Altes und neues Brauchfum im Siedlungsgebiet Ahrbrück

VON GEORG GLODOWSKI

Bei der zwangsweisen Aussiedlung verschwand Jahrhunderte altes, rheinisches Brauchtum in der Sonderprägung der Hocheifel, das vielfach seine Gestalt in der Überformung des germanischen Brauchtums mit christlichem Gedankengut gewonnen hat. In der Verehrung der „drei Mütter“ oder „Jungfrauen“ reicht es sogar ins Keltische hinab. Die neue Bevölkerung, die sich aus 61 Prozent Rheinländern (davon 25 Prozent Altbürger), 32,2 Prozent Ermländern und rund 6,8 Prozent Sudetendeutschen zusammensetzt, hat zu diesem Brauchtum wenig oder keine Beziehung; es fehlt ihr das gemeinsame Schicksal als das Band der inneren Zusammengehörigkeit durch eine gemeinsam erlebte Geschichte.

Dort, wo fast rein ermländische Siedlungen entstanden sind, also eine ziemlich homogene Dorfgemeinschaft besteht, beginnt man allmählich, ostpreußisches Brauchtum zu pflegen, das aber bereits auch abgewandelt ist und im Laufe der Zeit durch die Umwelteinflüsse rheinischer Lebensart noch weiter modifiziert werden wird. Inwieweit rheinisches Brauchtum wieder zu echtem Leben erwachen wird, steht abzuwarten, zumal die allgemeine Verstädterung durch die modernen Zivilisationsmittel hier ein starkes Gegengewicht bildet.

Wir wollen diese kurze Darstellung mit anschaulichem Gehalt erfüllen, indem das wesentliche Brauchtum von dem Gestern und dem Heute in seinen Erscheinungsformen dargestellt wird.

Eifler Brauchtum, wie es bis 1938 gepflegt wurde:

Manntag (z. Januar). Die Schafbesitzer kamen mit dem Schäfer zusammen, der Branntwein stiftete. Das „Schafjahr“ wurde fröhlich besprochen (Blasweiler). Erbsenbär (Fastnacht). Ein Dorfbursche, mit Erbsenstroh umwickelt, tanzte mit dem Bärenführer durchs Dorf (Denn). Maibrauchtum. Der Maibaum wurde von den Junggesellen gesetzt und vertrunken. Den Mädchen steckte man nachts Maibäume ans Haus. Mädchen, die schlecht gelitten waren, bekamen Häcksel vors Haus gestreut. Maigelag (Versteigerung der Dorf schönen). Dss Reinigen des Bor (Brunnen). An einem Sommerabend geübter Brauch. Die Dorfmädchen zogen von Haus zu Haus, um ihren Lohn für den gereinigten Dorfbrunnen (so sangen sie in einem Lied) abzuholen. Begegneten sie jungen Männern, so mußten diese sich gegen Entgelt ihr Hütchen mit einem Blumensträußchen zieren lassen. Das Geld wurde Fronleichnam für Altarschmuck verwendet (Kaltenborn).

Kirmes wurde als zweitägiges Hauptfest mit dem anschließenden „Kirmesbegraben“ (einem feucht-traurigen Abgesang) gefeiert. In Heckenbach veranstaltete man eine Wallfahrt zur Reliquie der heiligen Appolonia. Gewitterläuten bei herannahendem Unwetter. 

Martinsfeuer (10. November). Die Jungendes Dorfes knieten mit brennenden Fackeln um das Feuer, beteten das Glaubensbekenntnis und drei Vaterunser. In Herschbach folgte ein dreimaliger Tanz um das Feuer. In anderen Dörfern wurde nach vorausgehendem Gebet der versammelten Dorfgemeinde der Holzstoß an vier Seiten mit einer Kerze angezündet, die die Familie stellen mußte, bei der zuletzt ein Kindlein eingekehrt war. Das Neugeborene wurde wohl durch diese symbolische Handlung in die Dorfgemeinschaft aufgenommen.

Blasweiler
Foto: Jakob u. Helena Steinborn

Weihnachten. Am 24. Dezember stellte man Teller und Schuhe vor die Tür. Die hineingelegten Nüsse hatten wohl die tiefe symbolische Bedeutung: Das Christkind sollte das Schuhzeug segnen, womit der Mensch seine schicksalsvolle Erdenstraße wandelt. Nikolausbräuche waren weniger bekannt. 

Das Reiseln. Der Junge, der noch nicht 19 Jahre alt war und schon zu einem Mädchen ging, erhielt eine tüchtige Tracht Prügel. 

Das Tierjagen. Wer sich gegen den ehelichen Frieden verging, dem wurde des Nachts durch Lärm jeglicher Art die höchste Mißbilligung ausgedrückt.

Hillich. Am Abend vor der Hochzeit mußte die Braut aus der Dorfgemeinschaft erkauft werden. Der Tod. Beim Todesfall eines Gemeindemitgliedes wurde in der Kirche am Altar und an den Kreuzwegstationen für das Seelenheil des Verstorbenen gebetet. 

Der Junggesellenverein. Jedes Dorf hatte seinen Junggesellenverein. Mit strengen Satzungen und oft drastischen Maßnahmen war er ein Instrument dörflicher „Moral“. Von diesem Brauchtum pflegt man heute noch das Setzen des Maibaumes und das Martinsfeuer, jedoch in abgewandelter, allgemeinerer Form. Die heutige Kirmes hat weitgehend ihren intimen dörflichen Charakter verloren.

Ermländisches Brauchtum, wie es vor allem in der Gemeinde Heckenbach gepflegt wird: Das Opfer. Eine Prozession zur Nachbargemeinde an deren Patronatsfest. Es werden einige Kerzen (Opfer) überreicht.

Die Kollende. Nach Epiphanie besucht der Pfarrer alle Häuser der Gemeinde und segnet Wohnung und Stall. Der Küster schreibt die Buchstaben C + M + B — Jahreszahl an die obere Türleiste. Dieser Brauch war hier nicht bekannt.

Das Marientragen. Ein Marienbild wird vom Pfarrer am i. Adventssonntag gesegnet und mit der Maßgabe, jeweils eine Heimandacht zu halten, auf die Reise durch das Dorf geschickt. (Der Ursprung dieses Brauches ist das Alpenland.)

Das Erntedankfest. An einem mit Früchten geschmückten Altar wird dem Spender aller Gaben ein Dankgottesdienst dargebracht; nachmittags feierliche ermländische Vesper. Danach wird im Gasthaus dem Bürgermeister (in Ostpreußen dem Gutsherrn) die Erntekrone überreicht. (Dieser Brauch ist aus der Agrarstruktur Ostdeutschlands zu verstehen). 

Haussegnung. An Neujahr und am Heiligen Abend segnet der Bauer Haus und Tiere. 

Schimmelreiter: Einige Tage vor Weihnachten ziehen junge Burschen als Schimmelreiter, Schornsteinfeger, Bär, Storch, Ziegenbock, Pilzfrau, Weihnachtsmann usw. (im ganzen zwölf Personen) von Haus zu Haus, machen Krach und wollen die Kinder erschrecken. Zugrunde liegt das wilde Heer Wotans, das in diesen dunklen, stürmischen Tagen durch die Luft jagt und die Menschen erschreckt. Während das Eifler Brauchtum in starkem Maße von der Dorfgemeinschaft getragen wurde, tritt beim ostpreußischen Brauchtum vornehmlich die Kirche als weckende und fördernde Kraft auf. Sicherlich hat das Kloster Kesseling im frühen Mittelalter dieselbe prägende Rolle gespielt.