Eichhörnchen befreunden sich mit uns
VON JULIUS EIGNER
Unserem Eichhörnchen begegneten wir zum ersten Mal im vergangenen Herbst, als der Walnußbaum schwer von Früchten behangen war. Ursprünglich war wohl die Nußernte nur für uns gedacht, aber wir überließen sie schließlich auch den Eichhörnchen, denn das Vergnügen, ihnen beim Einbringen der Nüsse zuzuschauen, wog alles andere auf. Ein halbes Dutzend etwa hatte sich eingefunden, und unter ihnen war auch dasjenige, das später unser Freund wurde. Alles war sehr komisch. Die Tierchen arbeiteten von Tagesanbruch bis zur Dunkelheit, mit vielen Arbeitspausen, versteht sich, und während der ganzen Zeit sahen wir nicht, daß eines von ihnen während der Sammelarbeit eine Nuß gefressen hätte. Sie kletterten bis zur äußersten Spitze des alten Baumes, nahmen eine grüne Nuß zwischen die Zähne, eilten den Stamm hinab und verscharrten sie im Boden. Manchmal versteckten sie die Nüsse ganz in unserer Nähe, kaum einen Meter von unseren Füßen entfernt, und sie kümmerten sich dabei wenig um uns. In den kommenden Wochen entdeckten wir einen ganzen Haufen von schlecht versteckten Nüssen neben der Haustür, zwischen den Chrysanthemen und im Gebüsch. Die Eichhörnchen arbeiteten so eifrig, daß der Riesenbaum in knapp zwei Wochen geplündert war. Wir hatten beim Zuschauen viel Freude, und manchmal lachten wir laut auf. Mit einer Nuß im Maul‘ liefen sie Spiralen um den Baum. Die Nuß erblickten wir jedesmal zuerst, dann erst kam das Eichhörnchen selbst und die dunklen, glänzenden Augen, mit denen es sich zuerst sicherte, ob der Weg frei sei. Morgens, solange die Wiese naß vom Tau war, benutzten sie den Holzzaun als Weg, der das Obststück von der Wiese trennt. Den Zaun nennen wir heute noch die Eichhörnchenstraße.
Als der Walnußbaum leer war, verliefen sich die Eichhörnchen wieder. Ein Pärchen, in dessen Revier unser Häuschen liegt, blieb, und von den beiden kam nur das rostrote Weibchen zu uns. Den ganzen Winter über kam es zum Vogeltisch, den ich vor meinem Schreibtischfenster angebaut hatte, und fraß viel und oft. Derweil schimpften die Meisen und Buchfinken, die im Gebüsch warteten, bis der Tisch wieder frei war. Das rote Eichhörnchen — wir nannten es Querka — hatte sein Kobel unter dem mächtigen Dach der Eiche, in einer Fichte, die durch die Eichenäste hochgewachsen war. Wir sahen, wenn es das Nest verließ, beobachteten, wenn es zurückkehrte. War es draußen naß oder naßkalt, dann verbrachte es den Tag bei sich zu Hause und zehrte von der Fettschicht, die es sich bei uns angefressen hatte. Sehr bald war Querka so zutraulich, daß sie am Fenster fraß, während ich, keinen halben Meter entfernt, an der Maschine schrieb. Neidvoll dachten wir an die Menschen, die uns erzählten, daß bei ihnen die Eichhörnchen an die Hand kämen, ja, in die Manteltasche griffen und sich Nüsse hervorholten. Davon konnte bei uns noch keine Rede sein. Mit dem Frühling kamen die Singvögel aus dem Süden zurück, bauten ihre Nester, und auch sie kamen an den Vogeltisch, wenn es kalt war und sie nichts anderes fanden. Auch Querka kam noch immer. Als aber die Tage länger wurden, wurde sie scheuer anstatt zutraulicher, und wir waren darüber traurig. Eines Tages im Mai, als ich in meinem Zimmer arbeitete, erschien Querka wieder, erschrak, als sie mich sah, blieb dann aber und fraß mit der ihr eigenen Anmut den Hanfsamen, der dort für die Vögel lag. Sie fraß mit Heißhunger. Da öffnete ich langsam das Fenster und hielt ihr eine Haselnuß hin. Sie sprang mit einem Satz an die nahe Fichte und schaute von dort herüber. Und dann kam sie wirklich, langsam, ängstlich, aber sie kam. Sie roch an der Hand, stützte sich mit einer Pfote auf meinen kleinen Finger, schob mit der ändern die Nuß zwischen die Zähne und verschwand. Sie kam schnell zurück. Und da ich ihr nun zwei Nüsse hinhielt, nahm sie beide, obwohl es schwer war, sie in ihrem Mäulchen zu verstauen. Da sie auch jetzt wieder schnell zurückkehrte, wurden wir mißtrauisch, und als wir ihr die vierte Nuß gegeben hatten, schauten wir ihr nach und sahen, daß sie die Nüsse nicht fraß, sondern versteckte. Sie scharrte flink Blätter und Zweige vom Boden, steckte die Nuß in die weiche Humusdecke und drückte die Erde mit den Pfoten etwas an. Im Nu war sie wieder zurück. Uns erfreute diese Vertrautheit, aber wir waren nicht gewillt, unsere Nüsse vergraben zu lassen. Wir reichten ihr Hanfsamen, und den fraß sie vor unseren Augen. Da sie nun oft kam, entdeckten wir bald, daß sie Kinder hatte. Von nun an fand sie Fensterbank und Vogeltisch mit Futter bedeckt, von Hanfsamen, Sonnenblumenkernen, manchmal auch Nüssen und Apfelschalen. Schon früh um fünf kam sie ans Fenster zum ersten Frühstück, und wenn alles aufgefressen war, kam sie ins Zimmer, leise und vorsichtig, untersuchte die Umgebung des Fensters und lief zwischen den Büchern auf dem Schreibtisch umher. Wir versteckten von nun an Leckerbissen auf dem Tisch, die sie auch fand und zu unserer Freude auffraß. Wir wußten, wo Querka wohnte, wußten aber nicht, wieviel Kinder sie hatte. Da kam uns eines Tages der Zufall zu Hilfe. Meine Frau arbeitete im Garten und sah auf einmal Querka mit einem Kind im Maul die Fichte herabklettern, ein Stück über den Boden laufen und an einer Nachbarfichte wieder hochklettern. Das Kind hatte sich zu einem Pelzbällchen zusammengerollt, den Schwanz der Mutter um den Hals geschlungen, während die Mutter das Kind am Pelz festhielt. Fünfmal kletterte Querka hin und her und brachte so ihre Kinder in dem Ersatzkobel in Sicherheit. Durch das Fernglas sahen wir, daß das alte Kobel von den vielen Kindern so auseinandergesprengt war, daß es zu zerreißen drohte. Die Kinder waren nicht mehr so klein, und es war eine schwere Arbeit. Noch während die Mutter so beschäftigt war, kroch eines der Kinder den Fichtenstamm hinab, näherte sich meiner Frau und kletterte an einem Pfahl, der dort stand, in die Höhe. Das Kind hatte keine Angst, aber als es am Ende des Pfahls gekommen war, war es verdutzt und sah fragend herüber. Es saß still und schien zu überlegen, dann kletterte es den Pfahl hinab und kehrte ins Nest zurück. Der letzte Teil der Reise ging schnell vonstatten, denn die Mutter, die das Kleine vermißte, rief laut von der Höhe herab. Das Kleine war ein hübsches Tier mit braunrotem Fell und dunklem Schwanz.
Bald nach dem Umzug sahen wir die Kleinen regelmäßig in dem alten Ahorn hinter dem Haus herumklettern; alle fünf. Es waren noch immer Kinder, das sah man an ihren tapsigen Bewegungen, und wir verbrachten manche Stunden mit Zuschauen. Ihre Sprünge von Ast zu Ast waren noch ungelenk, und manchmal fiel auch eines hinunter auf die Erde, aber wir sahen nie, daß sich eines dabei etwa verletzt hätte. Leider waren sie sogar für meine Telefotolinse zu weit entfernt, so daß ich sie bei ihren Spielen nicht fotografieren konnte.
Bald fühlten sich die Kinder erwachsen, und es ward ihnen zu Hause langweilig. Langsam begannen sie, sich die Welt auf ihre Weise zu erobern. Jeden Tag ging es höher in die Bäume hinauf, weiter von zu Hause fort. Aber noch kehrten sie zur Abendzeit zurück, denn zur Dämmerung sahen wir sie in den Baumkronen spielen.
Ein glücklicher Tag war es für uns, als eines der Kinder zum ersten Mal an den Vogeltisch kam. Am Nachmittag, als wir im Garten Kaffee tranken, hatte uns Querka Gesellschaft geleistet. Sie saß im Schatten des Tisches, uns zu Füßen, und fraß kleingeschnittene Haselnüsse, Und da sahen wir, wie ein Kind am Vogeltisch vor meinem Schreibtischfenster saß und mit Vergnügen von den dort lagernden Leckerbissen fraß.
Unsere Hoffnung, daß eines Tages die ganze Familie zu uns an den Gartentisch kommen würde, hat sich bis heute noch nicht erfüllt. Dennoch sehen wir einem abwechslungsreichen und heiteren Sommer mit unsern Eichhörnchenfreunden entgegen.