„…als der Gehörnte einmal hinter dem Jüppche stand!“
„ . . . als der Gehörnte einmal hinter dem Jüppche stand!“
Friedhelm Schnitker
Erntezeit war’s in unserem Dorf. Die Dreschmaschinen sangen ihr monotones Lied. Wagen um Wagen, pferdegezogen und hoch mit Getreidegarben beladen, schwankten und schaukelten zum Dreschplatz.
Heiß war’s und staubig, und alle warteten mit Sehnsuchtauf den Feierabend. Nach dem staubigen Alltagsgeschäft hatten sich Bauer, Knechte und Helfer im Hof niedergelassen, und die Krüge mit kühlem „Viez“ und „Appeltrank“ kreisten in der Runde; manche Geschichte und manches Geschichtchen begleiteten die Krüge in diesen Runden.
Jüppchen hockte auf einem prall gefüllten Kornsack. Klein von Gestalt, aber vom rumorenden „Viez“ zu hohem Mut getragen, lachte er über die bösen Hexen und wilden Geister und das ganze umtriebsame Volk schauriger Geschichten, deren Wahrheitsgehalt immer wieder beschworen wurde. Nur eben diesem kleinen Jupp, diesem Jüppchen, ihm gruselte es eben nicht. Aber! Aber! Es tuschelte und rumorte, es knisterte und trappte. Scheinbar ängstlich schauten alle in die Runde, und auch unser Jäppchen, der sich doch so groß wähne, schien noch kleiner zu werden. „De deuwel, denn jit et doch janet!“
Martin, Bub und Karl zogen Jüppchen zu sich, während Walter, in die Finsternis des kaum erhallten Hofes eintauchend, völlig verschwand. Die Burschen drehten Jüppchen Richtung Hoftor; meinten, es stinke doch sehr aus eben dieser Richtung, gar grauslich und gräßlich. Und wie von einem genialen Spielleiter eingebracht, ertönte der Ruf eines Käuzchens. Oder war es nicht doch der vielleicht eines kauzigen Menschenvogels?
Jüppchen jedenfalls fühlte wachsendes Unbehagen; dunkle Furcht befiel ihn; Angstschweiß trat auf seine Stirn; währenddessen hielten die Burschen, die so tapferen, unser Jüppchen, Richtung Hoftor gewendet, an seinem Hemd fest. Plötzlich erst leise, dann lauter, erst unregelmäßig, dann regelmäßiger ein Scharren und Scheuern von Füßen. „Do kütt e! Dräh dech net öm! Mie sen bei die!“ Jüppchen spürte plötzlich heißen Atem im Genick. Zu seinem Entsetzen fühlte er in seinem Rücken einen gehörnten Hintermann, dessen scheinbar riesiger Kopf sich schleimig an ihm rieb.
„Dat es e! Loht mech loss“ Ech wel noch lewe!“ Ein Raufen, ein Reißen, ein Rennen – Jüppchen stiebt davon, ein schauriges, höllisches Gelächter und Gejohle tönt hinter ihm her. Erst gegen Morgen schleicht ein verstörtes Jüppchen heimwärts, dabei, nach allen Seiten sichernd, seine Schlafstatt sehnlichst suchend. Endlich sinkt er ermattet auf sein Lager und fällt in unruhigen, wenig erholsamen Schlaf. Erst am nächsten Morgen, gestärkt mit heißem Kaffee und ein paar „decke Botteramme“, eröffnet ihm, behutsam und einfühlsam, „et Mathilde“, die Bäuerin, das Geheimnis des Gehörnten. Noch lange Zeit danach sah man Jüppchen, an der Seite eines riesigen Ochsens, seines „Andreas“ dorfaus-wärts zu den Feldern ziehen.
Und manch einer will Jüppchen gehört haben, wie er seinem „Andreas“, ihn vorwurfsvoll von der Seite anschauend, zugemurmelt habe: „Dau woes dat! Dau ahle Kommedemäche! Bes dau awa fies!“ Und „Andreas“ soll mehrfach mit seinem riesigen Kopf genickt haben, so wollen es andere gesehen haben.