Von der Ahr in die vulkanische Eifel
VON WILHELM HAY
Von der Ahrquelle bei Blankenheim, von Adenau über Nürburgring und Kelberg führen die Hauptstraßen ins Vulkangebiet und zum Herzen der Eifel. Schön ist es, von Münstereifel oder Schuld, ahraufwärts kommend, bei Müsch in scharfer Kehre die steinerne Ahrbrücke zu überfahren und sich bergan zu schwingen. Trier- und Nohnerbach haben sich hier zur Ahr gesellt; wo der schlanke Kirchturm von Kirmutscheid sich reckt, führt ihm der Wirftbach sein Wasser zu.
Im Schnittpunkt der Straßen durchrattern die Motoren die Einsamkeit des Idylls. Links geht’s Über Adenau und Mayen zum Rhein, geradeaus über Barweiler zum „Potsdamer Platz“ am Nürburgring. Wo der Trierbach, die einstige Grenze zwischen Kurtrier und Kurköln, über das Wehr schäumt und sich mit dem Nohnerbach vereint, biegen wir rechts bergan nach Hoffeld zu. Tief sind die Kurven in die Felsen geschnitten. Jenseits des Nohnerbachs grüßt- lieblich ein rotes Dach von Trierscheid, in der späten Nachmittagssonne in seiner Farbwirkung noch stärker gegen das niedrige Grün des Hanges abgehoben. Wenn die diesseitige Höhe erreicht ist, geht rechts voraus und zurück der Blick ins Tal der oberen Ahr, von der dichtbewaldeten Kuppe des 623 Meter hohen Aremberges beherrscht.
Vor Hoffeld folgen wir links auf dem Bergkamm des Baches dem Wege nach Norm zu. Auf der anderen Seite des Tales breiten sich auf der Höhe zwischen Nohnerbach und Trierbach die zum Nohner Kirchspiel gehörigen Orte Trierscheid, Dankerath und Senscheid. Es ist sehr schön, in Landschaftsschau und -erleben am spätsommerlichen Nachmittag gemäßigten Tempos diesen Weg heimzufahren. Aus Tal und Klüften steigt allmählich der Nebel. Was dünnem Boden, mäßigem Wald und Heide mangelt, ersetzt in diesem eigenwilligen Strich der Hocheifel — zwischen der Ahr und dem Gebiet des Vulkangesteins und der Maare — dein Besucher der herbe Reiz der Landschaft. Beachtliche Felsköpfe wie „Düngerley“ und „Burg“, vom Volkstum uralter Sage umwoben, bannen das Auge; vor uns erheben in der Ferne die Riesen unter den Eifelbergen, Nürburg und Hohe Acht, ihre Häupter.
Im Walde erreichen wir die 33 Kilometer lange Straße von Blankenheim über Ahrdorf nach Kelberg just in ihrer Mitte. Als Post- und Weinstraße ging hier jahrhundertelang der Verkehr von der unteren Mosel zur oberen Ahr. Nohn liegt auf der Wasserscheide zwischen Nohnerbach und Ahrbach. Bis hierher also reichte und reicht noch heute das „Trierer Land“, allwo die Grafen von Manderscheid und Schleiden Besitz und Herrschaft hatten. Am Ahbach drunten rechts grüßt bald Ahrhütte, heute an der Nordostecke des Kreises Daun gelegen, herauf. Hier droben stehen die letzten Garben auf den Äckern; Land, das erst urbar wird, dehnt sich in breiten, bräunlichen Streifen und Furchen aus. Leicht beschwingt geht die Straße zwischen ihnen hindurch in den Wald, der im Dämmerdunkel, wie von Kobolden bewohnt, sich auftut. Doch sieh, da lichtet er sich schon wieder! Und alsobald nimmt er uns erneut in sein geheimnisvolles Reich. Man sieht weder rechts noch links ein Dorf; was mag da kommen? Geringe Steigungen, leichte Schleifen, lauschige Ecken und tiefe Schneisen beleben die Fahrt; darauf wieder entschädigt uns eine schnurgerade Straßenzeile durch prächtigen Waldbestand die mangelnde Sicht. Dann liegen rechts Uexheim, Ahrhütte und Leudersdorf mit ihren roten Ziegeldächern, an die Hänge gestreut, in der sinkenden Sonne. — Sie wirft ihren Ganz auch über Nohn, da wir es durchfahren, so als wollte sie ihm ein Stück zurückzaubern von der Bedeutung, die es einst an dieser wichtigen Verkehrsstraße besessen hatte. Die Abendglocke, die da anhob, als wir eine Weile später auf der jenseitigen Höhe fuhren, war wohl die, die bereits nahezu ein Jahrhundert früher hier läutete, ehe Kolumbus Amerika entdeckte.
Der Hochkelberg schickt uns noch seinen Gruß, von drüben her auch schon der Goßberg, als wir zur Rechten ins Tal des Ahrbaches hinabfahren. Wild und romantisch, wie ein richtiger Eifelbach, und je kürzer sein Lauf ist, um so mehr ist dieses Tal vom Wanderweg Euskirchen-Wittlich berührt. Wir wollten auf dem geradesten Wege nach Gerolstein — fast kann man es der Karte nach als Luftweg bezeichnen — und wählten daher den Weg über die Bahnstation Ahütte, aber auch nicht der Bahn entlang über Kerpen und Hillesheim, sondern auf Walsdorf zu und Rockeskyll. Unsere Blicke schweiften über die weißen Wege, die aus dem Tale zu den Menschen führen, zu der Mühle im Grund und über die bizarren Felsgebilde, just wie Dolomiten anzusehen, bewegen sich unsere Gedanken zu waghalsigen Pfaden an Wasserfällen und Kalksintern, zu den Felsennestern der Ritter, den Ruinen Neublankenheim und Dreimühlen. Wo das Gleis der Ahrbahn am Kalkofen den Fahrweg berührt, schwingt sich unser Wagen aus dem Tal des Ahbachs hinauf; links zeigt ein Wegweiser nach dem Dörfchen Heyroth, das einsam und wohlgeborgen im Walde liegt, rechts grüßen von Niederehe die gotische Kirche und das ehemalige Kloster aus der Schlucht über den Damm. Der Ahbach ist die Grenze zwischen den Bezirken Koblenz und Trier. Zwischen zwei Wiesensenkungen fahren wir den Feldweg der Hochfläche. Stünde nicht die Nacht bevor, hier möchten wir eine Strecke durch blühende Heide wandern, wo auf niedrigen Hügeln Wacholder stehen. Mageres Weideland ist hier, beiderseits im Blickfeld von den Bergen der Heimat begrenzt; Flachsgärbchen lehnen zu Kasten und gemahnen schon an den Winterfleiß der Eifeler Bauernstuben. Ein schönes Stück Buchenwald umfängt uns, dann liegt auf der Hochfläche zwischen Lieser und Kyll, von Wiesen und Äckern umrahmt, Stroheich. Links geht’s nach Oberehe. Wir biegen rechts auf die Walsdorfer Straße, die im schwindenden Tageslicht eben an der Waldecke aufschimmert. Das mehr denn tausendjährige Zilsdorf schiebt sich quer in die Senkung; ein letzter Blick gilt dem Ahbachtal.
Die alten Vulkane von Walsdorf, Arnulfsberg und Goßberg ragen mächtig vor uns auf. Der Wagen, als wittere er die Heimat, eilt auf glatter Bahn über die Höhe. Hinter dem Bahnhofsgebäude von Walsdorf biegt er links nach Rockeskyll ab.
Bald liegen die Kuppen der Vulkaneifel im weiten Halbkreis, wie hingesät, vor unseren Augen; dicke Basaltfindlinge überdecken die Wiesen am Weg. Vom Kyller Kopf her hallt noch ein Sprengschuß; weit vorne hebt sich der „Franzosenbaum“ zu Hohenfels zum dunkelnden Himmel. In der Schlucht des Dreesbaches lagern die Häuser von Rockeskyll. — Als wir unterhalb des Dorfes unter den Betonbrücken der Hillesheimer und der Dauner Bahn hindurchfahren, verschwimmen die Umrisse der Kasselburg am Horizont. In Pelm sind die Lichter schon angezündet. Gerolstein steigt an den Ufern der Kyll empor und überstreut mit seinen Lichtpunkten die Hänge: Ein überaus friedliches Bild, so, als sei die einstige Feuerkraft der Vulkane in sie gebannt. Hier sind wir am Ziel, und im Herzen der Eifel zu Hause.