Fastenzeit

Bis gegen 1850 war es in unserem Heimatbereich üblich, daß die Mädchen ausgeblasene Eier bei allen Familien „kötteten“, um daraus mit den Junggesellen Eierkronen und Eiergirlanden zu fertigen. Diese wurden dann Ostern in der Ortsmitte aufgehängt.

Karsamstag

Bevor es zentrale Wasserversorgungen gab (in unserem Bereich vor 1890 bis 1930) entnahm man das Trinkwasser Pumpen, Zisternen, Brunnenstuben usw.. Es war Aufgabe der heranwachsenden Jungen am Karsamstag die Wasserentnahmestellen, Brunnen, Tröge und alles was mit klarem Wasser zu tun hatte, zu reinigen. Als Belohnung erheischten sie bei den Anwohnern Getränke.

Ostersonntag

Nach dem Hochamt erhielt in den ländlichen Bereichen bis gegen 1950 jedes Kind von den Eltern ein Osterei, in bessergestellten Familien zwei. Anschließend durften die Kinder bei den Großeltern und den Paten weitere Ostereier „kötten“. Süße Ostereier waren erst seit etwa 1935 üblich.

Nach der Vesper hingen die Junggesellen in der Ortsmitte die aus vielen hunderten erbettelten, ausgeblasenen Eiern gebastelten Eierkronen und Eiergirlanden auf. Danach erhielt jeder Junggeselle ein Osterei, welches die Jungfrauen stiften mußten. Die Eierkronen blieben bis Chri-sti-Himmelfahrt hängen. Der Brauch mit den Eierkronen ging in den hiesigen Hungerjahren von 1840 bis 1850 verloren. Er hat sich auf dem Westerwald in verschiedenen Orten jedoch noch bis heute gehalten.

Ostermontag

Die Meßdiener zogen bis 1940 von Haus zu Haus und „kötteten“ die ihnen zustehenden ungekochten Ostereier. Meistens wurden je Familie ein bis zwei Eier gegeben, auf den größeren Gehöften erhielt jeder Meßdiener ein Ei.

Die Kirchenchorsänger und der Küster gingen ebenfalls von Haus zu Haus, um ungekochte Eier zu erheischen. Dieser Brauch war bereits im 16. Jahrhundert bekannt. In jedem Haus erhielten sie zwei bis drei Eier. Der Küster bekam davon seinen festen Anteil. Das Sammeln der Eier durch die Chorsänger fiel gegen 1920 weg. Die Küster machten jedoch noch bis gegen 1970 von ihrem unverbrieften Recht gebrauch und „kötteten“ ihre Eier.

Bis zur Säkularisation (1802) war es in verschiedenen Gemeinden üblich, daß sich die Kirchenchorsänger beim Bürgermeister einfanden und hier auf Kosten der Zivilgemeinde mit einem Mittagessen und gutem Wein beköstigt wurden. Noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts mußte der Küster den Kirchenchorsängern nach der Vesper Deputatwein von abgabepflichtigen Weingärten sowie Speisen, finanziert aus Meß-stiftungen, anbieten.

Woche nach Ostern

Im Ertragsverzeichnis über die Einkünfte des Pfarrers von Westum von 1832 ist u.a. aufgeführt:

„Item, erhält der Wittum in der ersten oder zweyten Woche nach Ostern sogenannte (ungekochte) Ostereyer von jedem Hause, ist aber keine Zahl bestimmt. Anderwärts ist von jedem Kommunikant zwey und von jedem Haus zwey. Sie müssen gesammelt werden“.

Das Einsammeln übernahm der Küster, der in ländlichen Bereichen bis gegen 1960 von Haus zu Haus ging.

Die Franziskanerinnen der Klöster oder Klosterniederlassungen in Remagen, Nonnenwerth, Sinzig, Bad Breisig gingen ab dem Bestand der Ordenshäuser die ihnen „zustehenden“ Ostereier in den umliegenden Orten bis gegen 1960 sammeln. Sie erhielten in jedem Haus etwa 2 bis 3 Eier.

Weißer Sonntag

Erhielten die Kommunionkinder von Verwandten und Bekannten Geschenke, erwarteten die überbringenden Kinder, die seit etwa 1930 schriftliche Glückwünsche überbrachten, bis etwa 1955 ein-Stück Streuselkuchen. Später erhielten sie, wie auch heute noch, Süßigkeiten. Nach dem Mittagessen mußten bis gegen 1914 die Kommunionkinder sowie die Kommunionkinder des 2. Jahres zu dem Pfarrer und den Lehrpersonen gehen und hier, zum Dank für den erteilten Unterricht, je 2 Ostereier abgeben. Nach der Vesper sammelten sich auf den Dörfern die Kommunionkinder an der Kirche und gingen dann gemeinsam zu den Eltern eines jeden Kommunionkindes, um sich hier vorzustellen, Glückwünsche entgegenzunehmen und eine Gabe zu erheischen. Den Kindern wurden dann Backwerk, ein Ei oder ab etwa 1890 eine Apfelsine gegeben. Dieser Brauch erlosch mit dem 1. Weltkrieg.

Montag nach Weißen Sonntag

Die Frauen der Nachbarschaft eines Kommunionkindes erwarten eine Einladung zum Kaffeeklatsch bei dessen Eltern.

1. Mai

Nachdem die Junggesellen ihre Maimädchen ersteigert und ihnen einen Maibaum gesetzt haben, erwarten sie von diesen ein Getränk. Musikkapellen und auch Sänger erwarten für ihr „Maianspielen“ oder „Maisingen“ in den frühen Morgenstunden einen Umtrunk.

Im Mai

Der Maijunge warfrüher verpflichtet, jeden Sonntag im Mai sein ersteigertes Maimädchen zu besuchen. Dort durfte er eine Bewirtung erwarten.

Am Maitag, dem Festtag der Junggesellen im Mai, wird die Maikönigin zum Festzug durch das Dort und zur Maimusik abgeholt. Dabei erwarten die Junggesellen sowie die Musikanten einen Umtrunk. Diese Festzüge sind ab 1970 allgemein an einem Samstag ab 19 Uhr.

Christi-Himmelfahrt

Bis 1794 war es in allen Orten üblich, daß die Schützen (meist Flurschützen) von den Zivilgemeinden Pulver kötteten, um während der Himmelfahrtsprozession mit Büchsen und Böllern zu schießen.

Die Kirchenchorsänger erheischten für diesen Tag den ihnen zustehenden Wein von für sie abgabepflichtigen Weingärten. Schützen, Kreuz-und Fahnenträger sprachen an diesem Tag bei den Bürgermeistern vor, um von der Gemeinde ein Getränk zu erhalten.

Pfingsten

Bis 1794 kötteten die Schützen der Orte bei der

Gemeinde sowie bei den Anwohnern einzelner Staßenzüge Pulver oder Geld. Mit dem anschließenden Schießen sollten dem Aufbrechen der Natur nachgeholfen werden. Bei einem solchen Schießen fiel 1583 ganz Sinzig in Schutt und Asche.

Fronleichnam

Bis gegen 1965 war es in vielen Orten üblich, daß die Schützen mit Gewehren und Böllern (Katzeköpp) mit erheischtem Pulver bei jedem Segen an einem der 4 Altäre schössen. 1758 ist nach einem solchen Schießen abermals fast ganz Sinzig niedergebrannt.

Johannistag (24.6.)

Am Vorabend des Johannistages zogen die heranwachsenden Jungen und Mädchen singend von Haus zu Haus und kötteten die nach altem Brauch zustehenden Pfingsteier. Dieser Brauch fiel in den Hungerjahren von 1840-1850 weg. Danach zogen jedoch noch bis gegen 1920 die Junggesellen nachts von Haus zu Haus und räumten die Hühnernester leer.

Kirmes

Beim Kirmesfestzug ziehen die Junggesellen zum Junggesellenschützenkönig, zum Maikönig, zur Maikönigin und zum Pastorat. Hier erwarten sie, wie seit alters, nach dem Fahnenschwenken einen Umtrunk. Die Kinder erwarten für diesen Tag von den Eltern, Großeltern und Paten ihr Kirmesgeld.

Oktober

Seit 1857 bis 1960 kamen jedes Jahr im Oktober Brüder des Franziskanerklosters auf dem Apollinarisberg in Remagen über die Dörfer und gingen von Haus zu Haus. Dabei kötteten sie Einkellerungskartoffeln. Meßdiener des Dorfes unterstützten sie. Ein wohltätiger Bauer fuhr die gesammelten Kartoffeln anschließend nach Remagen.

St. Martinstag (11.11.)

Die Schulkinder dozzten (kötteten) vor dem Martinstag in den Dörfern oder Stadtvierteln Brennmaterial für das Martinsfeuer. Seit 1970 übernehmen immer mehr die Gemeinden oder Vereine das Herrichten des Martinsfeuers.

Am Vorabend des Martinstages ziehen die Kinder mit Laternen und Fackeln durch die

Straßen zum Martinsfeuer. Nach dem Abbrennen des Feuers erhalten sie einen Martinswekken (Määtesbrüdche). Verschiedentlich wurden und werden noch Wurst oder Süßigkeiten dazugegeben. Die Finanzierung der Gaben erfolgt durch Körten von Geldbeträgen mittels Verkauf von Losen. Am Martinstag ziehen seit alters her in Remagen die Kinder durch die Straßen und erwarten von den Anwohnern durch Singen und Zuruf Süßigkeiten, die ihnen zugeworten werden. Die Kinder „krabbeln“ diese dann von den Straßen auf.

St. Nikolaustag (6.12.)

Vor Nikolaustag wurde in den Kapellen oder an Bildstöcken innerhalb der Orte von den Kindern in den Abendstunden fast immer der Rosenkranz gebetet. Als Gabe erwarteten die Kinder von den Anwohnern Gebäck.

Am Vorabend brachte der hl. Nikolaus den Kindern Plätzchen, Dörrobst, Äpfel und Birnen sowie Nüsse. Am Nikolaustag selbst gingen die Kinder zu den Paten (Pat und Jööt), um ihren „Hierz“ (Weckmann) und sonstige Geschenke abzuholen. Bis in das 20. Jahrhundert hatte der Nikolaustag als Gabentag (wie heute noch in den Niederlanden) eine größere Bedeutung als Weihnachten. An diesem Tag erhieltfrüher auch das Gesinde eine Gabe in Form von Kleidungsstücken oder eines Geldbetrages.

Weihnachten (25.12.)

Die Kinder erwarten von Eltern, Großeltern und Paten nach ihren Weihnachtswünschen ihr „Christkindche“ in Form von Gebäck, Süßigkeiten oder Kleidungsstücken. Die Wünsche und Gaben haben inzwischen größere Formen angenommen.

Sylvester (31.12.)

Am Sylvesterabend nach der Schlußandacht liefen die Kinder der einzelnen Straßenzüge von Haus zu Haus und riefen. „Sylvester, Sylvester, Franziskus, gib Äpfel, Birn und Nuß“. Hiernach erhielten sie dann auch Obst zugesteckt.

So wurde einerseits eine kleine Bereicherung mit sonst ungewohnten Lebensgenüssen erzielt, andererseits waren aber in den früher armen Zeiten diese Gaben für die Schenkenden,die sich hierzu verpflichtet fühlten, oft eine Belastung.