Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach

VON P. DR. EMMANUEL V. SEVERUS OSB

Als Bischof Michael Felix Korum von Trier (1881 bis 1921) am 6. Juli 1913 in Maria Laach eintraf, um dem wenige Tage vorher zum Abt gewählten P. Ildefons Herwegen am 7. Juli die Abtsweihe zu erteilen, sagte er: „Sie sind der erste Abt des neuen Maria Laach.“ Er meinte damit zunächst die Tatsache, daß nun zum ersten Male ein Abt gewählt worden war, der seit dem Bestehen der neuen Klostergemeinschaft seit 1892 aus dieser selbst hervorgegangen war und nicht aus dem Konvent der Erzabtei Beuron. Er hatte aber auch insofern recht, als nun nach dem Westfalen W. Benzler (1893 bis 1901, dann Bischof von Metz) und dem Badener Freiherrn F. von Stotzingen (1901 bis 1913, dann Abt-Primas des Benediktinerordens) erstmals ein Rheinländer Abt des 1892 wiederbesiedelten Klosters geworden war. In einem Heimatbuch verdient diese Tatsache um so mehr erwähnt zu werden, als rheinische Gemütsart und Beweglichkeit die große und feinsinnige Persönlichkeit des Abtes Herwegen sein Leben lang kennzeichneten. In Junkersdorf bei Köln am 27. November 1874 geboren, besuchte er die Grundschule in Lindenthal, wo heute auch eine Straße seinen Namen trägt, später das Apostelgymnasium in Köln, wo Konrad Adenauer sein Mitschüler war, und schließlich das Gymnasium der Benediktiner im steirischen Seckau. Schon dort entschloß er sich bewußt für den Eintritt in das 1892 wiederbesiedelte Maria Laach, wo er 1894 sein Noviziat begann.

Foto: Klosterarchiv Abt Ildefons Herwegen

Der hervorragend begabte junge P. Ildefons Herwegen, der nach seiner philosophischtheologischen Ausbildung noch in Bonn ein erfolgreiches Zweitstudium bei den Historikern H. Schrörs, A. Schulte, W. Levison und dem Rechtshistoriker U. Stutz vollenden konnte, wurde als Abt in einer äußerst schweren Zeit für die rheinische Grenzprovinz und über sie hinaus auf vielen Gebieten bekannt, die auf wenigen Seiten nicht leicht zu schildern sind: Die Generation der Alten in den Gemeinden der Pellenz und des Brohltales verbindet mit seinem Namen noch die Erinnerung an die Kaiserbesuche in Maria Laach. Wenn Abt Herwegen während des Ersten Weltkrieges und danach noch oft „Freund des Kaisers“ genannt wurde, so machte er doch nie ein Hehl daraus, daß ihm die Beziehungen zum kaiserlichen Hause zunächst schon von seinen Vorgängern überliefert worden seien. Wenn sie sich im einzelnen noch vertieften, so war dies vor allem den Anliegen zu verdanken, mit denen er im Auftrag des damaligen Nuntius E. Pacelli schon während des Krieges und nach dessen Ende zu Wilhelm II. ins Große Hauptquartier und später ins holländische Exil reisen mußte. Wenn Abt Herwegen in diesem Zusammenhang und vor allem in der Weimarer Zeit als konservativ galt, so ist dies ohne Zweifel richtig, doch sollte man darüber nicht vergessen, daß diese Kennzeichnung für ihn keineswegs eine blinde Verehrung der Vergangenheit und der Tradition bedeutete. Er blickte zu tief in den Zusammenhang des geschichtlichen Werdens und seiner Folgen in der Gegenwart, und seine Persönlichkeit ist zu groß, um mit Stich- und Schlagworten etti-ketiert zu werden. Wenn Abt Ildefons Tradition und geschichtliche Überlieferung schätzte, dann vor allem auch deshalb, weil er ihre Kräfte zur Hilfe für die Menschen nach dem Zusammenbruch von 1918 und im Suchen und Ringen der neuen Zeit einsetzen wollte. Ähnliches gilt, wenn man Abt Ildefons als monarchistisch gesinnten und national empfindenden Repräsentanten der Kirche wertet.

Es ist sicher wahr, daß diese Denkart ihn auch die Gefahr des Nationalsozialismus nicht auf den ersten Blick durchschauen ließ. Aber bereits im März 1934 erklärte er gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen: „Wir werden von Verbrechern regiert“; und als er am 2. September 1934 in der Basilika von Maria Laach zu den dort versammelten St.-Sebastianus-Schützenbruderschaften sprach, erklärte er: „Den Glauben zu hegen und zu pflegen ist für uns heute mehr denn je gegenüber einem heftigen Ansturm wider unsere heilige katholische Kirche Pflicht geworden“; und nach einigen Worten über die Verwurzelung der Schützenbruderschaften in der Heimat sagte er: „Das alles wurzelt für uns in unserem heiligen katholischen Glauben, dem wir bis zum Tode treu ergeben sind“ und „Keine Macht der Welt kann uns die ungeheure Verantwortung abnehmen, die uns angesichts der Ewigkeit auferlegt ist“*). Es ist sicher gut, sich neben den allgemein bekannten Tatsachen, wie etwa der dem aus Köln verjagten K. Adenauer von März 1933 bis April 1944 gewährten Gastfreundschaft, sich auch solcher Fakten zu erinnern. Wenn Abt Herwegen durch Äußerungen gewisser Politiker, wie des Reichskanzlers F. von Papen und durch das von diesem als beauftragten Hitlers unterzeichneten Reichskonkoradat sich täuschen ließ, so hatte er später um so mehr unter der Entwicklung der Lage zu leiden. Es waren nicht nur die wiederholten Verhöre der Geheimen Staatspolizei, die ihn bedrückten, sondern Anfang des Jahres 1935 schien auch erstmals sein Leben bedroht. Er übergab darum seinem Stellvertreter am 24. Januar 1935 eine Aktennotiz, die für spätere Zeiten festhalten sollte, warum er, dem Rate treuer Freunde folgend, für einige Zeit in die Schweiz floh, und den üblichen böswilligen Gerüchten vorbeugen wollte. Darin hieß es: „Die Aktion soll wegen Landesverrat erfolgen und es sollen außer katholischen auch protestantische höhere Geistliche erschossen werden. Daß ich mein ganzes Leben lang mein deutsches Vaterland geliebt habe, und daß ich besonders seit meiner Amtstätigkeit als Abt mich stets und unter allen Umständen auch unter schweren Angriffen, für das Wohl von Land und Volk eingesetzt habe, weiß jeder, der mich kennt… Ich würde nicht, auch nicht für einen Tag ins Ausland flüchten, wenn ich mit einem gerichtlichen Verhör, bei dem ich auf die Anklage zu antworten Gelegenheit hätte, rechnen könnte.“

Dabei ist zu bedenken, daß die Heimatliebe des Abtes von Laach keineswegs nur auf „höheren“ Ebenen tätig war – die Rede an die Schützen zeigte, daß sein Herz auch stets mit den einfachen Menschen der Dorfgemeinden um Maria Laach empfand. Jahrzehnte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fuhren vor Weihnachten schwer beladene Wagen der Laacher Gutsverwaltung in die Nachbargemeinden, um alten und kranken Menschen in der bitteren Not nach Verlust der Ersparnisse nach dem Ersten Weltkrieg und dem grotesken Währungsverfall der großen Inflation Gaben zu bringen. Dem damals noch sehr jungen Schreiber dieser Zeilen ist es unvergeßlich, als ihm 1929 nach einem Todesfall im Kloster entgegen seinen Vorstellungen der gütige Abt sagte: „Selbstverständlich begleiten Sie morgen trotz Requiem und Begräbnis unseren Wagen nach Obermendig und Ettringen neben den allgemein bekannten Tatsachen, wie etwa der dem aus Köln verjagten K. Adenauer von März 1933 bis April 1944 gewährten Gastfreundschaft, sich auch solcher Fakten zu erinnern. Wenn Abt Herwegen durch Äußerungen gewisser Politiker, wie des Reichskanzlers F. von Papen und durch das von diesem als beauftragten Hitlers unterzeichneten Reichskonkoradat sich täuschen ließ, so hatte er später um so mehr unter der Entwicklung der Lage zu leiden. Es waren nicht nur die wiederholten Verhöre der Geheimen Staatspolizei, die ihn bedrückten, sondern Anfang des Jahres 1935 schien auch erstmals sein Leben bedroht. Er übergab darum seinem Stellvertreter am 24. Januar 1935 eine Aktennotiz, die für spätere Zeiten festhalten sollte, warum er, dem Rate treuer Freunde folgend, für einige Zeit in die Schweiz floh, und den üblichen böswilligen Gerüchten vorbeugen wollte. Darin hieß es: „Die Aktion soll wegen Landesverrat erfolgen und es sollen außer katholischen auch protestantische höhere Geistliche erschossen werden. Daß ich mein ganzes Leben lang mein deutsches Vaterland geliebt habe, und daß ich besonders seit meiner Amtstätigkeit als Abt mich stets und unter allen Umständen auch unter schweren Angriffen, für das Wohl von Land und Volk eingesetzt habe, weiß jeder, der mich kennt… Ich würde nicht, auch nicht für einen Tag ins Ausland flüchten, wenn ich mit einem gerichtlichen Verhör, bei dem ich auf die Anklage zu antworten Gelegenheit hätte, rechnen könnte.“ Dabei ist zu bedenken, daß die Heimatliebe des Abtes von Laach keineswegs nur auf „höheren“ Ebenen tätig war – die Rede an die Schützen zeigte, daß sein Herz auch stets mit den einfachen Menschen der Dorfgemeinden um Maria Laach empfand. Jahrzehnte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fuhren vor Weihnachten schwer beladene Wagen der Laacher Gutsverwaltung in die Nachbargemeinden, um alten und kranken Menschen in der bitteren Not nach Verlust der Ersparnisse nach dem Ersten Weltkrieg und dem grotesken Währungsverfall der großen Inflation Gaben zu bringen. Dem damals noch sehr jungen Schreiber dieser Zeilen ist es unvergeßlich, als ihm 1929 nach einem Todesfall im Kloster entgegen seinen Vorstellungen der gütige Abt sagte: „Selbstverständlich begleiten Sie morgen trotz Requiem und Begräbnis unseren Wagen nach Obermendig und Ettringen – wir dürfen die Menschen nicht im Stiche lassen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind.“ Als die Arbeitslosigkeit nach den Krisen von 1929 und 1931 immer mehr anstieg, war es für ihn selbstverständlich, den Unterstützungsempfängern durch Lebensmittelgaben zu helfen – freilich er dachte nicht nur daran allein. Durch Vorträge, die den Winter über im Kloster gehalten wurden, meist für rund 150 bis 200 jüngere und ältere Männer, sollten sie auch geistig angeregt, der Widerstand gegen Demagogie und Verzweiflung gestärkt werden. Wer heute Rückschau auf das Wirken des Abtes hält, wird freilich kaum von diesen Ereignissen aus der engeren Heimat hören. Im kirchlichen Leben vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat Abt I. Herwegen vielmehr als einer der Hauptträger der liturgischen Erneuerungsbewegung seinen historisch bedeutsamen Platz erhalten. Es ist aber von größter Tragweite, in den inneren Spannungen und Erschütterungen, die heute das kirchliche Leben kennzeichnen, kurz festzuhalten, welcher Art die Gedanken waren, die Abt Herwegen bestimmten, in der liturgischen Erneuerung seine Lebensaufgabe zu sehen. Zunächst muß deutlich gesagt werden, daß es ihm bei allen literarischen, wissenschaftlichen und seelsorgerlichen Aktivitäten nicht um eine neue Liturgie ging. Gewiß mußte er erkennen, daß eine neue Liturgie eines Tages die Folge dieser Arbeiten sein könnte, aber zunächst kam es ihm auf die Erneuerung des religiösen Lebens aus den alten Quellen der Liturgie selbst an. Die schönste Frucht dieses Bemühens wurde es, daß die Kirche in der Neuzeit allzusehr und zu lange als Gesellschaft im philosophisch-theologischen Sinne beschrieben, den Menschen wieder als die betende Kirche gezeigt wurde, nicht aber als verwaltende und behördlich tätige Autorität. Abt Ildefons wurde so ein Wegbereiter jener theologischen Entwicklung, die zum neuen Selbstverständnis der Kirche als Leib Christi und Volk Gottes führte und dem Christen jene Stellung in der Gemeinde zurückgab, die seiner Würde entspricht. Er hat damit dazu beigetragen, daß Generationen gebildeter Katholiken nach den Krisen des Reformkatholozismus und des Modernismus der Kirche nicht entfremdet wurden, ja die besten Kräfte auch politisch und sozial wirksam entfalten konnten. Namen wie H. Brüning, W. Marx und R. Schuman zeigen dies, von Theologen wie R. Guardini, Johannes Pinsk, J. A. Jungmann ganz zu schweigen. Auch hier müssen Namen der engeren Heimat genannt werden, wie der Trierer Bischof F. R. Bornewasser (1922 bis 1951) und Generalvikar H. von Meures (1935 bis 1951), die anfänglich zögernd, später mit der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit sich dem Werk des Laacher Abtes verpflichteten.

Der Sinn unseres Gedenkens an den Geburtstag I. Herwegens vor hundert Jahren kann nun keineswegs Verklärung der Vergangenheit sein. Aber wir können uns sehr wohl darauf besinnen, daß er alles, was er dachte, lehrte und verwirklichte, nie als eine ihm persönlich allein geschenkte Gabe Gottes ansah, sondern zuerst als eine Gabe für andere – für sein Kloster und für alle Menschen, die zu diesem kamen. Er ging seinen Weg glaubensstark und er wußte, daß christliches Leben weder in Überlieferung ersticken noch in blinden Fortschrittskult ins Leere verrinnen darf.

Anmerkung:

*) Andernacher Volkszeitung/Mayener Tagblatt vom 3. September 1934. Dieses und andere Zitate sind der Biographie des Abtes I. Herwegen entnommen, deren Herausgabe der Verfasser vorbereitet.