„Biegen oder Brechen“ – gebogenes Holz als High-tech-Produkt und seine Wurzeln in Rheinland-Pfalz
Thonet-Möbel
Wollte man eine Zusammenstellung derjenigen Rheinland-Pfälzer schreiben, die die technische Entwicklung besonders beeinflußt haben, wäre an vorderer Stelle der in Boppard geborene Michael Thonet zu nennen. Im Jahre 1996 jährte sich sein Geburtstag zum 200. Male. Thonet steht für die oft verkannte Tatsache, daß wesentliche Fundamente der Technikgeschichte und Industrialisierung auf hölzernen Fundamenten ruhen. Vieles spricht dafür, daß die materialgerechte und ressourcenschonende Ausnutzung des nachwachsenden Rohstoffes Holz auch heute noch Vorbildcharakter hat.
Michael Thonet begann, aufbauend auf Experimenten englischer Tischler, um 1830 in seiner Tischlerei in Boppard die Methode des Biegens und Verformens von Holz nach vorherigem Kochen in Leimwasserfür Möbelfabrikation zu perfektionieren. Zunächstwurden einzelne Furnierstreifen verwendet, später massive Leisten. Einer der ersten Bewunderer der so hergestellten eleganten Möbel war der österreichische Staatskanzler Fürst Clemens von Metternich -übrigens ein gebürtiger Koblenzer. Auf seine Empfehlung hin verlegte Thonet seine Firma nach Wien, wo ihm die k. u. k. Hofkammer das Privileg erteilte, „jede, auch die sprödeste Gattung Holz auf chemisch-mechanischem Wege in beliebige Formen und Schweifungen zu bringen.“ Mit anfänglichen Hindernissen war das der Beginn einer rasanten Expansion. 1856, gleichzeitig Geburtsjahr der Ahrweiler Firma Geschier, wurde das Privileg zum „massiven Biegen von Sesseln und Tischfüssen“ erteilt. Drei Jahre später begann die Produktion des legendären „Konsumsessel Nr. 14″, der als Kaffeehausstuhl millionenfach produziert und in die gesamte Welt verkauft wurde. Die Gebrüder Thonet wurden Pioniere industrieller Massenproduktion, die bis ins kleinste durchrationalisiert wurde. Bereits im Jahre 1900 erzeugten 6000 Arbeiter an 20 Dampfmaschinen in 5 Fabriken 4000 Möbelstücke täglich, das sind über eine Million pro Jahr.
Die bis heute unerreichte Besonderheit der Bugholzmöbel ist die Einheit von Form und Funktion, eine bis dahin nicht gekannte Kombination aus sparsamstem Materialeinsatz und größtmöglicher Stabilität. Sechs Holzteile, zehn Schrauben und zwei Muttern ergaben einen kompletten Stuhl, der zerlegt äußerst rationell transportiert und an beliebiger Stelle mit wenigen Handgriffen aufgebaut werden konnte. Basis dieses Erfolges sind die einmaligen Eigenschaften des Buchenholzes, dessen Fasern unter Dampfeinwirkung so geschmeidig gekocht werden, daß sie nach dem Trocknen ihre neue Form beibehalten. Die Elastizität geht soweit, daß man sogar Knoten oder Schnecken formen kann. Auch heute noch werden einzelne Klassiker aus dem Programm der Firma Thonet gefertigt und viele Konkurrenzfirmen haben die Patente zum Biegen von Holz für die eigene Fertigung in Anspruch genommen.Die Dampfbiegerei der Firma Geschier in Ahrweiler
Auch in Ahrweiler wurde diese Technologie bis etwa 1960 angewandt. Die Firma Geschier, die zeitgleich mit dem 200. Geburtstag von Michael Thonet ihr 140jähriges Bestehen am Ort feiern konnte, verfügte lange Jahre über eine eigene Dampfbiegerei. Lagen ihre Anfänge im vergangenen Jahrhundert zunächst im Bereich der reinen Bau- und Möbelschreinerei – die in den Jahren 1880-1915 entstandenen Kirchenbänke in Ramersbach, Ringen, Holzweiler und Ahrweiler zeugen davon – erreichte die Produktion etwa ab 1920 industrielle Dimensionen. In der Dampfbiegerei wurden die technologischen Vorzüge des Buchenholzes aus der heimischen Region in verschiedene Produkte umgesetzt.
Holzbiegemaschine: Herstellung eines Pferdekummet um 1900.
Neben der Fertigung sogenannter Gestellware für Polstermöbel wurden, wie historische Aufnahmen zeigen, z.B. lange erfolgreich Kummete für das Zaumzeug von Pferden hergestellt. Die Fertigung erfolgte mit vollständiger Verwertung des gesamten eingesetzten Holzes. Was nicht als Brett- oder Leistenware eingesetzt werden konnte, wanderte zur Energiegewinnung in den Dampfkessel, obwohl damals das Schlagwort der Biomasse-Energiegewinnung noch nicht in aller Munde war. Die Ausbeute an Strom und Prozeßwärme reichte aus, um in der Nachkriegszeit alle Bäckereien und das Krankenhaus mit Strom zu versorgen.
Der Strukturwandel in der Branche hat auch vor Ahrweiler Toren nicht Halt gemacht. „Wachsen oder sich auf Marktnischen spezialisieren“ lautete die Devise und so wurde die industrielle Fertigung aufgegeben, der Betrieb verkleinert und auf hochwertige Kleinserien erfolgreich neu ausgerichtet, nachdem eine Vergrößerung am Standort nicht in Frage kam. Das vorhandene Wissen um die alten Produktionstechniken wird gezielt beim Restaurieren und Aufarbeiten alter Polstermöbel und Stühle eingesetzt. Im Betrieb selbst zeugen heute noch der gestalterisch in-die Verkaufsräume einbezogene Sockel des großen Schornsteins und die liebevoll restaurierte alte Dampfmaschine von den alten Zeiten, in denen die Eifelbuche nicht nur Arbeit und Lohn gab, sondern auch eine Zeitlang fürs tägliche Brot sorgte.
Möbelrestaurierungen gehören zum heutigen Schwerpunkt der Firma.