„…bis zum Dorf Wadenheim an die Brücke…“ – Betrachtungen zur Neuenahrer Geschichte anläßlich „1000 Jahre Wadenheim“
„… bis zum Dorf Wadenheim an die Brücke…“
Betrachtungen zur Neuenahrer Geschichte anläßlich „1000 Jahre Wadenheim“
Dr. Josef Ruland
Wenn man einen echten Wadenheimer in unseren Tagen fragen würde: „Was ist der Unterschied zwischen Amerika und Wadenheim?“, dann würde der antworten: „Das ist doch klar. Amerika wurde erst vor 500 Jahren entdeckt, Wadenheim aber schon vor 1000 Jahren. Außerdem, hinter der Entdeckung Amerikas stand ja nur ein König, hinter der unseres Ortes aber ein späterer Kaiser.“
Da sind einige Bemerkungen zu der Erstnennung notwendig, die man als gutes Omen für Wadenheim und später Neuenahr, Bad Neuenahr, werten muß. Bei allen entscheidenden Schritten unseres Ortes treffen wir von Beginn bis in die neueste Zeit immer Frauen an. Das muß gesagt werden, um zu erfahren, wie groß der Einfluß der Frauen damals gewesen ist. Ganz im Gegensatz übrigens zu späteren Zeiten, in der Frauen wesentlich weniger bestimmend gewesen sind als im sogenannten finsteren Mittelalter.
Da heißt es wohl in der Urkunde von 992, König Otto erlaube seinen Getreuen Sigebod und Richwin einen Bannforst zu haben. Aber die Wirklichkeit war etwas anders. Der junge Otto war damals nämlich gerade zwölf Jahre alt und nach damals geltendem Recht schon zum König gekrönt, aber noch nicht mündig. Seine berühmte und verehrte Mutter, die Kaiserin Theophano, war kurz zuvor gestorben. So lag in jenen Jahren die Regierungsgewalt in der Hand seiner Großmutter Adelheid, damals etwas über 60 Jahre alt. Sie stammte aus Burgund, war ein hochgebildete Frau – sie wurde heilig gesprochen, Feiertag 16. Dezember – und starb sieben Jahre nach Unterzeichnung jener für Wadenheim so bedeutsamen Urkunde. Damit ist wohl der Beweis erbracht, daß eine Frau am Anfang der Zeitrechnung für Wadenheim steht.
In der Urkunde selbst ist nun der Name an nächster Stelle wichtig. Was heißt das: Vuadenheim? Wir in der Mundart sagen ja Wodem, also mit leicht offenem 0 gesprochen. Ob der Name tatsächlich mit Wotan, jenem germanischen Göttervater, etwas zu tun hat, wie Professor Wagner und mit ihm andere annahmen? Andere Forscher jüngerer Zeit behaupten, Wadenheim, das bedeute Heim (Haus und Hof) des Wad’o. Das heißt also ein Eigenname wie Udo und ähnliche. Eine dritte Deutung, mir persönlich zusagend, zielt auf die seichte Stelle im Fluß, diejenige Stelle, an der ein Gewässer, ein Sumpf durchquerbar ist. Die Urkunde kommt uns insofern zu Hilfe, als sie im Text hinter Vuadenheim usque ad pontem (bis zur Brücke) einfügt. Wenn wir daran denken, daß die jetzige Ahrbegradigung nach 1850 durchgeführt wurde, bis dahin bildete der Fluß oft genug Nebenarme, wird das verständlicher. Diese Stelle im Fluß ergab dann auch den Zuweg zur späteren Burg. Jeder, der von Norden, überhaupt links derAhrkam, mußte hier in Wadenheim überdie Brücke.
In der Urkunde ist vom Hohenberg die Rede, mit dem Wadenheim in Beziehung gesetzt wird. Der „huhe Berich“ wird zum Neuenahr, würdig eine Burg zu tragen und einem ganzen Landstrich den Namen zu geben. Daß wir in die Geschichtsbücher eingegangen sind, verdanken wir dem Berg, der die Burg regelrecht anlockte. Doch bevor die Burg erbaut wird, hat die Welt draußen den Wert Wadenheims längst begriffen. In schöner Regelmäßigkeit erhielt ein bedeutendes Kloster nach dem anderen Besitz im Ort, so daß vom Niederrhein bis in den Westerwald, von Holland, Aachen und Maastricht bis Malmedy-Stablo und hinab nach Trier Wadenheimer Wein zu finden war. Der klösterliche Anteil war den Regierenden nicht unbequem. Zum einen trat man damit in eine gewisse Beziehung zum Himmel, zum anderen wurden diese Besitzungen mit Disziplin und Regelmäßigkeit bearbeitet. Wir wissen heute, wie lange diese Klosterhöfe unsere Orte bestimmt haben. Gegen 1166 fällt das Grafenhaus der Are in zwei Linien, die wohl noch eine Zeitlang miteinander ihre Rechte wahrnehmen, dann aber auseinander treiben. Die Söhne des Grafenhauses Are-Hochstaden-Nürburg zogen in verschiedene Gegenden. Gegen 1220 hat Otto Graf von Neuenahr auf dem Hohenberg die Burg Neuenahr errichtet.
Seit der Niederlage Kölns und damit der Partei des Erzbischofs in der Schlacht von Worringen 1288 wenden sich die Machtverhältnisse. 1344 wird Neuenahr jülichsches Lehen. Die Alleinerbin Katharina von Neuenahr – abermals eine Frau, die das Schicksal unserer Heimat in Händen hält – heiratet 1359 Johann von Saffenberg. Damit fallen die Grafschaften Neuenahr und Saffenberg zeitweise zusammen, was der kölnischen Partei, so möchte ich sagen, mißfällt. Beide Seiten beanspruchen die gleichen Rechte als Grafen von Neuenahr, die einen von Roesberg im Vorgebirge, die anderen von der Saffenburg her. Es gibt schließlich soviel Ärger, Verdruß, Mord und Totschlag, daß kam, was kommen mußte. Friedrich von Saarwerden, dessen Residenz sich übrigens meist in Poppelsdorf befand, eroberte 1372 im Sommer die Burg und zerstörte sie. 150 Jahre lang hat sie nur gestanden.
Bleibt für uns späte Nachkommen die Frage der Kirche. Im Jahre 990, wie die Steinplatte über dem Seiteneingang an der Nordseite bezeugt, soll die Kirche zu Beul geweiht worden sein. Irgendwie auch soll sie wohl mit der Burg in Beziehung gestanden haben. Weshalb deckt sich, wie die Forschung vermutet, Erbauungszeit des Kirchturmes mit dem der Burg? Eine Wallfahrtskirche ist sie wohl nicht gewesen. Aber der Patron, der hl. Willibrord. Apostel der Niederlande, weshalb war sein Patronat hier? Sie sehen, in der Geschichte Neuenahrs, Wadenheims wie auch Beuls gibt es noch manches zu klären. Unbestritten ist wohl eine Funktion der „ahl Kirech“. Sie ist und war für Generationen Neuenahrer Töchter und Söhne das Wahrzeichen ihrer Heimat, die idyllische Kirche unter dem schützenden Berg.
Als Neuenahr 1546 in die Jülichsche Zeitphase eintritt, sind in Deutschland, Frankreich, in den späteren Niederlanden und Belgien die Glaubenskämpfe im vollen Gange. Die Grafschaft Neuenahr steht da mit 14 Gerichten, von denen das zu Wadenheim an einflußreichster Stelle, wie Hans Frick mit Stolz bemerkt. Wenn man die Bürgernamen in jenen Tagen aufmerksam durchliest, dann werden einem etliche Namen immer wieder begegnen: Steinborn, Giffels. Witsch und Simon, Sair, Mentzen und Heckenbach. Kremer. Jossen, Myrich sind andere, die sich bereits im hohen Mittelalter hier finden. Beweis, daß es den Menschen relativ gut ging. Wenn wir aus unserer Zeit noch einige spezifische Neuenahrer Namen zufügen dürfen: Jochemich, Schlagwein, Dahr, Lützig, Knieps, Ulrich, Leuer, Brochsitter, Krupp, Höper (Hüper). Rademacher und Schumacher sollen nicht vergessen werden. Gewiß existieren Familien dieses Namens auch anderswo, aber hier – so das Gefühl, vielleicht kindlich – hier gehören sie hin. Wadenheim sah sich als was Besonderes. Da sind die Grenzstreitigkeiten mit Heimersheim, bei denen der Landgraben eine Rolle spielt -wahrscheinlich hat sich aus seiner Dialektform der Begriff Landgraf – Landgrafenbrücke entwickelt. Da sind die Streitigkeiten mit Ahrweiler, um Bachern hauptsächlich. Hieraus resultierende Anekdoten und Necknamen mitsamt den dazu gehörenden Geschichten darf ich als bekannt voraussetzen. Die Pfarrkirche für Wadenheim lag in Beul, wo ein Neubau in den Jahren 1724/1725 erfolgt. Die Hauptkosten trug dabei das Cassiusstift in Bonn, der Sitz des Ahrgaudekanats. Eine Erwähnung als Pfarrort Wadenheim erfolgte erstmals 1204, wesentlich nach Erstnennung des Ortes. Zudem war Wadenheim längst nicht der älteste Ort des Dekanates, dessen südliche Grenzen auf weite Strecken mit dem Wildbann zusammenfallen, der in der Urkunde 992 erwähnt wird. Auf dieser Grenze verlief nämlich hauptsächlich der Schwerverkehr der damaligen Zeit von der Eifel zum Rhein. Die Fuhrleute zogen den weitaus einfacheren Weg über die Höhen dem Weg entlang des Flusses vor, weil dieser hochwassergefährdet und an einigen Stellen wegen der Felsdurchbrüche unpassierbar war.
Aber zurück nach Wadenheim, das damals also vorwiegend der Weinqualität und -quantität wegen geschätzt wurde. Kirchlich also nach Bonn, im Grunde zum Bischof in Köln orientiert war, weltlich dagegen nach Jülich. Die Grafen von Neuenahr, nachdem ihre Burg zerstört worden war und nicht wieder aufgebaut werden durfte, residierten mal hier, mal dort. Mit der Heirat Katharinas war die Saffenburg lange Zeit ihr Wohnsitz, danach fiel derTitel Graf von Neuenahr an einen Virneburger, der ebenfalls eine Tochter Katharina von Neuenahr geheiratet hatte. Nach 1545 fiel der Titel an den Grafen von Moers, Hermann von Neuenahr, der 1560 Moers erhält.
Wadenheim und die Ahrbrücke, die bereits in der Schenkungsurkunde von 992 als
Grenzpunkt des Wildbannes genannt wird. Ausschnitt aus der Karte des unteren Ahrtals von 1571 (Original LHA Koblenz).
Sein Sohn Adolf V. wurde wie sein Vater Anhänger der Reformation, die er nach dem lutherischen, später reformierten Bekenntnis glühend verteidigte. Gemeinsam mit dem Kurfürsten Gebhard Truchseß von Waldburg versuchte er, Kurköln der Reformation zuzuführen. Jedoch der Versuch mißlang und Adolf wurde in die Niederlande abgedrängt, wo er sich der Partei Moritz von Oraniens anschloß – dem Sohn Wilhelms von Oranien – und 1589 starb.
Im Jahre 1880 kam eine Erinnerung an diese letzte Linie der Grafen von Neuenahr nochmals in ihre Stammheimat zurück. Damals eröffnete die Evangelische Kirche des Badeortes unter Federführung von Pastor Gustav Adolf Pliester das Walburgisstift für Mitarbeiter, Pfarrer und Diakonissen der Evangelischen Kirche. Wal-burgis, Witwe von Neuenahr und Moers, war übrigens in erster Ehe mit dem Grafen von Hoorne verheiratet gewesen, dem Unglücklichen, der gemeinsam mit Egmont im Niederländischen Freiheitskampf von der Spanischem Partei hingerichtet wurde. Daß mit ihr abermals eine Frau an einem bedeutsamen Punkt Neuenahrs steht, sei am Rande vermerkt.
Die jülichsche Zeitphase, in die Wadenheim zugleich mit den 13 anderen Ortschaften der Grafschaft eintritt, erweist sich als nicht ganz so ruhig, wie man annehmen könnte. 1592 war nämlich Herzog Wilhelm von Jülich gestorben, zerrüttet durch Geistesschwäche. Sein Sohn Johann Wilhelm, verheiratet mit der ehrgeizigen Jakobe von Baden, war regierungsunfähig und starb 1609. Nun hatte eine Tochter des jülicher Herzogs den Herzog Albrecht Friedrich von Preußen geheiratet, eine andere den Pfalzgrafen von Neuburg. War die preußische Partei reformiert, so war die neuburgische katholisch. Der Kaiser Karl V. war in einer Zwickmühle, denn die Jülicher standen territorial nicht allein, sondern hingen durch ältere Verträge mit dem Herzogtum Kleve und mit den rechtsrheinischen Grafschaften Berg, Mark und Ravensberg zusammen. Nach vielem hin und her, Drohungen und aufmarschierenden Armeen kam es zu einer Teilung. Kleve, Mark und Ravensberg kamen zu Preußen, Berg und Jülich an Pfalz-Neuburg. Die ganze Angelegenheit ging leider an Wadenheim und der Grafschaft nicht ohne Unruhen vorbei.
Was wäre geschehen, hätte Preußen damals die Erbschaft Jülich erhalten? Bei dieser Gel-genheit darf ich einen persönlichen Gedanken einschalten, den ich historisch zwar nie bestätigt erhielt, aber an anderen Stellen verwirklicht fand. Das relativ starke Engagement des Hohenzollern-Hauses an dem seinerzeit eigentlich noch sehr behelfsmäßigen Badeort Bad Neuenahr 1858 hatte für mich zwei Gründe. Zum einen hatte man dem belgischen Spa endlich ein äquivalentes Wasser entgegenzusetzen. Zum zweiten aber traten die Hohenzollern eine Herrschaft an, die ihnen eigentlich 1609, also 250 Jahre vorher hätte zufallen müssen. Es war, wie z.B. im Bergischen Land mit Schloß Burg, im Grunde ihr vorenthaltenes Eigentum, das sie hier in Neuenahr betraten und dementsprechend genossen.
Der 30jährige Krieg, der kurz nach dem Jülich-Klevischen Erbfolgestreit ausbrach, ist an der Grafschaft nicht spurlos vorübergegangen. Immer wieder ist in den Urkunden der entsprechenden Zeit von fremdem Kriegsvolk die Sprache.
In die Unterlagen käme eine gewisse Eintönigkeit, wenn es da nicht die Berichte des Jesuiten Wilhelm Holler gäbe. Die Berichte aus seiner Feder an das Jesuitenkollegium in Münstereifel – nicht zu verwechseln mit dem Stift Münstereifel, das auch Besitz in Wadenheim hatte,- gehören zum Anschaulichsten und Ausführlichsten, was wir über unsere Vorfahren dahier erfahren können. Diese Hollerschen Berichte dienten ursprünglich der Verteidigung eines Paters, unter dem Holler gearbeitet hat, dienten also auch der eigenen Verteidigung gegen unberechtigte Vorwürfe. Er kommt zu dem Schluß, daß es besser sei, die Wingerte selbst zu bearbeiten. Die Wadenheimer seien nicht mehr das, was sie vor 40 oder 50 Jahren gewesen seien. In diesem Zusammenhang fällt das bekannte Wort von den „verfressenen und versoffenen“ Bewohnern, die lieber ihren eigenen Wingert bearbeiten würden.
Dazu hatten sie jedoch gute Gründe. Die Speisen für die Arbeit im Weinberg der Herren, Holler zählt sie minutiös auf, waren bescheiden. Nicht schlecht, aber bescheiden. Morgens Haferbrei mit Birnenkraut oder Butter und fauler Käs – Sie alle kennen hoffentlich den Begriff Faustekääs noch -, mittags warmer Imbiß/Erbsen, Bohnen und Käse. Abends wieder ein Teller warmen Breis, Mus oder Rüben, Bohnen oder ähnliches. Nach Möglichkeit ein- bis zweimal abends Fleisch, gewöhnlich abersonntags. „IhrTrank ist jahraus jahrein Wasseroder, wenns hoch kommt, Sauerwasser oder Brunnen.“ So heißt es bei Frick.
Nicht ohne Absicht halte ich mich daran einige Minuten auf. Es sei nämlich daran erinnert, daß solchermaßen das Leben unserer Vorfahren hier an der Ahr war. Wer sich dieser Herkunft besinnt, des harten Lebens, der hat keinen Grund, hochmütig zu werden. Jedoch darf er stolz auf seine eigenen Leistungen und die seiner Ahnen sein, aus denen das blühende Gemeinwesen geworden ist, das heute sein Jubiläum feiert.
1681 beginnt Wadenheim mit dem Bau der Schule, die zuvor in anderen Räumen gehalten worden ist. Bereits 1610 war die Rentmeisterei aus Ahrweiler nach Beul gezogen, oben „op de Kant“. 1786 baute Hofrat Stockhausen daneben seinen Teil des Beethovenhauses, eine der Sehenswürdigkeiten unseres Ortes. Im gleichen Jahr errichtete Wadenheim eine neue Schule an der Stelle, wo später das Bürgermeisteramt zu stehen kam, gegenüber der Josephskapelle. Um diese Zeit, wir nähern uns dem Ende der kurfürstlichen Aera, zählt Wadenheim 760 Einwohner bei 160 Häusern, so Frick, während Beul 45 Bauernhäuser zählte. 1798 wird am 9. April in Wadenheim der Freiheitsbaum der Französischen Revolution aufgepflanzt. Rentmeister Reifferscheid wird Mai-re, also Bürgermeister der Mairie Ringen, zu der auch Wadenheim gehört, im Kanton Remagen, Departement Rhin et Moselle.
Gleichzeitig betrieben die Franzosen, vor allem im Andenken an Karl den Großen, eine andere Bistumsordnung. 1801 wurde nämlich Aachen Bischofssitz und Bistumsstadt, während das Bistum Köln aufgehoben wird. Neuenahr beziehungsweise Wadenheim kam zum Bistum Aachen. Pfarrhaus wurde das ehemalige Rentmeistergebäude – heute Stadtbibliothek – und blieb es bis zur Jahrhundertwende, als in Wadenheim die neue Kirche entstand. Was die Franzosen an Gutem in ihrer kurzen Regierungszeit hinterließen, wird von vielen gerühmt.
Da war einmal die Anlage guter Straßen, zumindest von Remagen bis Ahrweiler, und zudem der Beginn einer dauerhaften Ahrregulierung. Wadenheim selbst geriet bei Übernahme der Rheinlande durch Preußen an Ahrweiler. Gottfried Kinkel schildert in seinem Buch über die Ahr, das Leben an der Ahr in düsteren Strichen. „Die Bewohner des Thais werden arm und ärmer, die einst blühenden Dörfer brechen zusammen, die fröhliche Lebenslust schwindet von Jahr zu Jahr mehr, und zuerst von allen Preußen hat der Ahrländer die Auswanderung nach Amerika begonnen.“ Immer noch litt man unter Hochwasser, so in den Jahren 1804,1844, immer wieder in den verschiedensten Jahren fielen die Trauben in der Blüte den Nachtfrösten zum Opfer.
Da führt die wieder aufgegriffene Ahrregulierung unter dem Direktor der Rheinstrombauverwaltung Nobiling, die 1832 begonnen wird, weiter. Sie war nämlich für die jetzt mit einem Schlage einsetzende hohe Konjunktur unserer Heimat unentbehrliche Voraussetzung. Georg Kreuzberg, derwagemutige Kaufmann aus Ahrweiler, kann ruhigen Gewissens Schliemann von Neuenahr genannt werden. Genau wie jener prüfte er gemeinsam mit Vater Professor Bischof und dessen Sohn aufgrund der Erfahrungen am Apollinarisbrunnen und den Gerüchten, Hinweisen und auch Gerüchen, die ihm berichtet wurden, denjenigen Platz, der ihm als der mögliche für die Quelle oder Quellen erschien. Kreuzberg und Bischof behielten Recht. Das, was diese beiden, zunächst allein, dann im Verbund mit den Aktionären der „Commandit-bzw. Aktiengesellschaft für Kur- und Badeanlagen im Ahrtal“ zutage brachten, läutete unserer Heimat ein neues, in dieser Form nicht erwartetes Zeitalter ein. In Beul, hierauf in Wadenheim, dann in Hemmessen, wird vom Jahre 1857 an alles anders. Am 28. Juli 1858 findet im Beisein der späteren Kaiserin Augusta die Quellenweihe statt. Eine der Hauptquellen wurde zu Ehren der Prinzessin Viktoria-Quelle genannt, die Hauptquelle Augusta. Bereits 1859 begann der Kurbetrieb. Eine neue Ahrbrücke wurde gebaut, Trink- und Wandelhalle sowie der Musikpavillon waren errichtet. Auch an den Abflußkanal, an die Zuleitung des Mühlenteiches, an den Bau von sogenannten Badehäuschen mit Dr. Weidgen, den Bau des Hotels und nicht zuletzt an die Anlage des Kurparks war gedachtworden. Hierzu hatte man den berühmten Peter Joseph Lenne, höchsten preußischen Gartenbaudirektor gewonnen. Leider wurden seine Planungen des Kurparks und der Nebenanlagen aus Geldmangel nur zu einem Drittel realisiert.
Mit der Entdeckung der Quellen und der Gründung des Heilbades beginnt 1858
ein neues Kapitel Neuenahrer Geschichte: Kurhaus und Kuranlagen zu Füßen des Berges
Neuenahr nach einer zeitgenössischen Lithographie von Chr. Hohe.
Der Generalgartendirektor hinterließ dann, nicht zum Nachteil der Dörfer – Wadenheim hatte übrigens seit der Franzosenzeit an Bevölkerung eingebüßt – seinen Neffen August Lenne als zweiten Kurdirektor nach Georg Kreuzberg. Seitdem ist der Name mit Neuenahr verbunden, vor allem durch den Lennepark.
1859 stieg man in die erste Saison, die, abgesehen vom Bau des Kurhotels und der Nebengebäude, vor allem Wadenheim Vorteile brachte. Der Bau von Hotels und Pensionen wurde vorangetrieben, und das zum allergrößten Teil mit privatem Kapital. Man war in Berlin der Ansicht, hinter dem Unternehmen stünden so hochkarätige Namen, die würden schon das nötige Geld besorgen, um ihren Namen zu wahren. Im Jahre 1861 stieß man auf den großen Sprudel, der bis heute die Quelle geblieben ist. Mit Dr. Praessar, der auch gebohrt und Erfolg gehabt hatte, kam es vier Jahre später zu einer gütlichen Einigung, die der AG ungestörte Arbeit ermöglichte. Um diese Zeit erkannten die Ärzte erstmals die große Wirksamkeit Neuenahrer Wassers bei der Zuckerkrankheit.
1863 entsteht die Dauerpoststelle für den Personenverkehr von Remagen nach Neuenahr und von dort nach Ahrweiler. Erst im Herbst des Jahres 1880 kam die Eisenbahn ins Ahrtal, welche die Rheinstrecke schon seit 20 Jahren belebte. 1872 wurde mit der Einweihung der evangelischen Kirche eine der städtebaulich schönsten Situationen Wadenheims geschaffen. Gerade auf Portal und Turm der Kirche lief die neue Brücke zu, eine sehr schöne Verbindung von Technik und Sakralbauwerk, die der Kreisbaumeister Cuno (Architekt der Kirche und Brücke) geschaffen hatte. 1875 erfolgte die längst begehrte Einrichtung der Bürgermeisterei, die dann auch nach vielem Wenn und Aber den Namen Bad Neuenahr erhielt. 1882 wurde mit dem Bau des Maria-Hilf-Krankenhauses begonnen; 1893 wurden die Wasserleitungen verlegt, Elektrizität 1899.
1893 hat die Aera Felix Rütten begonnen, unter dem Neuenahr seine erste Blüte erlebte. 1899 entstand das neue Badehaus, mit dem Eingang in antikem Stil, 1903 der Barockbau der Nordseite des Kurbezirks mit Theatersaal, Konzert-, Lese-, Spiel- und Restaurationsräumen. Heute ist das Casino darin beheimatet. Der Baumeister und Architekt Oscar Schütz ist unbekannt geblieben, während der Erbauer des Kurhaus-Westbaus mit dem großen Turm (1914 vollendet) K. Moritz als einer der ersten Architekten seiner Zeit gilt. In diesen Jahren entstanden die großen Hotels: Palast, Flora, Winzerverein, Kaiserhof, Westend u.a. Dazu entstand die Rosenkranzkirche, die allerdings in zwei Etappen gebaut wurde. Ihr Architekt August Menken starb nämlich vor der Vollendung. Die Synagoge war 1901 fertig geworden.
Man kann verstehen, daß die ältere Generation uns jüngerer Generation zwischen den beiden Kriegen immer wieder versicherte: „Wer Neuenahr nicht vor dem Krieg (l. Weltkrieg) gesehen hat, weiß nicht, wie schön Neuenahr war. Wir waren ein großes und schönes Heilbad.“ Allerdings erhielt Neuenahr erst 1927 den Titel „Bad“.
Gewiß brachten Inflation und französische Besatzung Rückschläge, aber 1926, 1927, 1928, 1929 …, wenn zu Pfingsten die Automobilwettbewerbe stattfanden, mit Schönheitskonkurrenzen, Bergrennen (aus dem sich der Nürburgring entwickelte, dessen Sieger in Neuenahr feierten), Geschicklichkeitsprüfungen, Feuerwerk mit allem Drum und Dran, das war was. Die Nationalsozialisten haben Neuenahr das Flair der großen, weiten Welt genommen. Sie vergraulten die Ausländer, sperrten Juden aus und inländische Juden ein. Johannes Kirschweng ging, der Dichter-Kaplan zu Neuenahr, ebenso wie der Bürgermeister, große Häuser wechselten die Besitzer, man wollte mit den plump auftretenden Nationalsozialisten nichts zu tun haben.
Der Bau der Rosenkranzkirche (1898 bis 1901, Ausbau des Turmes 1906/07)
in zentraler Lage zu den früher selbständigen Dörfern Beul, Hemmessen, Wadenheim
setzte einen neuen Akzent im Ortsbild Neuenahrs.
Hatte der Ort vor dem ersten Weltkrieg 3.000 Fremdenbetten – es war wie gesagt die Blüte -so fiel diese Zahl nach dem zweiten Weltkrieg auf 1.400. Zum Glück für das Heilbad traten damals Spezialisten der Spielbank in Zoppot bei Danzig mit dem Gedanken an Gemeinde und Kur-AG, in Bad Neuenahr eine Spielbank zu errichten. Am 15. Dezember 1948 begann das sogenannte Casino seine Tätigkeit und mit ihm der Wiederaufschwung Neuenahrs. 25.000 ausländische Besucher kamen in den zwei ersten Jahren. Zu dieser Einrichtung kamen einige andere Erfolge. Dienststellen der Bundeswehr siedelten sich an, die Apollinaris-AG expandierte ungemein. Leider war, und das ist nicht allein meine Meinung, die Entwicklung im Hinblick auf den Erhalt des Ortsbildes und seiner Eleganz, aber auch Großzügigkeit, zu stürmisch. Einige Großbauten würden Architekten heute mit neueren Gesichtspunkten einfühlsamer bewältigen.