Ech hann persönlich met e’hm geschwätz!
VON WERNER KELLER
Es war Anfang der 30er Jahre, nach der Weltwirtschaftskrise, als in Preußen der Staat 2000 Sparkommissare eingesetzt hatte. Auch in unserer engeren Heimat war die Not groß. Selbst auf dem flachen Lande gab es Menschen, die sich um das tägliche Brot sorgen mußten.
In dieser Zeit kamen die Einheitspreisgeschäfte auf, die sich EHAPE nannten und neben den Kaufhäusern die besten Umsätze erzielten.
Dem Schneggesch „Köbes, der sich selbst nicht ohne Stolz „Einen Tietz im Kleinen“ nannte, war es ein Dorn im Auge, wenn jemand, um einen „Groschen“ zu sparen, wie er sagte, nach Neuenahr ging, um für 2 Groschen Schuhsohlen zu verschleißen, wie er meinte. Man brauchte im Gespräch nur einfließen zu lassen, daß sich der Weg ins EHAPE nach Neuenahr oder bei größeren Einkäufen, zum Tietz nach Bonn lohne, dann hielt Köbes ein Kolleg über die Nöte des bodenständigen Einzelhandels und dessen steuerliche Last.
Als sich die Gelegenheit gab, einem größeren Kreis diese Nöte näherzubringen, wuchs der Köbes über sich hinaus, und er übertrieb, als er wörtlich sagte: „Wenn dat su füra jeit, dann kann ech bal meng Bedürfnisse durch e’ne Strühhalm maache.“
In Uhren, Gold und Silberwaren hatte Köbes, wie die Branche überhaupt, das Hauptgeschäft vor Weihnachten.
Etwa Anfang November machte sich Köbes „reisefertig“. Darunter verstand Köbes, daß er die graue Breecheshose mit Gamaschen und den Stutzen anlegte, um in seine alte Garnisonstadt Bonn zu fahren. In Gedanken lebte er seine Garnisonzeit nach, aber die Hauptsache war der Preisvergleich bei der unechten Konkurrenz, wie er sagte.
Das wiederholte sich Jahr für Jahr, ohne daß sich etwas besonderes ereignet hätte. Einmal jedoch, auf der Heimfahrt, als der Köbes in Remagen in den Ahrzug umstieg, traf er den Bürgermeister von Ringen. Nach der Begrüßung ergab sich das übliche Gespräch, wenn sich zwei Bekannte auf Reisen treffen. Den Grund der Reise des Köbes nach Bonn erfuhr der Bürgermeister nur halb, nämlich die ruinösen Preise der Kaufhäuser. Je länger der Köbes seinem Unmut Ausdruck gab, um so heftiger wurden seine Vorwürfe, die ja bei dem Bürgermeister am richtigen Platz seien. Durch Rede und Gegenrede wurde das Gespräch langsam zum Katz- und Mausspiel. In Bad Neuenahr angekommen, war der Köbes erst richtig in Fahrt, und er trug dem Bürgermeister an, man möge zusammen nach Hause gehen, und er werde ihn bis zur Karweiler Heide begleiten. Gemeinsam setzte man den Weg fort und auch die Debatte. Man ging gegen den Berg und Köbes bestritt den Hauptteil der Unterhaltung. Als der Köbes schließlich merkte, daß der Bürgermeister die weiteren Argumente, die er vortrug, nicht mehr ernst nahm, beschloß er, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Jetzt werde das wohl alles anders werden, sagte der Köbes, denn dem Leonhard Tietz habe er einmal vernünftig Bescheid gesagt, „ech hann persönlech met e’hm geschwätz“, erklärte der Köbes mit gehobener Stimme. Der Bürgermeister, ehrlich erstaunt und nicht merkend, daß dem Köbes der Schalk im Nacken saß, begann zu erforschen, wo und unter welchen Umständen der Köbes mit Herrn Tietz gesprochen habe. „Das war furchtbar einfach“, sagte der Köbes, „er stand in Bonn vor seinem Kaufhaus.“ Ob er sich denn vorgestellt habe, der Herr Tietz, fragte der Bürgermeister zurück, worauf der Köbes erwiderte: „Das war nicht nötig, denn er hatte ja seinen Namen auf der Kapp (Mütze) stehen.“ Erst jetzt merkte der Bürgermeister, daß der Köbes mit dem Portier gesprochen hatte, er ließ sich jedoch nichts anmerken und zog sich so gut wie möglich aus der Affäre. Daß sich dann die Wege des Bürgermeisters und des Köbes bald trennten, braucht nicht besonders betont zu werden.