Adenauers Zuflucht in Maria Laach
Harry Lerch
Er brauchte keine Titelanrede wie „Eminenz“, zu bemühen, er schreibt einfach aus Berlin einen Brief an den Abt lldefons Herwegen von Maria Laach und beginnt ihn so, als hätten sie miteinander auf der Schulbank gesessen: „Lieber Herwegen!“
Das ist sogar der Fall. Sie besuchten gemeinsam das Kölner Apostelgymnasium, und Konrad Adenauer weiß sich dessen im rechten Augenblick zu erinnern, seit er in Köln als Oberbürgermeister abgesetzt ist und sein Amt als Präsident des Preußischen Staatsrates nur noch eine Dauer von Minuten hat. Das ist sein Brief aus Berlin an den Abt, datiert vom 14. April 1933:
„Lieber Herwegen! Heute komme Ich mit einer großen Bitte zu Dir. Von den verschiedensten Seiten, auch von amtlichen Stellen, wird mir dringend abgeraten, schon letzt nach Köln zurückzukehren, ich sei dort vor Insulten nicht sicher. Andererseits muB ich die Wohnung des Staatsratspräsidenten hier in Berlin, in der Ich mich seit dem 13. 3. aufhalte, spätestens am 26. ds. für meinen Nachfolger räumen.
Würdest Du mir nun vom 25. oder 26. 4. für 1—2 Monate Aufenthalt in Deinem Kloster gewähren können? Ich hätte dort die Stille, insbesondere auch die geistige Atmosphäre, deren ich zu meiner körperlichen und seelischen Erholung nach dem, was ich habe durchmachen müssen, dringend bedarf, und ich bin andererseits nicht zu weit von Köln fort. Ich habe keine besonderen Bedürfnisse, nur den einen Wunsch nach Stille. Darum möchte ich auch gern die Mahlzeiten auf meinem Zimmer einnehmen … Selbstverständlich würde ich Wert darauf legen, Euch keine Kosten zu machen, und ebenso selbstverständlich ist, daß ich Dir persönlich nicht zur Last fallen werde …“
Abt lldefons Herwegen antwortet postwendend:
„Lieber Adenauer! Es ist mir eine aufrichtige Freude, Dir unsere Gastfreundschaft anbieten zu können, und ich lade Dich herzlich ein, einige Zeit bei uns zuzubringen, um Dich in der Stille wieder zu sammeln und zu beruhigen. Du kannst jederzeit kommen. Da ich in dieser Woche zu Einkleidungen und Entgegennahme von Professen In mehreren Frauenklöstern tätig bin, bitte ich Dich, Deine Ankunft hier dem Gastpater Johannes mitzuteilen. Es wird alles für Dich bereit sein. Ich habe P. Prior von Deiner bevorstehenden Ankunft unterrichtet. Du kannst Dich hier nach Wunsch In allem einrichten. In der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen
Dein getreuer Herwegen.“
Man sieht: Adenauer hat stets die richtigen Feinde, aber immer auch die richtigen Freunde zur Verfügung — wie jenen jüdischen Bankier D. N. Heinemann, der aus Brüssel nach Berlin kommt, Adenauer 10000 Mark bar in die Hand gibt und nicht einmal einen Schuldschein haben will. Adenauer kann’s gebrauchen, denn — als Kölner Oberbürgermeister entlassen — bekommt er kein Geld mehr, und seine Bank .darf ihm keine Mark geben. Das Konto Ist gesperrt. Frau Adenauer ist mit den Kindern im Krankenhaus Hohenlind untergekommen.
Eine Radierung aus dieser Zeit, als der abgesetzte Kölner Oberbürgermeister und Präsident des Preußischen Staatsrates, Konrad Adenauer ohne Obdach ist. Da gewahrt ihm Maria Laach die Zuflucht. Dies ist die Radierung von Bruder Notker, einem der vielen Künstler, die in Maria Laach lebten und leben. Die Idylle der Landschaft kann Adenauer als Wohltat empfinden, aber die große Bedrohung geht mit ihm, auch in Maria Laach. Repro: Kreisbildstelle
Der Pater Prior von Maria Laach, Dr. Emmanuel von Severus, hat mir über den Tisch des Besuchszimmers diesen Brief gereicht, in dem zu lesen ist, wie der Verfasser von der Kälte der Gefahr umweht ist. Ins Gespräch kommt auch der berühmt gewordene „Verbrecherbrief“ des kommissarisch eingesetzten Kölner Bürgermeisters Riesen, der Adenauer „der tollsten Verschwendung und der ungeheuerlichsten Korruptionsvorkommnisse“ bezichtigt.
Was tut ein Mann wie Adenauer in einem Kloster? Ein Mann, der Köln umgekrempelt hat und ihm die grüne Stirnbinde des Ringgürtels gab? Ein Mann, der unbemerkt als Präsident des Preußischen Staatsrates Zügel in der Hand hielt und sie einmal links, einmal rechts zucken ließ? Das Ehepaar Adenauer verläßt Berlin. Und es geschieht, daß er um Köln auf einmal einen weiten Bogen machen muß. Um sein Köln! Am Bahnhof Neuß ist hilfreiche Hand da — wieder einmal die eines Bankiers, des Pferdmenges, und sei es diesmal auch nur sein Auto, das sie nach Maria Laach bringt. Der Frühnebel leuchtet über der Abtei, als sie eintreffen. Es ist Abschied. Als Adenauer an der Klosterpforte läutet, weiß er nicht, daß er ein volles Jahr bleiben muß. Was tut ein Mann seiner Aktivität in einem Kloster? Der Bibliothekar leiht ihm Bücher aus. Er liest und liest in der Zelle des Abtes, die ihm angewiesen ist. Pater Prior reicht mir das Foto.
Zweieinhalb Jahrzehnte später. Konrad Adenauer ist Bundeskanzler. Aber die Erinnerung und die Dankbarkeit an Maria Laach sind geblieben.
Foto: Vollrath
„Zelle“ ist ein wenig untertrieben, es ist ein Raum von einigermaßen räumlicher Weite, in dem der freiwillig-unfreiwillig verbannte Gast auf- und abgehen kann in Ruhelosigkeit wie der Panther hinter den Stäben.
Adenauer liest Biographien, insbesondere römischte Geschichte — ja zum Erstaunen ist auf den Ausleihkarten auch Rembrandt verzeichnet. Vielleicht bringt ihn ein behutsam geführtes Gespräch darauf, sich mit den päpstlichen Enzykliken „Rerum nova-rum“ und „Quadragesimo anno“ Plus XI. zu befassen.
Wer im Kloster wohnt, geht auch in die Kirche, zumal sie ja im Hause ist. Adenauer hat seinen uneinsehbaren Platz auf der Orgelbühne. Der Abt steht unverbrüchlich zu ihm, doch einmal nur darf Frau Adenauer ihren Mann im Besuchszimmer sprechen, dann rät er, Spaziergänge draußen seien gefahrloser. Und da wandert das einstige Kölner Oberbürgermeisterehepaar weit durch die Eifel, aus dem Dom romanischer Steine in den grünen Dom der Wälder.
In seiner Manteltasche hat Adenauer einen schmalen Schlüssel. Der öffnet ihm nicht die offizielle Pforte, sondern eine schmale Tür an der rückseitigen Front bei den Wirtschaftsgebäuden. Ein Durchlaß nur, zur Rückkehr bestimmt und verpflichtend. Schließlich wüßte Adenauer gar nicht wohin, denn im Sommer 1933 setzt Göring ihn endgültig ab, Adenauer darf Köln nicht mehr betreten.
Köln, sein Köln! Sein Biograph Paul Weymar berichtet von einem Gespräch mit Pater Paul Adenauer. Dabei erinnert sich der Sohn, wie Adenauer den damals Zehnjährigen im Wald an einer Lichtung plötzlich anhielt, mit der Hand über die Wälder zeigte und sagte: „In dieser Richtung liegt Köln.“
Es bleibt nicht aus, daß solche Gastlichkeit beide einander verpflichtet hat: die Benediktinerabtei Maria Laach und Konrad Adenauer. Als er Bundeskanzler ist, stiftet er ein Fenster über dem Westchor, und die Mönche von Maria Laach bringen ihm Jahr um Jahr den größten Lachs des Laacher Sees zu Weihnachten in den Zennigsweg zu Rhöndorf — solange er lebt.
Der Pater Prior schließt die große Mappe von Dokumenten, die auf die Abtei und Adenauer so lebendigen Bezug haben. Es bleiben für uns ein paar Augenblicke der Stille. Es war ein Jahr, ein langes Jahr, das Adenauer hierblieb. Ein Jahr nur von dreiundneunzig Jahren, aber für ihn war es Aufschub, bis dann doch die Gestapo kam.