Amnesty International – wir erheben Einspruch
Amnesty International – wir erheben Einspruch
Astrid Gehrmann
Amnesty International – was ist das eigentlich? Gibt es sowas überhaupt im Kreis Ahrweiler? Und was, um Himmels Willen, hat das im Heimatjahrbuch zu suchen?
Doch, es gibt uns, weltweit seit dreißig Jahren und im Kreis Ahrweiler seit immerhin schon fünf Jahren.
Amnesty International ist eine Organisation, die sich dafür einsetzt, daß politische Gefangene faire Prozesse bekommen, nicht gefoltert werden, auch während der Haft medizinisch versorgt und freigelassen werden, wenn ihr einziges »Verbrechen« darin bestand, daß sie gewaltfrei von ihren Menschenrechten auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben. Außerdem wendet sich Amnesty International gegen die Todesstrafe und versucht, alle Regierungen der Welt dazu zu bewegen , die Menschenrechte ihrer Bürger zu achten.
Keine leichte Aufgabe – vor allem nicht, wenn man mit totalitären Regimen und ihren menschenverachtenden Geheimdiensten zu tun hat. Da kommt es dann schon öfter vor, daß Rechtsanwälte, Gewerkschaftsmitglieder oder Journalisten, die sich für die Einhaltungen der Menschenrechte engagieren, verhaftet oder ermordet werden.
Um die Mitglieder der Organisation möglichst wenig zu gefährden, dürfen Amnesty-Gruppen daher nie Mißstände im eigenen Land anprangern.
Amnesty International ist politisch neutral, arbeitet also sowohl in den USA als auch in kommunistischen Staaten, in den parlamentarischen Demokratien Mitteleuropas ebenso wie in Ländern der sogenannten Dritten Welt.
Um unabhängig zu bleiben, finanziert sich die Menschenrechtsorganisation ausschließlich durch private Spenden.
Auf diese Weise hat sich Amnesty International in den vergangenen dreißig Jahren einen derartigen Seriositätsbonus erarbeitet, daß sich sogar Gerichte in Asylverfahren auf die Stellungnahmen der Organisation verlassen. Wie hat Amnesty International das erreicht? Nun, hauptsächlich dadurch, daß die einzelnen Mitglieder der örtlichen Gruppen fleißig Briefe schreiben. Auch die Amnesty-Gruppe des Kreises Ahrweiler, die im Jahr 1986 von der Sinziger Lehrerin Karin Meinert gegründet wurde, arbeitet erfolgreich nach diesem Konzept, wobei die Computer von Thomas Heilwagen und Heidrun Meinke sehr nützlich sind, ebenso wie die perfekten spanischen, französischen und englischen Sprachkenntnisse unserer Pensionärin Maria Bengisch. Drei Gefangene, die die Ahrweiler Gruppe im Laufe der vergangenen fünf Jahre „adoptiert« hat, sind auf diese Weise freigelassen worden: Die Rumänen Ion Bugan und Josef Stoeckel und Abd al-Karim Shamsan aus der ehemaligen Volksrepublik Jemen. Zur Zeit forschen wir nach dem Schicksal der Mexikanerin Hortensia Garcia Zavala, die vor dreizehn Jahren verhaftet wurde, als sie den Leichnam ihres von der Polizei erschossenen Ehemannes identifizieren wollte, und die seitdem spurlos verschwunden ist. Seit September 1991 betreuen wir außerdem Fälle aus Sri-Lanka.
Der gewaltlose politische Gefangene Innocent Ndayabaje aus Ruanda, für dessen Freilassung wir uns seit Beginn des Jahres 1991 einsetzten, ist inzwischen auf Initiative der Kreisverwaltung Ahrweiler aus der Haft entlassen worden.
Fünf Jahre Amnesty-Arbeit im Kreis Ahrweiler, das hieß jedoch nicht nur, Briefe zu schreiben, sondern auch Gelder zu beschaffen und die Öffentlichkeit für unsere Aufgaben zu interessieren. So haben wir jede Gelegenheit wahrgenommen, bei anderen Organisationen über unsere Arbeit zu berichten, etwa beim Lion’s Club und dem Verein »Frau und Kultur«.
Zusammen mit den ökumenischenAsyl-Arbeitskreisen in Remagen und Bad Neuenahr haben wir Informationsveranstaltungen über die Probleme der Asylanten durchgeführt und Gottesdienste gestaltet.
Von verschiedenen Schulen des Kreises wurden wir zu Unterrichtsstunden eingeladen, und das Engagement derSchülerinunsererGruppe zeigt uns, daß die „Menschenrechtserziehung« auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
Unter Öffentlichkeitsarbeit verstehen wir auch kulturelle Aktivitäten.
So haben Künstler für uns ein Theaterstück über Menschenrechtsverletzungen in China geschrieben und aufgeführt. Maler und Bildhauer aus dem Kreis Ahrweiler haben uns einige ihrer Werke zum Weiterverkauf gespendet.
Ein Remagener Bürger hat sogar mit uns zusammen ein Amnesty-Gesellschaftsspiel entwickelt.
Die Sportler unter uns haben bei einer Fahrrad-Demo in Bonn die Botschaften der Staaten angefahren, in denen es noch die Todesstrafe gibt – das sind auch dank Amnesty International in den letzten Jahren immer weniger geworden – und haben dort Petitionen abgegeben.
Im Lauf der Zeit haben wir es sogar geschafft. daß wir in der örtlichen Presse ab und zu zur Kenntnis genommen werden – ein Geheimtip für andere Gruppen mit Public-Relations- Problemen: Wir haben unser Mitglied Michael Mel-chers als Unterwanderer in eine Zeitungsredaktion eingeschleust. Auch auf Radio- und Fernsehauftritte kann unsere Grupe zurückblicken. So waren wir bei einer Diskussion über Todesstrafe Gäste bei der Fernsehsendung »Der heiße Stuhl«, und Karin Meinert durfte sich im Radio zum Thema »Amnesty auf dem Lande« äußern. Trotz des ernsten Hintergrundes hat uns die Amnesty-Arbeit in diesen fünf Jahren auch viel Spaß gemacht, und zwar nicht nur bei
den jährlichen Sommerfesten, bei denen wir die geduldige Gastfreundschaft von Dr. Jürgen Gräfe bis in die frühen Morgenstunden auf eine harte Probe stellen, sondern vor allem auch in unserem Informations- und Verkaufsstand auf dem Sinziger Weihnachtsmarkt, wo wir gelernt haben, jeden Käufer eines T-Shirts oder eines Stückes Kuchen sofort zu einer Unterschrift und einer Spende zu überlisten, was unsere unersetzliche Kassenwartin Jutta Taube besonders freut.
Das undankbare Amt des Gruppensprechers -man frißt sich durch enorme Papierberge, leitet die Gruppensitzungen, verteilt die Arbeit und ist für alles verantwortlich – haben seit 1986 jeweils für ein Jahr Karin Meinert, Uschi Book, Marlies Melchers und Astrid Gehrmann übernommen. Jetzt sind wir soweit demokratisiert und eingearbeitet, daß wir uns ohne Gruppensprecher selbst verwalten, was erstaunlich gut klappt. Wir können uns natürlich kaum vorstellen, daß unserer Ahrweiler Kreisgruppe eines Tages ebenso wie jetzt Amnesty International weltweit dreißigsten Geburtstag feiert.
Schließlich leisten wir alle Arbeit ehrenamtlich und in unserer sowieso knapp bemessenen Freizeit.
Wir hoffen aber, daß unsere Organisation in dreißig Jahren überflüssig ist, weil weltweit die Todesstrafe als antiquiertes Relikt vergangener Barbarei abgeschafft und die Einhaltung der Menschenrechte überall eine Selbstverständlichkeit ist. Doch bis dieses Ziel erreicht ist, wartet noch eine Menge Arbeit auf uns, bei der wir jede Unterstützung gebrauchen können. Mitleid ist nur eine halbe Sache. Wenn Sie uns helfen wollen, können Sie folgendes tun:
Sie können zu unseren Gruppensitzungen kommen, die zweimal im Monat stattfinden, und selbst als Mitglied von Amnesty International einen festen Aufgabenbereich bei der Betreuung von politisch Verfolgten, bei Info-Ständen und unseren Veranstaltungen übernehmen.
Sie können außerhalb einer Gruppe an Aktionen IhrerWahlteilnehmen. Die entsprechenden Möglichkeiten erfahren Sie aus einem Rundbrief, den Sie gegen einen Unkostenbeitrag von DM 10,- im Jahr bestellen können.
Sie können einmal im Monat Briefe für die jeweiligen drei »Gefangenen des Monats« schreiben. Namen, Hintergrundinformationen und Appellanschriften erfahren Sie aus dem »ai-Info«. Der Bezug istfür Mitglieder kostenlos. Nichtmitglieder zahlen DM 30,- im Jahr.
Sie können in dringenden Fällen, in denen Menschen Folter oder Hinrichtung droht, an Eilaktionen teilnehmen und versuchen, diese Menschen durch Telegramme, Telefaxe, Briefe und Telefonate zu retten. Fallschilderungen und Aktionsvorschläge können Sie kostenlos bei Amnesty International bestellen.
Sie können sich auch zusammen mit Berufskollegen zugunsten verfolgter Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern engagieren. Solche Berufs-Arbeitskreise gibt es bei Amnesty International für Juristen, Mediziner, Psychologen, Lehrer, Journalisten und Schriftsteller.
Schließlich können Sie unsere Arbeit durch gelegentliche Spenden oder regelmäßige Förderbeiträge unterstützen – natürlich gegen Spendenquittung und steuerlich absetzbar. Men-schenrechtsarbeit kostet Geld, auch wenn die Mitglieder von Amnesty International bis auf wenige Ausnahmen im Nationalen Sekretariat in Bonn und im Internationalen Sekretariat in London ehrenamtlich tätig sind.
Menschenrechtsverletzungen müssen unter erheblichem Aufwand ermittelt und publik gemacht werden. Es entstehen Kosten durch Missionen. Unterstützung von Gefangenen und eventuell deren Familien, Porto, Telefonate, Öffentlichkeitsarbeit, Druckkosten und Ähnliches. Ort und Zeitpunkt der Treffen der Amnesty-International-Gruppe des Kreises Ahrweiler veröffentlichen die örtlichen Tageszeitungen.
Und zum Abschluß für notorische Pessimisten, die sich immer noch fragen, was ihre Briefe denn schon groß ausrichten können, eineAm-nesty-International-Erfolgsbilanz: Seit der britische Rechtsanwalt Peter Benenson am 28. Mai 1961 empört beschloß, zwei portugiesischen Studenten zu helfen, die öffentlich auf die Freiheit angestoßen hatten und dafür verhaftet worden waren, und eine kleine Bürgerinitiative gründete, aus der sich erstaunlich schnell eine weltweite Menschenrechtsorganisation entwickelte, ist vieles geschehen. In siebzig Länder der Erde arbeiten über eine Million Menschen für Amnesty International. Von den 42.000 Fällen, die die Organisation aufgegriffen hat, wurden mehr als 38.000 abgeschlossen. 1977 erhielt Amnesty International den Friedensnobelpreis.