Tag- und Nachtfalter in der Hocheifel
Von Theo Busch
Wer ein Menschenalter hindurch das Leben in Tier- und Pflanzenwelt eines bestimmten Bereiches regelmäßig Jahr für Jahr beobachtet, bemerkt grundlegende Veränderungen, die dem gelegentlichen Beobachter entgehen oder ihm in ihrer Bedeutung für den Haushalt der Natur nicht bewußt werden. Das ist allzu verständlich, da solche Veränderungen meist nur langsam vor sich gehen, gewöhnlich einhergehend mit neuer Verhaltensweise der die Pflanzenwelt ausnutzenden Landwirte und Forstleute.
In früheren Jahren, als die Bauern der Hoch-eifel im Gemeinde- oder Privatwald noch Lohe schälten, flog bei nächtlichem Lichtfang, wie ihn der Insektenkundige häufig betreibt, eine ehemals in Obstbaugebieten sehr schädliche Nachtfalterart, der Goldafter (Euproctis chrysorrhoea), in solch großen Mengen ans Licht, daß Fangtücher und Umgebung der Lichtquelle bald davon weiß erschienen, so als ob ein sommerlicher Schnee gefallen sei. Für den Beobachter stellte sich naturgemäß die Frage: „Wo kommen diese vielen Tiere her?“ Es ist bekannt, daß die Goldafterraupen in Nestern überwintern, die 200—300 Raupen beherbergen. Dem Obstzüchter waren solche Nester als „Große Winternester“ bekannt. Heute bekämpft er sie mit Insektiziden mit dem Erfolg, daß die Obstplantagen von dieser Pest frei sind und sich die Art nur noch hier und da in Weiß- und Schlehdornhecken, auch Wildrosenbüschen der Vorkommensgebiete halten kann, wo sie über kurz oder lang ebenfalls ausgerottet werden wird, da man in Kulturlandschaften derartige Resthecken kaum mehr duldet. Für den Obstzüchter kann das natürlich nur von Vorteil sein. Im Beobachtungsgebiet der Hocheifel war nun in den Jahren des überaus häufigen Auftretens der Goldafterfalter am Licht, etwa in der Zeit von 1922 bis 1932, zu klären, an welcher Futterpflanze die Raupen des Goldafters hierzulande ihre Entwicklung durchmachten, denn sonderbarerweise fand man deren Nester weder an den zahlreichen Weiß-und Schlehdornhecken, noch an den Wildrosen. Winterliche Gänge durch den Wald ergaben bald die Erklärung des Rätsels. In den 15- bis 20jährigen Lohschlägen zeigten sich in den obersten Spitzen der jungen Stangen, acht bis zehn Meter über der Erde, die auch vom Boden aus gut sichtbaren dichtgesponnenen, silberglänzenden, großen Winternester in kaum zu erwartender Anzahl. Somit war die Erklärung für die gewaltige Häufigkeit der weißen Goldafterfalter im Monat Juli gegeben. Die interessanteste Beobachtung war nun später die, daß die Art in der Hocheifel schlagartig verschwand, und zwar ungefähr seit Beginn des 2. Weltkrieges, zu einem Zeitpunkt, in dem man den Lohschlag einstellte, da man infolge Gebrauches künstlicher Gerbstoffe für natürliche Lohe keine Verwendung mehr hatte. Seitdem kommt kein Goldafterfalter mehr ans Licht, ein sicheres Zeichen dafür, daß er hier ausgestorben ist.
Zeichnung: Theo Busch sen. Goldafter (Euproctis chrysorrhoea)
Nach Einstellung des Lohschlages wuchsen die 15- bis 2ojährigen Eichenstöcke nach und nach zu Bäumen heran, deren Laubwerk bei zunehmendem Alter der Bäume zweifellos härter und fester wurde, deren Blätter sich für die Raupen geschmacklich und in der chemischen Zusammensetzung änderten und daher den Tieren nicht mehr zusagten, sie anfällig für Krankheiten machten, die sie schließlich gänzlich ausrotteten. Hiermit haben wir ein Beispiel dafür, wie eine verhältnismäßig geringfügige Veränderung in der Waldbewirtschaftung entscheidenden Einfluß auf Leben und Sterben einer an sich sehr robusten Insektenart ausübte. Viel empfindlicher als schädliche Nachtfalter reagieren unsere schönen Tagfalter auf Veränderungen in der Umwelt. Drei Arten mögen dazu als Beispiel dienen: Der Trauermantel (Vanessa antiopa), der Segelfalter (Papilio podalirius) und der Baumweißling (Aporia crataegi).
Sicherlich ist auch dem unbefangenen Naturbeobachter in unserem Kreisgebiet bereits aufgefallen, daß der schöne Trauermantel, ein großer samtbraunschwarzer Tagfalter mit breitem gelbem Rand, schon jahrelang nicht mehr zu sehen ist. Früher, noch 1924—1940, kam er zahlreich vor. Im Mai/Juni fand man an Birken und Weiden in allen Tälern und auf den freieren Berghängen, sofern nur die Futterpflanze dort stand, die großen Raupengesellschaften, 100 bis 200 Stück schwarze, dornige Raupen, wenn erwachsen fein weiß gesprenkelt, mit rotumränderten Atemlöchern, am Futterzweig hängen. Damals hätte man mit Leichtigkeit Tausende von Trauermantelraupen eintragen und zum Falter heranziehen können. Diese Zeit ist vorbei. Heute beobachtet man kein Raupennest dieser Art mehr, sieht man keinen einzigen Falter davon, weder im Flug noch im Überwinterungsquartier, wenigstens nicht im Kreisgebiet. Auch in der übrigen Bundesrepublik ist es so, bis auf die äußersten südöstlichen Bereiche unseres Landes und die Vogesen im Nachbarlande Frankreich. Wohl bahnt sich von Südosten her eine Neuzuwanderung aus östlichen Ländern an, doch scheint diese nur sehr zögernd vonstatten zu gehen. Das hoffentlich nur vorübergehende Verschwinden des Trauermantels im Kreisgebiet ist kaum mit Veränderungen im Lebensraum oder mit etwaiger Ausrottung der Futterpflanze zu erklären. Nichts dergleichen ist geschehen, es sei denn, daß man die nach den Zusammenlegungen erfolgte Entfernung der vorher erforderlichen Grenzmarkierungen der Wiesen im Tal durch Weidenbüsche als wesentliche Änderung des Lebensraumes des Trauermantels ansehen will. Solch geringfügige Veränderung dürfte kaum eine Rolle spielen, da sonst im weiten Bereich für diese Art alles beim Alten geblieben ist. Warum ist nun der Trauermantel nicht mehr zu finden? Es kann nur einen Grund dafür geben: eine Epidemie hat sämtliche Populationen dahingerafft, was gelegentlich auch bei anderen Insektenarten vorkommen kann.
Zeichnung: Theo Busch sen. Trauermantel (Vanessa antiopa)
Das Museum A. König in Bonn würde gerne Trauermäntel für Zwecke der Wanderfalterforschung dem Hocheifelraum oder benachbarten Gebieten entnehmen, findet sie aber weder hier noch in der übrigen Bundesrepublik, muß vielmehr Expeditionen nach Griechenland unternehmen, um in den Besitz von lebenden Faltern und Raupen der Art zu kommen, die im Auto in Käfigen an den Rhein gebracht werden. Vielleicht gelingt es, durch die in Bonn zur Erforschung des Wanderfluges gekennzeichneten und dann freigesetzten Falter der schönen Art eine schnellere Erneuerung des Vorkommens auch im Kreise Ahrweiler zu bewirken.
Bei Segelfalter und Baumweißling liegt zwar noch keine vorübergehende oder gänzliche Ausrottung vor, doch hat sich in den vergangenen Jahren für eine solche eine deutliche Gefahr abgezeichnet. Der Segelfalter, der noch 1925 bis 1930 im Hocheifelgebiet geradezu häufig war, ist inzwischen äußerst selten geworden. Nicht ganz so schlimm ist es mit dem Baumweißling. Doch auch er nimmt von Jahr zu Jahr ab.
Zeichnung: Theo Busch sen.
Baumweißling (Aporia crataegi)
Die Gründe für das Seltenwerden oder die Abnahme der beiden Arten liegen in den Veränderungen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte im Lebensraum der genannten Falter eingetreten sind. Diese Veränderungen gehen auf vielerlei Ursachen zurück: Zunehmende Technisierung der bäuerlichen Betriebe, Zusammenlegungen und stärkere Betonung der Viehzucht, Belassung des Viehes auf der Weide, Verwandlung von Äckern in Wiesen mit Einheitsgräsern ohne Blumen, Aufforstung zahlloser privater und staatlicher Parzellen usw. Diese Umstände haben der gesamten Landschaft nach und nach ein neues Gepräge gegeben, das nur derjenige bemerkt, der das Gebiet entsprechend lange beobachten konnte. Für Land- und Forstwirt bedeutet das alles einen Fortschritt. Der Naturbeobachter jedoch sieht die Verwandlungen und bringt sie in Zusammenhang mit dem Leben der Pflanzen und Tiere im allgemeinen.
Auf die beiden in Frage stehenden Falterarten bezogen, bedeutet der also verwandelte Lebensraum Einengung und Beschränkung. Die Futterpflanzen, Schleh- und Weißdorn in geeignetem Alter und an günstigem Standort, verschwanden und verschwinden immer mehr. Die neuangelegten Wiesen sind ohne Blumennahrung für die sich tummelnden Falter, die früher so blumigen Wiesen der Täler werden infolge künstlicher Düngung immer blütenärmer, die früher freien Berghänge bedecken sich langsam aber sicher mit immer höher wucherndem Fichtenoder Kiefernwald, noch freie, nicht land-oder forstwirtschaftlich genutzte Stellen und Wege werden von hohen Ginstern bedeckt, Dutzende von vordem ackerlich genutzten Feldern werden zu Wäldern, kurz, eine neue Landschaft ist entstanden. Kein Wunder, daß empfindliche Wesen, wie Tagfalter aller Art es sind, rasch abnehmen, vielleicht eines Tages örtlich völlig aussterben oder zumindest sehr selten werden.
So stellt sich von selbst die Frage, ob Naturschutz im hergebrachten Sinne in jedem Falle noch einen entscheidenden Zweck habe. Auf die vier behandelten Arten bezogen, ist hierzu folgendes zu sagen:
Zeichnung: Theo Busch sen. Segelfalter (Papilio podalirius)
Für den Goldafter ist Naturschutz nicht angebracht und nicht zu erwarten, da er unter günstigen Umständen jederzeit wieder häufig und damit schädlich werden kann. Niemand würde es bedauern, wenn das ziemlich kleine, bis auf das Hinterleibsende völlig weiß gefärbte Tier, das zudem, von vielen unbemerkt, nur in der Nacht fliegt, verschwände. Anders ist es mit den genannten drei Tagfalterarten. Der Segelfalter ist in allen Stadien strengstens geschützt. Man darf weder Eier noch Raupen, weder Puppen noch Falter der Natur entnehmen. Tut man es dennoch, so setzt man sich der Gefahr strenger Bestrafung aus. Dieser Naturschutz im hergebrachten Sinne hat aber bisher in unserem Gebiet den in den letzten Jahrzehnten zu beobachtenden radikalen Rückgang der Art nicht aufhalten können. Um weiteren Rückgang zu verhindern, müßte man nicht nur die Art an sich schützen, sondern auch deren Lebensraum vor weiterer Einengung und Wandlung unter grundlegenden Schutz stellen. Der dazu am besten geeignete Raum im Kreisgebiet ist m. E. das Gebiet des Ahrtales von Schuld bis Mayschoß mit Nebentälern und angrenzenden Höhen, einschließlich des Steiner Berges. Einen solchen Raum zu schützen, ist äußerst schwierig, müßte aber möglich sein.
Den gleichen Schutz müßte man auch dem Baumweißling gewähren, wenn er nicht auch bei uns aussterben soll, wie bereits fast überall in der Bundesrepublik. In England, wo er schon seit Beginn des l. Weltkrieges ausgestorben ist, wären die Naturfreunde froh, wenn eine Wiedereinbürgerung, die man seither oft genug versucht hat, von Erfolg gekrönt sein würde.
Den Trauermantel, der an sich noch nicht unter Naturschutz steht, sollte man m. E. in der gesamten Bundesrepublik genau so unter völligen Schutz stellen wie den Segelfalter, und damit auch in unserem Kreis für den Fall eines erneuten Wiederauftretens. Vor allem aber sollte die Wegnahme der großen auffälligen Raupengesellschaften der Art streng verboten werden. Eier, Puppen und Falter davon zu finden, ist recht schwierig, so daß deren namentlicher Schutz nicht unbedingt erforderlich erscheint.
Auf jeden Fall sollten Kinder, vor allem die vom 5. bis 10. Lebensjahre, von Eltern und Erziehern angehalten werden, Falter aller Art nicht zu fangen, sondern zu beobachten
und deren Schönheit zu bewundern. Damit allein wäre dem Gedanken des Naturschutzes gewiß schon ein wichtiger Dienst erwiesen.
Zeichnungen: Baumweißling, Trauermantel und Segelfalter nach Warnecke, „Welcher Schmetterling ist das?“, Franckh’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1958; Goldafter nach „Berge’s Schmetterlingsbuch“, neubearbeitet von Professor Dr. H. Rebel, Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1910.Baumweißling, Trauermantel und Segelfalter nach Warnecke, „Welcher Schmetterling ist das?“, Franckh’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1958; Goldafter nach „Berge’s Schmetterlingsbuch“, neubearbeitet von Professor Dr. H. Rebel, Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1910.