Beethoven in Ahrweiler
Das Beethovenhaus in Bad Neuenahr und die Familien Stockhausen und Breuning
1. Allgemeines
Da neuerdings in Bad Neuenahr und vielleicht auch darüber hinaus Zweifel darüber entstanden sind, ob Ludwig van Beethoven überhaupt |e im früheren Dorfe Beul am Fuße des Berges Neuenahr, d. h. also im Gebiet der heutigen Badestadt, zu Gast gewesen, und ob daher die Bezeichnung „Beethovenhaus“ für ein dort liegendes Gebäude und die Anbringung einer entsprechenden Erinnerungstafel gerechtfertigt sei, halte ich es für wünschenswert, ja für erforderlich, daß zu diesen Fragen vor dem breiten, heimat- und musikwissenschaftlich besonders interessierten Leserkreis unseres Jahrbuchs ausführlich Stellung genommen wird. Ich greife damit ein in den Jahren 1930 bis 1931 von mir in der Tagespresse behandeltes Thema1) wieder auf, jedoch unter einer längeren und mehr gegliederten neuen Überschrift, um so darauf hinzuweisen, daß der vorliegende Aufsatz die frühere Veröffentlichung an Inhalt weit übertrifft.
Das „Beethovenhaus“, dessen Baugeschichte im Abschnitt 3 näher beschrieben werden soll, ist von den wenigen noch vorhandenen älteren Gebäuden der Stadt das baulich wertvollste. Es steht am Beginn der oberen Mittelstraße (Haus Nr. 4), einerseits neben dem schon an der Willibrordusstraße (früher Kirchstraße) gelegenen, ehemaligen jülichschen Rentmeistereigebäude, das von 1822 bis 1910 als katholisches Pfarrhaus diente, andererseits neben dem Hotel Fürstenberg. Durch den seit jener Veröffentlichung erfolgten Abbruch der alten Kolonnaden und durch die Umgestaltung des dadurch vor dem Badehaus entstandenen freien Platzes zu einer Parkanlage wurde das Beethovenhaus wieder in ein größeres Blickfeld gerückt, natürlich infolge der Entstehung des Kurortes nicht mehr in dem starken Maße, wie dies noch in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, d. h. vor der Gründung des Bades, der Fall gewesen war. Damals konnte man den Herrschaftssitz sogar von der Landstraße aus, die von Heppingen über Wadenheim nach Hemmessen führte, gut erkennen. 80 Jahre lang gehörte dieses Anwesen der Familie von Breuning. 1905 erwarben es die Eheleute Heinrich Schmitz in Bad Neuenahr. Seit 1929 ist ihr Sohn, der Architekt Cornelius Schmitz daselbst, der Eigentümer.
Schon in meiner Kindheit bestand in Bad Neuenahr die feste und allgemein für wahr gehaltene mündliche Überlieferung, daß Beethoven im Breuningschen Hause in Beul zu Gast gewesen sei. Dieser Tradition entsprach auch ein von der Gemeinde Neuenahr bald nach dem ersten Weltkrieg herausgegebener Notgeldschein, auf dem das Gebäude abgebildet ist. Als ich einige Jahre später Einzelheiten über den etwaigen Zeitraum, die Häufigkeit und sonstigen Umstände dieser Besuche zu erfahren suchte, fanden sich bei den Alteingesessenen keine einheitlichen Vorstellungen darüber. Soweit überhaupt vorhanden, widersprachen sie sich und waren insbesondere weder mit der Lebensgeschichte des großen Musikers noch mit der Geschichte des Hauses und seiner Bewohner zu vereinbaren, wie sich aus der näheren Beschäftigung mit beiden Sachgebieten ergab. In der bis 1929 erschienenen Heimatliteratur waren Hinweise auf diese Beethovenbesuche nicht zu finden. Ernst Wey-den (Das Ahrtal, 1839) und Gottfried Kinkel (Die Ahr, 1846) hielten sogar die kleinen Ortschaften Wadenheim, Beul und Hemmessen nur insofern für erwähnenswert, als man sie berühren mußte, um nach Ahrweiler oder zum Berg Neuenahr zu kommen.
Das Beethovenhaus in Bad Neuenahr. – Hier war der junge Beethoven mehrere Jahre zu Gast.
Foto: Jakob und Helena Steinborn
Hierbei ist allerdings eine kurze Brückenbeschreibung Weydens (S. 95) hochinteressant: „Auf einem Fahrweg“ gelangt man vom Dorf Wadenheim „an eine Brücke oder vielmehr an einen großen Steg, der über die Ahr nach dem Dorf Beul führt. Einige Balken, durch Seitenstützen gehalten, mit Reisern und Rasen bedeckt, bilden die Verbindung der Ufer“. Erst 1862, als Bad Neuenahr im Anfang seiner Entwicklung stand und jene „Knüppelbrücke“ bereits durch eine hölzerne Fahrbrücke mit steinernen Pfeilern ersetzt war, finden sich gleich in zwei Schriften einige ortsgeschichtliche Angaben über diese Dörfer, darunter auch solche über das Stockhausensche bzw. Breuningsche Haus und Gut, und zwar im Rheinischen Antiquarius2) und bei Julius Wegeier3), wobei der Antiquarius ein wenig vollständiger berichtet. Von Beethoven ist in keinem Fall die Rede. Auch in den großen biographischen und musikwissenschaftlichen Werken über Beethoven, insbesondere auch in der tiefschürfenden (damaligen) Neuerscheinung „Der junge Beethoven“ (1925) von Ludwig Schiedermair, dem bekannten Leiter des wissenschaftlichen Forschungsinstituts des Beethovenarchivs in Bonn und Professor der Musikwissenschaft an der dortigen Universität, fand sich kein Hinweis auf solche Besuche. Doch war auch dies kein Grund, die Richtigkeit jener Überlieferung anzuzweifeln. Denn biographische Aufzeichnungen über den Meister sind zu dessen Lebzeiten leider versäumt und später nur teilweise nachgeholt worden. Es soll in unserem Fall nicht verkannt werden, daß die Besuche in Beul für die künstlerische Entwicklung des jungen Musikers kaum eine Bedeutung gehabt haben. Noch weit mehr gilt dies natürlich von einer Reise des Knaben Beethoven nach Ahrweiler, die allerdings für den Heimatfreund den Vorzug hat, daß sie in den spät aufgezeichneten Erinnerungen eines Bonner Bürgers und früheren Nachbars der Familie Beethoven erwähnt ist und daher in die Literatur, wenn auch nicht ohne Kritik über die Glaubwürdigkeit einiger Nachrichten, eingegangen ist. Um bestmögliche Klarheit darüber zu gewinnen, ob und unter welchen Umständen Besuche Beethovens in Beul stattgefunden haben, nutzte ich, bevor es dazu zu spät war, die damals noch bestehende Möglichkeit, die letzte, bereits im hohen Alter stehende Breuningsche Generation, die das Beuler Haus noch als das elterliche ansehen konnte, nach der Beethoventradition zu befragen.
Grundriß über die Innenverhältnisse im Beethovenhaus
Nachdem von diesem Personenkreis die erbetenen schriftlichen Auskünfte eingegangen waren, galt es, diesen Aussagen das ihnen zukommende Gewicht zu verleihen. Daher war der Zusammenhang der Gewährspersonen mit denjenigen Vorfahren und Verwandten, die in Bonn Beethovens Zeitgenossen und Freunde gewesen waren, genauer zu bestimmen, als dies jenen Auskünften zu entnehmen war. Schließlich war noch festzustellen, ob und inwiefern durch diese Zeitgenossen bereits Beziehungen zum Haus und seinen Inhabern bestanden, da es zur Beethovenzeit noch keineswegs im Breuningschen Besitz war.
Die gesuchte genauere Beziehung der Gewährspersonen zu jenem Beethovenkreis ließ sich bei Heranziehung der Literatur aus fünf Grabinschriften auf dem Neuenahrer Friedhof in ausreichender Weise erschließen. Der verwandtschaftliche Zusammenhang der damaligen Eigentümer bzw. Erbauer des Hauses, des Vogts Stockhausen und seiner Frau, mit der Familie der Frau von Breuning, die in allen Biographien als mütterliche Freundin Beethovens eine bedeutende Rolle spielt, ergab sich sowohl aus dieser Literatur wie aus den besonders ausführlichen Kirchenbucheintragungen in Bad Neuenahr anläßlich der Familienvorkommnisse bei diesem hohen Beamten. Diese Eintragungen sowie die Baugeschichte des Hauses und die Lebensgeschichte Beethovens gestatteten es, den Zeltraum genau zu begrenzen, in dem allein jene Besuche in Beul stattgefunden haben können. Die auf diese Weise erarbeiteten Zusammenhänge bestimmten Inhalt und Umfang meiner damaligen Veröffentlichung. An dem seinerzeit gefundenen Hauptergebnis hat sich unterdessen nichts geändert und wird sich wohl auch nichts mehr ändern, da jene Gewährspersonen inzwischen gestorben sind (Abschr,. 7d). Nur ein kaum zu erwartender Zufall könnte noch Unterlagen zu Tage fördern, die auf dieses Ergebnis noch ein helleres Licht werfen könnten. Es war für mich äußerst wertvoll, inzwischen auch von berufener musikwissenschaftlicher Seite eine Bestätigung für die Richtigkeit meiner damaligen Schlußfolgerungen zu erhalten. Auf meine Anfrage an Prof. Schiedermair, wie er sich zu dem Vorschlag stelle, am Hause eine Tafel anzubringen, die beinhalte, daß der junge Ludwig van Beethoven im Zeltraum zwischen 1786 und 1792 gelegentlich Gast des Hauses gewesen sei, schrieb er unter dem 12. Juni 1952 aus Bonn, er sei der Meinung, „daß es angebracht sei, eine solche Erinnerungstafel in der Stadt Neuenahr anzubringen und damit einer früher bei ähnlichen Anlässen oft geübten Sitte zu folgen. Daß der junge Beethoven in Neuenahr tatsächlich zu Gaste war, nehme auch ich an. Zudem sind Ihre Darlegungen durchaus überzeugend.“
Im übrigen aber bin ich durch die zwischenzeitlich betriebenen heimatgeschichtlichen Nachforschungen in die Lage versetzt, manchen ändern Punkt zu ergänzen und abzurunden. Indes ahnte ich vor Wiederaufnahme des früheren Themas nicht, daß ich durch Benutzung vieler Biographien4—9), insbesondere gerade derjenigen, die sich auch mit dem älteren Beethoven befassen, allerdings teilweise schwer zu beschaffen waren, einige im einzelnen verschiedene, jedoch einander ergänzende familiengeschichtliche Beiträge aus Anmerkungen, Briefwechseln u. dgl. finden würde, die für die Beantwortung der Hauptfrage wichtig sind. Ihre Zusammenfassung führt — auch bei vorsichtiger Betrachtung — zu der Feststellung, daß ein sonderbarer Fall vorläge, wenn Beethoven innerhalb der oben angegebenen Zeit niemals nach Beul gekommen wäre.
Abschließend sei noch vermerkt, daß zur Vervollständigung mehrerer Personalien außer einigen Grabinschriften in Koblenz die Standesamtsregister von Ahrweiler, Bad Neuenahr und Koblenz und zur Klärung einiger Bau- und Eigentumsfragen Akten des Bauamts Bad Neuenahr und des Katasteramts Ahrweiler benutzt wurden. (Vgl. die genaue Quellenübersicht am Schluß.)
2. Beethoven in Ahrweiler
Erst nach dem Tode Beethovens (26. März 1827) berichtet der Bonner Bäckermeister Gottfried Fischer, der beinahe 20 Jahre an seinen Erinnerungen geschrieben hat, daß der Vater Ludwigs, der in der Bonner Hofkapelle beschäftigte Tenorist und außerdem als Gesanglehrer tätige Johann van Beethoven, mit dem Knaben einige Reisen zu auswärtigen Musikfreunden unternommen habe. Derartigen Einladungen folgte Vater Beethoven „nicht für Geld, sondern zu ihrem gegenseitigen Vergnügen“, über eine solche ausgedehnte Reise, auf der zuletzt bei einem Schwager Fischers in Oberdrees (Kr. Bonn) Halt gemacht wurde, heißt es u. a.: „Von da gingen sie nach Ahrweiler bei Herrn Bürgermeister Schopp und seinen Bruder daselbst, Apotheker Schopp, [beide] waren Musikfreunde. Von da gingen sie in Ersdorf“ (Grafschaft Neuenahr)10). Die von Fischer genannten Personen lassen sich in der Stadtgeschichte nachweisen, und zwar ein Bürgermeister dieses Namens für das Jahr 1779/80. Nach A. Federle“) wurden die Bürgermeister in Ahrweiler alljährlich am 1. Mai aus den Schöffen neu gewählt. Ihre Amtsdauer betrug im allgemeinen ein Jahr, konnte aber auf zwei verlängert werden. Da Ludwig van Beethoven am 17. Dez. 1770 in Bonn getauft wurde und jene Reise gewiß im Sommer stattgefunden hat, mag der Knabe erst 8 1/2 bis 9 1/2 Jahre alt gewesen sein, wenn man nicht annehmen will, daß die Bezeichnung Bürgermeister sich etwas länger gehalten hat als das Amt. Ein Apotheker Anton Josef Schopp legte 1790 ein Zeugnis der medizinischen Fakultät in Bonn vor, daß er die „Prüfung in der Apothekerkunst“ bestanden habe, und erhielt darauf von seinem Landesherrn, dem Kölner Kurfürsten Maximilian Franz, die Erlaubnis, „eine vollständige und approbierte Apotheke“ einzurichten. In seinem Antrag hatte Schopp angegeben, diesseits des Rheines sei im Umkreis von 5 Stunden keine derartige Apotheke vorhanden. Sein Verlangen, die beiden dortigen Ärzte Jakob Lauff und Adam Wulle sollten Ihre kleinen, unvollständigen Apotheken aufgeben, wurde ihm vorerst nicht erfüllt, da Lauff seine Genehmigung durch Kurfürst Maximilian Friedrich bereits 1767 erhalten hatte12). Daß demnach ein Angehöriger der Familie Schopp zur Zelt dieses Beethovenbesuchs noch keine Apotheke in Ahrweiler haben konnte, steht der Richtigkeit der Fischerschen Aufzeichnungen nicht im Wege, da sie ja erst erfolgten, als er die Apotheke schon besaß.
3. Beschreibung und Geschichte des Beethovenhauses
Die Beschäftigung mit diesem Hause würde sich auch dann lohnen, wenn keine Beziehungen zu dem großen Komponisten nachzuweisen wären. Bei näherer Betrachtung erkennt man deutlich zwei zu verschiedenen Zeiten entstandene Hausteile. Der linke, östliche Teil, der durch einen an der Straßenseite gelegenen, gegitterten Treppenvorbau (Freitreppe) den wohlhabenderen Eindruck macht, ist etwas weniger breit und tief als der andere, 52 Jahre ältere Teil, dessen Eingangstreppe seitlich angebracht ist. über die Erbauer und die Zeit der Erbauung des jüngeren Teils berichtet eine in Sandstein gehauene Inschrift über der Tür, die vom Vorbau ins Haus führt. Sie hat folgenden Wortlaut:
SATRAPA DESTOCKHAVSEN CoNsILlARlVs AVLAE VXOR DE
KERlCH HAEC SlBl TECTA LO CANT
Zu deutsch:
Amtmann von Stockhausen Hofrat [und] seine Ehefrau von Kerich bauen sich dieses Haus. Die Inschrift stellt ein sogenanntes Chro-nogramm dar, d. h. man kann ihr die zugehörige Jahreszahl dadurch entnehmen, daß man die darin größer ausgeführten römischen Buchstaben als Ziffern deutet (D = 500, C = 100, L – 50, X = 10, V = 5, l = 1) und die Zahlenwerte zusammenzählt. Auf diese Weise ergibt sich für den linken Hausteil das Baujahr 1786. über der Inschrift zwei große Wappen13), links vom Betrachter dasjenige des Ehemanns: Ein Querbalken mit 3 Sternen halbiert das ovale Feld. Im unteren Feld ein Haus auf einem Baumstumpf (als Versinnbildlichung des Namens (Stockhausen), im oberen Feld ein Turm und ein wachsender Löwe. Das Wappen der Ehefrau „von Kerich“ zeigt im Oval ein Malteserkreuz, das vielleicht an das Wort „Kirche“ erinnern soll. (Näheres über die Erbauer dieses Teils in Abschn. 4). Am Gitter der Freitreppe das in Eisen klein ausgeführte und erst später angebrachte von Breuningsche Wappen, wie es sich auch auf den Grabsteinen findet: Im Schild drei übereinandergestellte Sparren, unter jedem Sparren eine Lilie.
Unmittelbar rechts vom älteren Gebäudeteil schließt sich daran heute ein mittelhohes eisernes Tor mit breiten Steinpfosten an. An seiner Stelle stand mindestens bis 1910 ein hohes, altes, steinernes Einfahrtstor mit schwerer Holzfüllung und überwölbtem Steinbogen, der im Schlußstein ein Doppelwappen des 18. Jahrhunderts und die Jahreszahl 1734 zeigt. Dieser Schlußstein ist erhalten14) und heute in den hausnahen Steinpfosten des Eisentores eingemauert. Durch eine Säuberung ist jetzt die Jahreszahl wieder einwandfrei sichtbar. Die Frage, welches Ehepaar diesen Gebäudeteil samt seinem Tor erbaut haben könnte, ist auch heute noch nicht genau zu beantworten, da die Deutung des Wappens bisher nicht möglich war. Stockhausens Amtsvorgänger, Lizentiat Herseler, dessen Haus zu Beul samt Kelterhaus, Stallungen und einem Hofplatz 1787 einer Erbin gerichtlich zugeteilt wurde15), kann nicht Erbauer gewesen sein, da er sein Amt erst 1743 antrat, auch nicht dessen Vorgänger Hofrat Rheinbach, weil dieser in Heppingen wohnte. Demnach kommt als solcher wohl nur ein Angehöriger der wohlhabenden, kinderreichen Familie Dahmen in Frage, die von 1669 bis 1780 alle Rentmeister des jülichschen bzw. kurpfälzischen Amtes Neuenahr und auch die Richter und Gerichtsschreiber des Kirchspiels Wadenheim gestellt hat. Insbesondere können in Betracht kommen: Adrian Wilhelm Dahmen, Rentmeister und zeitweise Richter 1701—1740, mit seiner Ehefrau Maria Gertrud Steuß, oder ihr 1707 geborener Sohn Friedrich Wilhelm, später Hofkammerrat zu Düsseldorf, mit seiner ersten Ehefrau Maria Theresia von Radenheuber, die 1738 in Beul starb, oder schließlich noch der 1710 geborene Sohn Johann Hugo, der just im Jahre 1734 seinen gegenüber der Rentmeisterei gelegenen Garten durch Kurfürst Karl Philipp vom Schatz befreien ließ, von 1740 bis zu seinem Tode 1749 dem Vater als Rentmeister folgte und 1747 von Kurfürst Karl Theodor für 3 Goldgulden jährlich den „Landskroner Sauerbrunnen“ unter der Bedingung erblich in Pacht nahm, daß er zur Reparatur des Brunnens und des Siegelhauses, in dem die Krüge versiegelt wur den, 50 Reichstaler vorstreckte, die auf die Pacht angerechnet wurden. 1779 bis 1781 starben in Beul die drei letzten männlichen Vertreter der Familie, unter ihnen auch der von Düsseldorf zurückgekehrte Hofkammerrat. Seine Beziehungen zum Ahrtal hatte dieser auch in der Ferne stets gepflegt. Denn 1770 hatte er als Schützenkönig der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft in Ahrweiler einen bemerkenswerten Königsschild gestiftet.
1781 oder kurz danach mag für den in diesem Jahre berufenen Vogt Stockhausen eine gute Gelegenheit bestanden haben, das 1734 erbaute Haus von der Familie Dahmen zu erwerben und es später bei seiner Heirat 1786 durch einen Neubau noch zu vergrößern. Die beiden Hausteile werden zu seiner Zeit miteinander durch eine Zwischentür in Zusammenhang gestanden haben. Die einzige heute noch erkennbare Verbindung besieht darin, daß man nur vom älteren Teil aus über eine Treppe zu dem Speicher gelangen kann, der sich über dem jüngeren Teil von 1786 befindet. Diese Tatsache mag die Annahme erhärten, daß Stockhausen beim Bau des jüngeren Hausteils den älteren schon besaß. Die beigefügte Abbildung aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts läßt das zwischen der Willibrorduskirche und der Rentmeisterei in freier Lage erscheinende Beethovenhaus mit seinem Einfahrtstor in der damaligen Gestalt gut erkennen.29) So sah das „erhaltenswerte historische Gebäude“ noch bis zum Nov. 1909 aus, als — leider — die Regierung zu Koblenz nach anfänglichem Widerstreben gelegentlich einer neuen Dacheindeckung die Genehmigung erteilte, eine nicht stilge-rräße „Frontspitze“ mit Mansarden auf und in das Dach zu bauen. Die dabei angedeutete Absicht, „die Überwölbung der Toreinfahrt zu renovieren und abzudecken“, kam nicht zur Ausführung, da das Tor abgerissen wurde. Schon 1907 war ein vorhandenes Hintergebäude teilweise abgebrochen und durch „eine ähnliche Anlage“ mit Remise, Waschküche und Gesindewohnung als Verlängerung des stehengebliebenen Pferdestalls ersetzt worden.17)
4. Die Familie Stockhausen
Wie schon erwähnt, trat zu Anfang des Jahres 1781 der 24jährige wirkliche pfalzbayrische Hofrat Johann Heinrich Hubert Stockhausen18) sein Amt als Vogt (lateinisch: praefectus) der jülichschen Ämter Neuenahr, Sinzig und Remagen an. Sein verantwortungsvolles Amt als Hüter des Staates, aber auch der Interessen der Untertanen, hatte der noch sehr junge Beamte vom Landesherrn Kurfürst Karl Theodor, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Ober- und Niederbayern, in dessen Eigenschaft als Herzog zu Jülich, Kleve und Berg erhalten. Die Landesverwaltung saß in Düsseldorf. Gleichzeitig übernahm er im Kirchspiel Wadenheim das Amt eines ordentlichen Richters, das seit 1780 durch den Tod des Karl Kaspar Dahmen, eines weiteren Sohnes von Adrian Wilhelm Dahmen, verwaist war. Die lateinische Amtsbezeichnung satrapa = Amtmann im Haus-Chronogramm könnte, was allerdings sehr unwahrscheinlich ist, bedeuten, daß er an Stelle des unter der Bezeichnung „Oberamtmann“ vorkommenden Grafen Franz Philipp von der Leyen neben seinem Amt als Vogt auch den größten Teil der Amtmannsgeschäfte zu besorgen gehabt hätte. Ob das in der Inschrift und auch in sämtlichen Kirchenbucheintragungen geführte Adelsprädikat zu Recht bestand, ist noch mehr zweifelhaft, da seine Unterschrift stets schlicht „Stockhausen“ lautet und das Wörtchen „von“ auch in den nicht von ihm verfaßten amtlichen Schriftstücken vermieden ist. Nach seinem 1787 ebenfalls als Ahrweiler Schützenkönig gestifteten silbernen Königsschild nannte er sich genauer „Stockhausen auf Oberscheid“. Bei seiner Ehefrau ist es sicher, daß sie ebensowenig wie Ihre beiden Geschwister Helene und Abraham den ihr beigelegten Adelstitel besaß, da der adelige Name von Breuning gleichzeitig mit dem bürgerlichen Namen Kerich sowohl in der standesamtlichen Sterbeurkunde der Helene (1838) wie in der kirchlichen Heiratsurkunde ihrer Tochter Eleonore (1802) bei der Nennung der Trauzeugen und anderer Personen erscheint. (Vgl. Abschn. 7a.) Eine einleuchtende Erklärung für die Änderungen sehe ich in der Verlegenheit der Erbauer, im Text des Chronogramms die richtige Jahreszahl 1786 unterzubringen. Das Wort PRAEFECTVS mit den Buchstaben C und V hätte diese Zahl um 105 erhöht. Umgekehrt gab das zweimalige Vorkommen von DE = „von“ mit dem Buchstaben D leicht die Möglichkeit, die noch fehlenden 1000 erscheinen zu lassen. Nach den Angaben der Inschrift mag sich dann auch der erst Ende 1783 neu eingetretene, aus Waldorf gebürtige Pfarrer Anton Nachtsheim bei seinen Kirchenbucheintragungen gerichtet haben. Gemäß der durch Stockhausen nach Düsseldorf eingereichten ausführlichen Amtsbeschreibung gehörten 1786 folgende Dingstühle (Uniergerichte) bzw. Kirchspiele zum Amt Neuenahr: 1. Wadenheim, das ehemalige Hauptgericht der Grafschaft Nebenahr, mit den zum Kirchspiel gehörenden Dörfern Beul und Hemmessen; 2. das Kirchdorf Bengen; 3. das Kirchdorf Rirgen mit Bölingen und Beller; 4. das Kirchdorf Karweiler, ohne die kirchlich zugehörige Herrschaft Lantershoven; 5. Leimersdorf, mit Birresdorf, Överich und Niederich ein Kirchspiel bildend; 6.das seit 1774 (aus einer Verpfändung) wiedereingelöste Kirchdorf Fritzdorf; 7. das [1749] wiedereingelöste Kirchspiel Ersdorf mit Großaltendorf; 8. das ebenfalls [1749] wiedereingelöste Dorf Wormersdorf mit dem Dörfchen Kleinaltendorf, beide nur kirchlich zu Ipplendorf gehörig; 9. das gleichfalls [1749] v/iedere!ngelösto Kirchspiel Holzweiler mit Ober- und Niederesch und dem Hof Rofh; 10. das Kirchdorf Ramershoven mit Peppenhoven; 11. das Kirchdorf Ramersbach, früher (vor 1662) kirchlich zur Pfarre! Blasweiler gehörig. Ferner mit nur noch wenigen Gerechtsamen, die dem Kurfürsten verblieben sind: 12. das Kirchspiel Gelsdorf, jetziger Inhaber der kölnische Geheimrat von Gruben; 13. Villip mit Holzhelm und Pesch, 1659 der Familie Waldbott von Gudenau übertragen; 14. Eckendorf, 1659 dem Grafen von der Leyen verpfändet; 15. Adendorf, 1659 ebenfalls dem Grafen verpfändet. Nach dem Neuenahrer Kirchenbuch verheiratete sich der 29jährige Vogt am 25. Februar 1786 zu Bonn mit der etwa 23jährigen Ursula Margarete „von Kerrich“. Sie war die Tochter des kurfürstlichkölnischen Leibarztes Stephan Kerich. Die Heirat erfolgte also im gleichen Jahr, in dem die Eheleute gemäß der Hausinschrift den östlichen Flügel des heutigen Beethovenhauses erbauten. Offenbar genügte das bisher von dem Junggesellen bewohnte und teils auch für seine Amtsgeschäfte benötigte ältere Haus nicht mehr den durch die Heirat geschaffenen neuen Verhältnissen und Ansprüchen. Trotz der mit dem Hausbau verbundenen Ausgaben besaß das junge Ehepaar Geld genug, um schon 1787 der Gemeinde Wadenheim zum Bau eines neuen Schulhauses auf der linken Ahrseite vierhundert Reichstaler zu 4 v.H. vorzuschießen; die Gesamtkosten betrugen siebenhundert Reichstaler.
Das Eheglück war kurz. Schon im darauffolgenden Jahr, am 24. April 1788, starb der Hofrat im Alter von 31 Jahren an der Schwindsucht (lat.: „phtisi“). Ein Vierteljahr später folgte ihm sein einziges Kind, Maria Magdalena, das einen Monat vor dem Tod des Vaters zur Welt gekommen war. Stockhausen wurde mitten in der Willibrorduskirche beigesetzt. Doch sind heute keine Anzeichen mehr von der Lage seines Grabes festzustellen. Nach dem Tode von Mann und Kind wohnte die Witwe, wie im Abschn. 7a noch näher erläutert wird, noch über 34 Jahre m ihrem Beuler Haus, ehe sie nach Köln verzog, und nutzte das ihr hinterlassene bedeutende Gut, das der Rheinische Antiquarius2) mit 150 Morgen Land und 10 Morgen Weinberg beziffert. Von der Hofrätin Stockhausen rühren die Beziehungen Beethovens zu Bad Neuenahr. Sie war die jüngere Schwester der in Bonn wohnenden Hofrätin von Breuning.
5. Die Bonner Familie von Breuning und ihr Verhältnis zu Beethoven
Keine der bedeutsamen Beethovenbiographien4—9) geht an dem Verhältnis des heranwachsenden Meisters zu dieser Familie vorbei, deren Mittelpunkt damals die bereits verwitwete Maria Helene von Breuning geb. Kerich bildete. Im Januar 1750 in Köln geboren, hatte sie spätestens 1770 den neun Jahre älteren, sehr strebsamen kurfürstl.-kölnischen Hofrat Emanuel Josef von Breuning geheiratet, den sie im Januar 1777 frühzeitig verlor, als dieser bei der Bergung von Akten aus dem brennenden kurfürstlichen Schloß in Bonn, dem heutigen Universitätsgebäude, von herabstürzendem Mauerwerk tödlich verletzt wurde. Die beiderseitige Verwandtschaft stand der 27jährigen Witwe mit ihren vier Kindern tatkräftig bei. Sie zog alsbald in das am Münsterplatz gelegene Haus ihres älteren Bruders Abraham Josef Kerich, der Kanonikus, d. h. Stiftsherr, im dortigen Kassiusstift war. Dieser Bruder wird uns später (Abschn. 7a) — nach Auflösung des Stifts während der französischen Besatzungszeit — als Bewohner des Beuler Hauses noch begegnen. 1788 taufte er unter der Eintragung „Scholaster der Archidiakonalstiftskirche zu Bonn“ seine im vorigen Abschnitt erwähnte Nichte Stockhausen. Der Schwager der Hofrätin, Johann Lorenz von Breuning, bis dahin Kanonikus in Neuß im Zuständigkeitsbereich des dortigen Archidiakons, bei den Kindern kurz der „Ohm von Neuß“ genannt, siedelte sofort nach Bonn über, um der Witwe in der Erziehung der Kinder beizustehen. Als Betreuer der Familie wirkte er so bis zu seinem Tode 1796 in Bonn. Als Geistlicher übte er dort die Funktion eines Kanzlers des Bonner Archidiakonalstifts aus.
Das älteste der Kinder, Eleonore Brigitte (geb. 23. April 1771), war also beim Tode des Vaters noch nicht sechsjährig, ihr jüngster Bruder Lorenz, auch „Lenz“ genannt, nur wenige Monate alt. Christoph Stephan Emanuel (geb. 13. Mai 1773), der uns ebenso wie Eleonore noch mehrfach beschäftigen wird, und Stephan (geb. 1774) waren ihre übrigen Brüder. Die richtige Reihenfolge der Kinder, aus der hervorgeht, daß Beethoven kaum vier Monate älter als Eleonore war, ist für unsere späteren Betrachtungen nicht ganz unwichtig18). Da durch den Tod des Hofrats finanzielle Sorgen in seiner Familie nicht entstanden, war seine kluge und gemütvolle Frau in der Lage, ein Haus zu führen, in dem Hofleute, Künstler und Gelehrte gern verkehrten, auch rheinischer Frohsinn nicht zu kurz kam.
Brücke über die Ahr bis zum Jahre 1859
Kurz, die Breuningschen Kinder hatten eine Heimat, in der literarische und künstlerische Interessen besonders gepflegt wurden. In diesen Kreis trat vermutlich 1782, spätestens jedoch 1784, der sehr begabte Medizinstudent Franz Gerhard Wegeier ein, eines eingewanderten Elsässers Sohn, geb. in Bonn 1765, immatrikuliert im Okt. 1782. Er war es, der ebenfalls spätestens 1784 den jungen Ludwig van Beethoven in das Breuningsche Haus einführte und ihm bis zu dessen Tod in Freundschaft verbunden blieb. Wegeler verdanken wir durch seine „Biographische Notizen“5) manche wichtige Nachricht über Beethovens Jugend. Sein von Ihm nicht selbst veröffentlichter, später Briefwechsel mit dem in Wien lebenden Jugendfreund, in dem er auch über „die Tante Stockhausen von der Ahr“ berichtet (Genaueres im Abschn. 7a), bildet eine wichtige literarische Stütze für die Annahme, daß der Komponist in seiner Jugend tatsächlich in Beul war. Den in kärglichen häuslichen Verhältnissen lebenden, etwas linkisch auftretenden jungen Musiker, der schon 1783, obwohl noch nicht ganz 13 Jahre alt, als „Substitut“ (= Stellvertreter) des berühmten Hoforganisten Neefe amtlich aufgezählt ist, zog die Hofrätin nach dem Bericht Wegelers in erster Linie als Klavierlehrer ihrer Kinder Eleonore und Lenz heran. Zweifellos verstand sie es, den so förderungswürdigen Jüngling vielseitig zu betreuen. So wurde er — nach Wegeler — „bald als Kind des Hauses behandelt; er brachte nicht nur den größten Teil des Tages, sondern selbst manche Nacht dort zu. Hier fühlte er sich frei, hier bewegte er sich mit Leichtigkeit. Alles wirkte zusammen, um ihn heiter zu stimmen und seinen Geist zu entwickeln. Fünf Jahre älter als Beethoven, war ich fähig, dieses zu beobachten und zu beurtheilen“. Diese zweite Heimat, in der er mitunter „halbe Nächte“ am Klavier verbrachte und „phantasierte“, gegründet auf das herzliche Verhältnis zu allen Mitgliedern der Familie, bewährte sich ganz besonders, als Beethoven, dem um die Wende 1786/ 87 eine längere Reise nach Wien ermöglicht wurde, um Mozart und das dortige Musikleben kennenzulernen, kurz nach seiner Rückkehr im Juli 1787 seine schon länger erkrankte Mutter begraben mußte. Weniger bzw. nur indirekt und bewußt zurückhaltend berichtet Wegeier, der im Herbst 1787 für zwei Jahre zur weiteren ärztlichen Ausbildung nach Wien ging und nach seiner Rückkehr in Bonn als Professor der Medizin und gesuchter Arzt stark beschäftigt war, über die nun folgende, noch fünf Jahre dauernde Bonner Zeit Beethovens. Einen solchen indirekten Bericht gibt er durch den wortgetreuen Abdruck (S. 74 ff.) des Schlußblattes von einem Brief, den Beethoven in Wien nach dem 2. Nov. 1793, frühestens im Sommer 1794 (vgl. die Zeitbestimmung bei Schiedermair S. 204), an seine „Freundin“ Eleonore von Breuning geschrieben hat. Das erste Blatt dazu mit Anrede, Ort und Datum fehlt. Hier klagt sich Beethoven dafür an, daß er früher durch eigenes Verschulden die „Freundschaft“ Eleonorens verloren habe. „Zu einer kleinen Wiedervergeltung“ übersendet er ihr „diese Variationen und das Rondo mit einer Violin“. Zu dem im Brief vorkommenden Satz „Da Sie jetzt ohnedem nach Kerpen reisen“, gibt Wegeler (S. 77) folgende Randnote: „Hier wohnte der Onkel von Breuning, zu dem die Familie mit ihren Freunden alljährlich auf 5—6 Wochen in die Vacanz zog. Auch Beethoven brachte mehrmals einige Wochen recht fröhlich dort zu, wo er häufig angehalten wurde, Orgel zu spielen.“
Diese erklärende Anmerkung über regelmäßige Sommerbesuche der Frau von Breuning bei ihrem überaus gastfreundlichen Schwager Johann Philipp von Breuning, Kanonikus in Kerpen, braucht allerdings nicht so aufgefaßt zu werden, als wenn niemals von dieser Regel abgewichen worden wäre. Vielmehr liegt die Annahme nahe, daß sie gelegentlich in ähnlicher Weise — vielleicht auch für eine etwas kürzere, ja sogar kurze Zeit — auch ihre Schwester, mit der sie später manches Jahr zusammenlebte, im Dorf Beul besuchte, das verhältnismäßig leicht unter Benutzung der täglichen Post von Bonn bis Remagen zu erreichen war. Als volle Bestätigung dieser Annahme darf man die ebenfalls gedruckte Nachricht ansehen, die später (1874) ihr Enkel Medizinalrat Gerhard von Breuning7), der Sohn ihres dritten Kindes Stephan aus dessen (2.) Ehe mit Konstanze Ruschowitz, aus Wien über seine Großmutter gegeben hat, und zwar unmittelbar anschließend an seinen Bericht über den unglücklichen Tod des Großvaters (S. 6): „Die Witwe blieb fortan, vorbehaltlich zeitweiligen längeren oder kürzeren Aufenthaltes bei ihrem Schwager in Kerpen (einem Dorfe zwischen Cöln und Aachen) oder bei ihrer Schwester Margarethe von Stockhausen in Beul an der Ahr (jetzt Mineralbad Neuenahr), bis zum Jahre 1815 in dem Familienhause zu Bonn.“ Daß der Enkel die Teilnahme Beethovens an Beuler Besuchen nicht erwähnt hat, darf nicht negativ gewertet werden, da ein solcher Hinweis ja auch hinsichtlich Kerpen unterblieben ist.
Das oben zitierte Brieffragment, in dem sich übrigens auch der Satz findet: „Sie und Ihre theure Mutter werde ich nie vergeßen“, ist nur eines von den Dokumenten, die ein klares Licht auf das Verhältnis Beethovens zu der Rheinländerin Eleonore von Breuning werfen. Dieses junge Mädchen hat Schiedermair (S. 207) — abweichend von anderen Beethovenforschern, etwa Stephan Ley (1939) — als dessen „erste, ernste Liebe“ bezeichnet. Die Zeit zarten Einverständnisses zwischen beiden verrät ein gereimter Geburtstagsbrief der bald zwanzigjährigen Eleonore vom Dezember 1790 an den Zwanzigjährigen (S. 199):
„Zu Beethoven’s Geburtstag von seiner Schülerin:
Glück und langes Leben
Wünsch ich heute Dir,
Aber auch daneben
Wünsch ich etwas mir.
Mir in Rücksicht Deiner
Wünsch ich Deine Huld,
Dir in Rücksicht meiner
Nachsicht und Geduld.
1790. Von ihrer Freundin und Schülerin
Lorchen von Breuning“
„Dieses mit gemalten Blumenkränzen umwundene Blättchen“ bewahrte Beethoven bis zu seinem Tode in einer Brieftasche auf (Schiedermair S. 199). Daß der oft menschlich Schwierige sich selbst die Schuld an einem Zerwürfnis zuschreibt, zeigt auch sein Wiener Brief vom 2. November 1793 an die „Verehrungswürdige Eleonore! meine theuerste Freundin!“. Er spricht dabei von einem „fatalen Zwist“, bei dem er sich damals „verabscheuungswert“ betragen habe, und auch vom „Zuflüstern“ [von Zwischenträgern], „was alle Übereinstimmung verhinderte“. Auch diesem Brief war eine musikalische Dedikation beigelegt (S. 200). Wie rpäier noch deutlicher wird, sind in Wien auch die Fäden zu den anderen Freunden der Bonner Jugendzeit niemals ganz abgerissen worden. Der jüngste von ihnen, Lenz, wohl Beethovens bester Freund, der wegen seines besonderen Interesses an Musik noch als Medizinstudent in Wien bei ihm Unterricht nahm, starb allerdings vor Abschluß seines Berufstudiums 1798 in Bonn.
6. Die Besuche Beethovens in Bad Neuenahr
Nachdem in den voraufgegangenen Abschnitten alle zum Verständnis der Verhältnisse erforderlichen Punkte berührt sind, kann nunmehr die Kernfrage dieser Arbeit erfolgreich behandelt werden, ob, und wenn ja, innerhalb welches Zeitraumes, wie oft und wie lange Beethoven in Beul-Bad Neuenahr zu Gast war, und ob irgendwelche sonstige Einzelheiten darüber überliefert sind.
Ganz zweifellos hat Margarete Kerich den im Hause ihrer zwei bis drei Jahre älteren Schwester Helene (vgl. Abschn. 7a) und ihres Bruders Abraham, des Scho-lasters, ein- und ausgehenden jungen Beethoven mindestens zwei Jahre vor ihrer Eheschließung mit dem Vogt Stockhausen im Febr. 1786 (vgl. Abschn. 4) gekannt. Bei den geschilderten guten Vermögensverhältnissen zumindest nach der Heirat, bei der bestehenden Eintracht in der Familie, die auf Bildung bedacht war, wäre es recht eigenartig gewesen, wenn nicht ihre Schwester samt ihren Kindern gelegentlich zu ihr nach Beul gekommen wäre und wenn sie dazu nicht auch einmal den befreundeten jungen Musiker eingeladen hätte, dessen Besuch für sie bzw. auch für ihren Gatten, sofern dieser noch lebte, ein künstlerischer Gewinn sein mußte. Um die aus dieser allgemeinen Betrachtung sowie aus der zitierten Beethovenliteratur gewonnene Überzeugung, daß solche Beethovenbesuche tatsächlich stattgefunden haben, bis zur Gewißheit zu vertiefen, sei nunmehr das Ergebnis der Umfrage nach der Beethoventradition in der Familie von Breuning mitgeteilt.
1. Der 1931 verstorbene Geh. San.-Rat Dr. Albert Lenne, der jahrzehntelang im „Führer für Kurgäste“ die geschichtlichen Belange des Badeorts vertrat und als jüngerer Mann viel im Breuningschen Hause verkehrt hatte, berichtete mir, daß dort ein Zimmer das „Beethovenzimmer“ genannt wurde. Im übrigen sei dort von Beethoven wenig die Rede gewesen.
2. Frau Bernarda von Nell geb. von Breuning ließ mir von Haus St. Mathias bei Trier durch ihren Gatten mitteilen, daß die „Beethovenbesuche“ „im dortigen Breuningschen Hause als eine bekannte Sache behandelt“ wurden.
3. Die ausführlichste Auskunft erteilte ihre über zehn Jahre ältere Schwester Maria Magdalena Freifrau von Brachel geb. von Breuning unter dem 8. Dez. 1929 von Burg Tetz bei Julien:
„Es ist immer als sicher gesagt worden, daß Beethoven in den Ferien mit meiner Urgroßmutter, der geb. von Kerich, und deren Kindern in Beul gewesen, und zwar habe er in dem Zimmer gewohnt mit zwei Fenstern neben der damaligen Küche. Vom großen Tor kommt man über, ich glaube, fünf Treppenstufen in das Haus. Links zuerst das kleine Zimmer, dann das zweifenstrige, in dem Beethoven gewohnt hat.
Dann war im Hause ein Flügel (alter Steinway), auf dem Beethoven gespielt hat, wie ich, meiner Erinnerung nach, besonders von meiner Tante, Freifrau von Eynatten, gehört habe. Wir haben als Kinder auf demselben pietätlos geklimpert. Meine Mutter hat ihn, leider, einem Gesangverein geschenkt, weil er nicht in ihre Einrichtung paßte“. Wie ersichtlich, haben die genannten Gewährspersonen, von denen noch im folgenden Abschnitt die Rede sein soll, über die Häufigkeit und die Dauer der Besuche keine Angaben gemacht bzw. machen können. Die „Besuche“ im Fall 2 sagen nur aus, daß Beethoven nach der Tradition mehr als einmal dagewesen ist. Daß dies „in den Ferien“ geschehen sei, wie im Fall 3 näher ausgesagt wird, ist wohl eine Anlehnung an die „Vacanz“ bei den Kerpener Besuchen. Keinesfalls aber kann die Behauptung eines im Hause aufgehängten Gedichtes zutreffen, daß Beethoven dort „ein- und ausging“. Dies gilt nur für Bonn.
Schon die Überlieferung, daß Beethoven mit der Urgroßmutter und deren Kindern während der Ferien in Beul gewesen sei, enthält eine Zeitangabe für die Besuche, da sie sich auf die Kinderjahre der Breuningschen Geschwister beschränkt haben müssen. Zugleich räumt sie auch zwei seinerzeit von mir vorgefundene falsche Vorstellungen aus, die eine, Beethoven sei bei seinen Besuchen bereits ein allenthalben berühmter Komponist gewesen, und die andere, die Breunings seien zur Zeit dieser Besuche schon Besitzer des Hauses gewesen.
Zu einer noch genaueren Eingrenzung des Zeitraums dienen die im Abschn. 4 mitgeteilten Feststellungen über die Familie Stockhausen. Frühest mögliche Zeit ist der Sommer 1786, als Beethoven 15/2 Jahre, Eleonore über 15 Jahre und Lenz, der Jüngste, nahezu 10 Jahre alt war. Als späteste Zeit kommt der Sommer 1792 in Frage, da Beethoven im Herbst dieses Jahres nach Wien ging, ohne jemals — trotz gelegentlich gehegter anderer Absichten — an den Rhein zurückzukehren. Damals war Beethoven nahezu 22, Eleonore über 21 Jahre und Lenz eben 16 Jahre. Die Mitteilung Gerhards von Breuning, daß die „Tante Stockhausen“ besucht wurde, schließt nicht aus, daß dies schon geschah, als ihr Mann noch lebte, nämlich 1786—1787. Es trifft indes keinesfalls zu, daß Beethoven von 1786 bis 1792 regelmäßig im Sommer dort gewesen ist. Denn zweifellos fanden die Sommerbesuche der Familie häufiger in Kerpen als in Beul statt. Zudem nahm er nicht an allen teil. Wünscht man unter diesen Einschränkungen in dichterischer Freiheit Beethoven und Eleonore in der Zeit einer zart knospenden Liebe auf gemeinsamen Spaziergängen in die nähere Umgebung von Bad Neuenahr zu begleiten, so scheinen dafür gemäß den Angaben des vorigen Abschnitts die Jahre 1790/91 am besten geeignet zu sein. Was das von Lenne genannte und von Frau von Brachel lagemäßig beschriebene „Beethovenzimmer“ angeht, so handelt es sich dabei um das im Erdgeschoß des älteren Gebäudeteils befindliche zweifenstrige Zimmer, dessen linkes Fenster, von der Straße her gesehen, unter der Erinnerungstafel liegt. Die Innenverhältnisse zeigt der vom Hauseigentümer zur Verfügung gestellte Grundriß. Die Äußerung über den „Flügel“, auf dem Beethoven gespielt haben soll, hat die Berichterstatterin durch den Zusatz „meiner Erinnerung nach“ mit Recht vorsichtig gefaßt. Tatsächlich gab es damals noch keine Flügel, wie mir Prof. Schiedermair bei meiner damaligen Anfrage (vgl. Abschn. 1) bestätigte. Nach seiner Sachkentnis kommt für jene Zeit höchstens ein „Frie-derici-Kammerklavier“ in Frage, für Neuenahr wahrscheinlich aber nur ein „Clavichord“, da Kammerklaviere damals wohl kaum über Bonn hinausgekommen seien. Für uns mag es heute gleichgültig sein, welches der beiden Instrumente der junge Beethoven vorgefunden hat. Weit wichtiger ist es, daß überhaupt ein solches vorhanden war. Dazu dürfen wir fast mit Sicherheit annehmen, daß Frau Stockhausen, die aus einer vermögenden und gebildeten Familie stammte und mit ihren Eltern in Bonn, der damaligen Hochburg für Musik, jahrelang gewohnt hat, eins dieser Instrumente in die Ehe mitgebracht hat. Eine Kirchenorgel, auf der der junge Organist wie in Kerpen hätte spielen können, fand er freilich in Beul nicht vor, da dort erstmalig 1794 über die Beschaffung einer Orgel verhandelt wurde18a).
7. Beethovens Freunde und das Beuler Haus seit 1792
a) Es wurde schon erwähnt, daß die so jung verwitwete, kinderlose Hofrätin Stockhausen noch viele Jahre auf ihrem großen Gut in Beul gewohnt hat. Erst im Laufe des Jahres 1821 verzog sie, wie zu Ende dieses Abschnitts noch näher gezeigt wird, nach Köln. Bis zu dieser Zeit spielten im Beuler Haus die Beziehungen zu Bonn und Koblenz und damit auch zu dem noch lebenden Beethoven eine wichtige Rolle. Dazu im einzelnen: Am 28. März 1802, d. h. nahezu 10 Jahre nach dem Abschied Beethovens vom Rheinland, heiratete Eleonore von Breuning, nunmehr fast 31 Jahre alt, in der Willibrorduskirche zu Beul den gemeinsamen sechsunddreißigjährigen Jugendfreund Franz Gerhard Wegeier, der nach einigen für ihn etwas schwierigen Jahren wieder Professor der Medizin in Bonn war. Die Trauung vollzog der Kerpener Onkel von Breuning. Trauzeugen waren ihr Bruder Christoph und ihr anderer Onkel Kerich, der Bonner Scholaster. Ein Jahr später wurde zu Bonn ihr erstes Kind Helene geboren19). 1807 siedelte das Ehepaar nach Koblenz über, wo Wegeier im Laufe der Jahre an der dortigen Regierung Geheimer- und Reg.-Medizinalrat wurde. Dort starb er, hoch angesehen, 1848, nachdem ihm daselbst zunächst 1838 seine Schwiegermutter, die Bonner Hofrätin, und 1841 seine Frau Eleonore im Tod vorangegangen waren. Ein Sohn dieser Ehe war auch der schon im Abschn. l erwähnte, 1807 zu Koblenz geborene und daselbst 1883 gestorbene Geh. Medizinalrat Dr. Julius Wegeier, ein durch viele Veröffentlichungen bekannt gewordener Heimatschriftsteller3), der auch 1858 der Quellenweihe von Bad Neuenahr als Urkundenzeuge beigewohnt hat. Seine Schwester Helene (Lenchen), eine besondere Freundin der Beethovenmusik, starb bereits 1832 als junge Mutter und Frau des späteren Ing.-Majors Bauer1″). Gewiß wurde die Tante Stockhausen im Beethovenhaus zu Bad Neuenahr von dieser Familie Wegeler häufiger besucht, ganz besonders, nachdem „Mama“ bzw. Großmutter Breuning etwa 1815 ihr Haus in Bonn endgültig aufgab und ganz zu ihrer Schwester nach Beul zog. Eine entsprechende Besuchsneigung wird auch bei Eleonorens ältestem Bruder Christoph, von Beethoven 1801 in einem Brief an Wegeler auch „Stoffel“ genannt20), und dessen Familie vorhanden gewesen sein. In der damaligen Zeit war er als Jurist ebenfalls in Koblenz tätig. Dort sind seine beidenKinder Karl Philipp und Helene Ka-roline 1808 bzw. 1813 geboren21), über Christoph und seine Familie ist noch später in seiner Eigenschaft als Hauseigentümer zu berichten.
Stephan, der letzte der beiden anderen Brüder, der nach dem Tode von Lorenz (1798) noch lebte, kommt für derartige Besuche in dieser Zeit wohl kaum mehr in Frage. Er war bald nur noch brieflich in Wien zu erreichen, wo er 1827, nur ein Vierteljahr nach Beethoven, als kaiserlicher Hofkriegsrat starb. Ihm war es vergönnt, lange Jahre hindurch die Jugendfreundschaft persönlich weiter zu pflegen und schließlich dem an der Wassersucht Erkrankten in seinem letzten Lebensjahr besonders beizustehen7). Ihre Gespräche ließen in einzelnen Zeiten die alten Beziehungen Beethovens zum Rheinland, insbesondere zur Familie Wegeler, stärker aufleben, so daß Wegeler ihm am 29. Dez. 1825 eine lange briefliche Einladung zusandte, der Eleonore einige herzliche Zeilen beifügte, in denen sie bemerkte, daß sich ihr „Lenchen“ so gerne von Beethoven erzählen lasse. Diese „weiß alle kleinen Begebenheiten unserer frohen Jugend in Bonn — von Zwist und Versöhnung“. Der kranke Mann antwortete darauf erst nach einiger Zeit, und zwar in rührendem Gedenken an seine Jugend um Wegeler und die Breuningsche Familie.
Dieser schon im Abschn. 5 erwähnte Brief Wegelers enthält einen sehr aufschlußreichen Familienbericht, der in großen Zügen bis auf das Jahr 1796 zurückgeht. Zur Zeit des Briefdatums, also im Dez. 1825, war „Mama Breuning“ 76 Jahre alt. Von der Familie seiner Frau war gestorben „der Scholaster vor 4 Jahren, alt 72 Jahr, die Tante Stockhausen von der Ahr in diesem Jahre (1825), 73 Jahre alt“. „Die Mama war mit der Tante wieder nach Köln gezogen; sie wohnten im Haus ihrer Eltern, das sie nach 66 Jahren wieder betraten, dann neu bauen ließen“. Erklärlicherweise hat Wegeier diesen Briefwechsel 1838 nicht selbst veröffentlicht, zumal er dem Jugendfreund mit gewissem Stolz auch von seinem dienstlichen und privaten Ansehen in Koblenz berichtet hatte. Sein Brief wurde daher erst nach seinem Tode bei Nohl8) (Bd. III Anmerkung S. 294 ff.) erstmalig gedruckt und später auch von Thayer«) (Bd V, S. 277 ff.) übernommen.
Da der von Wegeler beschriebene Umzug der beiden Schwestern nachweislich 1821 erfolgte, läßt sich daraus schließen, daß die Leibarztfamilie Kerich etwa 1755 nach Bonn gekommen ist. Die ausdrückliche Erwähnung der Tante Stockhausen unterstreicht unsere frühere Feststellung, daß Beethoven diese Frau sehr gut gekannt hat, obwohl sie nicht — wie der Scholaster — jahrelang um ihn gewesen ist. Später weilte auch dieser „exscholasticus“ zusammen mit seinen beiden Schwestern manches Jahr in Beul und soll dort eine volkstümliche Persönlichkeit gewesen sein. Im Sommer 1814 versah er nach dem Tode des Pastors Peter Kohlhaas (+ 1. Juli) zwei Monate lang die Pfarrgeschäfte bis zum Amtsantritt des Pfarrers Johann Heinrich Kemling22). Dieser starb bereits nach einem Jahr. Das bergwärts oberhalb der früheren Rentmeisterei gelegene Pfarrhaus war in sehr ungesundem Bauzustand. Kurz nachdem Frau Stockhausen mit ihrer Schwester nach Köln verzogen war, überließ sie den größten, in diesem Fall den älteren, Teil ihres Hauses für einen Mietzins von 30 Talern auf ein Jahr der Gemeinde Wadenheim, die das inzwischen angekaufte und als Pfarrhaus vorgesehene Rentmeistereigebäude noch nicht freimachen konnte, als Pfarrerwohnung. Die von Köln aus im Dezember 1821 gestellten Mietbedingungen geben einen gewissen Einblick in die damaligen Hausverhältnisse. In die Vermietung war nicht einbegriffen der „neue Nebenbau bis ganz unter das Dach“ und im alten Bau „nur das erste Zimmer auf der Treppe rechts“. Die dort liegende Küche blieb gemeinschaftlich für etwaige kurze Frühjahrs- und Herbstaufenthalte. Für die Zeit des „Apfelherbstes“ und der Traubenlese bis zur Beendigung des Kelterns behielt sie sich u. a. die alleinige Benutzung des Kelterhauses und des Zimmerchens am Backofen vor, ferner bis zur Abfuhr der Weine gemeinschaftlichen Eingang und Einfahrt durch das Hoftor. Den kleinen Hofgarten mit Spargel, Gemüse, Salat wollte die Vermieterin bei etwaigem Aufenthalt mit dem Pastor gemeinschaftlich genießen23).
b) Nach dem Tode der Hofrätin Stockhausen gelangte das Beethovenhaus „durch Erbschaft und Erbteilung“3) in den Besitz ihres schon mehrfach genannten Neffen Christoph. Schon gemäß der Gemeinderechnung Wadenheim von 1826 bezahlte der unter den „Steuerpflichtigen“ genannte „von Breuning, Christoph, Beul“ mit 4 Talern 8 Silbergroschen 6 Pfennigen die zweithöchste „Beitragsquote zur Grundsteuer“. Nicht einmal einen vollen Taler mehr hatte das Staatl. Gymnasium Münstereifel aufzubringen, das die ehemaligen großen Güter des aufgelösten dortigen Jesuitenklosters zu verwalten hatte. Am nunmehrigen Breuningschen Haus erschien jetzt auch das schon beschriebene neue Wappen. Als hochgestellter preußischer Beamter kann Christoph mit seiner Familie zunächst nur während kürzerer Urlaubszeiten in Beul gewohnt haben. 1838 war er noch in Berlin als Geh. Oberrevisionsrat tätig. Schon 3 Jahre später starb er nach kurzer Pensionszeit auf seinem Ruhesitz In Beul21). Da seine Schwester Eleonore Wegeler in Koblenz ein halbes Jahr zuvor die Augen geschlossen hatte, war er der letzte Breuning, der seine Jugendzeit mit Beethoven geteilt hat. Seine Witwe Magdalena, die 1785 in Al-zey geborene Tochter des dortigen Oberamtmanns Born, bewohnte nach ihm als Rentnerin bis zu ihrem Tode noch siebzehn Jahre21) das Beuler Anwesen weiter. In der 1849 aufgestellten Einwohnerliste von Beul (293 Personen, 59 Wohnhäuser) wird auch ihr Sohn, der Staatsprokurator Karl von Breuning, aufgezählt24). Ihre Tochter Helene, die den Ulanenrittmeister Richard Freiherrn von Eynatten geheiratet hatte, lebte damals noch nicht für dauernd bei der Mutter auf dem elterlichen Gut. Das geschah erst nach dem verhältnismäßig frühen Tod ihres 47jährigen Mannes (1851)21). Sie ist vor allem diejenige, die die vom Vater gehörten Jugenderlebnisse mit Beethoven an ihre Nichten weitergegeben hat. Mutter und Tochter traten 1858 öffentlich m Erscheinung bei den großen Ereignissen, die inzwischen in Beul als heutigem Stadtteil von Bad Neuenahr herangereift waren. Bei der für die damalige Landgemeinde Wadenheim so bedeutungsvollen Quellenweihe, die am 28. Juli jenes Jahres durch die nachmalige Kaiserin Augusta in allernächster Nähe des Hauses vorgenommen wurde, genoß Freifrau von Eynatten den Vorzug, die von der Prinzessin unterzeichnete Festurkunde zusammen mit zahlreichen Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens der Rheinprovinz und des Kreises, darunter auch mit dem Festdichter Wolfgang Müller von Königswinter und ihrem schon genannten Vetter Julius Wegeler, mit ihrem Namenszug versehen zu können25). Nach der offiziellen Feierlichkeit nahm Augusta vor ihrer Abreise das Frühstück im Breuningschen Hause ein. Anschließend wurden die Armen der Bevölkerung von Mutter und Tochter bewirtet. Ein Jahr zuvor hatte der Oberprokurator namens seiner Mutter mit dem „Gründungskomite zur Bildung einer Commandit- bezw. Aktiengesellschaft für Kur- und Badeanlagen im Ahrthal“ wegen des notwendig gewordenen Verkaufs von nahezu 10 Morgen Land „am Weg von Bachern nach Beul“ verhandelt-5). Bereits 3 1/2 Wochen nach dem großen Ereignis starb die Mutter21).
c) Eingetragener Eigentümer des Hauses wurde nun Karl Philipp von Breuning, der genannte und in Koblenz wohnende Oberprokurator26) und spätere Landgerichtspräsident und Geh. Oberjustizrat, der die Zeit seines Ruhestandes zusammen mit seiner Frau Fanny Simons, geboren 1828 zu Neuß, In Bad Neuenahr verbrachte und dort 1886 verstarb-1). Seine Schwester Freifrau von Eynatten war nach dem Tode der Mutter wohnen geblieben. Noch zu deren Lebzeiten hatte sie 1848 für sich und ihren Mann für 25 Taler von der Kirchengemeinde ein Doppelgrab gekauft24). Als 1869 der Pfarrer Franz Prim „zu Ehren der sieben Schmerzen Marias“ neue Stationen an der heutigen Willibrordusstraße errichten ließ, übernahm sie mit 43 von 60 Talern die Hauptkosten der Station der Grablegung27). Sie starb 1876 in Neuenahr21).
d) Von ihr übernahmen ihre beiden Nichten, unsere beiden Gewährspersonen Maria Magdalena Freifrau von Brachel (geb. in Koblenz 1852, gestorben 1939 auf Burg Tetz)28) und Bernarda von Nell (geb. in Koblenz 1862, gest. 1933 zu Godesberg-Rüngsdorf)21), die Beethoventradition. Maximilian Christoph Richard von Breu-ning (1854) zu Koblenz geboren, 1909 in Rolandseck gestorben21), Landrat in Düren und preußischer Kammerherr, wurde als letzter der Familie Breuning 1900 eingetragener Eigentümer26) des Beethovenhauses, und zwar zwei Jahre, bevor seine Mutter bei seiner Schwester Bernarda von Nell auf Haus St. Matthias starb21). Doch hatte die Mutter nach dem Adreßbuch des Kreises Ahrweiler auch 1902 ihre eigentliche Wohnung noch im angestammten Hause. Ehe dieses 1905 an die Eheleute Heinr. Schmitz verkauft wurde, erhielt es nach einer Grundbucheintragung von 1904 noch für kurze Zeit einen anderen Eigentümer, den Generaldirektor Heinrich Lenne auf Burg Lantershoven26).
Quellenübersicht
- H. Frick, Beethoven, das Ahrlal und die Familien Stockhausen und von ßreuning — 4. Mai 1930: Koblenzer Generalanzeiger, Wochenbeilage „Koblenzer Heimatblatt“ Nr. 18; 23. Aug. 1930: Ahrweiler Zeitung; 29. Jan. 1931: Bonner Generalanzeiger, Beilage „Unser Land“.
- Chr. von Stramberg, Rheinischer Antiquarius, Abt. III Bd. 9, S. 518, 1862.
- Julius Wegeier, Bad Neuenahr und seine Umgebungen, S. 26, 1862.
- Ludwig Schiedermair, Der junge Beethoven, 1925, Erstauflage.
- F. G. Wegeler und Ferd. Ries, Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven, 1838, Neudruck von A. Chr. Kalischer, 1906.
- Ludwig Nohl, Beethovens Leben, 3 Bände, 1867.
- G. von Breuning, Aus dem Schwarzspanierhaus, 1874.
- A. W. Thayer, L. van Beethovens Leben, deutsch von H. Deiters, 5 Bände, 1866—1908.
- Stephan Ley, Beethoven, 1939, Neudruck 1948.
- Zitiert nach Schiedermair (vorige Nr. 4), S. 138.
- Albert Federle, Zur Geschichte von Ahrweiler, in: 700 Jahre Stadt Ahrweiler, S. 16, 1948.
- Staatsarchiv Koblenz (Akten Kurköln Nr. 1213).
- Abgebildet bei H. Frick, Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr etc., Büd Nr. 22 (nebst Beschreibung), 1933.
- Abgebildet ebenda, Bild Nr. 21.
- Gedruckt ebenda, Regest Nr. 1773, ebenda auch alle Belege zur Familie Dahmen (Register).
- Gedruckt ebenda alle Belege zur Familie Stockhausen (Register), insbesondere die sehr ausführliche Amtsbeschreibung als Regest Nr. 1768.
- Ältere Bauakten der Bürgermeisterei Neuenahr, aufbewahrt im dortigen Rathaus.
- Die einwandfreien Angaben der Geburtsdaten und -orte sowie der vollständigen Vornamen fußen bei Eleonore und Christoph auf ihren Grabsteininschriften in Koblenz und Neuenahr bzw. auf den zugehörigen standesamtlichen Sterbeurkunden, bei Helene nur auf ihrer Sterbeurkunde in Koblenz. Die Geburtsdaten der beiden ersten sind insofern bemerkenswert, als Gerhard von Breuning (vorige Nr. 7, S. 7) zwar Tage und Monate richtig angibt, jedoch die Jahre verwechselt, wodurch Eleonore ein Jahr jünger, Christoph zwei Jahre älter erscheint, Irrtümer, die bei Thayer und Nohl übernommen und bei Ley nicht berichtigt sind. Schiedermair hingegen (S. 132) fand in den Bonner Taufregistern die gleichen Jahreszahlen, wie sie mir jetzt auf den Grabsteinen begegnet sind. Wegeier selbst (S. 13) hatte sich hinsichtlich der Reihenfolge der Kinder sehr unklar geäußert.
18 a) Frick, Quellen Nr. 1796. - Grabsteine und Standesamtsregister in Koblenz.
- Nach Stephan Ley (vorige Nr. 9, S. 114.
- Grabsteine und standesamtl. Sterberegister in Bad Neuenahr (bei Christoph von Breuning das Sterberegister in Ahrweiler).
- Katholisches Pfarrarchiv Bad Neuenahr (Kirchenbuch).
- Stadtarchiv Bad Neuenahr, Akten: Ankauf des Thevenezschen Hauses zu Beul zum Pfarrhaus; Unterhaltung des Pfarrhauses zu Beul.
- Frühere Akten des Stadtarchivs Ahrweiler, im Gebäude des alten Realgymnas. durch Luftangriff zerstört.
- Direktorzimmer bzw. Archiv der Kurverwaltung Bad Neuenahr.
- Katasteramt Ahrweiler.
- Nach Mitteilung des Sohnes Frhr. von Brachel In Meererbusch bei Düsseldorf.
- Zuerst abgebildet bei Otto Faulhaber, Die Gemeinde Neuenahr 1857—1907, wiederholt bei Frick, Quellen Neuenahr Nr. 30. Die Originalzeichnung befand sich 1933 auf Haus St. Matthias bei Trier.