Als im Wolfertal bei Brohl-Lützung „Jedermann“ gespielt wurde – Ende der zwanziger Jahre existierte in Niederlützingen die „Freilichtbühne des Brohltales“
Freizeitverhalten
Massenmedien: Fernsehen, Kino und Radio. Rund um die Uhr senden unzählige TV- und Radiosender ihre Programme. Sie wollen damit informieren und unterhalten. Seitdem es diese Medien gibt. hat sich unser Freizeitverhalten grundlegend verändert. Täglich sitzen die meisten Bürger vor dem Fernsehapparat und schauen sich Sendungen unterschiedlicher Art an oder sie schalten das Radiogerät an, um Rundrunksendungen zu verfolgen oder einfach nur. um Musik zu hören. Andere Unterhaltungsangebote sind demgegenüber etwas in den Hintergrund getreten und werden von vielen Zeitgenossen nur hin und wieder in Anspruch genommen, beispielsweise Theateraufführungen, die in der Zeit vor der Erfindung des Radios. Kinos und Fernsehens einen größeren Stellenwert als heute hatten. In vielen Ortscharten unserer Region exilierten damals Laienspielgruppen, die sich vornehmlich in den Wintermonaten der Dorfbevölkerung präsentierten und Theaterstücke aufführten. Aber auch heute gibt es in unserer Gegend noch einige „Theaterslandorte“, die sich insbesondere in den Sommermonaten großer Beliebtheit erfreuen. Gemeint sind vor allem die Freilichtbühnen. Weit über die hiesige Region bekannt ist die Freilichtbühne Schuld. Seit mittlerweile 50 Jahren ziehen die Laiendarsteller aus der Ahrgemeinde Jahr für Jahr mit ihren Stücken ein breites Publikum an. Bekannt sind ebenfalls die Festspiele der Genovevaburg in Mayen, die alljährlich von mehreren Tausend Besuchern frequentiert werden. Im folgenden wird die „Freilichtbühne des Brohltals“ dargestellt, die Ende der zwanziger Jahre in Niederlützingen bestand und in der gesamten Region bestens bekannt und geschätzt war.
Erste Hinweise auf Theater-aufrührungen in Niederlütz-ingen finden sich bereits in Akten aus dem vorigen Jahrhundert. So beinhalten die Gemeinderatsprotokolle einen Hinweis auf eine Theaterveranstaltung, die der örtliche Junggesellenverein am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1899 Organisten hatte. Offenbar hatten die Junggesellen damit einen großen Erfolg, den sie nach der Aufführung noch so ausgiebig feierten. daß sich am darauffolgenden Tag mehrere Nachbarn beim damaligen Onsbürgermeister. Johann Peter Schmilz, über eine massive nächtliche Ruhestörung beschwerten. Dieser. er war von Beruf Gastwirt und in seinem Saal hatte die obige Theaterveranstaltung auch stattgefunden, gab wenige Tage später auf der Amtsbürgermeisterei Burgbrohl folgendes zu Protokoll: „Nach Beendigung dieser Veranstaltung blieben mehrere Leute zurück und ich habe bald darauf erklärt, daß ich Getränke nicht mehr verabreiche und forderte die Leute auf, das Lokal zu verlassen. Die Leute kamen schließlich meiner Aufforderung nach und verursachten dann den Lärm auf der Straße.“
Im Jahre 1904 wurde in Nie-derlützingen ein neuer Verein ins Leben gerufen. 14 junge Männer hatten sich getroffen und den „Gesang- und Theaterverein Unterhaltung“ Niederlützingen gegründet: ein Verein, der heute noch existiert und fester Bestandteil des örtlichen Vereinsleben ist. Wie aus dem Namen hervorgeht, ging es den Gründern nicht allein darum, bekanntes und überliefertes Liedgut darzubringen, sondern sie hatten sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, die Ortsbevölkerung durch Theateraufführungen zu unterhalten. Zum Vorsitzenden wurde Malermeister Matthias Josef Schmilz gewählt. Unter seiner Leitung nahm die junge Gemeinschaft unverzüglich ihre Tätigkeit auf. Neben regelmäßigen Gesangsauftritten veranstaltete die „Unterhaltung“ alsbald auch erste Theateraufführun-gen. Es handelte sich um Singspiele sowie die Präsentation von Passagen aus bekannten Operetten. Gespielt wurde während der Wintermonate auf den Sälen der örtlichen Gaststätten. Die Dorfbevölkerung nahm das Angebot dankend an, boten diese Vorstellungen doch eine willkommene Abwechslung vom Alltagstrott.
Aufrührungen nach dem Ersten Weltkrieg
Nachdem das Vereinsleben im Verlaufe des Ersten Weltkrieges nahezu gänzlich zum Erliegen gekommen war, finden sich mit Beginn der zwanziger Jahre in Akten auch wieder Hinweise auf Theateraufführungen in Niederlützingen. So führte beispielsweise der im Jahre 1919 gegründete Fußballverein „Luzencia“ eine Veranstaltung durch, auf die eine Zeitungsmeldung, die am 2. Februar 1921 in der „An-dernacher Volkszeitung“ erschien. hinweist. Es heißt dort:
„Der FC Luzencia veranstaltete am vergangenen Sonntag eine Theateraufführung: „Der Glockenguß von Breslau“, die man in allen Teilen als wohlgelungen bezeichnen kann“. Im Herbst wiederholte der Sportverein sein Theaterstück. Einstudiert hatten die Sportler das Stück gemeinsam mit Matthias Josef Schmilz, dem Vorsitzenden der „Unterhaltung“. der offenbar nicht nur im Gesangverein das Interesse für Theateraufführungen geweckt hatte.
Der MGV „Unterhaltung“ trat 1921 ebenfalls wieder in die Öffentlichkeit, denn in einer Zeitungsanzeige vom 12. März luden die Sangesfreunde zum Besuch der Darbietung der ..Passionsgeschichte“ ein. Federführend bei dieser Inszenierung war ebenfalls M. J. Schmitz gewesen. Mitgewirkt hatten auch Hauptlehrer Heinrich Kaspari. der seit 1912 an der Niederlützinger Volksschule arbeitete, sowie Ger-man Doll, der seit 1919 Dirigent des Männergesangvereins war. Doll hatte die musikalische Leitung der Inszenierung übernommen. Die Vorstellung wurde ein großer Erfolg und in den nachfolgenden Jahren lud der MGV regelmäßig zu Theaternachmittagen und -abenden ein.
„Jedermann – Aufführung“ auf der Freilichtbühne im Wolfertal. 1927. Begeisterte Laienschauspieler engagierten sich in großer Zahl.
Neben den Mitgliedern der „Unterhaltung“ machten auch zahlreiche Männer und Frauen des Dorfes mit, die nicht in dem Verein aktiv waren, aber Freude am Laienschauspiel hatten. Gespielt wurden die verschiedensten Stücke. Inhalte aus der Bibel wurden ebenso präsentiert wie Romane berühmter Autoren – u.a. Jules Vernes „In achtzig Tagen um die Welt“ –Komödien und Operetten („Zar und Zimmermann“). Im Laufe der Zeit wurde der Verein in der Umgebung bekannt und der Zuspruch wuchs stetig an. Regelmäßig wurden Zusatzvorstellungen gegeben, um das Interesse zufriedenstellen zu können.
Die Freilichtbühne
Mitte der zwanziger Jahre kamen die Verantwortlichen der Niederlützinger Theaterspiele. auf den Gedanken, Freilichtspiele zu organisieren. Zunächst wurde ein passendes Gelände in Augenschein genommen. Es handelte sich um einen ..Grottensteinbruch“ in der Flur „Wolfenal“. südöstlich der heutigen Lavagrube „Leilerkopf“. Das hügelige Gelände erschien den Verantwortlichen für eine Naturbühne bestens geeignet. Zudem verlief die neue Verbindungsstraße (Fritz-Beck-Straße, heutige K 69), die das Brohltal mit der Lützinger Höhe verband. in unmittelbarer Nähe. so daß Besucher, die aus dem Brohltal kamen, innerhalb kurzer Zeit an der Freilichtbühne sein konnten.
In wochenlanger Arbeit wurde das mehrere tausend Quadratmeter umfassende Areal so umgebaut, daß es als Freilichtbühne genutzt werden konnte. Zunächst wurde ein Bühnenhereich geschaffen. dann der Tribühnenbereich ausgewiesen. Zuschauerbänke aufgebaut und Zugangswege angelegt. Schließlich wurden mehrere Holzbuden errichtet. Sie dienten als Restaurationsbetrieb, als Verkaufshäuschen und als Unterstellgebäude für Fahrräder. Ein großer Teil der Dorfbevölkerung war an diesen Arbeiten beteiligt. Im Frühjahr 1926 war das Gelände soweit vorbereitet, daß eine Aufführung stattfinden konnte.
Präsentiert wurde das Stück „Die heilige Elisabeth, Landgräfin von Thüringen“, ein Schauspiel, das an die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebende ungarische Königstochter Elisabeth erinnerte. die später als Gräfin von Thüringen auf der Wartburg bei Eisenach lebte und sich im Gegensalz zu den meisten ihrer adeligen Zeitgenossen intensiv um das Wohl der Bevölkerung in ihrer Grafschaft kümmerte. Als eine „Königstochter für die Armen“ ist sie in die Kirchengeschichte des Hochmittelalters eingegangen. Die Niederlützinger Theatergemeinschaft haue das Stück während der Wintermonate bereits auf den örtlichen Saalbühnen aufgeführt, so daß Rollen und Texte bekannt waren. Da eine Freilichtbühne aber weitaus mehr Möglichkeilen bietet als ein Saal. wurde das Stück modifiziert. Es wurden mehrere Reiterszenen eingebaut und die Zahl der Mitwirkenden auf rund 150 erhöht.
Erfolge
Die Kostüme der Mitwirkenden wurden teilweise selbst hergestellt, den größten Teil beschaffte sich die „Freilichtbühne des Brohltales. Niederlützingen“, wie man sich fortan nannte, jedoch bei einem Bonner Kostümlieferanten. Malermeister M. J. Schmilz erstellte gemeinsam mit einigen Helfern ein Bühnenbild. Als die Freilichtbühne am Pfingstmontag, 24. Mai 1926. erstmals ihre Pforten öffnete und das rund dreistündige Schauspiel begann. konnten die Zuschauer die Kulisse der mittelalterlichen Wartburg ebenso bewundern wie die Silhouetten eines mittelalterlichen Dorfes mitsamt einer Kirche. Die Laiendarsteller – sie kamen nahezu ausschließlich aus Niederlützingen – hatten für diese Premiere über Wochen hinweg ihre Freizeit geopfert und geprobt:
sie überzeugten mit ihrer Darbietung. Nach dieser gelungenen Erstaufführung fanden in den nachfolgenden Monaten regelmäßig weitere Aufführungen statt. Hunderte Zuschauer verfolgen die einzelnen Vorstellungen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang eine Schülervorstellung. über die in der „Andernacher Volkszeitung“ vom 8. Juli zu lesen war: „Vorgestern fand bei herrlichstem Sommerwetter eine Schülervorstellung der Freilichtbühne statt. In derselben waren etwa 1.600 Kinder mit ihren Lehrern und Lehrerinnen. Auch viele Erwachsene hatten sich eingefunden. Es war eine Freude zuzusehen, mit welchem Interesse die Kinder das Spiel verfolgten.“ In einer anderen Zeitungsnotiz heißt es: „Die Freilichtbühne des Brohltals bot wieder Hunderten von Zuschauern schöne Stunden. Von Sinzig, Hönningen, Ahrweiler und von der weiteren Umgebung waren die Besucher herbeigeeilt, um das Volksspiel auf der schönen Freilichtbühne zu sehen.“
Nachdem Anfang August die letzten Vorstellungen gegeben worden waren, verabschiedete sich die Freilichtbühne. Den finanziellen Reinerlös der Freiluftaufführungen investierte die „Volksbühne“ teilweise in den weiteren Ausbau des Freilichtgeländes, größtenteils überließ sie es der örtlichen Kirchengemeinde für den Innenausbau der Pfarrkirche. Diese war im Jahre 1923/24 erweiten worden. Für die dadurch notwendig gewordene Innenrenovierung kamen die Gelder des Theatervereins sehr gelegen.
Die zweite Saison
Während der Wintersaison organisierten die Niederlützin-ger Laienschauspieler wieder Saalaufführungen. Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für eine zweite Freilichtsaison auf Hochtouren. Hatten die Besucher die Darbietungen der Darsteller sehr gelobt, so war doch vermehrt Kritik an den örtlichen Gegebenheiten aufgekommen. Dem wollten die Organisatoren entgegenwirken und bauten das Gelände weiter aus. Die Zahl der Tribünenplätze wurde erhöht, die Plätze selbst verbessen. Von der Firma ..Philipp Holzmann AG. Frankfurt“, die unmittelbar neben der Freilichtbühne einen Steinbruchbetrieb hatte, pachtete man ein rund zwei Hektar großes Areal, um es in künftige Freilichtaufführungen einzubinden. Dem Theaterverein wurde gestattet, zusätzliche Buden und Bänke zu errichten. Planierungen vorzunehmen und umfangreiche Baumpflanzungen vorzunehmen. Ende 1926 trat die ..Freilichtbühne Nie-derlützingen“ dem ..Deutschen Bühnenvolksbund“ mit Sitz in Berlin bei. Im Frühjahr 1927 liefen die Vorbereitungen für das neue Stück an, das zur Aufführung kommen sollte: das alte Kölner Spiel ..Jedermann“ von Jaspar von Gennep. Mit rund 5.200 Reichsmark veranschlagte der Verein die Kosten für die rund dreimonatige Freilichtsaison. Allein knapp 1.100 Mark sollten für Zeitungsanzeigen. Prospekte und Plakate aufgewendet werden. Mit rund 1.200 Mark schlug die Leihgebühr für die Kostüme zu Buche. Der überwiegende Teil des Restbetrages wurde für den weiteren Ausbau des Geländes veranschlagt.
Am Pfingstsonntag. 15. Mai 1927, öffnete sich erstmals der Vorhang für das Stück „Jedermann“. In den folgenden Monaten, fanden bis Mitte August, regelmäßig Vorstellungen statt. Allerdings hatten sich die Organisatoren des Freilichttheaters finanziell verkalkuliert. Es kamen zwar regelmäßig viele Zuschauer, die Kosten übertrafen aber die Einnahmen, so daß man am Ende der Spielzeit ohne finanzielle Überschüsse dastand. Hinzu gekommen war noch der Umstand, daß in Ahrweiler die dortige „Marianische Jünglingskongregation“ in diesem Jahr ebenfalls das Stück „Jedermann“ aufführte, was die Lützinger Theaterfreunde natürlich Zuschauer kostete.
Nichtsdestotrotz beschlossen die Verantwortlichen trotz schwacher Finanzdecke die Fortsetzung der Freilichtaufführungen im Jahr 1928. In der Winterzeit bot die „Volksbühne“ wieder Saaltheater an. So führte sie im Dezember 1927 und Januar 1928 mehrmals das Stück „Henkerssohn und Zigeunerin“ auf.
Das Ende der Freilichtbühne
Anfang 1928 begann man mit der Vorbereitung der neuen Spielzeit auf der Bühne im Wolfertal. Leider lief nicht alles nach Plan. Das ursprünglich vorgesehene Stück mußte gestrichen werden. Stattdessen entschieden sich die Organisatoren kurzfristig für das Schauspiel „Elmar“, die Bühnenbearbeitung von Friedrich Wilhelm Webers „Dreizehnlinden“. Dieses Stück hatte man bereits mehrmals bei Saalveranstaltungcn aufgeführt und hoffte, es ohne größere Probleme auf eine Freilichtbühne übertragen zu •können. Die Vorbereitungen hierzu verliefen auch vielversprechend. Leider machte die Witterung den Niederlützinger Laienschauspielern in diesem Jahr einen Strich durch die Rechnung. Wegen anhaltendem Regenwetter mußte die für Ende Mai geplante Eröffnung der Freilichtspiele mehrfach verschoben werden. Schließlich fanden dann zwar noch einige Vorstellungen statt, die Saison war aber derart schlecht gelaufen, daß man sich entschloß, fortan keine Freilichtaufführungen mehr zu machen. Mit diesem Beschluß war der letzte Vorhang für die „Freilichtbühne des Brohltals in Niederlützingen“ gefallen. Der Verein begnügte sich fortan damit, im Winter Bühnenaufführungen zu organisieren. Die Freilichtbühne verfiel und wurde schließlich ganz abgebaut. Im Verlauf der 30er Jahre wurde dann das Theaterspiel ganz aufgegeben.
Mitte der fünfziger Jahre erlebte das „Saaltheater“ in Nie-derlützingen eine kurze Wiedergeburt. Es wurden noch einige Stücke aufgeführt. Aber diese „Renaissance“ war nur von kurzer Dauer, denn schon nach wenigen Spielzeiten wurde alles eingestellt. Redet man heute mit älteren Bewohnern Lützingens. dann erinnern sich noch viele gerne an die Zeit der ..Freilichtbühne des Brohltales“.
Quellen:
- Diverse Ausgaben der „Andernacher Volkszeitung“ der Jahre 1920 bis 1930
- Gemeindeakten, die sich im Archiv der VG-Brohltal befinden
- Akten des Männergesangverein „Unterhaltung“ Niederlützingen