Amerika-Auswanderer berichten aus der neuen Heimat
VON PETER WEBER
Wiederholt war im Heimatjahrbuch von Auswanderern die Rede. Auch die Wershofener Chronik berichtet darüber. Mißernten, fehlende Existenzgrundlagen, Arbeitsmangel u. a. waren die Ursachen für die starke Auswanderung, die auch die Einwohner von Wershofen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfaßte. Wie die Chronik berichtet, war im Jahre 1851 das Korn mißraten und dadurch eine Teuerung entstanden. Das Arenbergische Malter a 10 Faß (1 Faß = 1 Pint, 1 Pint etwa einen halben Liter) kostete 11 Taler und 20 Silbergroschen. Eine Verbilligung trat erst dann ein, als Frankreich eine große Menge Korn nach Köln lieferte. Von dort wurden wöchentlich zwei Fuhren (Ochsenkarren) nach Wershofen gebracht.
Über Auswanderungen berichtet die Chronik: 1852 wanderten mehrere Männer und auch Familien nach Amerika aus. Pfingsten 1854 wanderten 25 Personen nach dem Staate Wisconsin in Amerika aus. 1858 kam aus Amerika die Nachricht, daß es den Ausgewanderten dort schlecht erginge und viele gerne wieder zurückkämen. 1869 wanderten mehrere Personen aus. Aber auch vorher verließen viele Eifeler die Heimat. Wenn auch in einzelnen Fällen Abenteuerlust, Flucht vor einer Bestrafung die Gründe für die Auswanderung gewesen sein mögen, in den allermeisten Fällen war es die Not, die mangelnde Lebensgrundlage, welche die Menschen aus ihrer angestammten Heimat, von der kargen heimischen Scholle, mit der sie doch seit Generationen verwurzelt waren, in ein unbekanntes Land und ein Ungewisses Schicksal vertrieb.
Vor mir liegen nun Briefe von jenen Auswanderern, deren mannigfaltige Schicksale und Erlebnisse, Gedanken und Anliegen, aber auch ihr Gottvertrauen, bald mit ungelenker, bald mit feiner Schrift auf vergilbten Blättern niedergeschrieben sind. Einige Auszüge sollen uns Aufschluß darüber geben.
1847: „Nun könnt Ihr es Euch denken, daß es mir schlecht ergangen ist. Doch ist es noch besser in Amerika als in Deutschland. Es ist noch mehr zu verdienen und frei hin und her wandeln. Doch ist nicht jedem zu raten, die Reise zu machen, denn einer hat Glück, der andere hat Unglück.“ 1848: „Auf mein erstes Schreiben habe ich Antwort erhalten, aber auf meinen letzt im verflossenen Jahr im Februar geschriebenen Brief höre ich nichts. Daher halte ich es für Pflicht, nochmals an Euch, Geliebte, zu schreiben, um Euch mein wirkliches Dasein noch zu benachrichtigen, welches ich aber auch gegenseitig von Euch wünsche zur Pflicht zu haben. Gleich, nachdem ich Euch den 1. Brief aus Indiana geschrieben hatte, wurde ich von einem Krankenlager heimgesucht, welches etwas über ein Jahr dauerte. Bei meiner Wiederherstellung reiste ich wieder in den Staat New York, weil ich meine Kiste in selbigem bei N. N. hatte stehen lassen. Hier habe ich bei Sommerzeit Arbeit an der Eisenbahn, und im Winter bediene ich mich mit Holzhauen, Die Arbeit an der Eisenbahn geht bei Tag, wo für den Tag l Taler 5 Silbergroschen Preuß Corant gut getan wird; vom Klafter Holz, 128 Fuß enthaltend, 20 Silbergroschen; das Kostgeld wöchentlich 2 Taler 10 Silbergroschen. Man hat Arbeit oder nicht. Diesen letzten Winter habe ich die meiste Zeit mit Krankheit zugebracht, weil hier die Witterung gar oft wechselt, deswegen ist es auch nicht so gesund hier wie bei Euch, wo ich aber gottlob wieder ganz gesund bin, daß ich wieder alle Tage arbeiten kann. Ich vernehme ,gemäß Zeitung aus Europa fast aus allen Staaten große Tumulte und Revolutionen, sowie auch aus Preußen, unserem Vaterlande, und namentlich von kürzlich vor Köln Blutvergießungen. Ist dem wirklich so oder nicht? Auch habe ich vernommen, daß es im letzten Jahr bei Euch zulande so schlecht gewesen ist, welches mich sehr gekränkt hat. Vielgeliebte! Damit ist es besser hierzulande. Zwar kümmert sich keiner um den ändern, doch ist keiner hier dem Hunger ausgesetzt. Zwar war alles im vorigen Jahr hier teurer, wegen der großen Ausfuhr nach Europa, dagegen der Arbeitslohn auch etwas besser als in vorigen Jahren, vielgeliebte Freunde! Es wäre zu wünschen für Euch alle hier im Lande oder, daß es den Bewegungen Deutschlands nachkäme namentlich, daß ihr alle republikanisch werdet, denn es geht nichts für die Freiheit. Man ist in keinem Wege hier aufgehalten, wie draußen bei Euch, mag man hingehen wohin man will oder Geschäft treiben was man will. Man braucht keine Polizei, keine Pässe oder sonstige Papiere. Man kann treiben was man will, unbekümmert jagen, handeln, einschenken, kaufen, verkaufen.“ 1858: „Ich war auch eine kurze Zeit ohne Arbeit, denn wie die meisten Arbeiten mit den Heurechen und Dreschmaschinen fertig waren, wurden nur ein Drittel der Landleute mehr behalten, um Vorrat zu machen. Jetzt muß ich eine Stunde in die Arbeit gehen, wo Heupressen gemacht werden. Ich habe wieder ein Feuer und ein Mann, der zuschlägt (Schmiede). So muß man sich hier durchschlagen. Es kommt die Zeit, daß es hier schlechter wird, wie in Deutschland. Alt werde ich hier nicht.“
1858: „Was übrigens die Geschäfte angeht, hat seit dem letzten Herbst fast alle Arbeit gestockt, über 360 Häuser haben Bankrott gemacht, doch fängt wieder so ziemlich an vorwärts zu schreiten, zwar mit Vorsicht. Was meine Wenigkeit anbetrifft, habe ich noch immer Arbeit gehabt, aber am Lohn Abzug bekommen, welcher jetzt wieder auf l Preuß. Taler herabgeschmolzen ist, dagegen das Kostgeld immer stehen bleibt, nämlich 10 Dollar den Monat. Da läßt sich nicht viel ersparen.“
1865: „Und ein Weiteres! Wenn jemand von Euch glaubt, man kann hier seinen Glauben nicht halten, der irrt sich sehr, denn es gibt Kirchen und Priester hier in Hülle und Fülle und Lehranstalten aller Art usw., und selber hat es seit meines Hierseins, welches nun in die Zwanziger geht, nicht gemangelt nach Belieben Gott dienen zu können und wenn ich es unterlassen, so war es meine Schuld. Die Städte in hiesigen Wildnissen sind so angelegt, daß sich das ganze europäische Kommissariats-Komitee dafür schämen muß. Alle mit parallel laufenden Kreuzstraßen und breiten Seitenwegen für die Fußgänger, welche Seitenwege entweder mit Platten von 2 Zoll Dicke belegt oder mit Steinen gepflastert sind. Sogar von einem Dorf zum ändern hat man Seitenwege und an Wasserleitung, Gaswerken, fehlt es nicht, sowie auch an Fabriken aller Art. Und besonders noch zur Erfrischung, besonders für Sommerzeiten, sind zu beiden Seiten zwischen Hauptweg und Seitenweg Schattenbäume gepflanzt, welche die Städte durch die darin nistenden Vögel in ein Paradies verwandeln und gar hei Winterzeiten den Wanderer vor Sturm und Kälte schützen.
Lieber Bruder! Du mußt Dir die Größe Amerikas besser vorstellen. N. N. und N. N. sind auch da und wohnen soweit von mir, wie Du vom Kaiser von Rußland. Gegenwärtig sind alle Gegenstände hier sehr teuer. Das 100 Pfund Schweinefleisch kostet 18 Dollar. Beim Pfund 24 Cent, das Pfund Kaffee 55 Cent oder 22 Silbergroschen 6 Pfennig, Hemdentuch die Elle über 1 Taler preußisch, eine verfertigte Hose 11 bis 12 Dollar, l Dutzend Eier 50 Cent, 20 Silbergroschen, die Tonne Heu 27 Dollar usw.“ 1869: „Lieber Bruder! Das Herauskommen mit einigen tausend Dollar ist leicht gesagt, aber nicht leicht getan. Was würden mir und Euch amerikanisches Papiergeld nützen? Da aber hier keine klingende Münze zirkuliert, so hat man anderes nichts als Papiergeld. Wer aber Gold und Silber haben will, der muß es hier kaufen wie Heu und Hafer und muß jetzt für 100 Golddollar 140 Papierdollar geben. — Ich für meinen Teil teile die Ansicht, lieber solange auszuharren, bis das Geld auf bare steht, wo Gold und Papier den gleichen Wert hat.“
1870: „Liebe Schwester! Laß Dir das Schicksal der Welt nicht so sehr zu Herzen gehen, dem doch alle unterworfen sind. Es sind ja nur Prüfungen von dem, der alte Schicksal zu lenken hat und weiß. Wohl dem, der sie geduldig zu tragen weiß. Wir müssen schaffen, als wollten wir immer hier bleiben und beten, als wenn wir jeden Augenblick sterben müßten, und wenn wir das tun im Willen dessen, der über unsere Schicksale zu verfügen hat, so wird am Ende alles nach Wunsch zu unserem Besten ausfallen. Denn zur Arbeit sind wir geboren, seit dem 1. Sündenfall ist uns schon gesagt worden, daß wir unser Brot alle im Schweiße unseres Angesichtes verdienen sollten. Und somit ist es unsere Pflicht, solange zu schaffen, als es noch Tag ist, und wir werden leicht allen Versuchungen und sonstigen Grillen widerstehen können.“
1874: „Nun will ich mal schreiben, wozu ich verdammt bin. Ich bin bei einem Bauern, fahre mit 2 Pferden und bekomme im Monat 12 Taler, Kost und gewaschen. Das gefällt mir fürs nächste Jahr nicht, wenn ich bleibe, es war dieses Jahr zu spät, als ich kam. Da mußte ich einmal nehmen, was ich bekam. — Hier gibt es immer Weck und Fleisch, jeden Tag zweimal, aber daneben gibt es auch noch Arbeit von morgens 5 bis mittags 12, immer voran geschafft von mittags bis abends. Hier gibts um 2 Uhr keinen Kaffee und auch nicht eine halbe Stunde Ruh, deswegen gehe ich nächstes Jahr auf Arbeit von 6 bis 6. — Dann hörts doch auf. Bei so einem Bauern wird man nicht fertig. Ich bin bei einem Deutschen, und deshalb habe ich mit der Sprache nichts zu tun, man lernt aber nicht englisch.“ 1874: „Wer hier krank wird, an dessen Stelle kommt ein anderer Mann solange, bis der Kranke wieder arbeiten kann, und wenn es ein Jahr dauert. Kommt ein Mann betrunken an die Arbeit, so heißt es, komm über 3 oder 4 Tage, hole den verdienten Lohn. So liebt man hier die Saufbrüder. Diesen Sommer waren hier sehr viele Leute ohne Arbeit, den Winter liegt fast alles. — Wie ich gehört, soll an der Eisenbahn, wo ich hoffe über 14 Tage wieder zu arbeiten, nur noch dreiviertel Tag geben.“ 1882: „Ich hatte meine Arbeit gewechselt, ich arbeite wo die Ackergeräte gemacht werden, für 14 Schilling den Tag 10 Stunden. Ich sagte zum Meister, er solle mir den Tag mehr geben. Ich erhielt zur Antwort, es ist leicht den Lohn herunter zu bringen, aber schwer hinauf. Ich war still. Eine Woche darauf sagte ich ihm, ich habe einen anderen Platz, wo mir 24 Schilling geboten sind. Ich nahm den Platz für 18 Taler die Woche. Zwei Monate vergingen, unser Fuhrmann oder Meister ging fort. Der neue hatte oder brachte seine Leute oder Freunde. Die alten Arbeiter gingen fort. Nun fand ich Arbeit in einer Ofenfabrik für 13 Schilling den Tag. Das runde Jahr Arbeit. Ich habe hier leichte Schmiederei, ein halbes Dutzend Maschinen, welche mit Riemen in Bewegung gesetzt werden und einen jungen Irländer zur Aushilfe für Schrauben zu schneiden an den Maschinen. Es gefällt mir gut hier auf dem Platz.“
Welch eine Fülle von Ereignissen, Erlebnissen und Schilderungen der Verhältnisse spiegelt sich in diesen kurzen Auszügen wider. Sie zeigen die ganze Härte des Daseinskampfes in der neuen Welt, aber auch den Willen und das Gottvertrauen, mit dem Schicksal eines Auswanderers fertig zu werden.