Burggraf Johann IV. von Rheineck,
ein Ritter vom Stegreif
Von Hauptlehrer Stausberg
Aus der Reihe der kurkölnischen Burggrafen aus dem Uelmener Geschlecht, die bis 1539 Burg Rheineck zu Lehen trugen, darf Johann IV. wegen seines bewegten Lebenslaufes besonderes Interesse beanspruchen. Er hatte die Burggrafschaft von 1280—1303 zu Lehen. In ihm verkörpert sich der Typ eines „Ritters vom Stegreif“, der, als schon Dutzende seiner rheinischen Adelskollegen durch das unerbittliche Zupacken König Rudolfs von Habsburg an ihrem allerbesten Halse aufgehangen worden waren und mit des Seilers Tochter Hochzeit gefeiert hatten, noch jahrelang als Wegelagerer den Rollwagen und Frachtschiffen auflauerte, die am Fuße der Burg Rheineck vorbeizogen. Er brachte das Kunststück fertig, nach jedem Sturz immer wieder auf die Füße zu fallen, die Gunst zweier Könige zu erwerben und nach einem bewegten Leben ganz ohne eigenes „Verdienst“ im Bette zu sterben. In seinem Tun und Treiben offenbart sich so viel rheinische Unbekümmertheit und tapferes Draufgängertum, daß wir ihm — trotz allem — eine gewisse Sympathie und Bewunderung nicht versagen können, ähnlich wie etwa dem rheinischen Rebellen der Franzosenzeit, Schinderhannes.
Johanns Vater Dietrich war ein Biedermann gewesen, der in der „kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“ des Interregnums den Damen des Stiftes Essen, deren „Ländchen Breisig“ das Gebiet der Burggrafschaft Rheineck umschloß, als ein getreuer Nachbar seine Hilfe lieh. Daher hatte auch der soeben gekürte König Rudolf auf Bitten der Äbtissin Berta von Arnsberg im Jahre 1273 dem Burggrafen Dietrich den „Schutz der dem Stift Essen gehörigen Personen und Güter in Breisig“ anempfohlen. 1275 war er in aller Form an Stelle des Grafen von Jülich zum Vogt des „Ländchens“ bestimmt worden.
Als im Jahre 1280 der eingangs erwähnte Johann IV. das Erbe Dietrichs antrat, zeigte es sich bald, daß er nicht in seines Vaters Spuren wandelte. Johann wurde ein Schrecken der Landstraße und des Rheinstroms. Vor allem waren es die kölnischen Kaufleute, die „Pfeffersäcke“, die er ausplünderte und ins Verließ des „Rheineck“ schleppte. Er soll sogar Ketten über den Leinpfad gespannt haben, um die Schiffe zu „erleichtern“. Der Erzbischof von Köln, als sein Lehnsherr, mag dabei beide Augen zugedrückt haben, denn zwischen den Erzbischöfen und der Stadt Köln bestanden schon seit Kaiser Heinrichs IV. Zeit Spannungen und Zwistigkeiten. Schon im Jahre 1268 war es unter Erzbischof Engelbert II. von Falkenburg zu dem berühmten Überfall an der Ulrepforte in Köln gekommen. Im Jahre 1288 wuchs sich der Zwist zwischen Erzbischof und Stadt zu einem der blutigsten Fehden des Mittelalters, der sogenannten „Kölner Fehde“, aus. Dieser Krieg, den selbst Kaiser Rudolf nicht verhindern konnte, teilte das ganze nordwestdeutsche Gebiet in zwei feindliche Lager. Höhepunkt und Ende fand er in der Schlacht bei Worringen am 5. Juni 1288. Da auch Burggraf Johann von Rheineck in ihr mitgekämpft hat, sei kurz auf sie eingegangen. Mit den Kölner Bürgern waren verbündet: Herzog Johann von Brabant und die brabantische und flämische Ritterschaft von Brüssel, Antwerpen und Lüttich, die Grafen von Jülich, Virneburg, „Berg, Tecklenburg und Mark sowie viele bergische Bauern, die der Klosterbruder Walter Dodde anführte. Dem Erzbischof von Köln, Siegfried von Westerburg, stand ein nicht minder glänzendes Vasallenheer zur Seite, unter diesem auch der wilde Burggraf Johann von Rheineck. Verbündete des Erzbischofs waren u. a. Adolf von Nassau, der spätere deutsche Kaiser, Heinrich von Luxemburg, Vater Kaiser Heinrichs VII., und Herzog Reinald von Geldern. Am Abend der Schlacht bedeckten mehr als 2000 Erschlagene und zahllose Verwundete das Schlachtfeld, das bis auf den heutigen Tag der „Blutberg“ heißt. Die Kölner Bürger und ihre Helfer kehrten als Sieger heim. Burggraf Johann geriet nach* tapferem Kampf in Gefangenschaft. Auch sein Lehnsherr Erzbischof Siegfried sowie Adolf von Nassau teilten das gleiche Mißgeschick. — Durch schweres Lösegeld, das ihn finanziell ruinierte, mußte der Rheinecker sich freikaufen. Er sann auf Mittel, diese mißliche Lage auszugleichen, und verfiel auf den Gedanken, sich vom Vogt des „Ländchens Breisig“ zu dessen Alleinherrscher aufzuschwingen. Das Gebiet mit seinen sieben Ortschaften, das etwa l Quadratmeile (d. i. 50 qkm) groß war, hätte die schmale territoriale Basis der Burggrafschaft Rheineck bedeutend verbreitert. Gegen das reichsfreie Damenstift Essen selbst hegte Johanns Lehnsherr, Erzbischof Siegfried, gleichfalls Annexionsabsichten. Es kam zwischen Kurköln und Essen zu einer Fehde, in deren Verlauf kurkölnisches Kriegsvolk auch im Ländchen Breisig schlimm hauste. Der pflichtvergessene Vogt Johann von Rheineck dachte nicht daran, seinen Schutzbefohlenen zu Hilfe zu kommen. Er hatte inzwischen die Partei König Adolfs von Nassau (1292—98), seines Kampfgenossen aus der Warringer Schlacht, ergriffen und leistete ihm in dem schweren Kampf gegen den Habsburger Albrecht treue Waffenhilfe.
In der Schlacht bei Göllheim am Donnersberge (2. Juni 1298), in der Adolf von Nassau Krone und Leben verlor und aus der sein harter Gegner, der einäugige Sohn Rudolfs von Habsburg, als Alleinherrscher des Reiches hervorging, geriet Burggraf Johann erneut in Gefangenschaft. Wieder mußte er sich aus der Haft, die er auf der Burg Ehrenfels bei Rüdesheim verbrachte, lösen. Es ist bezeichnend für die landsknechthafte Bedenkenlosigkeit, aber auch wohl für die wirtschaftliche Notlage des alten Haudegens, daß er sich nunmehr entschieden dem neuen König Albrecht zuwandte, den er soeben noch bekämpft hatte. Es gelang ihm sogar, dessen Vertrauen und Zuneigung zu gewinnen, wie sich bald erweisen sollte.
Inzwischen hatte sich die Essener Äbtissin Berta von Arnsberg in ihrer Bedrängnis an den Grafen von Jülich gewandt, da der Rheinecker als Vogt so gänzlich versagt hatte. Durch Jülichs Vermittlung kam es zu einer Beilegung der Fehde zwischen Kurköln und Essen. Der Burggraf Johann mußte seine Vogtschaft über Breisig an Jülich zurückgeben und ging auch der Stiftamtmannsstelle verlustig. Der Kölner Erzbischof Wikbold von Holte, dessen Schwester seit 1292 den Krummstab des Stiftes Essen trug, ließ Johann völlig im Stich und trug sich sogar mit dem Gedanken, diesem auch das Burggrafenlehen zu nehmen. Im Jahre 1297 hatte er dies schon einmal, wenn auch vergebens, versucht, angeblich, weil Burggraf Johann begonnen habe, die Umgebung der Burg zu zerstören. Bald hatte es den Anschein, als ob Johann versuchen wollte, die Burg dem König Albrecht in die Hände zu spielen. Der König hatte die Absicht, den geistlichen Territorialherren am Rheine die zahlreichen Zölle abzunehmen, welche den Handel der Städte, mit denen sich der König verbunden hatte, immer empfindlicher belasteten. Im Zuge dieser Unternehmung eroberte Albrecht im Jahre 1300 Stadt und Burg zu Bingen.
Kath. Pfarrkirche St. Peter in Sinzig
Blick von ONO
Photo: Landesbildstelle Rheinland-Pfalz
Um dieselbe Zeit belagerte Erzbischof Wikbold von Köln, unterstützt von den Erzbischöfen von Trier und Mainz, die Burg Rheineck, um diesen wichtigen Eckpfeiler gegen den König in die Hand zu bekommen. Aber noch ehe die Burg fiel, mitten im Winter, rückte der König von Bingen her heran und erzwang am 3. 2. 1301 die Aufhebung der Belagerung. Er nannte den Burggrafen lobend „seinen Getreuen“. Die Burg betrachtete der König als Reichsfeste, da sie ja ursprünglich Königsgut, später pfalzgräfliches Lehen gewesen war. Auch Johann erachtete sich als seiner Lehenspflicht gegen Kürköln für ledig. Es war ihm aber nicht wohl in seiner Haut. Kurköln würde sich bei nächster Gelegenheit seines Eigentums wieder bemächtigen.
Da machte der alte, in die Enge getriebene Fuchs, einen letzten Schachzugj, er knüpfte mit seinem früheren Gegner, dem Grafen von Jülich, der ja inzwischen die Vogtei über das Ländchen Brei-sig innehatte, Verhandlungen an und öffnete diesem die Burg. Der griff geflissentlich zu und legte eine Jülicher Besatzung hinein, die nun dem Erzstift Köln wie ein Pfahl im Fleische saß und die Verbindung nach der kurkölnischen Burg zu Andernach unterband. Im Jahre 1302 beklagt sich Erzbischof Wikbold darüber, „daß der Graf von Jülich den Turm besetzt halte.“
Burggraf Johann IV. von Rheineck beschloß im Jahre 1303 sein bewegtes Leben. Wenige Jahre später (1308) fiel sein königlicher Gönner Albrecht I. durch die Mörderhand seines eigenen Neffen Johann Parricida.
Die Lehens- und Besitzverhältnisse der Burggrafschaft Rheineck wurden nach des wilden Johann Tode mit seinem Sohn und Erben neu festgelegt. Das Abkommen von 1303 bestimmte, daß Kurköln zwar Eigentümer, der Burggraf jedoch erblicher Vasall sein solle. Dieser Rechtszustand erhielt sich bis zum Aussterben des Geschlechts (im Mannesstamm) im Jahre 1539.
Das Andenken an den wilden Johann blieb im Gedächtnis der Bevölkerung, wenn auch spätere Zutaten und Sagen das Bild etwas verzerrten. Das geschichtliche Porträt neu aufzuzeichnen, ist der Zweck vorliegender Darstellung.