Das Gasperkreuz und der Bänkelsang auf dem Breisiger Zwibbelsmaat
Leonhard Janta
Nur noch dem aufmerksamen Spaziergänger fällt an einem Waldweg auf der Mönchsheide das sog. Gasperkreuz am Wegrand auf. Das einfache Kreuz aus Basaltlava trägt die Inschrift:
Mathias Gasper
ist hier Verunglük
1809.
An dieser Stelle hat sich also vor 171 Jahren ein Unfall ereignet, dessen nähere Begleitumstände nicht mehr zu ermitteln sind. Auch fehlen jegliche näheren Angaben zur Person des Mathias Gasper. Ob es ein Jagdunfall, ein Arbeitsunfall im Walde oder ein Unglück bei einem Unwetter war, wird wohl für immer verborgen bleiben. Ähnliche Vorkommnisse ereignen sich auch heute täglich und sind dann Gegenstand einer kurzen Zeitungsnotiz, die bald vergessen wird.
Vor der Jahrhundertwende und bis in die Zeit um den Ersten Weltkrieg, als noch zum Breisiger Zwibbelsmaat (14./15. September) Bänkelsänger während der Markttage auftraten, verstanden diese es auch, das Gasperkreuz in ihren Gesang einzubeziehen.
Der Bänkelsang ist nach seiner Blütezeit im 19. Jahrhundert zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgestorben, wenn man einmal von einigen Bänkelsängern absieht, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg durch Deutschland zogen. Gelegentliche Wiederbelebungsversuche des Bänkelsangs in neuerer Zeit auf Jahrmärkten und Volksfesten dokumentieren eigentlich nur noch das antiquarische Interesse an dieser einst lebensvollen Volkskunst, die sich im Rheinland und im Osten des Deutschen Reiches, also vornehmlich in katholischen Gebieten, am längsten gehalten hat (Riedel).
Der Bänkelsänger wird bei Adelung schon 1774 als ein Landstreicher bezeichnet, „ein Landstreicher, der auf den Gassen von hölzernen Bänken allerley Mordgeschichten absingt“. Er muß also zum fahrenden Gewerbe mit geringem sozialem Ansehen gerechnet werden. Früher trat er hauptsächlich auf Märkten und bei Patronatsfesten auf, jedoch wanderte er auch zwischenzeitlich von Dorf zu Dorf, um dort neben seiner Darbietung auch Druckerzeugnisse, sog. Bänkelsängerhefte, zu verkaufen. Der Breisiger Zwibbelsmaat, zu dem schon damals aus der näheren Umgebung, aus der Voreifel und dem Westerwald, große Menschenmassen zusammenströmten, bot für den Bänkelsänger eine günstige Gelegenheit für die Ausübung seiner Kunst.
Sensationell aufgebauschte Begebenheiten, Naturkatastrophen, Feuersbrünste, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche in fernen Ländern, Erdbeben, Kriege, Mordgeschichten, Diebstähle, Hinrichtungen und Jagdunfälle waren die Hauptthemen im Repertoire der Bänkelsänger.
Dabei waren der Gesang mit Musikbegleitung und das Zeigen auf blutrünstigen Ölbildern die konstituierenden Elemente des Bänkelsangs. Als Begleitinstrument diente hauptsächlich die Drehorgel. Das Lied — häufig eine Moritat — wurde auf eine bekannte Melodie oder einen monotonen Choral gesungen. Dem sensationshungrigen Publikum verdeutlichten in einer an Massenmedien armen Zeit die grobschlächtigen Ölbilder, die abscheuliche Tat, die große Not des armen Mädchens, den Kindsmord, die Geschichte der schrecklichen Räuber oder das fürchterliche Ende des Bösewichts. In schwülstigem Stil wurde gar „schreckliches“ gesungen und berichtet, während gleichzeitig Bänkelsängerhefte mit den Liedtexten und weiteren bebilderten Geschichten feilgeboten wurden.
Wahre oder für wahr gehaltene Geschichten wurden zum besten gegeben und durch „Beweise“ glaubwürdig gemacht. Der Verweis auf ein Kreuz (Gasperkreuz) und eine genaue Ortsangabe — häufig reichte schon der Hinweis auf einen markanten Baum — bot Gewähr für die gesteigerte Aufmerksamkeit der einheimischen Zuschauer oder sonstigen Marktbesucher. Daß es letztlich gar nicht auf Aktualität ankam, beweist der jahrelange Verkauf der gleichen Bänkelsängerhefte, die auch stets ohne Jahresangabe gedruckt wurden. Somit konnte auch ein ..Bericht“ über ein Unglück im Breisiger Wald, das sich 1809 ereignet hatte, lange Zeit Gegenstand im Bänkelsang auf dem Breisiger Zwibbelsmaat sein. Hinzu kam, daß das Repertoire in den Bänkelsängerfamilien gleichsam vererbt wurde, wenn es auch von Zeit zu Zeit erweitert, und um Aktuelles bereichert wurde. Die Einbeziehung des Gasperkreuzes in den Bänkelsang auf dem Breisiger Zwibbelsmaat muß ganz vor diesem Hintergrund gesehen werden.
Benutzte Literatur:
Adelung. Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart (…) Leipzig 1774.
Breitbach, Josef: Vom alten Breisig. 1950.
Petzoldt, Leander: Bänkelsang. Vom historischen Bänkelsang zum literarischen Chanson. Stuttgart 1974.
Riedel. Karl Veit: Der Bänkelsang. Wesen und Funktion einer volkstümlichen Kunst. Hamburg 1963.