Am Grabmal der schönen Gräfin Katharina von der Mark in der Pfarrkirche zu Mayschoß
VON LEO RIES
Eine Reise in die Vergangenheit
Es war am Ende einer mehrtägigen Reise in die Vergangenheit der Heimat. Wir stehen vor dem Grabmal der jungen Eifelgräfin. Im hinteren Teil des rechten Seitenschiffes der Mayschosser Kirche hat es einen würdigen Platz gefunden.
Aus den hohen Fenstern fällt das gedämpfte Licht auf einen Sarkophag von hohem künstlerischen Wert und läßt den wertvollen schwarzen belgischen Marmor im Tageslauf der Sonne wechselvoll aufleuchten. Der Blick wird zunächst gefangengenommen von dem aus einem Block gestalteten Hochrelief des Grabdeckels.
Foto: O. Lorenz
Das wohlgeformte Haupt mit dem friedvollen Antlitz einer schönen jungen Frau ruht auf einem weichen, mit Quasten versehenen Kissen, umflossen von ihrem offenen Haar, das über die Schultern herabfällt. Den schlanken Hals umschließt eine doppelte Korallenkette. Das Mieder läuft in ein faltenreiches Gewand aus, das von einem breiten Gürtel gehalten ist den eine verzierte Schnalle zusammenhält. Darunter liegen kreuzweise übereinandergelegt die Hände, die der zu den Seiten herabfallende Hermelinmantel freiläßt. An den Füßen liegt ein Hund, das bei adligen Frauengräbern übliche Sinnbild der Treue.
Die Fußseite des Monuments zeigt das Wappen der Grafen von der Mark mit dem wehrbereiten Löwen, von zwei langhaarigen Putten getragen. Auf der Kopfseite gibt die mit kunstvollem Ornamentenwerk umrankte lateinische Inschrift Kunde von der hier Ruhenden. Obersetzt ist da zu lesen:
„Der erlauchte Herr, Herr Graf Ernst von der Mark und Schieiden, Baron in Lümay und Serein, Herr in Kerpen und Saffenburg usw., Erbvogt der Markgrafschaft usw.
hat der erlauchten Herrin, der Gräfin Katharina von der Mark, seiner geliebtesten und treuesten Gemahlin (… suae dulcissimae et dilectissimae pariter . . .), ausgezeichnet durch glanzvolle Tugend und Schönheit, die am 30. Oktober 1645 zur größten Trauer aller gestorben ist, dieses Denkmal errichten und vollenden lassen im Jahre des Heils 1646.“
Die tiefe schmerzliche Trauer, die aus diesen Worten klingt, ist unüberhörbar. Geht man, angerührt von dieser in schwarzen Marmor gemeißelten wehen Klage, dem Geschehen nach, so stößt man auf eine wundersame Geschichte, eine Geschichte, fast wie ein Märchen, wie das Märchen vorn Aschenputtel oder dem Prinzen und der Gänsemagd, kaum zu glauben in jener Zeit der Hocharistokratie. Der Bibliothekar, der sie uns erzählte, hat sie aus alten Büchern zusammengetragen: Auf Schloß Blankenheim, wo damals der 17-jährige Graf Johann-Arnold mit seiner um ein Jahr älteren Schwester Anna-Margaretha wohnte, gab es im Jahre 1622 einige Aufregung. Die ledige junge Magd Eva Hentges aus Esch bei Jünkerath wurde Mutter eines Mädchens, das in der Taufe den Namen Katharina erhielt. In alten Urkunden des Staatsarchivs zu Koblenz ist als Vater der auf dem gleichen Schloß dienende Hausknecht „Richards oder Reicherts Cloas“ angegeben. Warum Eva ihn nicht geheiratet hat, ist nicht auszumachen.
In diesen Jahren kam der verwitwete Graf Ernst von der Mark als Freier auf die Burg. Er hielt bei der Mutter, die nach dem 1614 erfolgten Tod des Grafen Arnolds II. den Grafen Friedrich von Salm-Reifferscheid geheiratet hatte, um die Hand der 2ojährigen Tochter Anna-Margaretha an. Mit 12 ooo Reichstalern Mitgift führte der 34Jährige Graf sie 1624 als Schloßherrin auf seine Burg nach Schieiden. Beim Umzug nahm die junge Frau auch einige Mägde mit, darunter Eva Hentges mit ihrem Kind.
Auf dem Schloß Schieiden verlebte die kleine Katharina unter dem Gesinde ihre Jugend. Acht Jahre war sie alt, als sie Zeuge eines großen Trauerns und Wehklagens wurde. Mit den kaiserlichen und spanischen Söldnern, die in diesen unruhigen Jahren des Dreißigjährigen Krieges in der Grafschaft umherzogen, war im Jahre 1630 die Pest in die Stadt gekommen. Die Totenglocken in der nahen Kirche kamen nicht zur Ruhe. Auch das Schloß blieb nicht verschont. Die Schloßherrin, die sich um die Pflege der Kranken gemüht hatte, wurde selbst ein Opfer des schwarzen Todes. Sie fand ihr Grab in der Kirche zu Schieiden neben der ersten Gemahlin des Grafen, der 1621 gestorbenen Gräfin Sybilla von Hohenzollern-Hechingen, der er zwei Jahre zuvor ein kunstvolles Grabmal aus schwarzem Marmor aufstellen ließ. Noch im selben Jahre ließ Graf Ernst seinen beiden verstorbenen Frauen zum Gedenken einen Seitenaltar in der Kirche errichten. Der abermals Witwer gewordene Graf suchte seine Trauer dadurch zu überwinden, daß er sich ganz den vielseitigen Geschäften hingab, die sein weitverzweigter Besitz und seine Ämter in diesen unruhigen Kriegsjahren von ihm abforderten. In diesem Trauerjahr erreichte ihn das Dekret des Kaisers, wonach er zum Kaiserlichen Kommissar des Westfälischen Kreistages ernannt wurde. Von Pommern kam die Kunde, daß die Schweden auf der Insel Usedom gelandet seien, um in den Krieg einzugreifen. Die Durchzüge und Einquartierungen der niederländisch-spanischen Söldner mehrten sich und wurden besonders 1632 sehr drückend. Der streitbare Trierer Kurfürst Philipp Christoph von Sötern hatte die Franzosen ins Land gerufen, die unter General Baudissin das Ahrtal hinunter an den Rhein zogen, um den spanischen Truppen die Feste Ehrenbreitstein zu nehmen. Dabei wurde die mit der Saffenburg dem Grafen gehörende Herrschaft Mayschoß, zu der Rech, Dernau und das Kloster Marienthal gehörten, geplündert und gebrandschatzt. Es waren harte Zeiten, und der Graf hatte viel zu tun. Als er Ende der dreißiger Jahre wieder einmal auf der Burg Schieiden weilte, kam ihm das Mädchen Katharina zu Gesicht. Sie diente als Magd im Schlosse und war inzwischen zu einer schönen Jungfrau erblüht. Es erfaßte ihn eine tiefe Zuneigung zu dem jungen und lieblichen Menschenkind. Bis dahin wäre das noch eine alltägliche Geschichte, wie sie sich nicht selten auf Grafenschlössern abspielte. Aber was war es, das den welterfahrenen und lebensgewandten Grafen davon abhielt, die hübsche Magd zu seiner Geliebten zu machen und sie in ein vorübergehendes Liebesabenteuer zu verstricken? Es muß etwas Besonderes an dem Mädchen gewesen sein, eine sich mit der körperlichen Anmut paarende geistige Schönheit, die die tiefe und reine Liebe im Herzen des Edelmannes entfachte; eine Liebe, die in ihm den für die damalige Zeit beispiellosen Entschluß reifen ließ, die uneheliche Dienstmagd Katharina zu seiner rechtmäßigen Frau und zur Schloßherrin zu machen. Ungeachtet des leidenschaftlichen Aufbegehrens seiner zahlreichen Verwandten führte er den Entschluß gegen alle Widerstände und Kabalen durch.
„Er entzog sie der niederen Arbeiten, ließ sie heranbilden und heiratete sie im Jahre 1641″, berichtet der Chronist kurz und sachlich. Was niemand für möglich gehalten hatte, war Wirklichkeit geworden.
Als der Graf seine junge Frau in die Besitzungen einführte, reiste er zunächst mit ihr durch die Wälder der Ardennen zu seinen Stammschlössern, zunächst in das Tal der Maas nach Lüttich, wo einst zwei Grafensöhne von der Mark Bischof waren. Auch der Vater selbst hatte ein Amt an der Domkirche, ehe er die Eifelgräfin Katharina von Manderscheid-Schleiden jenseits der Ardennen heiratete. Vor den Toren der Stadt, beim jetzigen Vorort Seraing, lag die Burg Serein, nach der der Besitz seinen Namen trug. Weiter ging die Reise, das Tal des De-mer entlang, nach dem Stammschloß Lümay beim heutigen Lummen. Danach nannten sich die Grafen von der Mark „Baron von Lümay“. Die Rückreise mag über Serein zur Burg Neuville geführt haben, bei der, wie in anderen Steinbrüchen im romantischen Our-thetal und bei Theux nördlich von Spa, auch heute noch der weltbekannte schwarze belgische Marmor gebrochen wird. Die Belgier nennen ihn gegen jede geologische Sprachregelung „petit Granit“. Vielleicht hat der Graf in Theux seiine schöne junge Frau dem Bildhauer vorgestellt, der ihm 1625 das Grabmal seiner Eltern in Niederehe und 1628 das Hochgrab seiner ersten Frau Sybilla aus diesem glanzvollen schwarzen Marmor geschaffen hatte. Den Sarkophag der Hohen-zollerngräfin Sybilla in der Kirche zu Schieiden kannte Katharina.
Am Grab der Eltern in Niederehe erzählte Graf Ernst seiner jungen Frau die Geschichte seiner Familie: Wie die Grafen von der Mark einst aus Westfalen von der Burg Al-tena kamen und in den Niederlanden Fuß faßten. Er sprach von seinem Urahn, dem gefürchteten Grafen Wilhelm, den sie „le sanglier des ardennes“, den Eber der Ardennen, nannten, der, gejagt von seinen Feinden, 1485 auf dem Schafott zu Utrecht starb. Wie der Vater wieder den Weg über die Ardennen fand und 1581 die jüngste Schwester des Grafen Dietrich VI. von der Burg Schleiden nach Serein und Lümay heimführte, wo er, Graf Ernst, 1590 geboren wurde. Wie drei Jahre später der Oheim Dietrich kinderlos starb und unter den Angehörigen ein heftiger Erbstreit entbrannte, den der eingeheiratete Vater auf die Weise für sich entschied, daß er seine Frau als nächste Verwandte zur Alleinerbin erklärte und als „ihr General“ die hinterlassenen Besitzungen kurzerhand besetzte. Darüber war die Mutter im Februar des gleichen Jahres gestorben, so daß das Erbe an den Vater überging. So seien die von der Mark in den Besitz der Burg und Grafschaft Schleiden, der Burg Kerpen mit dem Kloster Niederehe, der Cas-selburg, der Vogtei Fleringen im Kreise Prüm und der Saffenburg an der Ahr mit der Herrschaft Mayschoß gekommen, wozu noch Dorf und Schloß Gelsdorf zu zählen waren, die die Mutter 1581 als Brautgabe mitbekommen hatte. Graf Ernst wird auch davon gesprochen haben, wie sein Schleidener Großvater und Onkel Dietrich der Reformation zugetan waren und lutherische Prediger eingesetzt hatten. Auch nach Niederehe, wo das Schiff der Kirche dem neuen Prediger und seiner Gemeinde zugewiesen war, der Chor den Steinfelder Patres und der katholischen Gemeinde. Nach Ormont sei ein Prediger Christian von Remagen gekommen, nach Schieiden einer namens Johann Rolandseck. Sein Vater und er hätten jedoch die alten Verhältnisse wiederhergestellt.
Katharina schenkte dem Grafen vier Kinder, zwei Söhne Engelbert und Franz-Anton und zwei Töchter Maria Magdalena und Katha-rina-Franziska. Dazu hatte Graf Ernst noch den Sohn Johann Friedrich von seiner ersten Frau, der schwachsinnig war. Acht Jahre lang kämpfte der Graf hartnäckig um die Rechtmäßigkeit seiner dritten Ehe, bis er endlich zum Ziel kam. Mit einer Urkunde vom 23. April 1649 hat Papst Innozenz X. den Erzbischof Ferdinand von Köln beauftragt, durch seinen Offizial die Ehe des Grafen Ernst von der Mark mit seiner Frau Katharina zu bestätigen und die Kinder dieser Ehe zu legitimieren, d. h. sie zu ebenbürtigen Nachkommen zu erklären. Im gleichen Jahre kam auch die Ebenbürtigkeitserklärung von Kaiser Ferdinand III.
Gräfin Katharina hat diese Genugtuung nicht mehr erlebt. Die Grabinschrift sagt es uns. Sie ist am 30. Oktober 1645 allzu früh gestorben. Graf Ernst ließ sie in das stille Ahrtal in seine Herrschaft Mayschoß überführen. Hier fand sie vor dem Chor der Pfarrkirche ihre letzte Ruhestatt. Gleichzeitig gab der Graf „seinem Bildhauer“ in Theux den Auftrag, ein Hochgrab aus schwarzem Marmor anzufertigen, in dessen Deckel der Künstler das beseelte lebensgroße Abbild der schönen Gräfin meißelte. Am 12. Februar 1654 ist der Graf im Alter von 64 Jahren auf Schloß Schieiden gestorben. Nach seinem letzten Willen wurde er in der Kirche zu Mayschoß neben seiner „geliebtesten und getreuesten“ Gemahlin bestattet. Ihrem Grabmal ist es in der Mayschosser Kirche nicht immer gut gegangen. Als einer der Nachfahren im vorigen Jahrhundert Mayschoß besuchte, fand er nur den Sarkophagdeckel vor. Er hatte daraufhin die Wiederherstellung des kostbaren Grabmals veranlaßt. Pfarrer Napoleon Leinen hat im Jahrbuch 1928 die folgende Anordnung des Grafen veröffentlicht:
„Bei meiner Anwesenheit in der Kirche zu Mayschoß habe ich mit Bedauern wahrgenommen, daß das Grabmonument meiner seligen Voreltern zerstückelt auf verschiedenen Stellen umherliegt. Ich habe daher, um das Andenken an dieselben zu erhalten und sie dem Gebet der Gemeinde stets zu empfehlen, beschlossen, daß auf meine Kosten die Überreste des Monumentes gesammelt und an einer passenden Stelle in der Kirche aufgestellt werden sollen. Zugleich habe ich unter dem heutigen Datum eine Parzelle Ackerland, unmittelbar östlich hinter der Kirche gelegen, angekauft, um noch im Laufe des Jahres auf derselben eine Sakristei als Erweiterung der Kirche errichten (und an dem bisher zur Sakristei dienenden Platz das Monument wieder aufstellen) zu lassen. Mayschoß, den 1. Mai 1854
Peter Fürst von Arenberg.“
Den jetzigen Platz unter den Fenstern im rechten Seitenschiff fand das Hochgrab nach dem Neubau der Kirche vor 60 Jahren, im Jahre 1909.
Sinnend stehen wir davor. Der Bibliothekar hat seine Erzählung beendet. Seine Worte verklingen im Kirchenraum. Unser Blick gleitet noch einmal über den glänzenden schwarzen Marmor mit dem friedvollen Bild der jungen und schönen Eifelgräfin, einst Dienstmagd auf dem Schloß zu Schleiden, die der Graf Ernst von der Mark vor mehr als 300 Jahren zu seiner über alles geliebten Gemahlin gemacht hat.
Wir sind am Ende einer eindrucksvollen Reise in die Vergangenheit unserer Heimat, der Heimat, die damals über die Ardennen hinweg bis an die Maas und nach Holland reichte und heute als „Benelux“ für unsere Jugend in einer gänzlich gewandelten Zeit wieder europäisch wird.