Der Pflug., ein golden Gerät
VON HEINRICH O. OLBR1CH
In der hektischen Hast unseres Erwerbslebens, wobei das Übermaß des Bunten, Schillernden und Vielgestaltigen den rastlosen Menschen der Gegenwart bedenklich überdeckt, wird auch der bescheiden und zögernd abseits Stehende in den Strudel der Zeit hineingerissen. Diese Entwicklung wird allenthalben beklagt. Es ist daher nicht nur wünschenswert, sondern vielmehr zwingend notwendig, daß sich der Gegenwartsmensch angesichts dieser einseitigen Verlagerung unserer geistigen Kräfte und ihrer Entseelung auf die wahren und echten Werte unserer Kulturgüter immer wieder besinnt, wobei uns ein Rückblick
auf das Schaffen und Werken unserer vor uns liegenden Generation vergangener Jahrhunderte bis Jahrtausende behilflich sein kann. Von unseren Ururahnen bis zur Neuzeit wurden die Vorbedingungen und Fundamente für unsere Entwicklungen auf allen Gebieten des Menschenlebens geschaffen.
Wenn wir uns in Anlehnung an unsere Aufgabe nur einige Gedanken in Verbindung mit dem an sich so schlichten Gerät, dem Pflug, machen wollen, so müssen wir uns zunächst die Tatsache vergegenwärtigen, daß nur der Pflug die Ackerkulturen großer und größter Völkerschaften in vorchristlichen Zeiten, ja sogar auch ihre Gesellschaftsform gestaltet hat — bis unsere Ahnen sie in geschichtlicher Zeit übernommen und weiter gestaltet haben.
Doch bevor der Mensch auch die primitivste Form des eisernen Pfluges schaffen konnte, mußte ihm erst das Feuer zu Hilfe kommen, das der Dichter eine „Himmelsmacht“ nennt. Es wurde vom Menschen durch Schlagen von harten Steinen (Feuerstein) oder durch Reiben von Harthölzern entdeckt und immer wieder neu entfacht. Die Urmenschen haben die Helligkeit des Feuers und der Flamme erkannt als jene verborgene Kraft, die Licht und Warme spendete, das Eisenerz schmelzen und formen ließ, aber auch Verderben und Vernichtung bringen konnte, wenn man diese „Himmelsmacht“ nicht „gezähmt und bewacht“ hat. Das Feuer war daher für seine Entdecker jene geheimnisvolle Kraft, die versteckt schlief und immer erst neu geweckt werden mußte.
Aber wer denkt in unserem übersprudelnden Zeitgeschehen noch an die Heiligkeit des lebendigen Feuers, der Leucht- und Wärmekraft der Flamme, die wir sehr wohl stillschweigend übernommen haben! Und dennoch, die Flamme spricht den Menschen zu allen Zeiten stark an. und erhebt sein Gemüt so wohltuend, daß sie von den Urahnen bis zur Gegenwart bei allen religiösen, familieren und weltlichen Feiern immer in den Mittelpunkt des Geschehens gestellt worden ist und gestellt wird. Das Christentum hat in Kirche und christlichem Leben die Heiligkeit der Flamme übernommen und gepflegt. Sie begleitet uns von der Wiege bis zum Grabe und läßt unsere Herzen bei den Gottesdiensten und den Höhepunkten des menschlichen Lebens in Familie, Gemeinde und Volk höher schlagen. In der österlichen Feuerweihe wird die Heiligkeit der Flamme dem Christenmenschen immer wieder besinnlich nahe gebracht.
Nach dieser kleinen Abschweifung wenden wir uns wieder dem Pfluge zu, jenem wichtigsten Gerat der Menschheit überhaupt, der mit Hilfe des Feuers erst seine zweckmäßige und praktische Urform erhalten konnte, von Geschlechtem zu Geschlechtern fortschreitend, bis der vollendete „goldene Pflug“ entwickelt war. Im Urbeginn des Landbaus wurde die Mutter Erde mit einem zugespitzten Stab, dem später eine gehärtete Spitze aufgesetzt wurde, aufgelockert. Schiller weist auf diese einfachsten Anfänge des Landbaues im „Eleusichen Fest“ hin und läßt das wohltätige Wirken der altrömischen Fruchtgöttin Geros durch die nachfolgenden Verse erkennbar werden:
Und sie nimmt die Wucht des Speeres
aus des Jägers Hand,
Mit dein Schaft des Mordgewehres
furchet sie den leichten Sand.
Nimmt von ihres Kranzes Spitze
einen Kern, mit Kraft gefüllt,
senkt ihn in die zarte Ritze,
und der Trieb des Keimes schwillt.
Zum Auflockern des Erdreiches benutzte man auch außer angespitzten Stäben Geweihe, Ochsenhörnwr und Urformen von Schaufeln, die später mit Eisen beschlagen worden sind. Diese Geräte gestatten zumeist nur den Hackbau bzw. die Gartenarbeit, die einst ausschließlich von den Frauen geleistet werden mußten. Einen entscheidenden Wendepunkt auf dem langen Entwicklungswege zum Pflug hat die Menschheit erreicht, als man zu der Überlegung kam, Zugtiere in die schwere Bearbeitung großer Landflächen einzuordnen. Bis dahin war es meist das harte Los der Sklaven oder Mietlinge, die weiten Flächen der Ackerkrume aufzulockern und zu durchfurchen.
Als also die Haustiere Rind oder Ochse und Esel — Pferde wurden erst viel später herangezogen— als Helfer der Menschen für die Bearbeitung der bereitliegenden riesigen Ackerflächen eingestellt werden sollten, mußte erst ein Bearbeitungsgerät geschaffen werden, das mit einer kurzen Deichsel versehen war. Die Natur bot sich dem Menschen an und lieferte ihm harte Äste, die beliebig und zweckmäßig zugespitzt werden konnten und deren Hauptast auch die gewünschte Deichsel lieferte.
Da ein solches Gerät, das von Zugtieren gezogen wurde, beim Durchfurchen des Ackers nicht in einer gewünschten Richtung blieb, befestigte man rückwärts eine, später zwei kurze Halte-Stangen, damit dieses Gerät von Menschenhand gesteuert werden konnte.
Mit dieser Entwicklungsstufe war die eigentliche Grundform des Pfluges geboren. Was nun folgte, war das Bestreben, nach der Gewinnung des Eisens die grabenden Teile des hölzernen Pfluges durch Eisenbeschläge zu härten und zu schärfen, bis der Zeitpunkt gekommen war, daß die „Pflugschar“ aus Eisen geschmiedet werden konnte und schließlich jene schräggewölbte Form erhielt, daß die aufgebrochene Erde nicht nur aufgelockert, sondern auch von oben nach unten umgelegt werden konnte.
Der eiserne Pflug wurde für die Menschheit zum goldenen Pflug, denn von nun an begann mit seinem Einsatz in der Ackerbestellung die Epoche der großen Bodenkulturen der ältesten ackerbautreibenden Völker, die die Ernährung des Menschen und seiner Haustiere sicherstellen konnte. Die Kulturgeschichte berichtet uns über die gewaltigen Großräume von Mesopotamien, Babylon, China, Ägypten und Mexiko, die damals große Völkerschaften und Reiche bildeten, in denen auf Grund der fruchtbringenden Pflugkulturen auch Kunst und Wissenschaft ungeahnte Blüten erreicht haben, und die Jahrtausende, meist im Frieden, überstanden haben. Die Beschaulichkeit der Bodenbearbeitung mit Hilfe des Pfluges und durch die immerwährende Abhängigkeit von den Kräften der Natur und von höheren Gewalten, hat den Geist dieser Völker schon früh zu ihren Gottheiten gewendet. Sie flehten ihre Götter an und baten um den Segen ihrer fleißigen Arbeit. So wurde im vorderasiatischen Raum Astarte als die Göttin des Ackerbaues verehrt, die Griechen flehten zu Demeter, der Beschützerin des Erntesegens, für die Römer galt Ceres als die Fruchtbringerin usw. Das geistige Einfühlen in die eben angedeuteten Zusammenhänge und Entwicklungen läßt uns erkennen, daß die Pflug- bzw. Bodenkultur nicht nur das jeweils zeitgemäße Ergebnis eines aufsteigenden Werdens dieser Völker war; vielmehr war sie eine eigenartige, von sehr vielen seelischen Faktoren beeinflußte und gewachsene Wirtschaftsform, die zu allen Zeiten mit einem starken und leuchtenden Strahlenglanz tiefen religiösen Lebens erfüllt war. Die innige Verbundenheit des Menschen mit der Scholle, die immer wieder im alljährlichen Kreislauf durch den Pflug umgebrochen und trächtig gemacht wird, ist die Wiege auch unserer Heimatliebe und Heimatpflege.
Diese Erkenntnisse erklärt uns die Völkerkunde, wenn sie sinngemäß ausführt: Die Begründer der Bodenkulturen schlechthin sahen sich, ob in Babylonien oder im fernen Mexiko innerlich gedrängt und verpflichtet, ihren Göttern prächtige Tempel zu bauen und Dankopfer darzubringen. Sie hatten sich zunächst in ihrer Urreligion einem ausgesprochenen Gestirndienst ergeben und brachten nach einer Periode von Menschenopfern — wie bis zuletzt bei den Azteken in Mexiko — der Mondgöttin neben den schönsten Früchten des Feldes auch das Rind als Opfergabe dar. Diese lebendige Anschauung, daß das Opfer, später auch der gespendete Wein, die Gottheit erfreut und stärkt, durchzieht wie ein goldener Faden die historischen und kulturkundlichen Darstellungen, auch der Bibel, bis zur Erfüllung der Zeit.
Durch das Erscheinen des Gottessohnes und durch seine Lehre, wurde das neue christliche Weltbild gestaltet. Zu dieser Weltanschauung gehört auch die Erkenntnis, daß zwar Sonne und Mond entscheidenden Einfluß auf alles Lebende auf unserem Erdball haben, daß aber über ihnen die Allmacht Gottes wacht und wirkt, welche alle Geschicke auf Erden lenkt und auch die Pflugarbeit segnet.
Aber trotz der noch so sorgfältigen Bearbeitung und Pflege der Mutter Erde fühlt sich der christliche Landmann, wie einst seine Urahnen, gedrängt, die Allmacht Gottes anzurufen und den Segen für die Feldarbeit zu erflehen. In zahlreichen Bittgängen und Bittprozessionen ziehen die Christenmenschen hinaus auf die Feldfluren, auf daß die Arbeit, die mit dem Pflug begonnen worden ist, zur ertragreichen Frucht führen möge. Das Erntedankfest ist die Krönung dieser frommen Gesinnungen.
Eine quicklebendige Schilderung einer solchen Bittprozession schenkt uns der Dichter Fr. W. Grimme aus Assinghausen im Hochsauerland. Er berichtet uns von dem schönen Brauchtum in seiner Heimat und sagt u. a.: „Nun geht es den steilen Berg hinauf und weit in entlegene Fluren, bis endlich, hoch oben am Waldessäume, die bunte Wallerlinie wieder sichtbar wird; ein herrlicher Anblick vom Dorf aus, und dabei ein Gewimmel von Stimmen, Liedern, Litaneien und Rosenkränzen, das hinunterschallt, dazwischen die hellklingenden Schellen und vom Turme her die erneuten Schläge der Glocken. Dort oben hörte jeder nur das Seine, nach der Tiefe hin floß alles nur in eins, ein Chaos, das nur unser Herrgott entwirren konnte.“
Doch, gemeinsam wurde die Andachtsbitte gesprochen:
Ach, segne Herr, mit Deiner Hand
die lieben Früchte auf dem Land!
Wend‘ ab Frost, Hagel, Donnerschlag
und alles, was uns schaden mag.
Der Pflug im Mittelpunkt der Weltmeisterschaft
Wir haben erkannt, daß der Pflug das wichtigste Gerät in der Landwirtschaft ist und das Pflügen, das sorgfältige Umbrechen der Ackerscholle, die ursprünglichste bäuerliche Arbeit ist. Nur eine gute und sachgemäße Bearbeitung des Ackers kann die Fruchtbarkeit unseres Bodens erhalten bzw. steigern. Von jeher ist der Grad der Fertigkeit im Pflügen ein Beurteilungsmaßstab für die Tüchtigkeit des Bauern und seiner inneren Einstellung zum Beruf.
In allen Ländern des Bundesgebietes und der ackerbautreibenden Völker überhaupt wird alljährlich ein Leistungspflügen durchgeführt, das nach verschiedenen Gesichtspunkten bewertet wird.
Da der Pflug im Gegensatz zu anderen Ackerwerkzeugen nicht nur Einzelleistungen vollbringt, sondern insgesamt den sogenannten „Bau des Bodens“ schafft, zu dem auch ein Gerüst von Schollen und Schöllchen gehört, der für die ganze Wachstumsdauer vorhalten muß, kann er, trotz aller technischen Fortschritte bis heute durch kein anderes Gerät ersetzt werden. Er verlangt aber auch das ganze Jahr hindurch eine entsprechend gute Behandlung. Das große Ereignis der Weltmeisterschaft im Pflügen wird gewöhnlich von einer ganzen Reihe großer landwirtschaftlicher Veranstaltungen mit landsmannschaftlichen Treffen begleitet, zumal die Teilnahme an diesem Geschehen durch interessierte Besucher des In- und Auslandes sehr groß ist.
1964 fand die 12. Weltmeisterschaft in Österreich, 1965 die 13. in Norwegen statt. Bei den Weltmeisterschaften wird jeweils zur Erinnerung an dieses Geschehen in der Nähe des Versuchsfeldes ein Pflügerdenkmal enthüllt, zu dem die teilnehmenden Nationen einen Stein beitragen. Den Höhepunkt bildet natürlich die Überreichung des ersten Preises, der aus einem goldenen Pflug besteht.
Den besten Pflüger stellte 1964 Irland, 1965 Finnland.