Als „Nebelfürst“ ging er in die Geschichte ein. Theodor Lerner (1866 – 1931) aus Antweiler
Als am 10. April 1866 Theodor Eduard Julius Lerner in Antweiler an der Ahr das Licht der Welt erblickte, konnte noch niemand ahnen, dass dieser einmal Schlagzeilen machen würde. Und schon gar nicht als Polarforscher. Der Sohn des einstigen Antweiler Bürgermeisters Julius Lerner ging nämlich um die Jahrhundertwende als abenteuerlustiger Polarforscher und „Privat-Imperialist“ in die Geschichte ein.
Ein wenig Abenteuerlust bewies der kleine Theodor bereits als Kind. Gerne spielte er bei seinen Großeltern auf der Burg Blankenstein in der Eifel, für ihn ein Dorado für Räuber- und Turnspiele war. Als sein Vater Julius 1870 zum Bürgermeister von Linz am Rhein gewählt wurde, fand er auf der anderen Rheinseite schnell neue Spielkameraden: die Rheinschiffer und Steuerleute. Vielleicht liegt auch dort seine Liebe zum Wasser begründet: Im Winter schwamm er zwischen Eisschollen, und sogar als Lebensretter machte er als Kind auf sich aufmerksam: Theodor Lerner zog einen ertrinkenden Jungen aus dem Rhein.
Theodor Lerner mit seinem Hund: Stolz präsentiert sich der Polarforscher von der Ahr.
Im Jahr 1896 – Theodor hatte mittlerweile in Bonn Ökonomie, Medizin und Jura studiert, aber keinen Abschluss gemacht – kam es zu einer Begegnung, die sein Leben verändern sollte: Theodor Lerner, der quirlige junge Mann aus Antweiler, befand sich im Rahmen einer militärischen Übung in Hannover. Als er in einem Café eine Zeitung zur Hand nahm, erfuhr er von einem geplanten Polarflug des Schweden Salomon Andrée. Da gab es kein Halten mehr für den abenteuerlustigen 30-Jährigen. Er machte sich auf nach Norwegen. Er musste diesen Andrée treffen, er musste unbedingt dabei sein, wenn die Ballon-Expedition startet.
Der Sohn von Julius Lerner und dessen Frau Maria Magdalena (geb. Mengelbier) hatte einen starken Willen. Natürlich schaffte er es, Salomon Andrée zu sehen. Die Expedition wurde zwar um ein Jahr verschoben, doch kein Problem: Theodor Lerner war wieder vor Ort, hatte den Auftrag, für den Berliner Lokalanzeiger zu berichten. So war er dabei, als sich am 11. Juli 1897 der Ballon hob, fotografierte fleißig und sorgte dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit regen Anteil nahm an der Expedition. Diese scheiterte allerdings. Die drei Ballonfahrer waren verschollen – sie wurden erst 1930 tot im ewigen Eis gefunden. Später nahm er sogar Kontakt zu Graf Zeppelin auf, um ihn davon zu überzeugen, mit ihm den Nordpol im Luftschiff zu überqueren – vergebens.
Tollkühne Expedition
Das Polargebiet ließ Theodor Lerner nicht mehr los, mehr noch: Es verleitete ihn zur tollkühnsten Tat seines aufregenden Lebens. Er führte eine wissenschaftliche Expedition mit dem Schiff „Helgoland“ und hatte mittlerweile herausgefunden, dass die Bäreninsel regelrecht herrenlos, ohne Staatenzugehörigkeit war. Genau diese Insel nahm er für Deutschland in Beschlag. Er stellte die deutsche Reichsfahne auf und malte auf etliche Felsen die Reichsfarben schwarz, weiß und rot. Dieses 180 Quadratkilometer große, nebelumfangene Eiland hatte es in sich: jede Menge Kohle, die sich abzubauen lohnte. Außerdem war sie ein geeigneter Stützpunkt für die Hochseefischerei, meinte Lerner, der auch einmal als „Privat-Imperialist“ bezeichnet wurde. Immerhin hatte er sich selbst als Herrscher über die Nebel-Insel ausgerufen. Es kam zu historischen Verwicklungen; auch Russland hatte Interesse an dieser Insel. Depeschen zwischen dem Zarenreich und dem Auswärtigen Amt in Berlin gingen hin und her. Und da das Deutsche Reich nicht an außenpolitischem Händel mit Russland interessiert war, blieb es bei einer geschichtlichen Randnotiz und einem Ehrennamen: Theodor Lerner wurde zum „Nebelfürsten“.
Im ewigen Eis überwintert
Der Mann war jedoch noch zu ganz anderen Leistungen im Stande: Er überwinterte 1907/1908 im ewigen Eis. Der Polarforscher beteiligte sich im Auftrag eines Berliner Verlags an den Vorbereitungen für die Wellman-Luftschiff-Expedition zum Nordpol. Der Leiter dieser Expedition war Lerner ausgesprochen dankbar für seine Hilfe: Er stellte dem Mann von der Ahr die gesamte Luftschiffstation inklusive Proviant zur Verfügung. Während der Wintermonate wollte der inzwischen 41-Jährige meteorologische Beobachtungen anstellen.
Bei dieser Überwinterung – einer enormen körperlichen Leistung – hatte Theodor Lerner einen Partner: Hjalmar Johansen, den norwegischen Kapitän, der 1893 mit Fridtjof Nansen die legendäre Fahrt in die Arktis auf der „Fram“ miterlebt hatte und mit Nansen auf dem Weg zum Nordpol schon einmal überwintern musste. Was Theodor Lerner und Hjalmar Johansen in diesen Monaten erlebten, schrieb der Polarforscher nieder in seinem Roman „Im Banne der Arktis“, der 74 Jahre nach seinem Tod im Frühjahr 2005 dank Frank Berger aus Frankfurt/Main erstmals in Buchform erschien.
Das Expeditionsschiff von Theodor Lerner: 1907/08 überwinterte der Polarforscher im ewigen Eis.
Die beiden Männer bewiesen Mut und Ausdauer, sie trotzten in einer notdürftigen Holzbaracke der eisigen Kälte. Nach Beginn des Sommers, im April, brachen sie mit Schlitten und fünf Hunden zu einer denkwürdigen Überquerung Spitzbergens auf. Sie waren die ersten, die diese Leistung vollbrachten. Über einen Gletscher ging es zur Nordküste und dann zur Däneninsel. 300 Kilometer überwanden die Polarwanderer auf diese Weise. Auf dem Vergnügungsdampfer „Thalia“ traten sie dann die Heimreise an. An Bord kam es zu einer schicksalhaften Begegnung: Theodor Lerner machte Bekanntschaft mit Lydia Stoltze aus Frankfurt. Die Tochter des Dichters Adolf Stoltze wurde später seine Frau. Die Verlobung erfolgte noch auf der Überfahrt – auf dem 80. Breitengrad.
Noch einmal war Theodor Lerner 1914 in der Gegend von Spitzbergen unterwegs, diesmal mit Hilfe des Senckenbergschen Instituts aus Frankfurt. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte seine Pläne zunichte. Als Leutnant kämpfte er später an der Westfront.
In die Nähe des Nordpols kam er nie wieder. Nach dem Krieg erkrankte Theodor Lerner. Am 12. Mai 1931 starb er in Frankfurt. Als „Nebelfürst“ wurde er auf seine Weise jedoch unsterblich.