Sonderschulzentrum Bad Neuenahr-Ahrweiler
VON IGNAZ GÖRTZ
Am 19. Juni 1974 wurde in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Stadtteil Bachem, das neue Sonderschulzentrum des Kreises Ahrweiler eingeweiht. Die Bedeutung, die dieser Einrichtung zukommt, wurde nicht zuletzt durch die Gäste unterstrichen, die Landrat Dr. Christoph Stollenwerk zur Feierstunde in der Turnhalle der Sonderschule begrüßen konnte: Ministerpräsident Dr. Kohl, die Bundestagsabgeordneten Josten und Dr. Schweitzer, die Landtagsabgeordneten Schaaf und Dr. Moesta, Vertreter der Geistlichkeit, der Schulen und der Verwaltung sowie Eltern der Schüler. In seiner Begrüßungsansprache konnte Landrat Dr. Stollenwerk mit Freude feststellen, daß dieses Sonderschulzentrum zur Zeit wohl das modernste in Rheinland-Pfalz ist. Der Kreis Ahrweiler zähle zu den ersten Kreisen des Landes, die sich um einen umfassenden Ausbau des Sonderschulwesens bemüht haben. Doch seien sich alle bewußt, daß auch nach Errichtung des Sonderschulzentrums noch vieles zu tun bleibe und die Sonderschulen L in Burgbrohl, Sinzig und Wimbach noch wesentlicher Verbesserungen bedürften.
Foto: Kreisbildstelle
Architekt Dipl.-Ing. Reinhard Voss führt Ministerpräsident Dr. Helmut Kohl und Landrat Dr. Christoph Stollenwerk durch die neuen Schulgebäude
Sonderschule für Lernbehinderte
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Landrat Dr. Stollenwerk sah in der Fertigstellung des Sonderschulzentrums einen weiteren Beweis für die Schulfreudigkeit des Kreises Ahrweiler. Seit 1968 seien allein 37,2 Millionen DM für den Ausbau des Schulwesens aufgewendet worden. Mit diesen Mitteln und dank der großzügigen Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz konnte die Hauptschulkonzeption durch den Neubau von acht Hauptschulen, davon einige zusammen mit Grundschulen, im wesentlichen realisiert werden. Ministerpräsident Dr. Kohl appellierte in seiner Festrede an die Bürger des Landes, sich der Verantwortung gegenüber dem Nächsten stets bewußt zu sein und Solidarität mit den Behinderten zu praktizieren. Mit Worten und Reden werde wenig geholfen. „Die moralische Qualität eines Staates, einer Gesellschaft und der Politik wird daran gemessen, was diese Gesellschaft bereit ist, für behinderte Mitbürger zu tun,“ Die aufrufenden Worte des Ministerpräsidenten waren gleichzeitig Antwort auf die vorangegangene Ansprache des Schülersprechers Thomas Ruppert, der für die Mitschüler, die Lehrer und die Eltern sprach und dabei auf die Situation des SonderschüIers einging. Nach einem kurzen Rückblick auf die ersten zehn Jahre dieser Sonderschule stellte Thomas Ruppert fest: „Jetzt haben wir vom Kreis Ahrweiler diese neue Schule bekommen. Wir danken ihm dafür. Diese Schule bietet uns bessere Möglichkeiten, unsere Fähigkeiten zu entwickeln. Wir haben nämlich welche. Es ist nicht so, wie so oft über uns gesagt wird: wir seien unbegabt, zu nichts zu gebrauchen. Einem Sehbehinderten, einem Hör- oder Körperbehinderten bringen die Menschen oft ganz viel Verständnis und auch Hilfe entgegen. Warum versagen sie uns dieses Verständnis und diese Hilfe, und warum machen sie uns für unsere Behinderung verantwortlich? Diese schöne Schule hilft nun vielleicht mit, daß viele Menschen, die uns bisher als Minderwertige ansahen, in Zukunft anders über uns denken. Wir sind jetzt keine „Barackenschüler“, keine Außenseiter mehr. Am Samstag habe ich von dieser Schule ein Abschlußzeugnis erhalten, mit guten Noten.
Sonderschule für Geistigbehinderte
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Eine Lehrstelle habe ich noch nicht gefunden. Anderen aus meiner Klasse geht es ähnlich. Haben die Lehrmeister Angst vor uns ? Trauen sie uns nichts zu? Der Kreis Ahrweiler hat uns dieses hervorragende Sonderschulzentrum gebaut. Wir haben Fähigkeiten, wir können und wir wissen etwas. Wir erwarten von der Gesellschaft, daß sie uns vorurteilslos begegnet. Bitte machen Sie Ihren Einfluß geltend und helfen Sie mit, daß wir die gleichen Berufs- und Lebenschancen bekommen wie die Schüler aus anderen Schulen. Wir möchten beweisen, daß auch wir tüchtige Menschen sind.“
Der Schulneubau
Beim Rundgang durch die Schulgebäude bestätigten die lichten und weiten Gänge und Räume, daß hier Planung und Bauausführung wie auch die Ausstattung beste Voraussetzungen für den Unterricht der Sonderschulen bieten.
Zweigeschossig ist der Bau der Sonderschule für Lernbehinderte, bei der die im Erdgeschoß gelegenen Fach- und Sonderräume besonderes Interesse fanden: zwei gut ausgestattete Werkräume mit Kreissage, Bandsäge und Fräse, in den Schränken das Werkzeug, alles zwanzigfach eingeordnet, der Raum „Textiles Gestalten“ mit seinen Nähmaschinen, gegenüber „Waschen und Bügeln“ und eine modernst eingerichtete Lehrküche. Draußen beleben zwei Volieren den Pausenhof und sind gleichzeitig Lernobjekt Ein Teil des Pausenhofes ist ausgebaut; zu einem „Amphitheater“, eine geglückte Anordnung von Sitzbänken, deren Rund Sich für Freilichtaufführungen geradezu anbietet. Nur durch einen überdachten Gang verbunden schließt sich der Sonderschule L der eingeschossige Bau der Sonderschule für Geistigbehinderte an. Gestaltung und Einrichtung lassen erkennen, wie hier für die Geistigbehinderten etwas geschaffen wurde, ihnen praktische Hilfe, Möglichkeit zum Lernen gegeben wird. Auch hier fallen die Sonderräume und Einrichtungen ins Auge; ein Bewegungsbad, ein Gymnastikraum, der Werkraum, die Küche und – da die Sonderschule G als Ganztagsschule geführt wird – Speiseraum und Ruheraum mit Liegen. Breite Flure können mit Kettcar und Fahrrad befahren werden, wie auch draußen im Hof neben Sandkasten und Rutschbahn eine Rundfahrbahn eingerichtet ist. Diese bunte Vielfalt der Räume und Einrichtung erwartet man nicht, wenn man die außen in rotbraunen Tönen gehaltenen Schulgebäude vor sich sieht Doch wurde hier versucht, wie es der Architekt, Diplom-Ingenieur Reinhard Voss, bei der Übergabe der Schule betonte, eine Entsprechung zu den Bauten des Pfarrzentrums von St. Pius am gegenüberliegenden Ahrufer zu erreichen.
Der Bau des Sonderschulzentrums begann 1969 mit der Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs, auf Grund dessen Diplom-Ingenieur Reinhard Voss im Februar mit der Ausarbeitung der Planunterlagen beauftragt wurde.
Der Architektenwettbewerb wurde gemeinsam vom Kreis Ahrweiler und dem Caritasverband Koblenz ausgeschrieben und umfaßte neben dem in der Trägerschaft des Kreises stehenden Sonderschulzentrum eine Tagesstätte für geistigbehinderte Kinder, deren Träger der Caritasverband ist und deren Gebäude sich an die Sonderschule G anschließen. Die Planung des Sonderschulzentrums, die nach den Richtlinien von 1970 erfolgte, sah 18 Klassenräume, 6 Kursräume, 3 Werkräume, 2 Küchen und Gruppenräume, Räume der Verwaltung und eine Turnhalle von 12 mal 24 m vor. Nach Neufassung der Richtlinien im Jahre 1973 mußten weitere Räume angegliedert werden: ein Naturlehreraum mit Sammlungs- und Gruppenraum, ein Speise- und Mehrzweckraum sowie eine Wärmeküche mit Ausgabe. Die beihilfefähigen Kosten beliefen sich bei Antragstellung im Jahre 1970 auf insgesamt 6 085 000,- DM, von denen auf die Sonderschule L 3167 000,- DM, die Sonderschule G 2 084 550,- DM, die Sportstätte 706 000,-DM und die Hausmeisterwohnung 127 450,-DM entfielen. Die Beihilfen des Landes bezifferten sich auf 3695000,- DM. Die Kosten der Ergänzung sind im Plan mit 481000, – veranschlagt.
Nachdem am 20. März 1971 von der Schulaufsichtsbehörde die Genehmigung erteilt worden war, erfolgte am 24. September 1971 durch Landrat Heinz Korbach der erste Spatenstich. Das Richtfest fand am 5. April 1973 statt, und am 1. März 1974 konnten die Schulgebäude bezogen und der Unterricht aufgenommen werden.
Sonderschule Bad Neuenahr-Ahrweiler
Mit der Fertigstellung des Sonderschulzentrums konnte die Sonderschule für Lernbehinderte Bad Neuenahr-Ahrweiler nach zehnjähriger provisorischer Unterbringung erstmals ein eigenes Schulgebäude beziehen. Die Sonderschule L Bad Neuenahr-Ahrweiler wurde als erste ihrer Art im Kreis Ahrweiler durch Organisationsverfügung der Bezirksregierung Koblenz vom 1. August 1964 eingerichtet, Träger war damals der Schulverband Ahrweiler-Bad Neuenahr-Heimersheim. Erst ab 1. August 1968 ging die Schule auf Grund des Landesgesetzes über die Grund-, Haupt- und Sonderschulen vom 9. Mai 1968 in die Trägerschaft des Kreises Ahrweiler über.
Bis zum Bezug des Neubaues mußte die Sonderschule mehrmals ihr Domizil wechseln. Als am 1. Oktober 1964 Sonderschullehrer Egbert Luley mit einer Klasse den Unterricht begann, fanden die 27 Schüler Unterkunft in der Volksschule zu Ahrweiler, Am 1. April 1965 zog man dann um in die Volksschule Bad Neuenahr, wo zwei Lehrkräfte in zwei Klassen 44 Kinder unterrichteten. Im April 1968 hieß es wieder umziehen, und zwar in die ehemaligen Bürobaracken zu Marienthal, die während des Neubaus des Landratsamtes der Verwaltung als Unterkunft gedient hatten. Zu dieser Zeit umfaßte die Sonderschule L drei Klassen. In der Folge wurde die Klassenzahl laufend aufgestockt, so daß im Schuljahr 1973/74 in neun Klassen 175 Kinder die Schule besuchten. Für den Unterricht stehen neben dem Leiter, Sonderschulrektor Egbert Luley, 15 weitere Lehrkräfte zur Verfügung.
Mit der Fertigstellung des Sonderschulzentrums wurden auch die räumlichen Voraussetzungen für die Einrichtung der Sonderschule für Geistigbehinderte geschaffen. Der Unterricht der Sonderschule G wurde am 6. März 1974 mit zehn Kindern in zwei Gruppen aufgenommen. Im Endzustand soll die Schule 8 Gruppen mit 64 Kindern aufnehmen. Leiter der Sonderschule G ist Helmut Gimmler. Die Schule wird als Ganztagsschule geführt, so daß die Kinder über Mittag in der Schule bleiben und dort auch beköstigt werden.