Als der Krieg im September 1939 ausbrach … – Zur Situation, Lage und Stimmung im Kreis Ahrweiler
„Hitler bedeutet Krieg, wurde bereits vor 1933 von Gegnern des Nationalsozialismus vielfach geäußert. Nach der ‚Machtübernahme‘ bewahrheitete sich diese Befürchtung, denn vom NS-Regime wurde nunmehr systematisch auf einen Krieg hingearbeitet. Gleichzeitig wurde die Propaganda nicht müde, die Friedensabsichten des Regimes zu bekunden. Lokale Quellen und Zeitzeugen bestätigen, daß die drohende Kriegsgefahr ab 1936 von der Bevölkerung mit großer Sorge wahrgenommen wurde.
Kriegsangst
Die meisten hatten Angst vor einem neuen Krieg, denn zu tief saßen noch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges (1914-1918) im Bewußtsein der älteren Generation. Diese Bedenken konnte die Propaganda trotz aller Anstrengungen nicht zerstreuen.
So wird in einem Lagebericht des Amtes Niederbreisig im Zusammenhang mit der sogenannten ..Sudetenkrise des Jahres 1938″ über die Stimmung in der Bevölkerung vom Amtsbürgermeisrer folgendes berichtet: „Wie bei der übrigen Bevölkerung, so bedrückt auch unier der Bauernschaft die drohende Kriegsgefahr sehr die Stimmung. Man ist der Ansicht, daß ein Krieg unbedingt vermieden werden müsse. Dies war besonders in den Familien feszustellen, in denen ein Angehöriger in den letzten Tagen einen Gestellungsbefehl erhielt.“ (Lagebericht vom 28. Sept. 1938) Im Oktober 1938 wird dann noch ergänzend vermerkt: „Die Stimmung in der Bevölkerung war z. Zt. der drohenden Kriegsgefahr sehr gedrückt. Von dem Hurra-Patriotismus – wie er in den Zeitungen geschildert wurde, war hier nichts zu merken.“ (Lagebericht vom 27. Okt. 1938)
Aus Waldorf wird in diesem Zusammenhang sogar eine oppositionelle Äußerung zur Anzeige gebracht. Dort hatte ein Bürger gesagt: „Wenn die Mobilmachung käme. solle man denjenigen, die für die Bewegung ständen, zuerst den Hals abschneiden.“
Diensteifrig ergänzte der Amtsbürgermeister den Stimmungsbericht noch handschriftlich, wobei er anmerkte:
„Ich muß berichten, daß nach genauer Kenntnis der Stimmung und der mangelnden Bereitschaft, im Kriegsfalle Gut und Blut zu opfern, in den ersten Tagen eines Krieges bei den nicht politisch ausgerichteten Volksgenossen abschreckende Exempel hätten statuiert werden müssen, um zwangsweise den Zustand zu erreichen, der für die Kriegsführung notwendig ist.“ (Lagebericht vom 27. Okt. 1938)
Berichterstattung zum 1. September 1939
Exempel mußten ein Jahr später im September 1939 zwar nicht statuien werden, jedoch war von Kriegsbegeisterung auch dann nichts spürbar.
Als der Krieg am l. September 1939 ausbrach, verstand es die nationalsozialistische Propaganda im Rundfunk und in den Zeitungen äußerst geschickt. Polen als Kriegstreiber hinzustellen. Bis zum Schluß hatte sich das Deutsche Reich angeblich um den Frieden bemüht. So konnte Hitler am 1. September 1939 vor dem Reichstag verkünden. daß ab jetzt „zurückgeschossen“ werde.
Unter der Schlagzeile „Wir treten an!“ wurde die Rede Hitlers in der Ahrweiler Zeitung u. a. folgendermaßen kommentiert:
„Der Führer hat lange genug langmütig gewartet. Nun hat er zugepackt. Unsere herrliche Wehrmacht wird sich ihrer ruhmreichen Geschichte und ihrer Verpflichtung gegenüber Volk und Staat mit siegreichem Elan würdig erweisen.“ (Ahrweiler Zeitung vom 2. Sept. 1939)
Die Berichterstattung in den Zeitungen. Kommentare und Aufrufe schworen die Bevölkerung auf den Kriegseinsatz, auf Opfer, Einigkeit. Solidarität. Sparen und Verzicht ein. Der Krieg gegen Polen wurde verlogen als „Kampf um die Freiheit“ bezeichnet.
Die Niederlage des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 wird wiederholt als abschreckendes Beispie] angeführt und nach wie vor auf die angebliche innere Uneinigkeit des Volkes zurückgeführt, also als „Dolchstoß“ der „Heimatfront“ interpretiert. Darum ergehen 1939 auch immer wieder Mahnungen und Drohungen: „Wer sich daher jetzt an dieser Einigkeit und Einheit versündigt, hat nichts zu erwarten. als daß er als Feind der Nation vernichtet wird.“ (Ahrweiler Zeitung vom 5. Sept. 1939)
Gefordert wurde der restlose Einsatz jedes Mitglieds der „Volksgemeinschaft“. Die Schuld am Krieg schob man offiziell England zu. das als „Brandstifter“ angeprangen wurde.
Daß diese Propaganda griff, zeigen Eintragungen in den Schulchroniken, in denen diese Erklärung vielfach übernommen wurde. Es fällt auf, daß die Berichterstattung von den Kriegsschauplätzen zu Kriegsbeginn eine völlig untergeordnete Rolle in den Zeitungen spielte. Breiten Raum nehmen dagegen die Erklärung des Krieges aus nationalsozialistischer Sicht und die Aufrüstung der Kampfmoral an der „Heimatfront“ ein. Auf lokaler Ebene sind es vor allem Informationen über die anstehenden Maßnahmen. Aulklärung der Bevölkerung über das Verhalten im Krieg, die uns die Fülle der Veränderungen im Kriegsalltag vor Augen führen und uns ein anschauliches Bild dieser Zeit liefern.
Alltag im „Windschatten“ des Krieges
Im Zuge der Mobilmachung wurden Ende August Weltkriegsteilnehmer von 1914-1918 eingezogen. In Ahrweiler und Adenau mußten sich die Jahrgänge 1894-1897 zu Sicherungsmaßnahmen, Bewachung von Brücken und Straßen melden. Zusätzlich lief die Musterung jüngerer Jahrgänge an.
Die Einberufenen aus den Rheinonen wurden nach Sinzig kommandiert und von dort am 30. August 1939 in Richtung Koblenz weitergeleitet. Hierzu vermerkt der Lagebericht aus Niederbreisig: „Bei der Durchfahrt durch Niederbreisig haben einige Frauen durch hysterisches Schreien und Heulen sich unwürdig benommen.“
In der Erinnerung von Zeitzeugen ist der Kriegsbeginn vor allem als eine Zeit des Abschieds von Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn im Gedächtnis geblieben.
Nach der Kriegserklärung Frankreichs und Englands am 3. September 1939 rechnete man vor allem im Westen mit einem möglichen Luftkrieg. Hierauf war die Zivilbevölkerung durch Übungen und die ständige Wiederholung von Verhaltensmaßregeln bei Fliegeralarm vorbereitet worden. Aus den Verdunkelungsübungen der zurückliegenden Jahre wurde ab 2. September 1939 die Pflicht zum Verdunkeln. Alle Fenster mußten mit dunklem Papier beklebt oder mit einer speziellen Verdunkelungsblende abgedichtet werden, so daß von draußen kein Licht sichtbar war. Die Straßenbeleuchtung ging aus. Vorerst heulten die Sirenen noch zu Übungszwecken, es kam aber auch schon zu ersten Überflügen von Bombern. Diese Flugzeuge warfen allerdings vorerst lediglich Flugblätter ab. Angeblich zeigten diese Flugblätter, die abgeliefert werden mußten, keinerlei Wirkung.
Luftschutzmaßnahmen hatten auch im Viehstall zu erfolgen. Bei der Emrümpelung von Dachböden half die Hitlerjugend. Die allabendliche Verdunkelung wurde vom örtlichen Sicherheitsdienst kontrolliert. Im Schütze der Dunkelheit veranstalteten Jugendliche vielerorts Fahrradrennen und nutzten die Situation zu allerlei Unfug. Deshalb wurden alle Kinder und Jugendliche angewiesen, bei Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus zu verlassen. Verstöße gegen die Verdunkelungsvorschriften kamen in großer Zahl vor und rührten zu Mahnungen und bisweilen auch kleinen Geldstrafen.
Aus der Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (RGBL 1939. S. 15701.
Der Krieg zog die Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel, zahlreicher Gebrauchsgüter und Kleider nach sich. Die Ausgabe der Lebensmittelkarten organisierte das Anfang September 1939 bei der Kreisverwaltung Ahrweiler gebildete Kreisernährungsamt. Auch im ländlichen Raum hatten Hamsterkäufe von Lebensmitteln und Kleidern sowie Schuhe kurz vor Einführung der Zwangsbewirtschaftung begonnen. Obwohl es bei der Versorgung noch keine Engpässe gab, wurden erste Unmutsäußerungen registriert. Aus den Heilbädern Bad Neuenahr und Nieder-breisig reisten bei Kriegsbeginn zahlreiche Kurgäste panikartig ab. Der zivile Kurbetrieb wurde stark eingeschränkt. Kurhaus und Säle vorübergehend geschlossen. Die Wehrmacht beschlagnahmte am l. September das Maria-Hilf-Krankenhaus als Kriegslazarett. Die Patienten mußten das Haus verlassen und wurden zur weiteren Pflege in andere Krankenhäuser gebracht.
Auf die Pflege von Soldaten stellten sich auch die Krankenhäuser in Remagen und Adenau ein. Hotels in Remagen und Niederbreisig wurden ebenfalls zu Lazaretten umfunktioniert. Truppentransporte hatten auf der Bahn mit Kriegsbeginn Vorrang vor zivilem Verkehr. So folgten umfangreiche Fahrplaneinschränkungen. Tagelang beherrschten Ende August und im September Soldaten das Bild auf Bahn und Straßen.
Aufgrund der Kriegssituation verlängerten die Schulen die Ferien bis Mitte September, denn viele Schulräume waren mit Soldaten belegt.
Zur Finanzierung des Krieges wurde ab Einkommen von 2.500 Reichsmark pro Jahr ein Zuschlag von 50°/o auf die Einkommens- und Lohnsteuer erhoben. Auf Tabak, Zigarren, Zigaretten, Branntwein und Bier wurde ein Kriegszuschlag von 20 °/o berechnet. Lakonisch hieß es dazu in der Ahrweiler Zeitung vom 16. September 1939: „Wer von diesen entbehrlichen Gütern weniger verbraucht, nützt ohnehin seiner Gesundheit.“
Kram- und Viehmärkte durften vorerst u. a. in Adenau, Ahrweiler, Niederzissen und Niederbreisig nicht stattfinden. Alle „Tanzlustbarkeiten“ wurden verboten. Mehrere Winzerfeste an der Ahr fielen 1939 aus.
Sparen hieß fortan die Devise. So wurde beispielsweise auch zum sparsamen Umgang mit Seife aufgefordert.
In der Zeitung hieß es zum Sparen: „Wir werden freudig manchen Verzicht leisten, wenn wir dabei gewiß sind. daß Deutschlands innere Kraft unerschütterlich die Front an seinen Grenzen unterstützt.“ (Ahrweiler Zeitung vom 9. September 1939) Eheschließungen für Einberufene wurden erleichtert.
Schweigen propagierte das NS-Regime als wichtige Waffe im Krieg, um Parolen und Gerüchten vorzubeugen.
Den 50. Geburtstag von Heinrich Lersch (1889-1936), der am 18. Juni 1936 in Remagen gestorben war. würdigten die Ahrweiler und Sinziger Zeitung am 12. September 1939. Sie zitierten das Gedicht des Arbeiterdichters, mit dem dieser 1914 berühmt geworden war: ..Deutschland muß leben. und wenn wir sterben müssen.“
Von der NSDAP und ihren Gliederungen wurde zur Stärkung der „Heimatfront“ im September/Oktober 1939 im Kreisgebiet eine Versammlungswelle unter dem Motto „Der Sieg ist uns gewiß – Das Opfer der Gemeinschaft führt uns zum Erfolg“ durchgeführt. Zu Geldspenden forderte das erste Kriegs-Winterhilfswerk auf. Der „Kampf dem Verderb“, die Verwertung alle Lebensrnittel und Ausschöpfung aller Ressourcen, galt besonders während des Krieges. Jedes Stück Land sollte beackert oder in Gartenland umgewandelt werden. „In der heutigen Zeit ist es unverantwortlich, guten Ackerboden ungenutzt liegenzulassen, da auch das kleinste Stück zum Anbau von Feldfrüchten dienen soll und muß, um die Ernährung unseres Volkes sicherzustellen. Eine tiefe Wahrheit liegt in dem Won des Reichswirtschaftsministers: Auf unseren Äckern wird der Krieg gewonnen‘. Darum nutzt jedes Stück Land aus.“ So hieß es von der Grafschart in der Ahrweiler Zeitung vom 19. September 1939.
Mit Kriegsbeginn kamen Evakuierte aus dem Bereich des Westwalls auch in den Kreis Ahrweiler, weil wegen möglicher Kampfhandlungen dieses Gebiet fast vollständig geräumt wurde.
Die Abtei Maria Laach brachte ihr Klosterarchiv über den Rhein im Schloß Arenfels bei Hönningen in Sicherheit.
Einquartierungen
Da bei der Mobilmachung die Kasernen zur Unterbringung der Soldaten nicht ausreichten, wurden Wehrmachtsein-heiten auch im gesamten Kreisgebiet einquartiert. Sie waren in Orten am Rhein ebenso anzutreffen wie auf der Grafschaft im Bromtal und in der Eifel. Säle, Hotels, Schulen und Privatquartiere dienten der Unterbringung. In Niederbreisig war eine Sanitätskompanie, schwere Artillerie bei Sinzig, auf der Grafschaft und in Adenau. Die Schwestern des Adenauer Krankenhauses hielten in ihrer Chronik dazu fest: „Vor dem Marienhaus liegt bis in den Wald hinein schwere Artillerie unter deren Schutz wir uns sicher fühlen.“ Noch galt für den gesamten Kreis, was die Waldbreitbacher Schwestern in der Chronik der Adenauer Niederlassung vermerkten: „Von den Schrecken des Krieges merkt man kaum etwas im stillen Eifeltal.“ Vorboten des Luftkrieges waren aber die Flakstellungen in Sinzig, an der Ahrbrücke, an der Remagener Brücke, auf den Höhen von Ahrweiler und im Bereich Hohe Acht.
Zu den einquartierten Soldaten entwickelte sich vielfach ein freundschaftliches Verhältnis. Das Militär bot Abwechslung für jung und alt. Soldaten halfen bei der Arbeit, gaben von ihrer Verpflegung ab und nahmen am Familienleben teil. Nach der Truppenverlegung wurden vielfach Briefe gewechselt, ja, die ein oder andere Ehe bahnte sich an.
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit begann mit Kriegsanfang auch in unserer Region das letzte Kapitel der kleinen jüdischen Gemeinden. Sie hatten unter immer größeren Einschränkungen zu leiden, wurden schließlich in sogenannten „Judenhäusern“ zusammengefaßt und schließlich im Jahre 1942 deportiert.
Lagebericht aus Niederbreisig
Für die Geheime Staatspolizei in Koblenz mußten von den Ämtern im Kreis mit Kriegsbeginn Lage- und Stimmungsberichte angefertigt werden. Leider sind diese Berichte nur aus dem Amt Niederbreisig erhalten. Nachfolgend wird der Bericht über den September 1939 auszugweise wiedergegeben.
„1. Allgemeine Stimmung in der Bevölkerung: Zufriedenstellend, zuversichtlich.
Ende August, als die politische Spannung auf dem Höhepunkt war, war in der gesamten Bevölkerung eine starke Nervosität festzustellen. (…) Der besonnene und staatspolitisch wertvolle Bevölkerungsteil hat vom ersten Augenblick an blind auf den Führer und unser gutes Recht vertraut. Die zum Heer einberufenen älteren Jahrgänge sind mit ruhigem Ernst eingerückt, ein kleiner Teil nur hat so etwas wie Angst gezeigt. Teilweise waren die Einberufenen zuerst nach Sinzig kommandiert und wurden am 30.8. spät abends in Richtung Koblenz weitergeleitet. Bei der Durchfahrt durch Niederbreisig haben einige Frauen durch hysterisches Schreien und Heulen sich unwürdig benommen. (…)
Die ultimative Forderung Englands an Deutschland vom 3.9. und die Erklärung des Kriegszustandes wurde durchweg empört aufgenommen. Durch die am nächsten Tage erfolgte Kriegserklärung Frankreichs ist stimmungsmäßig eine neue Situation eingetreten: Alles reißt sich zusammen, nachdem jetzt Klarheit besteht was uns erwartete, die Haltung ist ernst, bestimmt und zuversichtlich. Das Vertrauen auf unsere Wehrmacht ist so groß. die Versicherung, daß wir wirtschaftlich durchholten, so überzeugend, daß allgemein die Absicht zu Tage tritt, sich einzuordnen. Erörtert wird, was in dieser Gegend vom Krieg unmittelbar zu spüren sein wird. Außer von Fliegern befürchtet man nicht allzuviel. der Westwall ist eine große Beruhigung. Von der Übererregung zur Sorglosigkeit war es nur ein Schritt: Die in den ersten Tagen ausgezeichnete Verdunkelung wurde bald schon lässiger durchgeführt, so daß mit Polizeistrafen vorgegangen werden mußte (die leider meist unter die Amnestie fielen).Die in Nachbarorten durchgeführten Fliegeralarme haben einesteils der Bevölkerung den Ernst der Lage vor Augen gefuhrt. andererseits zu oft fantastischen Erzählungen Anlaß gegeben. Unnötige Alarme stumpfen die Bevölkerung ah. deshalb sollten nur bei wirklicher Flieqergefahr die Sirenen in Tätigkeit treten.Der schnelle Siegeszug durch Polen ist eigentlich nicht mit der Bewunderung verfolgt worden, dessen er würdig gewesen wäre. Das mag zum Teil daran liegen, daß die Heeresberichte nicht immer den Stand der Operationen genau erkennen ließen und eingehende Schilderungen der Kampfhandlungen kaum zu lesen waren. (…)
Die zur Ausbildung als Ersatzfeuerwehr einberufenen Frauen sind mit Eifer bei der Sache. Die Stimmung unter den am 24. in Sinzig Gemusterten der Jahrgänge 1919/20 war sehr gut. (…) Etwa Mitte September kann man mit der Stimmung zufrieden sein. Begeisterung ist zwar nicht da, dafür ist der letzte Krieg noch zu sehr in Erinnerung. In den Rheinorten ist die Stimmung besser als im Hinterland. In Niederbreisig ist sie wohl am besten, da dort etwa 250 Mann Soldaten liegen, zu denen die Einwohner ein gutes Einvernehmen haben. Die Offiziere erklären, daß ihre Truppen hier ausgezeichnet aufgenommen und untergebracht seien. Die Anwesenheit von Militär hebt die Stimmung an sich schon.In der Nacht vom 24. zum 25.9. sind auch im hiesigen Amtsbezirk Flugzettel abgeworfen worden. Der Inhalt war so lächerlich, daß die Zettel das Gegenteil von dem erreichten, was beabsichtigt war. Auf diese Art von Propaganda fällt keiner herein, dazu ist keiner dumm genug. -Mittlerweile weiß jeder, daß England der Erzfeind Deutschlands ist und verhältnismäßig oft hört man, daß die Auseinandersetzung mit England kommen muß. Es sei schon besser, jetzt die Entscheidung zu bringen, damit wir Ruhe hätten. Sonst müßten wir in einigen Jahren doch wieder antreten und unter welchen Umständen, sei ungewiß.
Schwere Artillerie bei Sinzig im September 1939
2. Besondere Vorkommnisse (…)
Von der Gestapo wurden festgenommen: (nachfolgend werden sechs Personen genannt) 3 Verfahren wurden anhängig gemacht wegen staatsfeindlicher oder zersetzender Äußerungen.
3. Aufnahme der grundsätzlichen Maßnahmen der Reichsregierung durch die Bevölkerung:
Die Bevölkerung hat die Einsicht, daß die Maßnahmen notwendig sind und fügt sich. Wo die Einsicht fehlt, wagt trotzdem keiner zu kritisieren.
4. Besondere Feststellungen anläßlich der Durchführung der Räumungsaktion (…)
Hier wurden die sich bereits niedergelassenen Flüchtlinge in die Durchgangslager verwiesen. Es ist aber nicht in allen Fällen möglich, sie zwangsweise zu entfernen, da sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und teilweise ärztliche Atteste beibrinqen, daß sie krank sind und hier küren wollen. Vielfach hört man auch sagen, daß in den zu räumenden Dörfern oder andere nur wenig weitere Leute sich ungehindert auflialten, also viel näher der Grenze als hier.
5. Wie ist die Einrührung der Bezugsscheine aufgenommen worden? Welche negativen Feststellungen wurden dabei getroffen?
In erster Linie trachtet hier die weibliche Bevölkerung in den Besitz der verschiedenen Bezugscheine zu kommen, um sich mit Gegenständen, vor allem Kleidung, für den Winter zu versorgen. Die Leute empfinden die durch die Einführung der Lebensmittelkarten und Bezugscheine geschaffene besondere Lage als einengend. insbesondere weil sie noch im Besitze von kleineren Vorräten von einzelnen Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgegenständen des täglichen Lebens sind. Fette, Seife und Waschmittel werden als nicht genügend bezeichnet.
Bei Kleidung, Wäsche und Schuhen fällt die große Kaufwut auf. Obschon unbedenklich die Bedürfniserklärung abgegeben wird, steht doch fest. daß mehr vorhanden ist als versichert wird. Die bessergestellten Kreise geben dabei ein schlechtes Beispiel. Von der Landbevölkerung kann man annehmen, daß sie nicht mehr kauft, als sie nötig hat.
6. Wie wurde das Verbot des Abhörens ausländischer Sender aufgenommen?
Wird gutgeheißen, weil bekannt ist. daß die ausländischen Sender nur gegen Deutschland hetzen und durch ihre in den Dienst der feindlichen Propaganda gestellte Tätigkeit den Widerstandswillen brechen wollen. Trotz des strengen Verbots wird es aber noch Leute geben, die ausländische Sender unbemerkt hören.“ (Lagebericht vom September 1939).
Zeitzeugen
Befragt man heute Zeitzeugen. die die Ereignisse im September 1939 bewußt erlebt haben, so erinnern sich die meisten an viele Details, denn der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bedeutete ein Zäsur in ihrem Leben. Vielen ist der Ort und die Situation, in der sie vom Kriegsausbruch erfuhren, noch genau erinnerlich. Es war für sie eine Zeit großer Aufregungen, bangen Wartens auf Post von Angehörigen und vieler tränenreicher Abschiedszenen.
Vor allem damalige Kinder erzählen von der schulfreien Zeit wegen Einquartierungen und weil Lehrer eingezogen wurden.
Für viele bedeutete der Krieg das Ende ihrer Kindheit, weil sie nunmehr verstärkt Arbeiten von Erwachsenen übernehmen mußten. Auch die Dienste in der Hitlerjugend nahmen jelzt zu.
Übereinstimmend stellen Zeitzeugen fest. daß es anfangs keinerlei Kriegsbegeisterung gab. Erst mit den Erfolgsmeldungen und dem Sieg in Polen nahm die Begeisterung zu.
Kriegsverluste
Am ersten Tag des Krieges fiel beim Einsatz in Polen bereits ein Soldat aus Sinzig. Er wurde in seine Heimatstadt überführt und dort unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, der Partei und der Verbände bestattet.
Die Nachrichten über Gefallene. die nach der damaligen Sprachregelung auf dem Feld der Ehre für Führer. Volk und Vaterland ihr Leben geopfert hatten, sollten nicht mehr abreißen. Von 1939 bis 1945 waren aus dem Kreis Ahrweiler, der damals rund 67000 Einwohner zählte, rund 3 500 Tote zu beklagen.
Quellen und Literatur:
- Die Ausführungen besaieren in der Hauptsache auf der Auswertung der Ahrwiler Zeitung Jahrgang 1939 (Mikrofilm im Krreisarchiv); Lagebericht des Amtes Niederbreisig (Kreisarchiv); Kopien von verschiedenen Schulchroniken; Unterlagen des Klosterarchivs Waldbreitbach 8Sammlung im Kreisarchiv) und Zeitzeugenaussagen (Aufzeichnungen im Kreisarchiv).
- Janta, Leonhard: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz. Bad Neuenahr-Ahrweiler 19888. Studien zu Vergangenheit und Gegenwart. Band 2, siehe besonders S. 273 ff.
- Kleinpass, Hans: Sinzig von 1815 bis zur Gebietsreform 1969: In: Sinzig und seine Stadtteile gestern und heute, Sinzig 1983. S. 156-329.
- Prothmann, Ottmar (Bearb.): Chronik der Bürgermeisterei Gelsdorf 1858-1940.
- Meinerzhagen 19888. (Band 2 der Veröffentlichungen zur Geschichte der Grafschaft)
- Prothmann, Ottmar (Bearb.): Chronik von Nierendorf 1876-1975. Nierendorf 1998.
- Schmalz, Heinz: Es begann vor 50 Jahren. Sinziger Kriegsdaten 1939-1945. Sinzig 1985 (Kopie im Kreisarchiv)