AM HERD
VON SCHRÖNHAMMER-HEIMDALL
„Papi, was ist denn ein Herd?“ poltert mein Achtjähriger unschuldig und argios zur Tür herein.
„Ein Herd? Warum? Wozu mußt du das wissen? „Weil wir eine Hausaufgabe schreiben müssen: Am Herd.“ „Hat euch das Fräulein keine Angaben dazu gemacht?“
„Nein, das müssen wir selber finden, hat es gesagt. Und es sei ganz einfach. Aber ich weiß gar nicht, was ein Herd ist. Keiner weiß es, keiner von der ganzen Klasse. Weißt du es, Papi?“
„Natürlich! Ein Herd ist eben ein Herd, so eine Art Ofen. Nein, doch kein Ofen — ein, Herd eben mit vormals offenem Feuer …“
Ich bin mit meiner Weisheit zu Ende, wenigstens für den Augenblick. Soll ich mir vor dem Kleinen eine Blöße geben? Nein!
„Gut“, sage ich, „da du nicht weißt und auch gar nicht Wissen kannst, was ein Herd ist, so will ich dir die Aufgabe machen. Du brauchst sie dann bloß auf die Tafel abzuschreiben.“
„Hurra! Das wird fein!“ jubelt der Kleine.
*
Und es wurde auch fein.
Ich stand am offenen Schulfenster, als die Knaben am nächsten Tage ihre Aufsätze Vorlasen.
Der erste: Am Herd. Der Herd ist eine Erfindung, die es jetzt nicht mehr gibt. Das hat der Vater gesagt. Sein Großvater hatte noch einen. Der lebte auf einem Bauernhöfe. Wir haben eine Zentralheizung, die der Hausmeister im Keller anschürt, wenn es kalt wird.
Der zweite: Am Herd. Wir haben einen Küchenherd, aber ich darf nicht hinein, weil die Anni, was unsere Köchin ist, nicht gestört sein will. Wenn ich groß bin, werde ich Offizier bei der Reichswehr und gründe einen eigenen Herd. Mutter sagt: er ist Goldes wert. Das ist ein Sprichwort,
Der dritte: Am Herd. Wir haben keinen Herd und auch keinen Ofen mehr. Denn wir haben jetzt eine Warmwasserheizung. Das sind Röhren und haben viel Geld gekostet. Man merkt das jetzt noch am Wasserzins.
Der vierte: Am Herd. Wir haben keinen Herd, wir wohnen im Keller. Wir holen das Essen aus der Volksküche. Wir haben kein Geld, uns einen Herd zu kaufen.
Ich höre, wie die Schüler den Atem anhalten. Auch mir geht etwas ans Herz — die Not, die leibliche und die seelische, die aus diesen Aufsätzen spricht.
Nach einer Pause wendet sich die Lehrerin an meinen Kleinen: „Nun, Franzl, lies du deinen Aufsatz vor!“
Unerschrocken schnellt mein Junge auf und liest mit seiner klaren Knabenstimme:
Am Herd.
Am Herde ist es gut. Da wohnen die guten Geister des Hauses. Da weben die Märchen ihre Zauberschleier. Da quillt das Volkslied aus frischen Kehlen. Kurzweil beschließt den harten Arbeitstag am häuslichen Herde. Er ist der Hort der Väterweisheit und der Muttergüte. Auf der Herdbank sitzen die Mädchen und spinnen den Flachs. Der Herd ist das Heiligtum des Hauses. Die größten Dichter des Volkes haben ihn besungen. Die Besten des Volkes sehnen ihn wieder herbei.
„Halt, Franzl“, unterbricht die Lehrerin. „Hast du den Aufsatz selbst gemacht?“
„Nein, Papi hat ihn mir aufgesetzt“, höre ich seine klare, tapfere Stimme.
„Gut. Setz dich nur.“
*
Es war eine Hausaufgabe“, erklärt mir dann die Lehrerin, „keine Schulaufgabe. Ich wollte wissen, ob und wo noch ein Herd steht, ob und wo man noch um sein Wesen weiß. Es war mehr eine Laune von mir, diese Aufgabe zu geben, allerdings eine Laune, aus Seelennot um das Kinderwohl geboren.“
„Sie haben das rechte Wort geprägt, Fräulein. Der Herd ist eine Aufgabe, wirklich eine Hausaufgabe. Wir müssen ihn wieder schaffen oder doch einen Ersatz dafür, etwa einen Winkel im Hause, wo das Märchen wieder wohnen mag, wo das Volkslied wieder erwacht, wo einem wieder warm und heimelig wird ums Herz. Das tut uns Alten so not wie den Jungen …“