Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr: Die Lindenstraße im Wandel der Zeit
Briefkopf mit Lindenstraße und Kurviertel um die Jahrhundertwende
Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr:
Die Lindenstraße im Wandel der Zeit
Hubert Rieck
»Lindenstraße« – mit diesem Begriff verbinden heute viele Menschen wohl in erster Linie die gleichnamige ARD-Endlos-Serie, die seit Jahren jeden Sonntag über den Bildschirm flimmert. Die Beimers, Grieses, Klinks finden das Interesse von vielen Zuschauern. Jene TV-Straßensaga hat offensichtlich etwas Faszinierendes: Straße wird hier nicht verengt dargestellt im Sinne von »Straße als Verkehrsweg«, sondern sie ist vielmehr »Lebensraum«.
Eine Lindenstraße existiert auch in Bad Neuenahr, im Ortsteil Wadenheim gelegen. Sie war zunächst »Lebensraum« und wandelte sich insbesondere durch die zunehmende Motorisierung der letzten Jahrzehnte zum reinen Verkehrsweg. Doch haben sich in den letzten Jahren im Rahmen der Stadterneuerung einschneidende, positive Veränderungen ergeben.
Zwischen Kurgarten- und Landgrafenbrücke
Die Lindenstraße, zwischen Kurgarten- und Landgrafenbrücke gelegen und von Linden gesäumt, hat bis heute für die Entwicklung und die städtebauliche Gestaltung des Heilbades eine herausragende Bedeutung.
Begonnen hatte alles äußerst bescheiden: Straßen ohne Befestigung, ohne Bürgersteig und Straßenrinnen, zumeist eingeschossige, ärmliche Fachwerkhäuser, so stellte sich das Straßenbild Wadenheims in der Zeit der Quellener-bohrung durch Georg Kreuzberg dar. Auch nach
der für das junge Bad so werbewirksamen Weihe der Heilquellen in Anwesenheit der Prinzessin Augusta von Preußen am 28. Juli 1858 waren die Lebensumstände der hiesigen Bevölkerung sehr ärmlich.
Der Aufstieg des Bades vollzog sich innerhalb weniger Jahre. Schon um die Jahrhundertwende konnten größere Geldmittel für den Ausbau von Straßen bereitgestellt werden. So vermeldet der Bericht des Gemeinderates von Neu-enahr aus dem Jahre 1908, daß alle alten Straßen mit Basaltschüttung versehen wurden, und so weit wie möglich, die Bürgersteige mit Zementplatten belegt seien. Ebenso wurde der Neubau von Straßen und Brücken in Angriff genommen: Um die Jahrhundertwende baute die Aktiengesellschaft Bad Neuenahr die Landgrafen- und Lindenstraße sowie die 1901 fertiggestellte Landgrafenbrücke. Die Gemeinde leistete einen Geldzuschuß von 20 000 Mark, wobei die Brücke und die beiden Straßen 1905 auf die Gemeinde übergingen. Aktiengesellschaft, Anwohner und Gemeinde ließen innerhalb der Jahre 1875 bis 1907 insgesamt sechs Brücken über die Ahr bauen, um eine günstige Anbindung zwischen dem Kurviertel und den in einem Bauboom errichteten Pensionen und Hotels zu gewährleisten.
Lindenstraße heute
Vom Kurviertel kommend, stößt man eingangs der Lindenstraße auf die evangelische Kirche zwischen der Telegraphenstraße und der Fußgängerzone Poststraße. Die Kirche ist über dem Eingang mit einem markanten Luther-Relief geschmückt, welches die einheimische Künstlerin Erna Deisel-Jennes 1986 schuf.
Im Zuge der 1988 eingeleiteten Ausbaugestaltung Lindenstraße wurde durch bauliche Maßnahmen Richtung Kurgartenstraße die Verkehrsbelastung erheblich verringert und in Richtung Lindenstraße gänzlich unterbunden. Blumenbeete verschönern seither die Platzgestaltung an der evangelischen Kirche, Bänke laden zum Verweilen ein. Man geht, flaniert, döst, liest, betrachtet, sieht und wird gesehen, trifft Leute, redet, ißt Eis, trinkt Kaffee: Straße als Lebensraum.Auch bei derAusgestaltung der Lindenstraße wurde der Mensch von den Planern nicht vergessen. Insbesondere die Passage zwischen St.-Barbara-Apotheke und dem BistroAmadeus lädt zum Flanieren und Betrachten ein.
Unscheinbar, aber dennoch reizvoll, ist das kleine Haus Nr. 1 in der Lindenstraße. Seit den 20er Jahren wohnte hier die Hebamme Rohe, die über vier Jahrzehnte lang vielen Frauen bei Hausgeburten helfend zur Seite stand. Heute zeigt sich das Anwesen liebevoll restauriert, mit einer geschmackvollen Eingangstür aus Holz versehen.
Der Blick des Betrachters richtet sich unwillkürlich nach rechts: Über die Ahrallee hinweg, die von der Lindenstraße durch den neu angelegten Fahrradweg abgetrennt ist, erkennt man am anderen Ufer derAhr die Nordseite des Kurhauses. Es wurde 1903-1905 unter der Leitung des Kölner Architekten Oskar Schütz in einer Länge von 170 Meter errichtet. Diese imposante Bauanlage beherbergt heute unter anderem Restaurant- und Caferäume, den großen Fest- und Theatersaal sowie das 1948 eröffnete Spielcasino.
Jedoch sollte es der Betrachter nicht versäumen, seine Aufmerksamkeit auf das Haus Lindenstraße Nr. 3 zu richten. »Villa Maria«, soder Name desAnwesens, hat eine stilvoll gegliederte Fassade mit einem wuchtigen Basaltsockel. Das schmiedeeiserne Balkongitter mit eingearbeitetem Motiv des Äskulapstabes weist die »Villa Maria« als Ärztehaus mit langer Tradition aus. Die von den Dortmunder Architekten Steinbach und Lutter errichtete Villa diente ab 1905 dem Mediziner Dr. Weißenfeld als Praxis. Weißenfeld, Gründer und 1. Vorsitzender des örtlichen Marinevereins, entwickelte sich zu einem »Neuenahrer Original«. Erbehandelte Einkommensschwache und Bedürftige für ein »Vergelt’s Gott«, während betuchte Kurgäste »freiwillig« die Kosten der freien Heilfürsorge der Wadenheimer trugen.
„Psychosomatische Fachklinik für Kinder und Jugendliche«, so die Bezeichnung des Hauses Lindenstraße Nr. 4, die in der Trägerschaft des Roten Kreuzes steht. Wo heute Kinder und Jugendliche auf dem Pflaster der Reha-Klinik friedlich Federball spielen, da tobte am 10. November 1938 der NS-Mob. »Das führende jüdische Haus: Hotel Meyer – Villa Bismarck«, so warb der Inhaber von Lindenstraße Nr. 4 noch im Jahre 1934 in dem offiziellen Unterkunftsverzeichnis des Heilbades. Am 10. November 1938 erreichte von Wiesbaden kommend ein SS-Trupp Bad Neuenahr. Auch hier sollte, wenngleich mit eintägiger Verspätung, der »spontane Volkszorn« gegen die Juden im Rahmen der »Reichskristallnacht« planmäßig durchgeführt werden. Die Inneneinrichtung in jüdischen Häusern, darunter auch im »Hotel Meyer – Villa Bismarck« wurde gewaltsam demoliert. Auch hiesige NS-Vandalen beteiligten sich an den Ausschreitungen. Im Hotel Meyer zerschlug ein Einheimischer mit einem dicken Knüppel und unter höhnischem Gebrüll den Kronleuchter im noblen Entree.
Die Bad Neuenahrer Lindenstraße vor dem ersten Weltkrieg
Im Haus Nr. 5, Ecke Lindenstraße/Hans-Frick-Straße, trifft sich im Bistro »Amadeus« vorwiegend jüngeres Publikum. Das Anwesen war das Elternhaus von Dr. Hans Frick, dessen heimatgeschichtliche Studien über Bad Neuenahrauch heute noch grundlegend sind.
Das gegenüberliegende Eckhaus an der Hans-Frick-Straße, die »Bayerische Botschaft«, wurde 1990/91 aufwendig renoviert. Ihm fehlt jedoch die Eleganz und die Pracht der ursprünglichen Gründerzeitfassade des „Kurhauses Kaiser Wilhelm«, die in den 50er Jahren abgetragen und damit zerstört wurde.
Auffallend viele Menschen in Trainingsanzügen und bandagierten Beinen begegnen nun dem »Lindensträßler«. Einheimische nennen jenen Teil der Straße »Venenallee«. Das renommierte Hotel Pfäffle wurde 1989/90 zum Gefäßzentrum Dr. Bauer umgebaut.
Die reizvolle Fassade des liebevoll renovierten Alten- und Pflegeheims Haus Abendfrieden, vormals waren es die angesehenen Häuser »Villa Daheim« und »Hotel Lindenhof«, verdient eine intensive Betrachtung durch den Spaziergänger.
An der Einmündung der Casinostraße beginnt der jüngste Teil der Lindenstraße. Bis in die 30er Jahre war die Kurpension »Ahr-Villa« das einzige Haus in jenem Teil der Straße.
Die Lindenstraße heute
Dort, wo sich heute schmucke Häuser und ein in seiner Wuchtigkeit nicht unbedingt ästhetischer Komplex mit Eigentumswohnungen befindet, lag die »hubbelisch Wies«. Diese hügeligen Wiesen – für die Neuenahrer Kinder ein ideales Spielterrain – waren durch Kettenfahrzeuge der US-Besatzungstruppen nach 1918 entstanden, da jene US-Motorverbände auf dem Areal Übungsfahrten durchführten.
Das Ende der Lindenstraße wird von dem Hochhaus »Kurköln« dominiert. Wo einst der Hokkeyplatz über Jahrzehnte dem HTC Neuenahr eine sportliche Heimstatt bot, baute man in den 60er Jahren die große Kurklinik, die im Jahre 1991 als Erweiterungsbau eine Gymnastikhalle mit Sonnenterrasse erhielt.
Ab dem Restaurant »Bayerische Botschaft« ist die Lindenstraße als verkehrsberuhigter Bereich mit Fahrtrichtung nach Osten ausgewiesen. Da die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung über verkehrsberuhigte Zonen in diesem Abschnitt oftmals nicht beachtet werden, besteht die Gefahr, daß dieser Teilabschnitt der Straße bis zur Einmündung in die Landgrafenstraße wiederum als reine Fahr- und Sprintstrecke zweckentfremdet wird. Könnten Aufpflasterungen die Autofahrer nicht dazu anleiten, eine angemessene Geschwindigkeit zu fahren? Dann würde dieser Teil der Lindenstraße nicht nur in erster Linie zum Auto- und Radfahren genutzt, sondern der Fußgänger erlebte auch hier beim Flanieren und Betrachten den »Lebensraum Lindenstraße«.
Literatur
Die Gemeinde Neuenahr 1857-1907. Ahrweiler 1908.
Griebens Reiseführer: Bad Neuenahr und das Ahrtal 1910-1911. Berlin 1911.6
Frick. Hans: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr. Bad Neuenahr 1933
Janta, Leonhard/Rieck, Hubert: Bad Neuenahr – Aus drei Dörfern entstand ein internationales Heilbad. In: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Wasserlust – Mineralquellen und Heilbäder im Rheinland, Köln 1991. S. 122-139.
Kurdirektion des Bades Neuenahr (Hrsg.) Führer für Kurgäste, Bad Neuenahr1934.
Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler (Hrsg.): Stadtentwicklung Bad Neuenahr – Straßen-Platzgestaltung. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1988, Lehne, Albert: Neuenahr – Ein Führer für Kurgäste, Neuenahr 1905