Der Küfer von Walporzheim
Eine Anekdote von Theodor Seidenfaden
Der Hannes Düvel, der dem Sankt Peter-Weingut zu Walporzheim an der Ahr als Küfer seine dreißig Jahre gedient hatte, verbrachte die Altentage mit seiner um acht Jahre jüngeren, aus einem Dernauer Winzerhaushalt stammenden klugen Frau in dem kleinen, behaglichen Fachwerke, das nicht allzuweit fort vom Sankt Peter stand, jedoch nach seinem und der Kathrin Heimgang — so hieß die, auch im Alter noch schlanke und anmutige Frau — sehr bald dem Verkehr der pferdelosen Rase-Wagen weichen mußte.
Er, der trotznäsige Hüter edelster Rotweine, würde, wenn er das ahistorische Zeitalter der Gegenwart, das mit den Rase-Wagen begann, erlebt hätte — ein Zeitalter, das seine Vergangenheit leugnet und versucht, nur aus Gegenwärtigem Wurzeln für das Künftige zu finden — zu seiner Kathrin gesagt haben: einem derart wirren Geschlechte gebühre kein Walporzheimer mehr, weder der Domlay noch der Gärkammer; er werde den lieben Gott bitten, ihn eingehen zu lassen!
Er, dessen bartloses Gesicht mit der Knollennase nicht frei von tyrannischen Zügen war, der Bücher nicht schätzte, es jedoch verstand, in der sich dem Ahrtale offenbarenden Menschheit und ihren Pantominen
zu lesen, erschien allen, die ihn kennen lernten, trotz seinem verschlossenen Wesen als ein Allwissender.
Nichts Wertvolles der Welt verfalle, pflegte er Schwarzsehern zu sagen, spurlos ins Vergessen; wenn’s Dreikönig hell und klar sei, gebe es im neuen Jahre viel Wein; der März müsse kommen wie ein Wolf, gehen aber wie ein Lamm; das All bleibe, was es sei: ewiges Leben!
Er wußte um die Sagensteine und Wegkreuze der Ahr, weshalb es nicht verwunderlich ist, zu hören, was er, lange nach der Küferzeit, in der Wohnstube des Fachwerkes, als deren wesentliches Erlebnis, das er stets verschwieg, seiner lauschenden Frau berichtete: es habe sich in der Weinstube des Sankt Peter zugetragen, als er für den erkrankten Kellner dem einzigen Gaste aufzuwarten hatte — nach den Worten des Besitzers, einem Dichter — und mit ihm in ein unvergeßliches Gespräch geraten sei. Es handelte sich um Ferdinand Freiligrath, den Detmolder vollbärtigen gewetterten Kämpfer des dichtenden Wortes, der 1839 nach schweren Wegen zu Unkel ein Unterkommen gefunden hatte und von dort aus mitunter ins Ahrtal, dann aber stets zum Walporzheimer Sankt Peter kam.
Der damals Neunundzwanzigjährige, der befreundet war mit rheinischen Dichtern der . Zeit — Karl Simrock, Gottfried Kinkel und Wolfgang Müller von Königswinter — die Ahr auch deshalb liebte, weil sie ihm die Lebensgefährtin schenkte: Frelligrath und der Hannes Düvel fanden sich an dem vergoldenden Spätnachmittage des Oktobers dergestalt im Worte, wie wenn das Jahr auf sie — der Düvel zählte eben vierzig Herbste — und diesen Augenblick gewartet hätte. So kam es, daß der Küfer ein zweites Glas holen, sich zu dem Dichter setzen und ihm helfen mußte, den gewohnten Domlay zu trinken.
Doch erst, als geschehen war, was einem Geiste wie Freiligrath unter den politischen Verhältnissen staatlichen Wirkens, die lange nach der so gemütvollen Oktoberstunde, das öffentliche der Deutschen engte, zu geschehen hatte, als der Hannes Düyel nicht mehr küferte und er mit seiner ktü-gen, leider kinderlosen Frau im Fachwerk des Besinnens saß, teilte er ihr, wie gesagt mit, was sich an jenem Oktobertage in der Weinstube vom Sankt Peter begeben hatte und dann bis zum Beginn des Jahrhunderts der Weltkriege in den Stuben der Ahr als eine Sage umging.
So aber lautete es, dargestellt von ihm, der zwar wenig sprach, aber erzählen konnte und das Hochdeutsche beherrschte. „Der Freiligrath war der Sohn eines Lehrers. Er hatte im westfälischen Soest die
Kaufmannschaft gelernt und sich an Reisebeschreibungen berauscht. Bei der zweiten Flasche, die ich holen mußte — Gott Dank kamen keine anderen Gäste —, hüb er an, von einem Welt-Werden der Deutschen zu sprechen, das die Winkel, darin sie dösten, sprenge. Wer einen Wein pflegt, wie du es tust, der Küfer Hannes Düvel es in diesem Domlay vermag, dem lebt das Herrlichste ‚— Phantasie — so, daß er mit mir schauen kann, was mir vorschwebt. Indes ich spreche, sitzt hoch auf dem Gipfel des Berges, der die Walporzheimer Reben trägt, eine mir bisher unbekannte Frauengestalt. Ob es ein Engel ist, eine Göttin, das Märchen: ich weiß es nicht. Doch ich höre sie raunen: die Zeit komme, in der ein Europa werde ohne Kaiser, Könige und Prälaten, ohne Diplomatengezänk; dann baue es in Domen noch unvorstellbarer Art Weihestätten, die allen Völkern das schenkten, was der Domlay berge und ihnen helfe, das Ungeheuere der Industrie und Wirtschaft, das rein Zweckhafte, vom Sinn her zu weihen. Hannes Düvel: ich erkenne einen Wirbel von Kugeln, die sich zu einem phantastischen Spiele finden, zu einem Wechselspiele der einen Seite gegen die andere. Die Wahrheit von heute ist der Irrtum von morgen, und der Irrtum von heute morgen vielleicht die kommende Wahrheit, und oft ist der Weltgeist den Irrenden gnädig! Bei der dritten Flasche hüb er an, von dem zu reden, was bereits den Kulturvölkern Im fernen Asien selbstverständlich gewesen sei: daß es eine Technik geben werde, die es ermögliche, durch Apparate von einem Ende der Welt zum anderen zu sprechen. Auch von dem Willen der Menschen, gleich Vögeln durch die Luft fliegen zu können, sprach er, und davon, daß bereits der Athener Lukianos 174 nach dem Krist einen Flieger-Roman geschrieben habe.
Ob ich auch stumm saß und mit dem Kopf schüttelte: er trank schneller als ich und blieb begeistertes Wort.
Da inzwischen die Sonne fortgegangen, ich aber am Schanktische einen der bronzenen Leuchter geholt und seine Kerze angezündet, auch seinem Wunsche entsprechend eine neue — die vierte Flasche — mitgebracht hatte, sagte er: nach Unkel zu gehen sei es zu dunkel; er bleibe zur Nacht; ich solle nachher beim Wirt den Abendimbiß und ein Zimmer bestellen, vorher aber, zu beweisen, daß auch ich erzählen könne, demnach nicht stumm sei, eine lustige Geschichte vom Wirken des Domlay sprechen, die er mitnehmen könne in die kommende Zeit! Ja, Kathrin, so sprach er, und ich berichtete ihm von den drei Rentnern, die um 1820 jeden Abend gekommen wären und drei Flaschen Domlay getrunken, dabei aber nichts gesprochen hätten als die dir bekannten Sätze: nach der ersten Flasche: der Wein sei gut, nach der zweiten: er bekomme auch gut, nach der dritten: er sei auch nicht zu teuer; der älteste Kauz sei neunundachtzig, der zweite fünfundachtzig, der dritte zweiundachtzig gewesen. An der Wand der Gaststube habe damals ein Schild gehangen, das auf schwarzem Untergrunde in goldenen Buchstaben die seltsamen Worte gezeigt habe: Fuas red o fual. So hätten sie geheißen, wie ihm sein Vorgänger, der sechsundsiebzigjährige Küfer Toni Buckel gesagt habe. Sie seien weder dem Lateinischen noch dem Griechischen eigen und hätten sich Einsichtigen bei rückwärtigem Lesen als den deutschen Rat erwiesen, der sage: Sauf oder lauf!
Ich erzählte, und der Freiligrath lauschte, blickte groß und bedeutend und trank seinen Domlay, als ob ihm jeder Schluck ein neues Lebensjahr vermacht hätte, so, daß Ich unterbrechen und eine weitere Flasche holen mußte.
Dann aber, fuhr ich fort — du kennst die Sache, Kathrin — zu sagen, was geschehen sei, als der Neunundachtzigjährige seinen an der neugegründeten Bonner Universität Medizin studierenden Neffen — er wußte um das bedachtsame Trio —, und war ein rechter Ahrschalk—, an einem ihrer geradezu liturgischen Abende zum Entsetzen der beiden Gefährten mitgebracht habe, sie den Jungen wie einen Abkömmling des Ahr-Satans angestarrt und der Zweiundachtzigjährige gemurmelt hätte: das Unheil schleiche auf filzigen Sohlen!
Ja — und da setzte der Student sich neben den Ohm, und als er, was der veran-laßte, sein Glas hielt und der Domlay verheißend hineinfloß, ins Glas, das er, sobald es gefüllt war, ansetzte, einen Schluck nahm, nach ihm sagend, der Wein sei gut, gleich den zweiten Schluck folgen ließ und, die Drei bedeutsam anblinzenlnd, meinte, er bekomme auch gut, dann den Rest in die Gurgel goß und jetzt — echt studentisch betonte, er sei auch nicht zu teuer — traf ihn der liturgische Zorn dergestalt, daß er aufsprang und verschwand, woraufhin die drei Alten sich erlöst anblickten, der Zweiundachtzigjährige aber zu dem Neunundachtzigjährigen sagte: einen solchen Quatschkopf — eine Schlabberschnauze — möge er nicht mehr mitbringen; der sei imstande, den Domlay und Walporzheim zu ersticken!
Der Dichter in Freiligrath lachte hellauf, als ich das erzählt hatte und trank das letzte Glas der fünften Flasche in einem Zuge so behutsam, daß ich beinahe erschrak, doch wieder zu mir selber kam, als er sagte, auf den Nachtimbiß verzichte er, bezahle ihn aber, sobald er ausgeschlafen habe; der Domlay bleibe das gepriesene Wunder der Ahr — und nun bitte er mich, ihn an seine Schlafstube zu führen; das Kugelgespiele trübe seinem Blick das Sichere; meine Geschichte vom liturgischen Wein-Trio nehme er mit in die neue Welt! Du weißt, Kathrin, was dem Freiligrath spä-
ter geschah: daß man ihn, als politische Gedichte von ihm das Elend der Fabrikarbeiter schilderten, zuletzt verhaften wollte, er dann, sobald er das merkte, von Köln aus, wo er an einer revolutionären Zeitung mitarbeitete, nach London entwich. Ob er dort noch lebt, weiß ich nicht. Wohl aber glaube ich, er habe manchmal an die Ahr-Geschichte der Oktobernacht des Jahres 1839 gedacht, die ihn in den Domlay-Traum seiner bett-schweren Nacht begleitete, und das ist für mich ein glückliches Erinnern!“ So berichtete der alte Hannes Düvel seiner Frau Kathrin, der klugen Winzertochter aus Dernau, und die sagte ihm, als er fertig war — jetzt in ihrer Mundart —: ja, ja Hannes, die Geschichte lebe noch, wenn es so weit sei, daß alle Walporzheimer der Stunde sich die Rüben von unten ansehen müßten, falls ihre Särge es zuließen; aber er, der Hannes, der einmal, im Zorn gewünscht habe, der Domlay solle verschwinden, werde erfahren, daß der liebe Gott stärker als das Wünschen eines Küfers sei, und darum lebe der Domlay weiter, ob auch die Menschen, wie es zur Zeit geschehe, dem Irrsinn huldigten.
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