Abtei Grüssau
700 Jahre in Schlesien, jetzt seit 25 Jahren in Wimpfen
VON HEINRICH OTTO OLBRICH
„Und es kreisen die Gedanken zur Heimat ewig hin“ (Josef v. Eichendorff). Diese unumstößliche Tatsache läßt uns immer wieder das Bild der Heimat Schlesien in unseren Herzen aufblenden mit all der Zärtlichkeit und Wärme, die uns gefesselt und eingefangen hält. Es ist dies unser seelischer Besitz.
So wandern häufig unsere Gedanken der Erinnerung und Liebe landauf und landab in unserem einstigen Schlesierlande und suchen alles, was uns einst glücklicher und tröstlicher Besitz war. Zu ihnen gehört auch die Erinnerung an die malerisch gelegene Abtei Grüssau. Vor dieser Betrachtung, die uns zur inneren Einkehr veranlaßt, wollen wir noch die Stimme Eichendorffs hören, der uns hierzu sagt: „Die mit ihrem Gram und Glücke – will ich ein Pilger frohbereit betreten nur wie eine Brücke zu Dir, Herr überm Strom der Zeit.“ So stehen wir nun im Geiste auf dem weitausgedehnten Gelände des Klosters Grüssau, das sich in einer welligen Landschaft der letzten Ausläufer des Riesengebirges ausbreitet.
Es ist althistorischer Boden, auf dem wir stehen; denn in dieser Gegend um Walstatt und Liegnitz wurde 1241 der entscheidende Kampf um das Schicksal Deutschlands ausgetragen. In diesem Jahre waren die kriegerischen Mongolen mit ihren Reiterscharen ins Land eingefallen. Die tapferen Ritter unter Führung ihres Herzogs Heinrich II. haben die Mongolen nicht nur besiegt, sondern so vernichtend geschlagen, daß sie vorzogen, einen weiteren Vormarsch aufzugeben.
Herzog Heinrich II. von Schlesien ist auf dem Schlachtfeld gefallen. Seine Mutter war die hl. Hedwig, die in die Geschichte des Landes als „Mutter Schlesiens“ eingegangen ist. Zur Erinnerung an die Notzeit stiftete sie mit Genehmigung des Bistums Breslau das Kloster Walstatt. Die Gattin Heinrich II., Anna, gründete 1242 das Kloster Grüssau. Beide Klöster wurden von Benediktinermönchen bezogen. Das Kloster Walstatt blieb nach einigen größeren Unterbrechungen bis zur Säkularisation 1810 von Benediktinern betreut. Das Kloster Grüssau ging 1292 an den Zisterzienserorden über. Über 500 Jahre hindurch haben die Zisterzienser, auch „graue Brüder“ genannt, ihre segensreiche Wirksamkeit ausgeübt. Das große Stiftsland, das der Orden geschaffen hatte, umfaßte zwei Städte und 42 Dörfer. Diese vielseitige und segensreiche Ordensarbeit der Zisterzienser wurde durch die Hussitenkriege 1428 bis 1430 gestört. Furchtbares Elend und große Entbehrungen brachten die Wirren des 30jährigen Krieges. Zunächst haben die Heere der Kaiserlichen und später die Söldner der Schweden jegliche religiöse und kulturelle Arbeit der Mönche unterbunden. Aber allen Heimsuchungen zum Trotz haben kluge Äbte die Wiederaufbauarbeit weise geleitet und sie zu neuer Blüte geführt. Die höchste Entwicklungsstufe erreichte der Orden im Zeitalter des Barocks, wobei er stark von der Baukultur Österreichs angeregt und gefördert wurde. Zisterzienser und Benediktiner wetteiferten miteinander im Bau der Kirchen und profanen Bauten und deren Innenausstattungen. Der große Benediktinerabt Rosso erbaute in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die berühmte St.-Josefs-Kirche in Grüssau und noch viele Kapellen. In der Zeit von 1728 bis 1735 wurde das sehenswerte Marienmünster erstellt.
Foto: Archiv Abtei Grüssau
Kloster Grüssau
Grüssau war mit dem Gnadenbildnis der hl. Mutter Maria ein vielbesuchter Wallfahrtsort und eine weit über die Grenzen Schlesiens bekannte Pflegestätte von Kunst und Wissenschaft. Diese Blütezeit wurde 1810 brutal durch die Säkularisation zerstört. Das Kloster Grüssau wurde geschlossen. Etwa 100 Jahre später erst konnte das Zerstörungswerk durch den Orden wieder gutgemacht werden.
Im Jahre 1919, also ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg, mußten die deutschen Benediktinermönche ihre Abtei in Prag verlassen. Kardinal Bertram von Breslau griff sofort in diesen Notstand ein und übertrug den Vertriebenen die ungenutzt stehende Abtei Grüssau. Nach Überwindung der schwierigen Aufbauarbeiten erstand sie in neuem Glanz. Durch die Einrichtung einer eigenen Druckerei und eines eigenen Verlages erlangte die Abtei die Möglichkeit, religiöse und kulturelle Druckschriften in weitem Umfange zu verbreiten. Doch sollte auch dieses segensreiche Beginnen durch den Einbruch einer neuen Leidenswelle gestört werden. Als die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernahmen, wurden Abtei und Klostergebäude von der SS besetzt und beschlagnahmt. Der Orden war zur Untätigkeit verurteilt. Der Großteil der Mönche kam zum Militärdienst. Im zweiten Weltkrieg erlitten viele Mönche den Tod.
Im Mai 1946 mußte der Orden unter dem Druck der Polen und Russen das Kloster verlassen. Die leergewordenen Klostergebäude wurden von Benediktinerinnen, die aus Lemberg flüchten mußten, bezogen. Der Geist der Benediktiner konnte somit fortleben.
Die Klosterinsassen aus Grüssau begaben sich nach Westdeutschland, um hier eine geeignete Unterkunft zu finden. Sie waren auf 40 Personen zusammengeschrumpft. Der greise Abt Schmidt und seine Helfer bemühten sich ein ganzes Jahr um eine feste Bleibe. Da bot sich Ihnen der Erwerb des verlassenen Ritterstifts in Wimpfen im Neckartal an. Es war fast verfallen, nur die uralte Kirche stand noch unbeschädigt da. Das alte, unbewohnte Kreuzgangsgebäude des Stiftes bot Gelegenheit für den sofortigen Ausbau der notwendigsten Räume. Die alte frühgotische Kirche aus dem 13. Jahrhundert gab der neuen Ordenssiedlung den würdigen Rückhalt. Somit war die Abtei Grüssau unter Leitung des greisen Abtes Schmidt in Wimpfen neu begründet. In den folgenden Jahren erstand nun das heutige stattliche Bild der Abtei. Am 1. August 1972 konnte die Abtei Grüssau hier das 25jährige Jubiläum seines Wirkens feiern. Nach dem Tode des verdienstvollen Abtes Schmidt, der die Leidenszeit der Abtei von der Vertreibung in Schlesien bis zum Wiederaufbau in Wimpfen überwandt, leitet nunmehr der neue Abt Hoheisel die Geschicke des Klosters Grüssau. Er und seine Klostergemeinschaft stellen sich in den Dienst des Beziehens zu den Bedürfnissen seiner westdeutschen Umwelt, ohne den Rückblick auf die schlesische Heimat verblassen zu lassen.
„Ora et labora“, Gebet und Arbeit in reichem Maße, seit Jahrhunderten bis zum heutigen Tage, erfüllen das Leben der Benediktiner von Grüssau. Die in Schlesien verbliebenen Steine der Baulichkeiten des Klosters Grüssau sprechen über die Jahrhunderte hinweg auch die Geschichte dieses Landes. Bei diesen Erwägungen kommt uns unser Heimatdichter Josef von Eichendorff zu Hilfe, wenn er sagt:
Die Sterne, die durch alle Zeiten tragen,
ihr wollt sie mit frecher Hand zerschlagen,
und jeder leuchtet mit dem eigenen Lichte.
Doch, unaufhaltsam rollen die Gewichte,
von selbst die Glocken von den Türmen schlagen,
der alte Zeiger, ohne Euch zu fragen
weist fordernd auf die Stunde der Gerichte.
Foto: Archiv Abtei Grüssau
Das neue Heim der Benediktiner in Bad Wimpfen