An die Mutter
Weißt du noch, Mutter, wie im stillen Kreise
wir Winterabends dir zu Füßen saßen?
„Du sprachst zu uns in deiner schlichten Weise,
und Märchenwelten öffneten ganz leise
die gold’nen Tore zu den bunten Straßen,
auf denen wir die eig’ne Welt vergaßen.
Im Feuer knisterten die Buchenscheite,
die Wanduhr tickte, und die Zeit verrann.
Und um uns waren all die stillen Leute,
und deine Stimme kam aus großer Weite.
Wir saßen still und stumm. Nur dann und wann
sprach einer von uns: „Ja, und dann — und dann?“
Dann nahmst du still des kleinen Fragers Hände
in deiner Mutterhände starke Hut
und sprachst dann weiter von des Schicksals Wende,
vom Sieg des Schönen und des Bösen Ende
und von der Stärke, die im Tragen ruht.
Und leise sprachst du: „Dann war alles gut!“
Nun sind der Kindheit Reiche längst entschwunden.
Mein Herz ging Pfade, wo es nimmer ruht.
Doch hat es stets durchs Tor der dunklen Stunden
ins Licht des Schönen, Guten heimgefunden.
Und wenn es still die alte Frage tut:
Und dann? — hört es: „Und dann wird alles gut!“
MARIA CHRISTIANE BENNING
(Aus „Harfe im Morgenwind“,
1. Bd. des Gedichtwerkes) Are=Verlag.
Die früh verstorbene Dichterin wirkte 1943 und 1944 segensreich an der Ahrweiler Volksschule. In dem Luftschutzkeller lauschten viele, viele Kinder andächtig ihren Erzählungen.