Das Jantar-Projekt im Kreis Ahrweiler. Jugendliche aus dem Kaliningrader Gebiet wurden von 2000 bis 2004 in Obstbaubetrieben auf der Grafschaft ausgebildet
Jantar ist die russische Bezeichnung für Bernstein. Diesen Namen habe ich auch für ein Ausbildungsprojekt gewählt, durch das Jugendliche aus dem Kaliningrader Gebiet in Russland von 2000 bis 2004 bei Obstbauern auf der Grafschaft zu Gärtnern im Obstbau ausgebildet wurden. Wie dieses Projekt realisiert wurde, soll nachfolgend kurz skizziert werden.
Zu den Anfängen
Die Idee zu dem Jantar-Projekt kam mir auf vielen Reisen in das Kaliningrader Gebiet. Seit 1992 begleitete ich meine fast 90-jährige Mutter in ihre Heimat in das ehemalige Memelgebiet. Dieser nordöstliche Teil des früheren Ostpreußens ist eine fruchtbare Landschaft, in der vor dem Zweiten Weltkrieg auch sehr gutes Obst und Gemüse angebaut wurde. Bei meinen Besuchen fiel mir von Jahr zu Jahr der Niedergang der Landwirtschaft auf. Felder wurden nicht mehr bestellt und das Vieh geschlachtet. Nach Auflösung der Kolchosen wurde auf dem vom Staat gepachteten Land mehr schlecht als recht gewirtschaftet. In Gesprächen mit Menschen, die wegen dieser negativen Entwicklung besorgt sind, wurde deutlich, dass es vor Ort nur wenige oder gar keine guten Obstsorten gibt. Neben Pflanzmaterial fehlt es auch an fundierten Kenntnissen für die Pflege. Frau Dr. Natascha Guriewa, Gymnasiallehrerin aus Sowjetsk (Tilsit), die im August 1998 unsere Reiseleiterin war, bat mich darum, in Deutschland jemanden zu finden, der Pflanzmaterial aussuchen und moderne Anbaumethoden und Fachwissen vermitteln könnte. Als Meisterin für den Obstbau unterrichte ich seit 1984 selbst an der früheren Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt (SLVA) Berufs- und Arbeitspädagogik in der Meisterklasse Obstbau. In Gesprächen mit dem damaligen Fachbereichsleiter für Gartenbau, Herrn Baab, und mit dem damaligen Direktor, Herrn Frisch, kamen wir zu dem Ergebnis, dass durch eine fundierte Ausbildung junger Leute aus dem Kaliningrader Gebiet hier bei uns in Meisterbetrieben auf der Grafschaft, die von der SLVA betreut und beraten werden, den Menschen beim Aufbau von Obstbaubetrieben in der Kaliningrader Gegend in Russland wirksam geholfen werden kann. Auch die russischen Pädagogen stimmten dem Konzept zu. Schulabsolventen sollten eine dreijährige Lehre nach unserem dualen System absolvieren, d. h. neben der praktischen Ausbildung in Fachbetrieben erfolgt gleichzeitig der Besuch der Berufsschule. Bei der Auswahl der Auszubildenden sollten alle Volksgruppen (Litauer, Russen und Russlanddeutsche) gleichermaßen berücksichtigt werden, um spätere Konflikte auszuschließen.
Durchführung des Projektes
Von dem Experten für Entwicklungshilfe, Professor Bliss aus Remagen, erhielten wir wertvolle Ratschläge zur Durchführung des Projektes. Zunächst schilderte die Bauerngemeinschaft Jantar aus Ulianow 1999 die schwierige Situation und die Notwendigkeit von ausgebildeten Fachkräften. Bei der Beantragung des Projektes mussten dann viele bürokratische Hindernisse überwunden werden, wozu z. B. die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für 6 weibliche und einen männlichen Auszubildenden gehörten. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) teilte uns schließlich im Juli 2000 mit: „Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat ein entwicklungspolitisches Interesse an der Ausbildung der Jugendlichen zum Gärtner (zur Gärtnerin) anerkannt.“ Von der Landwirtschaftskammer Koblenz, die für die Betreuung der Ausbildung zuständig ist, wurde das Jantar-Projekt sehr begrüßt. Erst jetzt konnten von dem damaligen Berater der SLVA, Herrn Weber, geeignete Obstbaubetriebe auf der Grafschaft ausgewählt werden, die bereit waren, sieben Jugendliche aus Russland zur Ausbildung aufzunehmen. Am 3. November 2000 kamen die Jugendlichen nach Deutschland und begannen bei uns ihre Ausbildung zum Gärtner mit dem Schwerpunkt Obstbau. Folgende Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren wurden „Jantar-Azubis“ bei den in Klammer aufgelisteten Betrieben: Igor Egorow (Frank Kießling, Grafschaft-Esch), Ewgenija Wachonina (Peter Krupp, Grafschaft-Bölingen), Olessja Janpol (Gerd Moog, Wachtberg-Fritzdorf), Walerija Woltschkowa (Johannes Nachtwey, Grafschaft-Gelsdorf), Elena Kjasjarauskaita (Hans Christoph Rech, Grafschaft-Nierendorf), Gajane Arakeljan und Swetlana Balytschewtsewa (Christoph Watzig, Grafschaft-Leimersdorf).
Die Ausbildung
Die beteiligten Betriebsleiter haben alle Kosten für die Auszubildenden getragen, einschließlich Reisekosten, Visagebühren, kulturelle Veranstaltungen, Fachveranstaltungen und zum Teil auch die Fachbücher. Die persönliche Betreuung und den regelmäßigen Deutschunterricht habe ich selbst übernommen.
Die Auszubildenden des Jantar-Projektes aus dem Raum Kaliningrad schlossen am 11. März 2004 ihre dreijährige Ausbildung ab.
Von Anfang an war der Einsatz und die Kooperation der Obstbaumeister und ihrer Familien vorbildlich. Gemeinsam wurde ein sinnvolles Ausbildungskonzept entworfen. Zunächst galt es, die geringen Deutschkenntnisse zu verbessern. Dies geschah auch bei der Erkundung der neuen Umgebung, bei der die Azubis die Menschen, die Obstbaubetriebe und deren Arbeit kennen lernten. Zusätzlich diente ein wöchentliches Treffen als „Forum persönlicher Problemlösungen“. Auch bei den Fachveranstaltungen, die von der SLVA angeboten wurden, waren die „Jantar-Azubis“ von Anfang an dabei. Sie wurden mit zusätzlichen Informationen zum Obstbau und zur Landwirtschaft versorgt, die sie gerne aufnahmen. Von Grund auf lernten sie eifrig den Gärtnerberuf. Nachdem die „Jantar-Azubis“ in ihren Deutschkenntnissen gute Fortschritte gemacht hatten und dem Unterricht folgen konnten, wurden sie zum Beginn des Schuljahres 2001 in die Berufsschule Koblenz eingeschult. Die Betriebsleiter sorgten dafür, dass alle den europäischen Führerschein Klasse B machen konnten. Alle „Jantar-Azubis“ bestanden am 4. Juli 2002 die Zwischenprüfung. Sie besuchten einen Computer-Kurs, den sie selbst finanzierten.
Fachlich und persönlich wurden die Auszubildenden immer selbständiger. Im August 2003 flogen sie alleine für eine Woche nach Rom. Das Besichtigungsprogramm dafür hatten wir im Deutschunterricht gemeinsam erarbeitet. Am 11. März 2004 bestanden alle die Abschlussprüfung für den Beruf Gärtner – Fachrichtung Obstbau mit guten Leistungen. Ende März 2004 fuhren alle in ihre Heimat nach Russland zurück. Vier Gärtner wollen in Russland ein Wirtschafts-und Fachstudium anschließen. Zwei davon haben den Wunsch später die hier erworbenen Kenntnisse in einem Studium im Fach Gartenbau an der Universität Bonn zu vertiefen. Drei junge Obstbauern werden mit ihrem Fachwissen helfen, im Kinderheim „Most“ – die russische Bezeichnung für Brücke – in der Nähe von Kaliningrad, einen Musterbetrieb für Obstbau aufzubauen. An diesem hat auch die Kaliningrader Staatliche Technische Hochschule ein großes Interesse. Die ersten Erdbeerpflanzungen sind dort bereits angelegt und tragen erste Früchte. Früchte trägt somit die Ausbildung der jungen Gärtner in ihrer Heimat. Die Kontakte zu ihnen sind nicht abgerissen. Im Juli 2004 begleitete beispielsweise Olessja Janpol den Agraringenieur Zotkin vom Kinderheim „Most“ zu einem Informationsbesuch in die Grafschafter Obstbaubetriebe, von deren Leistung er begeistert war. Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass sich der Einsatz für das Jantar-Projekt gelohnt hat.