Ahrtaler Spezialitäten
Ahrtaler Spezialitäten
Hans Warnecke
Vielfältige Speisekarte
Wer heute im Ahrtal einkehrt, um allein oder mit anderen zu Mittag oder Abend zu essen, bekommt in manchen Häusern eine Speisekarte vorgelegt, die auf die kulinarischen Besonderheiten dieser Landschaft hinweist. Da kann einem schon vor dem ersten Bissen das Wasser im Mund zusammenlaufen, wenn man liest, daß die Küche eine Kesselinger Kartoffelsuppe mit Speck und Schmand auf dem Ofen hat, daß ein Eifeler Lammsattel in der Kräuterkruste gegart wird, daß als Vorspeisen Ahrtaler Rauchfleisch oder ein Ahrtaler Kräutersüppchen mit Creme fraiche empfohlen werden oder man sich für ein Ahrtalmenü mit vier Gängen entscheiden kann, bei dem eine Ahrweincreme den Abschluß bildet. Noch näher ans Ahrtal führen dann die Köstlichkeiten, die sich direkt auf den Winzer beziehen: Der Winzerschmaus mit Schnitzel und Kräuterrührei an frischen Salaten und Krusteln oder der Ahrweiler Winzerteller mit drei Schweinemedaillons und Rahmchampignons, Sauce Bernaise, Speckböhnchen, Grilltomate und Mandelhütchen. Und auch die deftige „Bunneflöpp“ (Bohnensuppe) mit gebratener Blutwurst wird als Feinschmeckeressen auf den Karten geführt. Bei derartigen Angeboten muß der Eindruck entstehen, daß die Küchenchefs bei ihren Kreationen auf Rezepte zurückgegriffen haben, die sich in langer Tradition im Ahrtal herausgebildet haben und so bis heute etwas von der früher hier entwickelten Küche widerspiegeln. Die Speisekarte wäre dann auch für das Ahrtal so etwas wie ein Gang in die Vergangenheit, wie er auch in ändern Gegenden Deutschlands mit ihren typischen Gerichten mit der Zunge und dem Gaumen erlebt werden kann. Doch leider zeigen die historischen Überlieferungen, daß das Essen im Ahrtal in früheren Zeiten weder die Vielfalt der Gerichte noch die heute erwähnten Zutaten beim Herstellen der Speisen gekannt hat.
Obwohl bis in den Schulunterricht hinein und in Vorträgen und Veröffentlichungen immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Ahrtal in seiner Schönheit entdeckt wurde, und auch danach die bis dahin in dieser kargen Gegend erlebte Armut den Alltag und eben auch das Essen bestimmt hat, ist dieses Wissen für uns heute nur schwer zu konkretisieren. Es soll deshalb an zwei historischen Beispielen gezeigt werden, wie früher im Ahrtal gegessen wurde.
Speisen der Tagelöhner 1676
Im Jahr 1676 hat der Jesuit Wilhelm Holler über die seinem Orden gehörenden Wadenheimer Weinberge einen ausführlichen Bericht geschrieben, den Hans Frick in seinen „Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr (Wadenheim/ Beul/Hemmessen)“ im Selbstverlag der Gemeinde Bad Neuenahr 1933 vorgelegt hat (Reprint 1991 von der Wadenheimer Bürgergesellschaft herausgegeben), und in dem es auf Seite 429f heißt:
„In dieser Zeit (Mai) ruhen sie (die Tagelöhner) zu Mittag eine Stunde. Um 5 Uhr muß man ihnen Käse und Brot in den Wingert bringen. Dabei essen sie auch eine halbe oder 3/4 Stunde. Von diesen beiden Stücken ist man vor dem 1. Mai befreit. Man hat also fleißig darauf zu achten, daß vor Mai die Arbeit fertig ist. Die Speisen für die Arbeiter sind: Morgens ein Haferbrei und Beerenkraut oder Butter und fauler Käs, davon 2 Stück beisammen. Mittags ein warmer Imbiß (erbisen waremt) mit Löffeln zu essen und Mus oder Bohnen mit etwas Käs oder Beerenkraut. Abends Tresterwein (Leur=-Nachwein) oder ein Hafen Warmes aus Weinhefe, Erbsen oder Mus oder Rüben, Bohnen usw. und Käs oder Butter; nach Möglichkeit bis man 1 -2 mal wöchentlich abends Fleisch, sonst Sonntags mittags. Es haben alle Arbeiter, die die Woche hindurch gearbeitet haben, am Sonn-und Feiertag zu Mittag freie Kost. In der Fastenzeit gibt man jedem einen Hering, der des Morgens aus der Tonne genommen, ausgewaschen und bis zum Abend gewässert und alsdann gesotten wird. Davon ist die Brühe auch für die Suppe zu gebrauchen; Mittags gibt man keinen Hering; denn sie trinken zu viel darauf. Ihr Trank ist jahraus jahrein Wasser oder, wenns viel ist, Sauerwasser oder Brunnen… dazu haben wir etwa 30 Morgen Land – die Trierer Herren haben das nicht – darauf können wir, falls wir kein ausgesprochenes Mißwachsjahr haben, 100 Malter Frucht, und zwar Weizen, Korn, Gerste, Erbsen, Bohnen, Rübsamen, aber kein Hafer -dafür ist das Land zu gut – ernten, ohne die Sommerfrüchte wie Kappes, Rüben, Mohren, Wicken, Linsen, die für die Arbeiter gebraucht werden und die Baumfrüchte wie Äpfel, Birnen, Nüsse und Hopfen, die auch fürs Kollegium nützlich sind.“
Der letzte Satz zeigt deutlich, daß im Jesuitenkolleg – an das der Name der heutigen Jesuitenstraße in Bad Neuenahr noch erinnert – anders gegessen wurde als bei den Tagelöhnern. Aber auch dort waren die Grundnahrungsmittel denen der Arbeiter vergleichbar, wobei allerdings Fleisch und Flußfische häufiger zum Speiseplan gehörten. Für Reiche und Arme aber gab es, wie die Auflistung von Wilhelm Holler zeigt, am Ende des 17. Jahrhunderts zwar genug zu essen, doch wird man zugeben müssen, daß die Mahlzeiten der zum Frondienst verpflichteten Lehnsleute im wahrsten Sinne des Wortes eine einfache Kost waren. Obwohl der Jesuit im gleichen Bericht mitteilt, daß die Lehnsleute „durch Krieg, Armut, Schelmerei, Faulheit und Eigennutz lügenhaft und betrügerisch geworden sind, tobaken, trinken und fressen,“ und er damit an Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges erinnert, so spielt zwar der Tabak inzwischen eine Rolle, nicht aber die Kartoffel.
Ernährungslage im 19. Jahrhundert
Hundert Jahre später hat sich das nicht nur in Preußen geändert, sondern auch im Ahrtal. Die Kartoffel wurde zur Ernährungsgrundlage gerade der ärmeren Bevölkerungsschichten. Ignaz Görtz hat in seinem Beitrag „Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ersten Weltkrieg (1794-1914)“ darauf hingewiesen, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Kartoffel im Ahrtal so verbreitet war, daß die durch die „Kartoffelkrankheit“ ausgelöste Hungersnot in den nachfolgenden Jahren 1843-1845 zu einer Auswanderungswelle nach Amerika führte (S. 143). Und noch 20 Jahre später stellte der Ahrweiler Landrat Rudolf von Groote fest (zitiert bei l. Görtz a.a.O.): „Die Hauptbestandteile der täglichen Nahrung bilden Kartoffeln, Roggenbrot und Kaffee mit Cichorien vermischt. Kartoffeln werden fast täglich mittags und abends genossen, und in der Eifel auch häufig durch Rüben und Erdkohlrabi ersetzt… Wo möglich werden dabei eine oder zwei Ziegen, zuweilen eine Kuh gehalten, für welche dann das Futter auf jede mögliche Weise zusammengesucht wird. Fleisch ist ein Ausnahmegericht.“
Eine Ahrtaler Spezialität. . .
Wer also heute vor einem Winzerteller sitzt und den Duftder Schweinemedaillons einatmet, oder bei einem Winzerschmaus das Schnitzel mit dem Messer zerschneidet, der wird das in Erinnerung daran, daß „Fleisch ein Ausnahmegericht“ für die hiesige Bevölkerung gewesen ist, nicht mit schlechtem Gewissen tun, weil kein Winzer solche Freuden kennt. Das hat sich zum Glück von Grund auf geändert. Die Gastronomie des Ahrtals ist nicht schlecht beraten gewesen, als sie sich auf die Zubereitung von Ahrtaler Spezialitäten eingelassen hat. Überall im Ahrtal laden die Speisenkarten dazu ein, die heimischen Produkte in den erprobten Rezepten der hiesigen Köche zusammen mit den Ahrweinen sich munden zu lassen. Nur kann man dabei nicht ohne weiteres an die Küchentradition der Vergangenheit anknüpfen, weil mehr die Armut und der Mangel den Alltag und den Speiseplan bestimmt haben als die Kunst des gehaltvollen Zubereitens gebratener und gesottener Köstlichkeiten. Es waren die Not und der Hunger, die im vorigen Jahrhundert Tausende aus dem Ahrtal und der Eifel nach Amerika auswandern ließen. (Vgl. l. Görtz a.a.O.). Wenn wir heute uns an den Ahrtaler Spezialitäten erfreuen, so sollte die Erinnerung daran, daß es bei früheren Generationen in dieser Landschaft völlig anders war, nicht ganz untergehen.
Literatur:
Landkreis Ahrweiler (Hrsg.): Der Kreis Ahrweiler Im Wandel der Zeit. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1993.